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90 Straßenverkehrsrecht, KraftfahrrechtNorm
B-VG Art18 Abs2Leitsatz
Keine Rechtsverletzung wegen Anwendung einer gesetzwidrigenVerordnung bei Verhängung von Geldstrafen wegen einerGeschwindigkeitsüberschreitung; keine Bedenken gegen die Erlassungeiner Geschwindigkeitsbeschränkung von 80 km/h für die B 311 imAbschnitt "Umfahrung Bischofshofen" aus Gründen derVerkehrssicherheit und der Beschaffenheit der Straße trotzUnterlassung einer InteressenabwägungSpruch
Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.
Die Beschwerden werden abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob die Beschwerdeführer durch die angefochtenen Bescheide in einem sonstigen Recht verletzt worden sind.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau hat am 17. November 2005 eine Verordnung folgenden Inhalts erlassen:
"VERORDNUNG
I.
Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft St. Johann/Pg. vom 2.9.1986, Zl. 6/08-13370/12/Bi/86-Stl., in welcher auf der B 311 Pinzgauer Straße im Abschnitt 'Umfahrung Bischofshofen' Verkehrsverbote und -beschränkungen erlassen wurden, wird wie folgt abgeändert:
Fahrtrichtung St. Johann/Pg.:
1. 'Geschwindigkeitsbeschränkung (erlaubte Höchstgeschwindigkeit)- 80' gemäß §52 lita Ziffer 10a StVO mit Zusatztafel gemäß §54 Abs5 litb) StVO mit der Aufschrift '4 km' auf Höhe StrKm. 0,0.
2. 'Geschwindigkeitsbeschränkung (erlaubte Höchstgeschwindigkeit) - 100' gemäß §52 lita Ziffer 10a StVO für die Fahrtrichtung St. Johann/Pg. auf Höhe StrKm. 4,0
(= Überkopfkonstruktion).
Fahrtrichtung A 10 Tauernautobahn:
3. 'Geschwindigkeitsbeschränkung (erlaubte Höchstgeschwindigkeit) - 80' gemäß §52 lita Ziffer 10a StVO mit Zusatztafel gemäß §54 Abs5 litb) StVO mit der Aufschrift '4 km' auf Höhe StrKm. 4,0 (= Überkopfkonstruktion).
4. 'Geschwindigkeitsbeschränkung (erlaubte Höchstgeschwindigkeit) - 80' gemäß §52 lita Ziffer 10a StVO mit Zusatztafel gemäß §54 Abs5 litb) StVO mit der Aufschrift '3,7 km' auf Höhe StrKm. 3,750.
5. 'Ende der Geschwindigkeitsbeschränkung - 80' gemäß §52 lita Ziffer 10b StVO auf Höhe StrKm. 0,0.1
Ausfahrt Buchberg in Richtung B 311:
6. 'Geschwindigkeitsbeschränkung (erlaubte Höchstgeschwindigkeit) - 80' gemäß §52 lita Ziffer 10a StVO ab Beginn der Ausfahrtsstraße Buchberg in Richtung B 311.
Bodenmarkierung:
Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft St. Johann/Pg. vom 7.12.2000, Zl. 6/367-562/12-2000, mit welcher als Trennung der Fahrstreifen beider Fahrtrichtungen im Bereich Umfahrung Bischofshofen der B 311 Pinzgauer Straße doppelte und einfache Sperrlinien angeordnet wurden, wird wie folgt abgeändert und hat Punkt I.1.)a) zu lauten:
'Zur Trennung der Fahrstreifen beider Fahrtrichtungen wird zwischen StrKm. 0,0 und StrKm. 4,0 von der rechten Randlinie in Kilometrierungsrichtung gesehen, in einem Abstand von 6,05 m zur Fahrbahnmitte gemessen, eine doppelte Sperrlinie mit einer Strich- und Zwischenraumbreite von 15 cm/50 cm/15 cm angeordnet.'
II.
Diese Verordnung ist gemäß §44 StVO 1960 durch Straßenverkehrszeichen nach der StVO und Bodenmarkierungen nach der Bodenmarkierungs-Verordnung 1995 i.d.g.F. kundzumachen und tritt mit Anbringung der genannten Verkehrszeichen und Bodenmarkierungen in Kraft.
Die unter Punkt I. anordnende Geschwindigkeitsbeschränkung ist dem §51 StVO entsprechend zu wiederholen.
III. - IV. (...)
Für den Bezirkshauptmann:
..."
2. Mit Straferkenntnissen der Bezirkshauptmannschaft Zell am See vom 24. Mai 2006 bzw. vom 20. Dezember 2006 wurden die Beschwerdeführer schuldig erkannt, am 7. Dezember 2005 bzw. am 27. Dezember 2005 in Bischofshofen, B 311, in Fahrtrichtung St. Johann im Pongau bzw. in Fahrtrichtung Tauernautobahn die in diesem Bereich kundgemachte zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 34 km/h bzw. um 40 km/h überschritten zu haben.
3. Die dagegen erhobenen Berufungen wurden mit Bescheiden des UVS Salzburg vom 13. Dezember 2006 bzw. vom 20. März 2007 abgewiesen.
