TE Vwgh Erkenntnis 2001/11/22 98/20/0223

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Veröffentlicht am 22.11.2001
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §38;
AsylG 1997 §7;
AVG §67d;
EGVG Art2 Abs2 D Z43a;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Strohmayer, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Weiss, über die Beschwerde des K in L, geboren am 12. Dezember 1975, vertreten durch Mag. Marcus Bumberger, Rechtsanwalt in 4021 Linz, Figulystraße 27, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 23. Jänner 1998, Zl. 201.426/0-V/13/98, betreffend § 7 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Guinea, reiste am 12. Dezember 1997 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 15. Dezember 1997 Asyl.

Bei einer fremdenpolizeilichen Befragung am 14. Dezember 1997 hatte der Beschwerdeführer als "Grund für den illegalen Grenzübertritt" angegeben, er sei in Guinea auf Grund seiner Angehörigkeit zur Oppositionspartei vom Militär aufgefordert worden, seine politischen Aktivitäten einzustellen, ansonsten er um sein Leben fürchten müsse. Da sein Vater - ein Professor - bereits ermordet worden sei, habe der Beschwerdeführer diese Drohungen sehr ernst genommen und beschlossen, sein Heimatland zu verlassen. Er wolle auf keinen Fall in sein Heimatland zurückkehren, sondern in Österreich einen Asylantrag stellen.

Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 18. Dezember 1997 führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, sein Vater sei Generalsekretär der legalen Oppositionspartei RGP und 3 Jahre lang im Gefängnis gewesen. Nach der Entlassung aus dem Gefängnis sei er einige Tage zu Hause gewesen und dann verstorben. Der Grund dafür sei unbekannt. Auf Grund des Bekanntheitsgrades seines Vaters sei der Beschwerdeführer als Jugendvertreter der Partei ausgesucht worden. Er habe die Jugend für die Ziele der Partei gewinnen sollen. Am 12. Oktober 1997 seien Soldaten "in unser Jugendzentrum" gekommen, wobei Tränengas geworfen worden sei. Der Beschwerdeführer habe nicht gewusst, dass man nach ihm suche. Er habe zu einem Freund fliehen können. Andere Personen seien verhaftet worden. Die Soldaten hätten der Mutter des Beschwerdeführers einen Haftbefehl überbracht, ein weiterer Haftbefehl sei in die Schule zugestellt worden. Als Grund für die Fahndung nach ihm gab der Beschwerdeführer an, dass er "als Aufrührer der Jugend verdächtig" gewesen sei. Es seien nämlich Wahlvorbereitungen im Gange. Da nach dem Beschwerdeführer gefahndet worden sei und er somit Angst gehabt habe, wie sein Vater verhaftet zu werden, habe er die Heimat verlassen. Wenn er in seine Heimat zurückkehrte, würde er verhaftet werden. Von dem Haftbefehl habe er erfahren, weil seine Mutter zu seinem Freund gekommen und diesem davon erzählt habe. Generalsekretär der Partei sei (gemeint offenbar: nunmehr) der Onkel des Beschwerdeführers namens CS. Die Partei sei im Parlament vertreten. Die abschließende Frage, ob er "weitere Angaben zu treffen" habe, beantwortete der Beschwerdeführer dahingehend, dass er nur hinzufügen könne, dass der Stamm der Malinke "in Guinea immer Probleme" habe.

Mit Bescheid vom 29. Dezember 1997, dem Beschwerdeführer zugestellt am 31. Dezember 1997, wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 ab. Es traf zunächst - abgesehen von einem Satz über den Reiseweg des Beschwerdeführers - "folgende Feststellungen":

"Sie verließen ihre Heimat, da Sie befürchtet haben, dass man nach Ihnen fahndet."

