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90/01 Straßenverkehrsordnung;Norm
FSG 1997 §24 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des W in K, vertreten durch Dr. Klaus Rinner, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Anichstraße 29/III, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 6. Juli 2001, Zl. IIb2-3-7-1-659/6, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung sowie Anordnung einer Nachschulung und der Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Mandatsbescheid vom 14. Dezember 2000 entzog die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck dem Beschwerdeführer gemäß § 24 Abs. 1 in Verbindung mit § 25 Abs. 3 und § 7 Abs. 1 Führerscheingesetz - FSG die Lenkberechtigung für die Klasse B für die Dauer von sechs Monaten. Weiters wurde ihm die Absolvierung einer Nachschulung und die Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens aufgetragen. Diesem Bescheid lag zu Grunde, dass der Beschwerdeführer am 4. Dezember 2000 ein näher bezeichnetes Kraftfahrzeug in einem vermutlich durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt und dabei einen Verkehrsunfall verursacht habe. In der Folge habe er die Untersuchung seiner Atemluft auf Alkoholgehalt verweigert.
In der dagegen erhobenen Vorstellung brachte der Beschwerdeführer vor, er habe das Kraftfahrzeug nur innerhalb des zum Anwesen des Hauses K. 1a gehörenden Gartens in Betrieb genommen und diesen Garten nicht verlassen. Er habe somit das Kraftfahrzeug nicht auf Straßen mit öffentlichem Verkehr gelenkt. Die in der Anzeige enthaltene Behauptung, er habe die gemeinsame Zufahrt (Gemeindestraße) benützt, werde bestritten. Er habe den Gartenzaun beim Fahren innerhalb des Gartens beschädigt. Zum Beweis für seine Behauptungen beantragte der Beschwerdeführer die Vernehmung von drei näher bezeichneten Zeugen.
Am 16. Jänner 2001 wurde vom Gendarmerieposten W. der Nachbar des Beschwerdeführers J.U. als Auskunftsperson vernommen. Er bestätigte, dass der Beschwerdeführer auch auf der Gemeindestraße gefahren sei.
In der am 1. Februar 2001 bei der Erstbehörde eingelangten Stellungnahme bestritt der Beschwerdeführer die Angaben des J.U. und beantragte neuerlich die Vernehmung der von ihm namhaft gemachten Zeugen.
Am 8. Februar 2001 wurde dem Beschwerdeführer der mit 19. Jänner 2001 datierte Vorstellungsbescheid zugestellt, mit dem seiner Vorstellung keine Folge gegeben wurde.
In der Begründung führte die Erstbehörde u.a. aus, im Zuge des Ermittlungsverfahrens sei eine Stellungnahme des Gendarmeriepostens W. erfolgt, die in keinem Punkt habe widerlegt werden können. Der Beschwerdeführer sei im Übrigen mit mündlich verkündetem Straferkenntnis vom 19. Dezember 2000 "wegen begangener Alkotestverweigerung" rechtskräftig bestraft worden.
In der dagegen erhobenen Berufung rügte der Beschwerdeführer das Unterbleiben der von ihm beantragten Zeugenvernehmungen als Verfahrensmangel. Von der Verkündung eines mündlichen Straferkenntnisses habe er keine Kenntnis gehabt.
Über Ersuchen der belangten Behörde wurden von der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck J.U. und der seinerzeit einschreitende Gendarmeriebeamte H. als Zeugen vernommen. J.U. bestätigte bei seiner Vernehmung am 23. April 2001, dass der Beschwerdeführer mit seinem Kraftfahrzeug von der K.-Landesstraße über die unbenannte Gemeindestraße zu seinem Haus gefahren sei.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab.
In der Begründung führte sie aus, aus den Angaben des J.U. gehe hervor, dass die unbenannte Gemeindestraße von der K.- Landesstraße zum Haus des Beschwerdeführers für jedermann frei befahrbar sei und dass der Beschwerdeführer sein Kraftfahrzeug über diese unbenannte Gemeindestraße gelenkt habe. Die Zeugenaussage sei frei von Widersprüchen und durchaus nachvollziehbar. Sie werde daher den Sachverhaltsfeststellungen zu Grunde gelegt. Auch aus der Aussage des Zeugen H. und den von ihm vorgelegten Plänen ergebe sich, dass es sich bei der unbenannten Gemeindestraße, die vom Zeugen J.U. als Fahrtstrecke des Beschwerdeführers angegeben worden sei, um eine in keiner Weise für andere Straßenbenützer gesperrte Straße handle, sodass deren öffentlicher Charakter angenommen werden könne. Zusammenfassend werde daher festgestellt, dass der Beschwerdeführer am "Anlasstag" ein Kraftfahrzeug über die von der K.-Landesstraße zu seinem Haus führende unbenannte Gemeindestraße gelenkt habe. Es handle sich dabei um eine Straße mit öffentlichem Verkehr im Sinne des § 1 Abs. 1 FSG, § 1 Abs. 1 KFG 1967 und § 1 Abs. 1 StVO 1960. Der Beschwerdeführer sei daher zu Recht zur Durchführung des Alkotestes im Sinne des § 5 Abs. 2 StVO 1960 aufgefordert worden, weil bei ihm auf Grund seines Verhaltens Alkoholisierungsmerkmale augenscheinlich gewesen seien und er im Verdacht gestanden sei, ein Fahrzeug gelenkt zu haben.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:
Gemäß § 7 Abs. 3 Z. 1 FSG hat als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 zu gelten, wenn jemand ein Kraftfahrzeug gelenkt oder in Betrieb genommen hat und hiebei eine Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 bis 1b StVO 1960 begangen hat, auch wenn die Tat nach § 83 Sicherheitspolizeigesetz - SPG zu beurteilen ist.
