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66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;Norm
ASVG §227 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der R in I, vertreten durch Dr. Herta Schirnhofer, Rechtsanwältin in 1030 Wien, Am Heumarkt 9, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 10. Februar 1997, Zl. MA 15-II-Sch 3/96, betreffend Begünstigung gemäß §§ 500 ff ASVG (mitbeteiligte Partei:
Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten in 1020 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde - in Bestätigung des Bescheides der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt vom 7. August 1995 - die begünstigte Anrechnung von Versicherungszeiten für die Beschwerdeführerin für die Zeit vom 4. März 1933 bis 31. März 1959 abgelehnt. Nach einer Darstellung des Verwaltungsgeschehens und der Rechtslage begründete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid im Wesentlichen damit, dass die Beschwerdeführerin gemäß § 502 Abs. 4 ASVG hinsichtlich der Zeiten ihrer Auswanderung nur begünstigt werden könne, wenn sie vorher in der Zeit seit dem 1. Juli 1927 Beitragszeiten gemäß § 226 oder Ersatzzeiten gemäß § 228 oder 229 zurückgelegt habe. Die Beschwerdeführerin habe für die Zeit von 1937 bis August 1938 den Besuch der "Wiener Frauenakademie und Schule für freie und angewandte Kunst, Kunst- und Gewerbeschule" des Vereines "Wiener Frauenakademie und Schule für freie und angewandte Kunst" sowie eine Tätigkeit als Verkäuferin im Geschäft ihres Onkels Jakob Pfefferbaum in Wien geltend gemacht.
Sie habe aber selbst angegeben, dass sie "nur fallweise Vorlesungen an der betreffenden Schule besucht und die Schule auch nicht abgeschlossen habe", sodass jedenfalls eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Anrechnung als Ersatzzeit im Sinne des § 228 Abs. 1 Z. 3 in Verbindung mit § 227 Abs. 1 Z. 1 ASVG, nämlich der "normale Ausbildungs(Studiengang)", fehle. Eine Ersatzzeit im Sinne der genannten Bestimmung liege daher nicht vor.
Die Beschwerdeführerin habe aber auch keine Ersatzzeit im Sinne des § 229 Abs. 1 Z. 2 lit. a ASVG zurückgelegt, weil die Tätigkeit der Beschwerdeführerin im Textilgeschäft ihres Onkels als unentgeltliche Mithilfe im Rahmen verwandtschaftlicher Beziehungen und nicht als Beschäftigung im Rahmen einer arbeitsrechtlichen Dienstleistungsverpflichtung zu werten sei. Die Beschwerdeführerin habe selbst angegeben, dass sie bei Antritt ihrer Tätigkeit keine arbeitsrechtlichen Vereinbarungen mit ihrem Onkel abgeschlossen habe und dass das Verhältnis zu diesem nicht das eines Angestellten zu einem Vorgesetzten gewesen sei. Außerdem habe sie für ihre Tätigkeit keinen Gehalt, sondern lediglich ein Taschengeld bekommen und sei deshalb den anderen Mitarbeitern des Betriebes nicht gleich gestellt gewesen. Berücksichtige man weiters, dass die Beschwerdeführerin nach eigener Aussage jeweils nachmittags ab 15.00 Uhr nach Besuch der Schule gearbeitet habe, so ergebe sich, dass die Genannte zu ihrem Onkel in keinem angestelltenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden sei und auch keine Ersatzzeiten im Sinne der vorzitierten Gesetzesbestimmung aufzuweisen habe.
