Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
ASVG §107;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter in Wien, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kohlmarkt 11, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 26. August 1997, Zl. MA 15-II-M 26/97, betreffend Wiederaufnahme eines Verfahrens wegen Ausgleichszulage (mitbeteiligte Partei: M in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) Aufwendungen von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die beschwerdeführende Pensionsversicherungsanstalt hat mit Bescheid vom 14. Mai 1997 das Verfahren über den Anspruch auf Ausgleichszulage wiederaufgenommen, mehrere näher bezeichnete Bescheide aufgehoben, den Anspruch auf Ausgleichszulage vom 1. September 1991 bis 28. Februar 1997 neu festgestellt und den entstandenen Überbezug von S 194.190,80 zurückgefordert. Als Rechtsgrundlagen zitierte die Pensionsversicherungsanstalt § 357 ASVG und die §§ 69 und 70 AVG. Nach der Begründung dieses Bescheides stützte sich die Pensionsversicherungsanstalt der Sache nach nur auf den Wiederaufnahmsgrund des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG; in sachverhaltsmäßiger Hinsicht erachtete die Pensionsversicherungsanstalt die Voraussetzungen dieses Wiederaufnahmstatbestandes deshalb als gegeben, "weil (der Mitbeteiligte gegenüber der beschwerdeführenden Pensionsversicherungsanstalt) das zusätzliche Einkommen der im gemeinsamen Haushalt lebenden Gattin verschwiegen" habe. Diese sei "ab 1.9.1991 mehrfach unselbständig erwerbstätig gewesen".
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid gab der Landeshauptmann von Wien dem gegen den Ausspruch über die Wiederaufnahme des Verfahrens gerichteten Einspruch des Mitbeteiligten Folge und stellte fest, dass "die mit Bescheid vom 14.5.1997 gemäß § 69 Abs.1 Z. 1 AVG erfolgte amtswegige Wiederaufnahme...der ...Verfahren über die Ausgleichszulage ...nicht zu Recht erfolgt ist".
Begründend führte die belangte Behörde aus, dass dem Mitbeteiligten eine Ausgleichszulage unter Berücksichtigung des Einkommens seiner Ehegattin aus zwei Hausbesorgertätigkeiten gewährt worden sei. "Nach Angaben der Pensionsversicherungsanstalt hatte (der Mitbeteiligte) aber das Einkommen seiner Gattin aus weiteren Beschäftigungsverhältnissen nicht angegeben". Die Pensionsversicherungsanstalt habe erst durch Anfrage hinsichtlich des Versicherungsverlaufs der Ehegattin vom zusätzlichen Einkommen erfahren. Dem Mitbeteiligten könne Irreführungsabsicht nicht nachgewiesen werden. Es sei der Pensionsversicherungsanstalt aber zumutbar gewesen, sich durch eine entsprechende frühere Anfrage rechtzeitig Kenntnis vom Sachverhalt zu verschaffen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, ausschließlich Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde der Pensionsversicherungsanstalt.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Der Mitbeteiligte hat sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof ist ausschließlich die Frage, ob die belangte Behörde die Wiederaufnahmsverfügung der beschwerdeführenden Pensionsversicherungsanstalt zu Recht aufgehoben hat. Ob und in welchem Umfang der Rückforderungsanspruch zu Recht besteht, ist hingegen im Leistungsverfahren nach dem ASGG zu entscheiden.
Der zweite Unterabschnitt des Abschnittes I des siebenten Teiles des ASVG (Gemeinsame Bestimmungen für das Verfahren in Verwaltungs- und Leistungssachen vor den Versicherungsträgern) regelt in § 357 Abs. 1 die Anwendung des AVG für das Verfahren in Leistungssachen. Darin ist unter anderem auch die Anwendung der §§ 69 bis 70 AVG über die Wiederaufnahme des Verfahrens angeordnet.
Gemäß § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist.
Gemäß § 69 Abs. 3 AVG kann unter den Voraussetzungen des Abs. 1 die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden, nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z. 1.