4. In den Beschwerden wird die Verletzung des Art7 B-VG geltend gemacht. Begründend wird ausgeführt, die Erlassung der 80 km/h-Geschwindigkeitsbeschränkung sei nicht nachvollziehbar, weil die Unfallhäufigkeit auf dieser Strecke nicht überproportional hoch sei. Ein Ermittlungsverfahren habe nur insoweit stattgefunden, als ein Gutachten des Kuratoriums für Verkehrssicherheit eingeholt worden sei. Darüber hinaus sei eine Festlegung von vier Fahrstreifen und die Geschwindigkeitsbeschränkung von 80 km/h aus nicht nachvollziehbaren Gründen gewählt worden.
5. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschriften.
6. Die Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau legte die Verordnungsakten vor und erstattete eine Äußerung, in der sie ausführt, dass am 17. November 2005 - zum Zeitpunkt der Erlassung der vorliegenden Verordnung - die Voraussetzungen für die Erklärung der konkreten Strecke zur Autobahn noch nicht vorgelegen seien und die Verordnung daher von der Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau erlassen worden sei. Mit Verordnung der Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau vom 6. Oktober 2006 sei sie außer Kraft getreten.
Auf Grund der Unfallhäufung (Personen- und Sachschäden) im konkreten Straßenabschnitt sei im Oktober 2005 vom Kuratorium für Verkehrssicherheit ein Gutachten erstellt worden, in dem sinngemäß ausgeführt worden sei, dass bei Beibehaltung der 4-streifigen Verkehrsführung ein Tempolimit von 80 km/h anzuordnen sei. Gemäß §96 Straßenverkehrsordnung 1960 (im Folgenden: StVO 1960) habe die Behörde, wenn sich wiederholt an einer Straßenstelle oder -strecke Unfälle mit Personen- oder Sachschaden ereignen, unverzüglich festzustellen, welche Maßnahmen zur Verhütung weiterer Unfälle ergriffen werden können. Die 80 km/h-Geschwindigkeitsbeschränkung sei zur Hebung der Verkehrssicherheit angeordnet worden.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden erwogen:
1. Gemäß §43 Abs1 litb StVO 1960 hat die Behörde für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes durch Verordnung, wenn und soweit es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit der Straße, die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes oder wenn und insoweit es die Sicherheit des Gebäudes oder Gebietes und/oder der Personen, die sich dort aufhalten, erfordert, dauernde oder vorübergehende Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote zu erlassen.
Der Verfassungsgerichtshofes hat bisher in seiner Rechtsprechung zu verkehrsbeschränkenden Verordnungen ausgesprochen, dass die Behörde vor Erlassung einer solchen Verordnung die im Einzelnen umschriebenen Interessen an der Verkehrsbeschränkung mit dem Interesse an der ungehinderten Benützung der Straße abzuwägen und dabei die (tatsächliche) Bedeutung des Straßenzuges zu berücksichtigen hat (vgl. VfSlg. 9089/1981, 12.944/1991, 13.449/1993, 13.482/1993). Die sohin gebotene Interessenabwägung erfordert sowohl die nähere sachverhaltsmäßige Klärung der Gefahren oder Belästigungen für Bevölkerung und Umwelt, vor denen die Verkehrsbeschränkung schützen soll, als auch eine Untersuchung der Verkehrsbeziehungen und der Verkehrserfordernisse durch ein entsprechendes Anhörungs- und Ermittlungsverfahren (vgl. VfSlg. 12.485/1990, 16.805/2003).
2. Die Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau hat vor Erlassung diverser verkehrsbeschränkender Verordnungen betreffend die
B 311 Verhandlungen durchgeführt und im Oktober 2005 eine Stellungnahme des Kuratoriums für Verkehrssicherheit eingeholt. Mit der in Rede stehenden Geschwindigkeitsbeschränkung wurde die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau vom 2. September 1986 geändert. Aus dem Verordnungsakt ergibt sich, dass keine Ermittlungstätigkeit ausschließlich hinsichtlich der Geschwindigkeitsbeschränkung durchgeführt wurde. Dennoch ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang, dass die 80 km/h-Beschränkung immer wieder thematisiert wurde.
Der Verfassungsgerichtshof zieht die Erforderlichkeit der vorliegenden Verordnung nicht in Zweifel, weil es sich bei dem konkreten Streckenabschnitt um eine besonders unfallträchtige Gefahrenstrecke handelt. Nach dem Umbau der Umfahrung Bischofshofen erfolgte eine zusätzliche bauliche Abtrennung der Richtungsfahrbahnen, was jedenfalls einen Einfluss auf die seitlichen Sicherheitsabstände hatte. Die konkrete Gestaltung der Straße lässt daher die Geschwindigkeitsbeschränkung als erforderlich erscheinen, sodass sich angesichts der Umstände des vorliegenden Falles die Interessenabwägung erübrigt hat.
Der Verfassungsgerichtshof kann der verordnungserlassenden Behörde daher aus dem Blickwinkel der Voraussetzungen des §43 Abs1 StVO 1960 nicht entgegentreten, wenn sie ausgehend von den konkreten Umständen im vorliegenden Fall aus Gründen der Verkehrssicherheit und der Beschaffenheit der Straße eine
80 km/h-Geschwindigkeitsbeschränkung für die B 311 erlassen hat.
Die Beschwerdeführer wurden daher nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt.
3. Bei diesem Ergebnis kommen auch in die Verfassungssphäre reichende Vollzugsfehler nicht in Betracht.
Die Beschwerden waren daher abzuweisen und gemäß Art144 Abs3 B-VG antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Straßenpolizei, Geschwindigkeitsbeschränkung, VerordnungserlassungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2007:B261.2007Zuletzt aktualisiert am
30.01.2009