In der rechtlichen Würdigung dieser Feststellungen führte das Bundesasylamt zunächst aus, der Beschwerdeführer habe während der gesamten Einvernahme "keinen tauglichen Asylgrund" darlegen können. Diese Ansicht begründete das Bundesasylamt im Wesentlichen damit, dass die vom Beschwerdeführer behaupteten Verfolgungsmaßnahmen

"lediglich in Zusammenhang mit dem Verdacht der Begehung einer strafbaren Handlung - Aufrührer zu sein - gestanden sind. Das Einschreiten staatlicher Behörden ist in einem solchen Fall nicht als Verfolgung anzusehen, weil es sich hiebei um Schritte zur Aufklärung eines allgemein strafbaren Deliktes handelt, was keinem der oben erwähnten Konventionsgründe entspricht".

Daran anschließend führte das Bundesasylamt aus, den Angaben des Beschwerdeführers sei "großteils" die Glaubwürdigkeit zu versagen, weil es "u.a. zu Widersprüchen" zwischen seinen Aussagen vor der Fremdenpolizei und vor dem Bundesasylamt gekommen sei. Diese "Widersprüche" wurden im Bescheid des Bundesasylamtes wie folgt dargestellt und bewertet:

"Am 14.12.1997 führten Sie vor der Bezirkshauptmannschaft Mattersburg u.a. aus, dass Sie auf Grund Ihrer Zugehörigkeit zur Oppositionspartei aufgefordert wurden, Ihre politischen Aktivitäten einzustellen, da Sie ansonsten um Ihr Leben zu fürchten hätten. Da man Ihren Vater bereits ermordet hätte, hätten Sie diese Drohung ernst genommen und beschlossen, Ihre Heimat zu verlassen.

Im Zuge der ho. Niederschrift führten Sie aus, dass man Tränengas geworfen hätte und ein Haftbefehl an Ihre Mutter zugestellt worden sei. Desweiteren führten Sie nicht an, dass man Ihren Vater ermordet hätte, sondern dass dieser zu Hause verstorben sei.

Diese in den Niederschriften auftretenden Widersprüche konnten Sie nicht glaubhaft aufklären bzw. stellen Ihre vor der ho. Behörde getroffenen Angaben eine Steigerung Ihres Asylvorbringens dar. Die ho. Behörde gelangt demgemäß zur Auffassung, dass große Teile Ihrer Aussage lediglich der Asylerlangung dienen sollten, jedoch nicht der Wahrheit entsprechen."

Schließlich brachte das Bundesasylamt noch den Asylausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z 3 des Asylgesetzes 1991 zur Anwendung.

In seiner Berufung gegen diese Entscheidung ersuchte der Beschwerdeführer im Wesentlichen um deren Überprüfung, wobei er noch vortrug, er sei "Opfer von mehreren Verhaftungsversuchen" gewesen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 7 AsylG ab. In ihren Erwägungen hob sie zunächst hervor, der Beschwerdeführer habe "nach Einschätzung der erkennenden Behörde in einem ganz zentralen Punkt seiner Angaben, nämlich betreffend den Umstand des Todes seines Vaters, auffallend widersprüchliche Angaben gemacht". Trotz ausreichender Kenntnis der französischen Sprache, in der er vernommen worden sei, habe er "tatsächlich die Umstände des Todes seines Vaters jeweils grob unterschiedlich dargestellt". Die Umstände des Todes des Vaters des Beschwerdeführers seien "als von eminenter Bedeutung zu werten". Hiezu werde "festgehalten, dass in diesem höchst zentralen Punkt der Aussagen krass unterschiedliche Angaben gemacht wurden, was die Glaubwürdigkeit des Antragstellers erheblich erschüttert". Anhaltspunkte dafür, dass "die obzitierten aufgetauchten Widersprüche in den Aussagen" auf einem Missverständnis oder auf Verständigungsproblemen beruhten, hätten sich nicht ergeben. Es liege "sohin die Vermutung dringend nahe, dass seine Aussage auch in den übrigen, weniger zentralen Punkten, nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen, und es daher angezeigt erscheint, den gesamten Ausführungen zu den Fluchtgründen keine Glaubhaftigkeit beizumessen". Die belangte Behörde gelange "daher im Rahmen der freien Beweiswürdigung der gesamten Angaben zur Ansicht, dass der Antragsteller persönlich unglaubwürdig ist und daher den Aussagen insgesamt die Glaubwürdigkeit zu versagen ist, weshalb auch kein asylrechtlich relevanter Sachverhalt festgestellt werden kann."