In Ermangelung von Vorversicherungszeiten lägen die Voraussetzungen für eine begünstigte Anrechnung gemäß § 502 Abs. 4 ASVG nicht vor. Dem Personenkreis des § 502 Abs. 6 ASVG gehöre die Beschwerdeführerin nicht an.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - ebenso wie die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt - eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerde ist im Ergebnis begründet:
Zur begünstigten Erwerbung von Anwartschaften und Ansprüchen ist es nach § 502 Abs. 1 und 4 ASVG u.a. erforderlich, dass in der Zeit seit dem 1. Juli 1927 Beitragszeiten gemäß § 226 ASVG oder Ersatzzeiten gemäß den §§ 228 oder 229 ASVG zurückgelegt wurden. Im Sinne des § 228 Abs. 1 Z. 3 ASVG gelten als Ersatzzeiten in dem Zweig der Pensionsversicherung, in dem die erste nachfolgende Beitragszeit vorliegt, Zeiten der in § 227 Abs. 1 Z. 1 angegebenen Art nach Maßgabe der entsprechend anzuwendenden Vorschriften des § 227 Abs. 1 Z. 1, Abs. 2 und 3 ASVG, wozu - fallbezogen - auch Zeiten zählen, in denen nach Vollendung des 15. Lebensjahres eine inländische öffentliche oder mit Öffentlichkeitsrecht ausgestattete mittlere Schule mit mindestens zweijährigem Bildungsgang besucht wurde, und zwar in dem Zweig der Pensionsversicherung, in dem die erste nachfolgende Beitragszeit vorliegt.
Da im Beschwerdefall die Zugehörigkeit der Beschwerdeführerin zu dem in § 500 ff ASVG angeführten Personenkreis feststeht, ist zunächst die Frage zu lösen, ob die Beschwerdeführerin durch den Besuch der Wiener Frauenakademie und Schule für freie und angewandte Kunst, Kunst- und Gewerbeschule, deren Öffentlichkeitsrecht die belangte Behörde nicht in Zweifel zieht (nach einer Auskunft des Stadtschulrates für Wien im Anstaltsakt hat das Öffentlichkeitsrecht seit dem Schuljahr 1910/11 bestanden) , eine Ersatzzeit erworben hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem grundlegenden Erkenntnis vom 15. September 1977, Slg. Nr. 9385/A, mit zahlreichen Hinweisen auf die Vorjudikatur ausgesprochen, dass es für die Anrechnung eines Schuljahres als Ersatzzeit im Sinne der vorgenannten Gesetzesbestimmungen nicht auf die physische Anwesenheit des Schülers in der Schule ankommt, sondern nur darauf, wann der Schüler schulrechtlich gesehen aufgehört hat, Schüler zu sein und wann somit der Schulbesuch in diesem Sinne geendet hat (so auch schon das Erkenntnis vom 16. Dezember 1976, Zl. 558/75).
Zu den Versicherungszeiten, die nach dem Verlassen der Schule bzw. nach der Beendigung der Ausbildung vorliegen müssen, zählen auch die in § 502 angeführten Versicherungszeiten (vgl. auch dazu das bereits zitierte Erkenntnis vom 15. September 1977, Slg. Nr. 9385/A).
Diese Rechtslage hat die Behörde insofern verkannt, als sie auf Grund des Vorbringens der Beschwerdeführerin, die Schule nicht regelmäßig tatsächlich besucht und nicht abgeschlossen zu haben, dem Schulbesuch die Qualifikation einer Ersatzzeit im Sinne des § 228 Abs. 1 Z. 3 ASVG in Verbindung mit § 227 Abs. 1 Z. 1 ASVG abgesprochen und nicht beachtet hat, dass es ausschließlich darauf ankommt, ob die Beschwerdeführerin nach Vollendung des 15. Lebensjahres durch ein volles Schuljahr schulrechtlich Schülerin einer der im Gesetz genannten Schultypen mit Öffentlichkeitsrecht gewesen ist.
Dadurch hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet; dieser ist daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde zu prüfen haben, wann die Beschwerdeführerin schulrechtlich aufgehört hat, Schülerin der genannten Anstalt zu sein und ob sie bis zu diesem Zeitpunkt - gegebenenfalls unter Berücksichtigung des § 502 Abs. 7 ASVG - ein volles Schuljahr vollendet hatte.
Kosten hat die beschwerdeführende Partei nicht verzeichnet.
Wien, am 21. November 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1997080116.X00Im RIS seit
21.03.2002