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20/03 Sachwalterschaft;Norm
UbG §3 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Mizner, Dr. Gall und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/II/23, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 6. Mai 1999, Zl. UVS-02/P/16/00070/98, betreffend Maßnahmen nach dem Unterbringungsgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Nachdem ein Amtsarzt der Bundespolizeidirektion Wien am 26. August 1998 bestätigt hatte, dass die Voraussetzungen der Unterbringung vorliegen, wurde der Beschwerdeführer im Bezirkspolizeikommissariat Wien-Neubau angehalten und anschließend in das Psychiatrische Krankenhaus der Stadt Wien Baumgartner Höhe gebracht. Auf Grund der dort durchgeführten Untersuchungen wurde er nicht in die Krankenanstalt aufgenommen.
Gegen die Anhaltung und anschließende Einlieferung erhob der Beschwerdeführer gemäß § 67a Abs. 1 Z. 2 AVG Beschwerde an den Unabhängigen Verwaltungssenat Wien, in der er die Rechtswidrigkeit der Anhaltung und der Einlieferung geltend machte, weil die Voraussetzungen für die Unterbringung nicht vorgelegen seien.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (belangte Behörde) die Beschwerde als unbegründet ab und verpflichtete den Beschwerdeführer zum Ersatz der Verfahrenskosten in der Höhe von S 6.865,-- an den Bund.
In der Begründung des angefochtenen Bescheides gab die belangte Behörde (wörtlich) den Inhalt der an sie gerichteten Beschwerde, den wesentlichen Inhalt des von der Bundespolizeidirektion Wien vorgelegten Verwaltungsaktes sowie (wiederum jeweils wörtlich) die vom Amtsarzt ausgestellte Bescheinigung vom 26. August 1998 sowie die Aussagen des Beschwerdeführers, der Zeugin Mag. A. (der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers) und des Amtsarztes Dr. T. bei der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde am 9. März 1999 wieder. Die belangte Behörde nahm als erwiesen an, dass der Amtsarzt bereits vor der Untersuchung des Beschwerdeführers, die ca. 15 Minuten gedauert habe, in Kenntnis des wesentlichen Akteninhaltes gewesen sei. Ein Telefongespräch zwischen dem Amtsarzt und Dr. R. sei nicht zustande gekommen. Der Beschwerdeführer sei daraufhin ca. eine Stunde lang gegen seinen Willen im Kommissariat festgehalten und anschließend unter Polizeibegleitung in das Krankenhaus Baumgartner Höhe verbracht worden, wo er nach erfolgter Untersuchung und telefonischer Rücksprache mit Dr. R. entlassen worden sei.
Der Sachverhalt sei im Wesentlichen unstrittig. Strittig sei nur die nicht entscheidungswesentliche Frage der Art der Verbringung des Beschwerdeführers in die Anstalt. Auf Grund der Aussage des Amtsarztes in Verbindung mit der Bescheinigung stehe fest, dass die Annahme des Beschwerdeführers und seiner Lebensgefährtin, der Beschwerdeführer könne sich irgendwann, unkontrolliert, in der nächsten Zukunft selbst in die Anstalt begeben, auf einem Missverständnis beruht habe. Die vom Amtsarzt dem Beschwerdeführer zur "unfreiwilligen" sofortigen, durch Polizeibeamte begleiteten Verbringung in die Anstalt angebotene Alternative sei die "freiwillige" nur von Organen des Sanitätsdienstes begleitete sofortige Verbringung in die Anstalt gewesen. Es bestehe auch kein Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der Aussage des Amtsarztes in der Verhandlung vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat. Demnach habe der Amtsarzt davon ausgehen müssen, dass eine kontinuierliche Behandlung des Beschwerdeführers vor dem "Anlassfall" vom 10. August 1998 nicht erfolgt und die Bestätigung Dris. R. in seinem Arztbrief, wonach der Beschwerdeführer regelmäßig ein Mal wöchentlich zur Behandlung komme, inhaltlich unrichtig sei. Da eine telefonische Kontaktaufnahme zwischen dem Amtsarzt und Dr. R. gescheitert sei, könne in Verbindung mit dem auffälligen Verhalten des Beschwerdeführers bei der Untersuchung durch den Amtsarzt in der Ausstellung der ärztlichen Bescheinigung gemäß § 8 Unterbringungsgesetz keine Rechtswidrigkeit erkannt werden. Dass der Beschwerdeführer in der Folge nach den Untersuchungen im Psychiatrischen Krankenhaus Baumgartner Höhe und nach der dort möglich gewesenen Kontaktaufnahme mit seinem behandelnden Arzt entlassen worden sei, sei rechtlich nicht relevant. Die Anhaltung des Beschwerdeführers im Kommissariat und seine Verbringung in die genannte Anstalt seien daher nicht rechtswidrig.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die für den Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des Unterbringungsgesetzes - UbG lauten wie folgt:
"Voraussetzungen der Unterbringung
§ 3. In einer Anstalt darf nur untergebracht werden, wer
1. an einer psychischen Krankheit leidet und im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet und
2. nicht in anderer Weise, insbesondere außerhalb einer Anstalt, ausreichend ärztlich behandelt oder betreut werden kann.
...
Unterbringung ohne Verlangen
§ 8. Eine Person darf gegen oder ohne ihren Willen nur dann in eine Anstalt gebracht werden, wenn ein im öffentlichen Sanitätsdienst stehender Arzt oder ein Polizeiarzt sie untersucht und bescheinigt, dass die Voraussetzungen der Unterbringung vorliegen. In der Bescheinigung sind im Einzelnen die Gründe anzuführen, aus denen der Arzt die Voraussetzungen der Unterbringung für gegeben erachtet.