Selbst bei Zugrundlegung der Angaben vor dem Bundesasylamt sei dem Beschwerdeführer aber kein Asyl zu gewähren. Der Beschwerdeführer sei ausdrücklich aufgefordert worden, alle asylrelevanten Gründe für die Ausreise aus Guinea anzugeben. Es sei ihm aber "nicht möglich" gewesen, die von ihm als zentral angesehenen Vorfälle "detailreich" zu schildern. Seine Ausführungen seien allgemein gehalten gewesen und er sei "auch auf konkrete Nachfrage des einvernehmenden Beamten nicht in der Lage" gewesen, "konkrete bzw. detailreiche" Angaben zu machen. Seine Behauptung, er würde im Falle der Rückkehr nach Guinea verhaftet werden, könne "ohne weitere Angaben seinerseits zu den Hintergründen der angeblich gegen seine Person zielgerichteten beabsichtigten Verfolgung seitens der Behörden des Heimatstaates nicht ausreichende Grundlage für die Annahme bilden, dass er tatsächlich pro futuro mit Verfolgung von asylrechtlicher Relevanz, d.h. auch von zumindest erheblicher Eingriffsintensität zu rechnen hätte". Die abschließende Frage des einvernehmenden Beamten, ob er noch weitere Angaben machen könne, habe der Beschwerdeführer nur mit dem lapidaren Hinweis auf Probleme des Stammes der Malinke (dem der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben angehöre) beantwortet. "Weitere konkretisierende Ausführungen zu diesem lapidaren Vorbringen" habe der Beschwerdeführer nicht mehr gemacht. Schließlich sei dem Beschwerdeführer die Niederschrift auch rückübersetzt worden und der Beschwerdeführer habe mit seiner Unterschrift bekräftigt, nichts mehr hinzufügen zu können. Auch bei dieser Gelegenheit habe er es "unterlassen, weitere konkretisierende Angaben zu machen". Der erkennenden Behörde sei es "sohin selbst bei Zugrundelegung seiner im Rahmen des Asylverfahrens gemachten Angaben nicht möglich, diesen bei einer Gesamtbetrachtung derselben konkrete Indizien für eine beabsichtigte massive Verfolgung seiner Person durch die Behörden des Heimatstaates" zu entnehmen. Diese Bewertung der Angaben des Beschwerdeführers sei insbesondere auch vor dem Hintergrund der Tatsache zu sehen, dass die von ihm "relevierte" Oppositionspartei tatsächlich in Guinea als legale Partei anerkannt und "sogar im nationalen Parlament vertreten" sei, weshalb ohne weitere konkrete aufgezeigte Indizien des Antragstellers betreffend einen konkreten gegen seine Person gerichteten "Verfolgungsplan" seitens der Behörden des Heimatstaates nicht auf eine tatsächlich als wahrscheinlich zu beurteilende konkrete Verfolgungssituation, in welcher sich der Beschwerdeführer befunden hätte bzw. im Falle seiner Rückkehr befinden würde, geschlossen werden könne.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Dem erstinstanzlichen Bescheid lag als festgestellter Sachverhalt zu Grunde, der Beschwerdeführer habe seine Heimat wegen der Befürchtung, dass nach ihm gefahndet werde, verlassen. Im Anschluss an Rechtsausführungen, denen sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid - zu Recht - nicht anschloss, führte die erstinstanzliche Behörde zwar aus, "große Teile" des Vorbringens des Beschwerdeführers seien nicht glaubwürdig. Welche Teile des Vorbringens dies - im Besonderen angesichts der Feststellung, der Beschwerdeführer habe Guinea aus Furcht vor einer Fahndung verlassen - gewesen sein sollten, ging aus dem erstinstanzlichen Bescheid aber nicht hervor.

