TE Vwgh Erkenntnis 2001/11/20 2000/09/0031

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.11.2001
beobachten
merken

Index

E2D Assoziierung Türkei;
E2D E02401013;
E2D E05204000;
E2D E11401020;
E6J;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
60/04 Arbeitsrecht allgemein;
62 Arbeitsmarktverwaltung;

Norm

61995CJ0351 Kadiman VORAB;
ARB1/80 Art7 Abs2;
AuslBG §4c Abs2 idF 1997/I/078;
FrG 1997 §1 Abs2;
FrG 1997 §5;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Bazil, über die Beschwerde der S B in R, vertreten durch Dr. Hansjörg Pichler, Rechtsanwalt in Innsbruck, Maria Theresien-Straße 57, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Tirol vom 22. Oktober 1999, Zl. LGSTi/V/13117/905196-705/1999, betreffend Ausstellung eines Befreiungsscheines nach § 4c AuslBG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Arbeitsmarktservice hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, stellte am 9. Februar 1999 den Antrag auf Ausstellung eines Befreiungsscheines gemäß § 4c Abs. 2 des AuslBG in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 zweiter Unterabsatz des Beschlusses 1/1980 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB Nr. 1/80).

Mit Bescheid des Arbeitsmarktservice Innsbruck vom 25. März 1999 wurde diesem Antrag mit der Begründung keine Folge gegeben, dass die Antragstellerin die Voraussetzungen nach Art. 7 ARB Nr. 1/80 nicht erfülle, da sie vor ihrer Einreise in das Bundesgebiet nicht die Genehmigung erhalten habe, zu ihrem Ehegatten zu ziehen.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung.

Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 22. Oktober 1999 wurde dieser Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG und § 4c Abs. 2 AuslBG in Verbindung mit Art. 7 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses ARB Nr. 1/80 keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt. Die belangte Behörde ging dabei auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens davon aus, dass die Beschwerdeführerin am 15. August 1988 den türkischen Staatsangehörigen F B in der Türkei geheiratet habe und am 2. September 1988 ohne gültiges Einreisevisum und ohne die Genehmigung erhalten zu haben, zu ihrem im Bundesgebiet lebenden Ehegatten zu ziehen, in das Bundesgebiet eingereist sei. Aus diesem Grunde sei die Beschwerdeführerin wegen Verletzung der österreichischen Einreisebestimmungen gemäß § 40 Abs. 2 des Passgesetzes mit einer Geldstrafe von S 500,-- rechtskräftig bestraft worden. In der Folge seien der Beschwerdeführerin für die Zeiten vom 20. Oktober 1988 bis 19. Mai 1989, vom 9. Mai 1989 bis 2. Juni 1990, vom 8. Mai 1990 bis 9. Januar 1992, vom 31. Dezember 1991 bis 2. Juni 1993 und vom 18. Mai 1993 unbefristet von der Bezirkshauptmannschaft Schwaz Sichtvermerke ausgestellt worden. Rechtlich folgerte die belangte Behörde aus diesen Feststellungen, dass tatbestandliche Voraussetzung der Anwendbarkeit des Art. 7 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich ARB Nr. 1/80 nicht nur der legale Aufenthalt des Antragstellers und die auch im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides über den Antrag auf Befreiungsschein bestehende Zugehörigkeit der Bezugsperson zum österreichischen Arbeitsmarkt sei, sondern auch, dass der Antragsteller "die Genehmigung erhalten" habe, zu der genannten Bezugsperson "zu ziehen". Diese Voraussetzung habe die Beschwerdeführerin aber im Hinblick auf ihre illegale Einreise, für die sie auch rechtskräftig bestraft worden sei, nicht erfüllt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensverletzungen und Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend gemacht werden.

Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf Ausstellung eines Befreiungsscheines gemäß § 4c Abs. 2 AuslBG in Verbindung mit Art. 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich des ARB Nr. 1/80 verletzt.