Die beschwerdeführende Pensionsversicherungsanstalt hat im Beschwerdefall weder die Fälschung einer Urkunde, noch ein falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung, welche der mitbeteiligten Partei zur Last läge, ins Treffen geführt, sondern geltend gemacht, dass das (teilweise) Verschweigen von Einkünften der Ehegattin des Mitbeteiligten aus geringfügigen Beschäftigungen eine Erschleichungshandlung im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG darstelle.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum allgemeinen Wiederaufnahmsgrund der "Erschleichung" eines Bescheides kann von einem Erschleichen nur dann gesprochen werden, wenn der Bescheid seitens der Partei durch eine verpönte Einflussnahme auf die Entscheidungsunterlagen veranlasst wird. Insbesondere ist dieser Tatbestand verwirklicht, wenn die Behörde durch unrichtige Angaben oder durch Verschweigen wesentlicher Umstände mit Absicht irregeführt wurde. Allerdings ist unter einem Erschleichen im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG - anders als nach dem Rückforderungstatbestand des § 107 ASVG, für den leichte Fahrlässigkeit genügt (vgl. OGH 7. September 1993, 10 ObS 189/93 ua), die Rückforderung aber gem. § 107 Abs. 2 lit b ASVG binnen drei Jahren ab Kenntnis durch den Versicherungsträger verjährt - ein vorsätzliches, nicht aber bloß ein kausales oder bloß fahrlässiges Verhalten der Partei im Zuge des Verfahrens zu verstehen, das darauf abzielt, einen für sie günstigen Bescheid zu erlangen, wobei es sich um die Aufstellung unrichtiger Behauptungen oder um das Verschweigen relevanter Umstände handeln kann. Das Verschweigen wesentlicher Umstände ist dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen (vgl. die bei Walther/Thienel, Verwaltungsverfahren I2, unter E Nr. 84, 86, 89, 91 und 93 zu § 69 AVG wiedergegebene ständige verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung).
Wenn es die Behörde allerdings versäumt hat, von den ihr zur Ermittlung des Sachverhaltes ohne Schwierigkeiten offen stehenden Möglichkeiten Gebrauch zu machen, so schließt diese Mangelhaftigkeit des Verfahrens es aus, das Verfahren der Partei unter dem Gesichtspunkt des Erschleichens zu werten und objektiv unrichtige Parteiangaben als ein Erschleichen des Bescheides im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG zu werten (vgl. Walther/Thienel, aaO, E 101; vgl. zuletzt das hg, Erkenntnis vom 8. September 1998, Zl. 98/08/0090).
Die belangte Behörde vertritt einerseits die Auffassung, dass es der beschwerdeführenden Pensionsversicherungsanstalt ohne Schwierigkeiten möglich und zumutbar gewesen sei, durch eine Anfrage beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger schon zu einem früheren Zeitpunkt von den weiteren Beschäftigungsverhältnissen der Ehegattin des Mitbeteiligten zu erfahren. Da sie von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht habe, liege der Wiederaufnahmstatbestand nicht vor. Zudem führt die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid aus, es könne dem Mitbeteiligten eine Irreführungsabsicht nicht nachgewiesen werden.
Die Beschwerdeführerin wendet sich in ihrer Beschwerde unter dem allein relevierten Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides ausschließlich gegen die Auffassung der belangten Behörde, es wäre ihr möglich gewesen, die ihr verschwiegenen Umstände auf andere Weise in Erfahrung zu bringen; sie bekämpft aber mit keinem Wort die den Tatsachenfeststellungen zuzurechnende Aussage, es könne dem Mitbeteiligten die Irreführungsabsicht nicht nachgewiesen werden. Der ausdrücklich auf § 69 AVG und nicht auf § 107 ASVG (zur Zulässigkeit der Rückforderung nach dieser Gesetzesstelle ohne vorherige Wiederaufnahme des Verfahrens schon bei fahrlässiger Meldpflichtverletzung vgl. OGH 1989, SSV NF 3/9) gestützte erstinstanzliche Bescheid der beschwerdeführenden Pensionsversicherungsanstalt enthält überhaupt keine Ausführungen zum Vorsatz des Mitbeteiligten. Lässt die Beschwerdeführerin aber die für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Tatsachenfeststellungen der belangten Behörde unbekämpft, dann hat der Verwaltungsgerichtshof die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides gem. § 41 Abs.1 VwGG aufgrund des von der belangten Behörde festgestellten Sachverhaltes zu prüfen. Davon ausgehend und unter Zugrundlegung der vorhin wiedergegebenen Rechtsprechung hat die belangte Behörde das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme gem. § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG mangels nachweisbaren Vorsatzes des Mitbeteiligten zurecht verneint. Die Frage, ob die Beschwerdeführerin angesichts der unstrittig gemeldeten Beschäftigungsverhältnisse der Ehegattin die Verpflichtung gehabt hätte, einen Datenabgleich durchzuführen oder andere ihr leicht mögliche geeignete Ermittlungen anzustellen, kann daher offenbleiben, sodass auf das diesbezügliche Beschwerdevorbringen nicht mehr einzugehen war. Bei diesem Ergebnis kann ebenso dahinstehen, ob eine auf § 69 Abs.1 Z. 1 AVG gestützte Wiederaufnahme des Verfahrens im Hinblick auf die der Pensionsversicherungsanstalt insoweit zu Gebote stehende Sonderregelung des § 107 ASVG überhaupt als zulässig erachtet werden könnte.
Die Beschwerde war daher gem. § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 21. November 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1997080579.X00Im RIS seit
21.03.2002