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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AlVG 1977 §38;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der V in K vertreten durch Mag. Robert Levovnik, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Getreidegasse 13, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Kärnten vom 29. September 1998, Zl. LGS/Abt. 4/1218/98, betreffend Einstellung der Notstandshilfe gemäß § 38 AlVG in Verbindung mit § 8 Abs. 2 AlVG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, seit Juli 1995 arbeitslos gemeldet und seit 1. September 1996 im Bezug der Notstandshilfe, wurde mit Schreiben vom 30. Juni 1998 von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Klagenfurt eingeladen, sich am 8. Juli 1998 einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Zur Begründung wurde auf § 8 Abs. 2 AlVG verwiesen, wonach bei Zweifel über die Arbeitsfähigkeit einer deswegen angeordneten Untersuchung Folge zu leisten ist, und weiter darauf hingewiesen, dass im Falle des Nichterscheinens zur Untersuchung der Leistungsbezug der Beschwerdeführerin eingestellt werden würde. Ein Grund für die Untersuchung wurde nicht angeführt.
In einer - nach der Aktenlage der Beschwerdeführerin nicht bekannten -Beilage zum behördeninternen Antrag auf ärztliche Untersuchung der Beschwerdeführerin vom 6. Juli 1998 wird von der regionalen Geschäftsstelle unter anderem wie folgt ausgeführt:
"Da die Beschwerdeführerin während zweier Beratungsgespräche im Mai bzw. Juni äußerte, daß sie unter Wirbelsäulenbeschwerden leide, bzw. daß sie ein Summen höre, wurde sie auf eine ärztliche Untersuchung beim AMI angesprochen. Die Beschwerdeführerin erklärte daraufhin, daß sie niemals solche Beschwerden gehabt hätte, und daß es sich um einen Irrtum handeln müßte bzw. vermutete sie, daß von dritter Seite im AMS interveniert worden wäre, damit sie sich einer Untersuchung unterziehen muß.
Die Beschwerdeführerin hat bereits mehrere Male bei verschiedenen Beratern darüber gesprochen, daß sie sich verfolgt und bedroht sieht. Vermittlungsversuche waren bis dato nur schwer möglich, da sich die Beschwerdeführerin bei potentiellen Dienstgebern sowie auch bei diversen öffentlichen Stellen durch ihre Verfolger denunziert glaubt (Vorlegen von gefälschten Polizeiakten, etc.).
Es ergeht an Sie die Bitte abzuklären, ob die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer physischen bzw. psychischen Verfassung in der Lage ist, eine am AM übliche Ganztagsbeschäftigung auszuüben? Müßte sich die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Ängste einer fachärztlichen Begutachtung bzw. Behandlung unterziehen? Ist die Beschwerdeführerin ein Antrag auf vorübergehende Berufsunfähigkeitspension anzuraten?"
Als von der Beschwerdeführerin beabsichtigte Tätigkeiten werden in dem Antrag diverse Arbeiten als Therapeutin bzw. Behindertenbetreuerin genannt.
Zum vorgesehenen Untersuchungstermin ist die Beschwerdeführerin nicht erschienen und hat mit Schreiben vom 10. Juli 1998 ersucht, die Zweifel an ihrer Arbeitsfähigkeit zu begründen. Es läge seit Jahren keine Erkrankung vor. Sie habe zwei Abschnitte eines sportwissenschaftlichen Studiums absolviert und sehe keinen Anlass, eine amtsärztliche Untersuchung in Anspruch zu nehmen.
Mit Bescheid vom 22. Juli 1998 stellte die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Klagenfurt den Bezug der Notstandshilfe ab 8. Juli 1998 wegen der Weigerung der Beschwerdeführerin, sich einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen, für die Dauer der Weigerung ein.
In der dagegen erhobenen Berufung wies die Beschwerdeführerin erneut darauf hin, dass die Zweifel an ihrer Arbeitsfähigkeit "inkompetent" und nicht begründbar seien und keine Erkrankung vorläge. Sie betreibe täglich Ausdauersport und habe an der Universität Klagenfurt "reichlich Zeugnisse" erworben.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. In der Begründung wird fest gehalten, die Beschwerdeführerin habe, nachdem sich Zweifel an ihrer Arbeitsfähigkeit ergeben hätten, der Anordnung zur amtsärztlichen Untersuchung keine Folge geleistet und sei nach dem Inhalt der Berufung nach wie vor nicht bereit, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 8 Abs. 2 AlVG ist der Arbeitlose, wenn sich Zweifel über die Arbeitsfähigkeit ergeben, verpflichtet, sich auf Anordnung der regionalen Geschäftsstelle ärztlich untersuchen zu lassen. Weigert er sich, dieser Anordnung Folge zu leisten, so erhält er für die Dauer der Weigerung kein Arbeitslosengeld. Nach § 38 AlVG sind auf die Notstandshilfe die Bestimmungen über das Arbeitslosengeld sinngemäß anzuwenden, soweit nichts anderes bestimmt ist.
Die in § 8 Abs. 2 AlVG vorgesehene Sanktion tritt, wie sich aus dem Wortlaut ergibt, nicht schon dann ein, wenn ein Arbeitsloser zur angeordneten Untersuchung nicht erscheint, sondern nur, wenn er sich weigert, sich der Untersuchung zu unterziehen (vgl. das Erkenntnis vom 26. Jänner 1972, Zl. 1483/71).