Die Beschwerdeführerin begründet ihre Beschwerde im Wesentlichen damit, aus den ihr seit dem 20. Oktober 1988 regelmäßig erteilten Sichtvermerken im Rahmen der Familienzusammenführung ergebe sich schlüssig, dass die Aufenthaltsbehörden in einer die belangte Behörde bindender Weise davon ausgegangen seien, dass ihr damit (nachträglich) genehmigt worden sei, zu ihrem türkischen Ehegatten zu ziehen.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes BGBl. Nr. 218/1975 in der hier anzuwendenden Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 78/1997 (AuslBG) lauten:

"§ 4c. (1) Für türkische Staatsangehörige ist eine Beschäftigungsbewilligung von Amts wegen zu erteilen oder zu verlängern, wenn sie die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 erster und zweiter Unterabsatz oder nach Art. 7 erster Unterabsatz oder nach Art. 7 letzter Satz oder nach Artikel 9 des Beschlusses des Assoziationsrates EWG-Türkei- ARB - Nr. 1/80 erfüllen.

(2) Türkischen Staatsangehörigen ist von Amts wegen ein Befreiungsschein auszustellen oder zu verlängern, wenn sie die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 dritter Unterabsatz oder nach Art. 7 zweiter Unterabsatz des ARB Nr. 1/1980 erfüllen.

(3) Die Rechte türkischer Staatsangehöriger auf Grund der sonstigen Bestimmungen dieses Bundesgesetzes bleiben unberührt. Für die Verfahrenszuständigkeit und die Durchführung der Verfahren gemäß Abs. 1 und 2 gelten, soweit dem nicht Bestimmungen des ARB Nr. 1/1980 entgegenstehen, die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes.

..."

Art. 7 ARB Nr. 1/80 hat folgenden Wortlaut:

"Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,

-

haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;

-

haben Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.

Die Kinder türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, können sich unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedstaat dort auf jedes Stellenangebot bewerben, sofern ein Elternteil in dem betreffenden Mitgliedstaat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war."

Die belangte Behörde hat in soweit zutreffend darauf verwiesen, dass zur Bewilligung eines Antrages auf Ausstellung eines Befreiungsscheines nach § 4c Abs. 2 AuslBG in Verbindung mit Art. 7 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich des Assoziationsratsbeschlusses ARB Nr. 1/1980 die Erfüllung dreier Voraussetzungen erforderlich ist, nämlich

              1.              die Genehmigung des Zuzugs zu einem im Inland rechtmäßig aufhältigen türkischen Staatsangehörigen (Bezugsperson),

2.

dessen Zugehörigkeit zum österreichischen Arbeitsmarkt und

3.

die Erfüllung der zeitlichen Voraussetzungen.

Die belangte Behörde ging - zu Recht gestützt auf das Urteil des EuGH vom 17. April 1997, in der Rechtssache C-351/95, Kadiman -

davon aus, dass jeder Mitgliedstaat das Recht hat, die Stellung türkischer Staatsangehöriger bei deren erstmaliger Einreise innerstaatlich zu regeln. Die Beschwerdeführerin gesteht zu, dass sie bei ihrer Einreise am 2. September 1988 keine für türkische Staatsangehörige notwendige Einreisebewilligung besaß und wegen der Umgehung der passrechtlichen Vorschriften rechtskräftig bestraft worden war. Doch wurden ihr in der Folge, beginnend mit Gültigkeit ab 20. Oktober 1988, laufend Sichtvermerke erteilt, was zwar zu keiner nachträglichen Legalisierung ihres Aufenthaltes bis zur Erteilung des (ersten) Sichtvermerkes umgedeutet werden kann (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 1. Juli 1998, Zl. 98/09/0095), was aber eine Genehmigung, zur fraglichen Bezugsperson zu ziehen, bewirkte.

Da die belangte Behörde in dieser Frage eine vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilte Rechtsansicht vertreten hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 20. November 2001

Gerichtsentscheidung

EuGH 61995J0351 Kadiman VORAB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:2000090031.X00

Im RIS seit

18.03.2002

Zuletzt aktualisiert am

11.11.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten