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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
FrG 1997 §36 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Bauernfeind, über die Beschwerde des Z in N, geboren am 8. Mai 1973, vertreten durch Dr. Anton Tschann, Rechtsanwalt in 6700 Bludenz, Mühlgasse 2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 22. Oktober 1998, Zl. Frb-4250a-122/98, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen jugoslawischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 iVm den §§ 37, 38 und 39 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein auf sechs Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.
Diese Maßnahme begründete sie im Wesentlichen folgendermaßen:
Der am 8. Mai 1973 in Österreich geborene Beschwerdeführer sei bei seiner Großmutter in Bosnien aufgewachsen und im Alter von 15 Jahren in das österreichische Bundesgebiet zurückgekommen; seit 25. Oktober 1989 verfüge er durchgehend über Aufenthaltstitel. Seit 16. Februar 1998 sei er bei einer namentlich genannten Firma als Hilfsarbeiter beschäftigt. Die Mutter des Beschwerdeführers verfüge über die österreichische Staatsbürgerschaft. Da der Beschwerdeführer seinen Unterhalt selbst verdiene, träfen auf ihn die Voraussetzungen des § 47 Abs. 3 FrG und sohin die Begünstigung des § 48 Abs. 1 leg. cit. nicht zu.
Der Beschwerdeführer sei am 30. Jänner 1995 wegen des Vergehens nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen rechtskräftig verurteilt worden. Dieser Verurteilung sei zu Grunde gelegen, dass er jemanden umgestoßen habe, welcher daraufhin mit dem Kopf gegen einen Fahrradständer geprallt sei und eine Rissquetschwunde an der linken Augenbraue erlitten habe.
Am 26. Februar 1997 sei der Beschwerdeführer wegen des Vergehens nach den §§ 83 Abs. 1 und 125 StGB zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen rechtskräftig verurteilt worden. Dem liege zu Grunde, dass er einen Kaffeehausbesitzer an beiden Oberarmen gepackt habe, was Prellungen an beiden Oberarmen zur Folge gehabt habe; weiters habe er die Türscheibe mit der Faust eingeschlagen.
Am 7. April 1998 sei er wegen des Vergehens nach § 125 StGB zu 90 Tagessätzen rechtskräftig verurteilt worden, wovon 45 Tagessätze bedingt nachgesehen worden seien. Dieser Verurteilung sei zu Grunde gelegen, dass er am 14. August 1997 die Scheibe der Fahrertüre eines fremden Pkw eingetreten habe.
Mit diesen Verurteilungen lägen die Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG vor, weil der Beschwerdeführer mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen verurteilt worden sei. Weiters sei die Annahme gerechtfertigt, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährde.
Dem Beschwerdeführer sei bereits am 24. Juli 1996 die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes angedroht worden. Seine Verhaltensweise dokumentiere eine Aggressionsbereitschaft und es müsse auch weiterhin mit einem derartigen Verhalten gerechnet werden. Erschwerend sei zu berücksichtigen, dass sich seine Aggressionen nicht nur gegen Sachen, sondern auch gegen Menschen gerichtet hätten und er diesbezüglich zweimal wegen Körperverletzung habe verurteilt werden müssen. Auf Grund seines Gesamtverhaltens und des Umstandes, dass ihn weder die Androhung noch die Einleitung eines Aufenthaltsverbotsverfahrens von der Begehung weiterer Straftaten hätten abhalten können, könne keine positive Zukunftsprognose gestellt werden. Neben den gerichtlichen Verurteilungen lägen auch zehn Verwaltungsübertretungen vor.
Der langjährige Aufenthalt in Österreich und das Beschäftigungsverhältnis ließen auf eine Integration des Beschwerdeführers schließen. Diese werde jedoch dadurch relativiert, dass die dafür notwendige soziale Komponente nicht sehr ausgeprägt sei. Auf Grund seines Alters bestehe kein Abhängigkeitsverhältnis mehr zur Mutter. Die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes wögen weit schwerer als dessen Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Voraussetzung für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 36 Abs. 1 FrG ist die auf bestimmte Tatsachen gegründete Prognose, dass der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit oder andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen (die nationale Sicherheit, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung, die Verhinderung von strafbaren Handlungen, den Schutz der Gesundheit und der Moral und den Schutz der Rechte und Freiheiten Anderer) erheblich gefährdet. Daraus folgt, dass die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Grund des § 36 Abs. 1 FrG nur dann in Betracht kommt, wenn ein solches erforderlich ist, um die festgestellte, vom Fremden ausgehende Gefahr im Bundesgebiet abzuwenden. In § 36 Abs. 2 FrG sind demonstrativ Sachverhalte angeführt, die als bestimmte Tatsachen im Sinn des § 36 Abs. 1 leg. cit. gelten, bei deren Verwirklichung die dort genannte Annahme gerechtfertigt sein kann. Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist im Grund des § 36 Abs. 1 FrG das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die im Gesetz umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. (Vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 11. September 2001, Zl. 99/21/0365.)
In der Beschwerde bleibt die Auffassung der belangten Behörde, dass vorliegend der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 (4. Alternative) FrG verwirklicht sei, unbekämpft. Im Blick auf die unbestrittenen strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers bestehen gegen diese Beurteilung seitens des Verwaltungsgerichtshofes keine Bedenken. Angesichts des fortgesetzten strafbaren Verhaltens des Beschwerdeführers und der daraus abzuleitenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und der Gesundheit und des Eigentums anderer Personen ist auch die Ansicht der belangten Behörde, es sei im Beschwerdefall die im § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt, nicht als rechtswidrig zu erkennen.
