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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §68 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Bumberger und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Flendrovsky, über die Beschwerde der E Aktiengesellschaft in W, vertreten durch Held, Berdnik, Astner & Partner, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Rathausstraße 13, gegen den Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt- und Wasserwirtschaft vom 29. August 2001, Zl. 31 3572/53-III/1 U/01, betreffend Aufhebung eines Bescheides nach § 4 Abs. 3 Abfallwirtschaftsgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Die Magistratsabteilung 22 (als zuständige Bezirksverwaltungsbehörde) stellte auf Antrag der Beschwerdeführerin gemäß § 4 des Abfallwirtschaftsgesetzes (AWG) mit Bescheid vom 13. Juli 2001 fest, dass die Erdaushub- bzw. Bauschuttmaterialien, die zwischen Bahnkilometer 57,675 und Bahnkilometer 59,240 im Zuge des viergleisigen Ausbaues der Westbahn ausgehoben, sodann von Hausmüll, Metall etc. getrennt worden seien und sich nunmehr auf einer Manipulationsfläche im Bereich des Bauareals der Güterzugumfahrung St. Pölten auf näher bezeichneten Parzellen der Katastralgemeinde R befänden, im Falle einer projektgemäßen Verwendung keine Abfälle im Sinne des AWG seien.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 29. August 2001 wurde der Bescheid vom 13. Juli 2001 gemäß § 4 Abs. 3 AWG aufgehoben. Zu der im Aufsichtsverfahren von der Beschwerdeführerin (u.a.) geltend gemachten Unzuständigkeit der belangten Behörde zur Aufhebung bzw. Abänderung von Feststellungsbescheiden gemäß § 4 Abs. 3 AWG verwies die belangte Behörde auf das hg. Erkenntnis vom 4. Juli 2001, Zl. 99/07/0177, und die dortigen Ausführungen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde; die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf Sachentscheidung durch die zuständige Behörde verletzt, "wobei der Bescheid an Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften leide."
Als Beschwerdegrund wird nach Wiedergabe des Wortlautes des § 4 Abs. 3 AWG im Wesentlichen ausgeführt, aus dieser Bestimmung ergebe sich nicht der geringste Zweifel über die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde, weil das AWG keine Zuständigkeitsbestimmungen kenne, und die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde daher durch die §§ 1 und 2 AVG bestimmt würde. Dem gemäß sei für die Bescheiderlassung in erster Instanz der Magistrat der Stadt Wien zuständig und sachlich in Betracht kommende Oberbehörde im Sinne des Art. 109 B-VG der Bürgermeister als Landeshauptmann. Für einen Rückgriff in der Gesetzesauslegung auf Erläuterungen sei daher kein Raum. Ein Rechtssatz, der im Gesetz nicht angedeutet sei, sondern (nur) in den Materialien stehe, könne nicht durch Auslegung Geltung erlangen. Stelle man zunächst auf eine Wortlaut- und anschließend auf eine grammatikalische Interpretation ab, so könne man eindeutig erkennen, dass sachlich in Betracht kommende Oberbehörde nur eine einzige sein könne, nicht jedoch eine alternative Behördenzuständigkeit vorliege.
Des Weiteren gelte es, den Grundsatz der verfassungskonformen Interpretation zu beachten, was bedeute, dass mit dem Verfassungsrecht nicht zu vereinbarende Interpretationsergebnisse auszuschließen seien. Daraus ergebe sich, dass in keinem Fall das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt- und Wasserwirtschaft die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde sein könne. Sollte der Verwaltungsgerichtshof den Standpunkt der Beschwerdeführerin, wonach schon bei einer grammatikalischen und auch bei der (ebenso gebotenen) verfassungskonformen Interpretation der Bestimmung des § 4 Abs. 3 AWG als die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde lediglich der Landeshauptmann für Wien in Betracht komme, nicht teilen, so bestünden erhebliche Bedenken gegen die Verfassungskonformität des § 4 Abs. 3 AWG, weshalb an den Verwaltungsgerichtshof die Anregung gerichtet werde, gemäß Art. 140 Abs. 1 B-VG beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung der Bestimmung des § 4 Abs. 3 AWG als verfassungswidrig zu beantragen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die Beschwerde behandelt als Beschwerdegrund einzig die Frage der Zuständigkeit der belangten Behörde zur Abänderung und Aufhebung eines nach § 4 Abs. 1 AWG erlassenen Feststellungsbescheides. Die Beschwerdeführerin macht damit die Unzuständigkeit der belangten Behörde zur Bescheiderlassung geltend; die ebenfalls (offenbar irrtümlich) geltend gemachte "Verletzung von Verfahrensvorschriften" wird in der Beschwerde nicht näher ausgeführt.
§ 4 AWG lautet (auszugsweise):
"4.