§ 9. (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind berechtigt und verpflichtet, eine Person, bei der sie aus besonderen Gründen die Voraussetzungen der Unterbringung für gegeben erachten, zur Untersuchung zum Arzt (§ 8) zu bringen oder diesen beizuziehen. Bescheinigt der Arzt das Vorliegen der Voraussetzungen der Unterbringung, so haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes die betroffene Person in eine Anstalt zu bringen oder dies zu veranlassen. Wird eine solche Bescheinigung nicht ausgestellt, so darf die betroffene Person nicht länger angehalten werden.
...
(3) Der Arzt und die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes haben unter möglichster Schonung der betroffenen Person vorzugehen und die notwendigen Vorkehrungen zur Abwehr von Gefahren zu treffen. Sie haben, soweit das möglich ist, mit psychiatrischen Einrichtungen außerhalb einer Anstalt zusammenzuarbeiten und erforderlichenfalls den örtlichen Rettungsdienst beizuziehen."
Entscheidend für die Rechtmäßigkeit der vom Beschwerdeführer bekämpften Maßnahmen, nämlich der Verbringung in die genannte Anstalt und die unmittelbar vorangegangene Anhaltung im Bezirkspolizeikommissariat Wien-Neubau, ist im gegebenen Zusammenhang die Frage, ob der Amtsarzt auf Grund der Untersuchung mit Recht annehmen durfte, dass die Voraussetzungen für die Unterbringung vorliegen, und darüber eine dem § 8 UbG entsprechende Bescheinigung ausgestellt hat. Zu den Voraussetzungen der Unterbringung gehört gemäß § 3 Z. 1 UbG, dass der Betreffende an einer psychischen Krankheit leidet und im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet. Das im Gesetz enthaltene Erfordernis, dass das Leben oder die Gesundheit des psychisch Kranken oder anderer "ernstlich" gefährdet sein müssen, bedeutet, dass ein hohes Maß der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes gegeben sein muss. Eine bloß vage Möglichkeit einer Selbst- oder Fremdbeschädigung reicht nicht aus (siehe dazu Hopf/Aigner, Unterbringungsgesetz (1993), 12, und Kopetzki, Unterbringungsgesetz (1991), Rz 66, jeweils unter Berufung auf die Regierungsvorlage zum Unterbringungsgesetz 464 Blg. NR 17. GP, 20).
Die ernstliche Gefährdung im beschriebenen Sinn muss - ebenso wie die weiteren Unterbringungsvoraussetzungen (insbesondere die psychische Krankheit, das Fehlen der Behandlungs- oder Betreuungsmöglichkeit außerhalb einer Anstalt) - in der vom Arzt gemäß § 8 UbG ausgestellten Bescheinigung begründet werden. Die im § 8 zweiter Satz leg. cit. normierte Begründungspflicht soll die Nachvollziehbarkeit der Bescheinigung sicherstellen und damit deren Überprüfung ermöglichen. Ein bloßes Ankreuzen formularhafter Bescheinigungen genügt dem Begründungserfordernis nicht. Es ist insbesondere festzuhalten, aus welchem Verhalten und welchen medizinischen Zustandsbildern sich die psychische Krankheit erschließen lässt, worin die ernstliche und erhebliche Gefährdung besteht und welche Alternativen geprüft bzw. kontaktiert wurden (vgl. dazu Hopf/Aigner, a.a.O., 28). Eine Bescheinigung, wonach eine Gefährdung bloß "nicht ausgeschlossen" werden kann, genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht und ist somit keine taugliche Grundlage für die Einlieferung (siehe dazu Kopetzki, a.a.O., Rz 230).
In der von der belangten Behörde wörtlich wiedergegebenen Bescheinigung des Amtsarztes heißt es u.a.:
"... Entsprechend der Sachlage habe ich zuerst eine freiwillige Vorstellung zu erreichen versucht war jedoch schließlich erfolglos.
Da eine akute Exazerbation nicht ausgeschlossen werden kann -
ist zumindest Vorstellung notwendig. Eine freiwillige Vorstellung wurde schließlich abgelehnt. ..."
Die Bescheinigung enthält demnach keine - im Sinne des zuvor Gesagten erforderliche - Begründung für die ernstliche Gefährdung von Leben oder Gesundheit des Beschwerdeführers selbst oder anderer. Dass der Amtsarzt eine "akute Exazerbation" und daraus resultierend eine Gefährdung bloß nicht ausschließen konnte, reichte nach der dargestellten Rechtslage nicht aus, den Beschwerdeführer in eine Anstalt einzuliefern. Daraus folgt die Rechtswidrigkeit der folgenden Anhaltung im Bezirkspolizeikommissariat Wien-Neubau und der Einlieferung in das Psychiatrische Krankenhaus Baumgartner Höhe.
Bereits aus diesem Grund erweist sich der angefochtene Bescheid als inhaltlich rechtswidrig. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne dass auf die weiteren Beschwerdeausführungen, insbesondere die Frage, ob der Beschwerdeführer ohnedies bei dem Facharzt für Psychiatrie und Neurologie Dr. R. in Behandlung war und dies eine die Unterbringung ausschließende ausreichende Behandlung außerhalb der Anstalt im Sinne des § 3 Z. 2 UbG darstellte, sowie die in diesem Zusammenhang geltend gemachten Verfahrensmängel eingegangen zu werden brauchte.
Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 27. November 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:2000110320.X00Im RIS seit
12.02.2002