Zwar ist der Ansicht der belangten Behörde in der Gegenschrift beizupflichten, dass bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit nicht nur auf die eigenen Angaben des Arbeitslosen über seinen körperlichen Zustand und die daraus von ihm geschlossene Arbeitsfähigkeit bzw. Arbeitsunfähigkeit Bedacht genommen werden kann, sondern auch die in Betracht kommenden Bestimmungen des ASVG entsprechend berücksichtigt werden müssen (vgl. für den umgekehrten Fall, dass sich der Arbeitslose als arbeitsunfähig betrachtet, das Erkenntnis vom 10. Oktober 1962, Zl. 507/62). Dies bedeutet aber nicht - wie im Folgenden zu zeigen sein wird - , dass die Behörde die Zweifel an der Arbeitsfähigkeit und die daraus resultierende Anordnung einer ärztlichen Untersuchung gegenüber dem Arbeitslosen nicht offenlegen muss.
Gemäß § 37 AVG ist es Zweck des Ermittlungsverfahrens, den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzuhalten und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben.
§ 8 AlVG stellt es nicht in das freie Belieben des Arbeitsmarktservice, Arbeitslose ärztlichen Untersuchungen zuzuführen. Der Arbeitslose ist gemäß § 8 Abs. 2 AlVG vielmehr nur dann verpflichtet, sich einer Untersuchung zu unterziehen, wenn sich Zweifel an seiner Arbeitsfähigkeit ergeben. Es versteht sich von selbst, dass es sich dabei um objektiv begründete Zweifel handeln muss, aber auch dass diese Zweifel der Partei gegenüber konkretisiert werden müssen, einerseits damit auch ihr gegenüber klargestellt ist, dass ein Fall des § 8 Abs. 2 AlVG eingetreten ist und daher nunmehr die Verpflichtung zur Vornahme der Untersuchung besteht, ihr andererseits im Sinne des § 37 iVm
§ 45 Abs. 3 AVG allenfalls Gelegenheit gegeben wird, diese Zweifel durch Vorlage bereits vorhandener geeigneter Befunde zu zerstreuen. Nur so wird das Parteiengehör gewahrt und dem Verwaltungsgerichtshof die Möglichkeit eröffnet, das Verhalten der Behörde auf seine Rechtsmäßigkeit nachzuprüfen (vgl. im gleichen Sinne auch die Rechtsprechung zu § 9 Abs. 1 und 10 Abs. 1 AlVG, wonach die Behörde der Partei ihr Vermittlungsdefizit und das Erfordernis einer geeigneten Schulungsmaßnahme aus Anlass der Zuweisung zu einer solchen Maßnahme entsprechend zu eröffnen hat, insbesondere die Erkenntnisse vom 20. April 2001, 2000/19/0140, vom 3. April 2001, 2000/08/0076, und vom 18. Oktober 2000, Zl. 98/08/0304).
Wurden die Zweifel an der Arbeitsfähigkeit gegenüber der Partei nicht konkretisiert, so treten daher auch im Falle der Weigerung der Partei, sich einer Untersuchung zu unterziehen, die Rechtsfolgen des § 8 Abs. 2 letzter Satz AlVG nicht ein. Die der Behörde unterlaufene Unterlassung kann daher auch nur im Zuge einer neuerlichen Zuweisung zur Untersuchung behoben werden, nicht aber durch - hier ohnehin nicht vorgenommene - Nachholung der Information im Berufungsverfahren gegen einen nach § 8 Abs. 2 letzter Satz AlVG ergangenen Bescheid, mit welchem ein Anspruchsverlust ausgesprochen worden ist.
Die Beschwerdeführerin hat bereits vor Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides um Bekanntgabe der Gründe für die Anordnung der ärztlichen Untersuchung gebeten, während sich die Bescheide beider Instanzen auf die Feststellung der Weigerung der Beschwerdeführerin, der Anordnung zur Untersuchung Folge geleistet zu haben, beschränken. Erst in der Gegenschrift legt die belangte Behörde dar, aus welchen Gründen sie eine Untersuchung für angebracht erachtet. Dieses Vorbringen stellt jedoch eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtliche Neuerung dar.
Konnte die Beschwerdeführerin aber der Aufforderung nicht entnehmen, aus welchen Gründen ihre Arbeitsfähigkeit angezweifelt wird - sonstige gesprächsweise erfolgte Mitteilungen sind ohne Belang - und in welche Richtung eine Untersuchung ins Auge gefasst worden ist, war sie auch nicht verpflichtet, ihre Arbeitsfähigkeit ärztlich überprüfen zu lassen. Bei Fehlen einer begründeten Anordnung zur Untersuchung ist die Verweigerung der Untersuchung für sich allein noch nicht ungerechtfertigt. Demnach kann im vorliegenden Fall von einer (ungerechtfertigten) Weigerung im Sinne des § 8 Abs. 2 AlVG nicht gesprochen werden.
Nach dem Gesagten ist die belangte Behörde zu Unrecht von einer ungerechtfertigten Weigerung der Beschwerdeführerin als Grund für die Einstellung der Notstandshilfe ausgegangen, weshalb der Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 21. November 2001
Schlagworte
Parteiengehör Verletzung des Parteiengehörs VerfahrensmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1998080357.X00Im RIS seit
02.04.2002Zuletzt aktualisiert am
07.10.2008