Nach dem klaren Wortlaut dieser Gesetzesstelle ("... gelenkt oder in Betrieb genommen und hiebei ...") kommt es - anders als bei der verwaltungsstrafrechtlichen Beurteilung der Verweigerung der Atemluftuntersuchung - für das Vorliegen einer bestimmten Tatsache gemäß § 7 Abs. 3 Z. 1 FSG auch entscheidend auf das tatsächliche Lenken oder Inbetriebnehmen eines Fahrzeuges durch die betreffende Person an (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom 23. Mai 2000, Zl. 2000/11/0065, mwN), wobei gemäß § 1 Abs. 1 StVO 1960 nur das Lenken (Inbetriebnehmen) auf Straßen mit öffentlichem Verkehr in Betracht kommt. Die belangte Behörde hatte daher - ungeachtet einer allfälligen rechtskräftigen Bestrafung des Beschwerdeführers wegen der Übertretung gemäß § 5 Abs. 2 in Verbindung mit § 99 Abs. 1 lit. b StVO 1960 (in der im Akt befindlichen Ablichtung der Niederschrift vom 19. Dezember 2000 ist der Vordruck nur schlecht lesbar ausgefüllt; der Beschwerdeführer wurde danach - ohne nähere Begründung - wegen einer Übertretung nach § 5 Abs. 1 StVO gemäß § 99 Abs. 1 lit. a oder § 99 Abs. 1a StVO 1960 bestraft) - selbständig zu prüfen, ob der Beschwerdeführer tatsächlich ein Kraftfahrzeug auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr gelenkt hat.
Die belangte Behörde durfte auf Grund der vorgelegten Pläne und der Aussagen mit Recht davon ausgehen, dass es sich bei der von der K.-Landesstraße zum Wohnhaus des Beschwerdeführers führenden unbenannten Gemeindestraße um eine Straße mit öffentlichem Verkehr im Sinne des § 1 Abs. 1 StVO 1960 handelt. Dies wird auch vom Beschwerdeführer nicht konkret bestritten. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer am 4. Dezember 2000 diese Straße auch tatsächlich befahren hat, beruht aber auf einem mangelhaften Ermittlungsverfahren. Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid nicht begründet, warum sie von der Durchführung der vom Beschwerdeführer beantragten Zeugenvernehmungen Abstand genommen hat. In der Gegenschrift führt sie dazu aus, sie habe keine Veranlassung zu weiteren Zeugenvernehmungen gesehen, weil die Aussage des Zeugen J.U. und des Gendarmeriebeamten H. frei von Widersprüchen und nachvollziehbar gewesen seien.
Dem ist entgegenzuhalten, dass die freie Beweiswürdigung (§ 45 Abs. 2 AVG) erst nach vollständiger Beweiserhebung einsetzt. Die Würdigung eines Beweises auf seine Glaubwürdigkeit setzt die Aufnahme des Beweises voraus. Eine vorgreifende Beweiswürdigung, die darin besteht, dass der Wert eines Beweises abstrakt (im Vorhinein) beurteilt wird, ist unzulässig. Beweisanträge dürfen nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen (Beweisthema) als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel - ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung - untauglich ist (siehe dazu die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998), unter E. Nr. 229 bis 235 zu § 45 AVG zitierte hg. Rechtsprechung).
Die belangte Behörde hätte nach dem Gesagten daher auch die vom Beschwerdeführer namhaft gemachten Zeugen vernehmen müssen, die zu dem im Mittelpunkt des Verfahrens stehenden Beweisthema, ob der Beschwerdeführer am 4. Dezember 2000 das Kraftfahrzeug (auch) auf der unbenannten Gemeindestraße gelenkt hat, geführt wurden. Darüber hinaus hätte die belangte Behörde im Rahmen der sie treffenden amtswegigen Ermittlungspflicht (§ 39 Abs. 2 AVG) auch jene Personen als Zeugen vernehmen müssen, die nach der Aussage des J.U. Augenzeugen der Ereignisse vom 4. Dezember 2000 gewesen sind. Erst nach Durchführung eines vollständigen Ermittlungsverfahrens wird die belangte Behörde im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu beurteilen haben, welche Tatsachen sie in diesem Zusammenhang als erwiesen annimmt. Die diesbezüglich maßgebenden Erwägungen wird sie gemäß § 60 AVG in die Begründung ihres Bescheides aufzunehmen haben.
Aus den dargelegten Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 27. November 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:2001110271.X00Im RIS seit
04.03.2002