Die Beschwerde meint, dass § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG dem Aufenthaltsverbot entgegenstünde. Gemäß dieser Bestimmung darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311, hätte verliehen werden können, es sei denn, der Fremde wäre wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Für diesen Tatbestand wäre ein vor der Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes gelegener zehnjähriger Aufenthalt erforderlich. Beim maßgeblichen Sachverhalt im Sinn dieser Bestimmung handelt es sich um all jene Umstände, die die Behörde zur Begründung des im konkreten Fall verhängten Aufenthaltsverbotes herangezogen hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 2000, Zl. 2000/18/0232). Unzulässig ist es zwar, auch ein solches Fehlverhalten dem Aufenthaltsverbot zu Grunde zu legen, das unter Berücksichtigung des seither verstrichenen Zeitraumes nicht (mehr) geeignet ist, eine relevante Vergrößerung der vom Fremden ausgehenden Gefährdung der maßgeblichen öffentlichen Interessen herbeizuführen, weil es die Behörde dadurch in der Hand hätte, den maßgeblichen Zeitpunkt nach vorne zu verschieben. Selbst ausgehend vom Beschwerdevorbringen, dass sich der Beschwerdeführer "seit dem Jahr 1988" in Österreich aufhält, war vor Verwirklichung des - allein maßgeblichen - ersten von der Behörde zulässigerweise zur Begründung des Aufenthaltsverbotes herangezogenen Umstandes (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis Zl. 2000/18/0232) - hier: das der Verurteilung des Beschwerdeführers vom 30. Jänner 1995 zu Grunde liegende strafbare Verhalten - die gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG 1985 erforderliche Voraussetzung des mindestens zehnjährigen inländischen Hauptwohnsitzes nicht erfüllt.
Unzutreffend ist auch das weitere Beschwerdevorbringen, dass der Beschwerdeführer begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinn des § 47 Abs. 3 FrG sei. Gemäß dieser Bestimmung sind folgende Angehörige eines EWR-Bürgers begünstigte Drittstaatsangehörige:
1.
Ehegatten;
2.
Verwandte in absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus sofern ihnen Unterhalt gewährt wird;
3. Verwandte und Verwandte des Ehegatten in aufsteigender Linie, sofern ihnen Unterhalt gewährt wird.
Der über 21 Jahre alte Beschwerdeführer könnte fallbezogen nur dann zu diesem Personenkreis gehören, wenn ihm von Verwandten in aufsteigender Linie Unterhalt gewährt würde. In der Beschwerde bringt er vor, seine Mutter habe sich bereit erklärt, für seinen Unterhalt aufzukommen. Abgesehen davon, dass eine solche Erklärung mit einer tatsächlichen Unterhaltsgewährung nicht gleichzusetzen ist, lässt er die Feststellung im angefochtenen Bescheid unbekämpft, dass er seit 16. Februar 1998 bei einer namentlich genannten Firma als Hilfsarbeiter beschäftigt sei und seinen Unterhalt selbst verdiene. Entgegen seiner Ansicht ist somit das Aufenthaltsverbot nicht anhand der Bestimmung des § 48 Abs. 1 FrG zu prüfen.
Berechtigung kommt dem Beschwerdevorbringen jedoch zu, soweit es unter Hinweis auf die gesellschaftliche Integration des Beschwerdeführers das Ergebnis der von der belangten Behörde gemäß § 37 FrG vorgenommenen Interessenabwägung bekämpft. Der Beschwerdeführer kam nach den behördlichen Feststellungen im Alter von 15 Jahren nach Österreich zurück und verfügt seit 25. Oktober 1989 durchgehend über Aufenthaltstitel. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides war er somit etwa zehn Jahre im Inland aufhältig. Hier befindet sich auch seine über die österreichische Staatsangehörigkeit verfügende Mutter; zudem ist er berufstätig. Der aus diesen Umständen abzuleitenden gewichtigen Integration im Inland steht sein Fehlverhalten gegenüber, das zu drei Verurteilungen zu Geldstrafen von 60, 90 und nochmals 90 Tagessätzen (letztere teilbedingt) geführt hat. Von den (in der Begründung des angefochtenen Bescheides angeführten) Verwaltungsübertretungen fällt keine in den Katalog des § 36 Abs. 2 Z. 2 FrG. Die belangte Behörde verwies auf die Aggressionsbereitschaft des Beschwerdeführers und führte aus, welche strafbaren Handlungen zu diesen Verurteilungen geführt haben. Sie übergeht diesbezüglich aber, dass zwei dieser drei strafbaren Handlungen Provokationen von anderer Seite vorangegangen sind. So gab nach dem Akteninhalt der bei der Straftat im Jahr 1994 (die zur ersten Verurteilung geführt hat) Verletzte an, dass er mit seinen Kollegen den Beschwerdeführer beim Verlassen des Lokals im WC eingesperrt hatte. Dem Einschlagen einer Scheibe der Autotür (dritte Verurteilung) ging nach der im Verwaltungsakt erliegenden Aussage eines Zeugen voran, dass dem Beschwerdeführer die Herausgabe seiner Autoschlüssel verweigert worden war. Wenn auch das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers nicht bagatellisiert werden soll, dürfen die Umstände, die zu diesem Verhalten geführt haben, nicht außer Betracht bleiben. Die Straftaten des Beschwerdeführers lassen nicht auf eine so große zukünftige Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit schließen, dass das öffentliche Interesse an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes zumindest gleich hoch einzuschätzen wäre wie die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf seine dargestellte persönliche Situation.
Dadurch, dass die belangte Behörde diesem Interesse des Beschwerdeführers am Weiterverbleib in Österreich nicht den ihm gebührenden Stellenwert zuerkannt hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 10. Dezember 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1998210493.X00Im RIS seit
15.03.2002