Bei dieser Sachlage war es der belangten Behörde - mangels ausreichender und schlüssig begründeter Feststellungen des Bundesasylamtes zum Sachverhalt - von vornherein verwehrt, von der Durchführung der im Gesetz vorgeschriebenen Berufungsverhandlung gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG (wegen "geklärten" Sachverhaltes) abzusehen. Dadurch, dass die belangte Behörde im Gegensatz zur Behörde erster Instanz zu einer gänzlichen Unglaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen gelangte, hat sie jedenfalls auch eine Umwürdigung der Beweise vorgenommen, was gleichfalls die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung vorausgesetzt hätte (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 18. Februar 1999, Zl. 98/20/0423, und die daran anschließende ständige hg. Rechtsprechung). Davon abgesehen ist aber auch die Beweiswürdigung der belangten Behörde nicht schlüssig, weil der vermeintliche Widerspruch hinsichtlich des Todes des Vaters des Beschwerdeführers einerseits mit Rücksicht auf die behauptete Verfolgung des Beschwerdeführers wegen seiner eigenen politischen Tätigkeit keinen Punkt von so zentraler Bedeutung betrifft, wie die belangte Behörde anzunehmen scheint, und andererseits ohne Vorhalt im Zuge einer Einvernahme überhaupt nicht geeignet ist, die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers zu erschüttern. Stirbt eine - wie der Aussage des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt dem Zusammenhang nach zu entnehmen ist - aus politischen Gründen drei Jahre lang inhaftierte Person nur wenige Tage nach der Haftentlassung aus ungeklärter Ursache, so steht dies in keinem unauflösbaren Widerspruch zum Gebrauch der Wendung, diese Person sei wegen ihrer politischen Aktivitäten "ermordet" worden, im Zuge einer früheren, vorrangig anderen Themen gewidmeten Befragung. Eine Beweiswürdigung, die sich auf keine anderen Argumente zu stützen vermag, ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes nicht schlüssig begründet.

Zu den Eventualüberlegungen der belangten Behörde ist auszuführen, dass sie in Wahrheit nicht von den Angaben des Beschwerdeführers - wonach wegen seiner politischen Tätigkeit nach ihm gefahndet und seine Verhaftung angeordnet worden sei - ausgehen, sondern den Vorwurf mangelnder Detailliertheit dieser Angaben gegen ihre Glaubwürdigkeit ins Treffen zu führen versuchen. Auch dieser Teil der Bescheidbegründung ist nicht schlüssig, weil der erstinstanzlichen Niederschrift entgegen den Ausführungen im angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen ist, dass der Beschwerdeführer konkrete Fragen zu den von ihm vorgebrachten Fluchtgründen unbeantwortet gelassen hätte.

Schließlich ist das Verfahren aber auch insofern mangelhaft geblieben, als die belangte Behörde es verabsäumt hat, sich anhand des ihr zur Verfügung stehenden Dokumentationsmaterials darüber zu informieren, ob (insbesondere im Zusammenhang mit Wahlauseinandersetzungen) eine Verfolgung wegen Aktivitäten für die RGP in Guinea wahrscheinlich ist und dabei - was nach den derzeit verfügbaren Berichten zuträfe - auch ein Zusammenhang mit der Stamm der Malinke besteht. Auf der Grundlage eines solchen Wissens hätte sich die belangte Behörde im Rahmen der mündlichen Berufungsverhandlung mit der Glaubwürdigkeit der Behauptungen des Beschwerdeführers, etwa auch hinsichtlich der sowohl von seinem Vater als auch von seinem namentlich genannten Onkel in der RGP angeblich bekleideten Funktion, auseinander zu setzen gehabt.

Der angefochtene Bescheid war aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Kostenmehrbegehren findet in diesen Vorschriften keine Deckung.

Wien, am 22. November 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1998200223.X00

Im RIS seit

04.03.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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