(1) Bestehen begründete Zweifel,
1.
ob eine Sache Abfall im Sinne dieses Bundesgesetzes ist,
2.
welcher Abfallart diese Sache gegebenenfalls zuzuordnen ist oder
3. ob eine bestimmte Sache bei der Verbringung gemäß §§ 34 ff als notifizierungspflichtig erfasst ist,
hat die Behörde dies entweder von Amts wegen oder auf Antrag des Verfügungsberechtigten mit Bescheid festzustellen. Ein Feststellungsbescheid gemäß Z. 2 kann nur beantragt werden, sofern nicht § 4a zur Anwendung kommt.
(2) ...
(3) Die Behörde hat den Bescheid unverzüglich an die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde zu übermitteln. Unbeschadet des § 68 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991, kann ein Bescheid gemäß Abs. 1 von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde innerhalb von sechs Wochen nach Erlassung abgeändert oder aufgehoben werden, wenn
1. der dem Bescheid zu Grunde liegende Sachverhalt unrichtig festgestellt oder aktenwidrig angenommen wurde oder
2. der Inhalt des Bescheides rechtswidrig ist."
§ 4 Abs. 3 beruft "die sachlich in Betracht kommende
Oberbehörde" zur Abänderung oder Aufhebung von Feststellungsbescheiden und verwendet damit denselben Begriff wie ihn auch § 68 AVG kennt. Mit dem Ausdruck "die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde" in § 68 AVG ist jede, und nicht etwa nur die - unmittelbar übergeordnete - sachlich in Betracht kommende Oberbehörde angesprochen (vgl. die bei Walter-Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, 1443 f angeführte Rechtsprechung, sowie Antoniolli-Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht3, S. 595).
Dass die dieser Rechtsprechung zu Grunde liegenden Überlegungen für den im § 4 Abs. 3 zweiter Satz AWG enthaltenen gleich lautenden Begriff der "sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde" übertragbar ist, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits im hg. Erkenntnis vom 4. Juli 2001, Zl. 99/07/0177, ausgesprochen. Auf die Begründung dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.
Entgegen den Beschwerdeausführungen kann der Bestimmung des § 4 Abs. 3 AWG weder ihrem Wortlaut noch unter Anwendung verfassungskonformer Interpretationsregeln entnommen werden, dass unter der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde "nur eine einzige, nämlich der Landeshauptmann", verstanden werden kann. Bestehen im Vollzugsbereich eines (Bundes)gesetzes zwei sachlich in Betracht kommende Oberbehörden, nämlich einerseits der Landeshauptmann und andererseits die belangte Behörde, so steht grundsätzlich beiden Behörden die Ausübung des im § 4 Abs. 3 AWG vorgesehenen Rechts - bei Vorliegen der dort normierten Voraussetzungen - zu.
Wenn die Beschwerdeführerin ausführt, ein im Gesetz nicht angedeuteter und nur in den Materialien stehender "Rechtssatz" könne durch Auslegung nicht Geltung erlangen, übersieht sie, dass nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes bereits dem Gesetzeswortlaut der Inhalt entnommen werden kann, jede der (aus dem Blickwinkel der Bezirksverwaltungsbehörde: beiden) bestehenden Oberbehörden könne vom Aufsichtsrecht Gebrauch machen. Dass diese Auslegung in den Materialien zur AWG-Novelle 1998, BGBl. I Nr. 151/1998 (RV 1201 Blg. NR XX. GP zu § 4) Deckung findet, hat der Verwaltungsgerichtshof ebenfalls im bereits zitierten hg. Erkenntnis vom 4. Juli 2001 dargestellt. Aus den Erläuterungen ergibt sich nämlich, dass der Gesetzgeber sogar ausdrücklich davon ausgegangen ist, dass (auch) der zuständige Bundesminister als sachlich in Betracht kommende Oberbehörde die Möglichkeit der Abänderung oder Aufhebung von Feststellungsbescheiden haben sollte. Die belangte Behörde war zur Erlassung des angefochtenen Bescheides daher zuständig.
Der Verwaltungsgerichtshof vermag im Übrigen auch eine Verfassungswidrigkeit des § 4 Abs. 3 AWG nicht zu erblicken. Der Gesetzgeber wollte den sachlich in Betracht kommenden Oberbehörden unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit eröffnen, rechtskräftige Bescheide aufzuheben oder abzuändern. Ein verfassungsrechtliches Gebot, eine solche Möglichkeit nur einer (von - gegebenenfalls - zwei) sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde zu eröffnen, ist nicht erkennbar.
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 4 Abs. 3 AWG sind beim Verwaltungsgerichtshof - auch in Hinblick auf die gleiche Ausgestaltung des § 68 Abs. 2 bis 4 AVG - nicht entstanden.
Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen ließ, dass die von der beschwerdeführenden Partei behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
Wien, am 15. November 2001
Schlagworte
Allgemein (auch gemeinsame Rechtssätze mit AVG §68 Abs3 und Abs4) Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Auslegung Gesetzeskonforme Auslegung von Verordnungen Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen VwRallg3/3 Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7 Rechtskraft Besondere Rechtsgebiete Diverses Verhältnis zu anderen Normen und MaterienEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:2001070147.X00Im RIS seit
11.03.2002