TE Vwgh Erkenntnis 2001/12/13 98/21/0115

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Veröffentlicht am 13.12.2001
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §37;
AVG §45 Abs2;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
FrG 1997 §75 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Bauernfeind, über die Beschwerde des Y in Graz, geboren am 12. April 1969, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 25. Februar 1998, Zl. Fr 188/1998, betreffend Feststellung nach § 75 Abs. 1 Fremdengesetz 1997, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, reiste am 27. Februar 1995 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 3. April 1995 die Gewährung von Asyl. Im Rahmen seiner Vernehmung vor dem Bundesasylamt am 5. April 1995 gab er zu seinen Fluchtgründen an, er sei Mitglied der DEP gewesen und habe für diese Partei gearbeitet. Als diese Partei verboten worden sei, habe er alle diesbezüglichen Unterlagen vernichtet. Eine eigentliche Aufgabe für diese Partei habe er nicht gehabt, er sei einfaches Mitglied gewesen. Der Onkel des Beschwerdeführers habe aber, obwohl er Kurde sei, für die Türken gearbeitet; der Beschwerdeführer habe ihn aber im Namen der DEP davon erfolgreich abgebracht. Bis zum 6. März 1994 sei "nichts weiter passiert" und habe der Beschwerdeführer keine Probleme gehabt. Zu diesem Zeitpunkt sei sein Onkel befragt worden und habe angegeben, dass ihn die DEP und der Beschwerdeführer von seinen Tätigkeiten für die Türken abgebracht hätten. Auf Grund dieses Sachverhaltes habe man den Beschwerdeführer verhaftet, eine Woche lang festgehalten und gefoltert. Man habe ihm Ketten an den Beinen angelegt, von denen er heute noch Narben habe. Man habe ihm vorgeworfen, Terrorist zu sein, was er verneint habe. Er habe vorgebracht, seinen Militärdienst abgeleistet zu haben, auch Frau und Kind zu haben und auch nicht an die Stelle des Onkels treten zu wollen. Dann sei er formlos entlassen worden.

Durch dieses Ereignis sei er politisch vorbelastet und immer, wenn es Gelegenheit gegeben habe, z.B. beim Newroz-Fest, sei er zusammen mit anderen verhaftet, geschlagen und nach ein paar Stunden freigelassen worden. Der Druck sei dann immer größer geworden, sodass sich der Beschwerdeführer entschlossen habe, wegzugehen. Nachdem früher die DEP zugelassen gewesen sei, sei bekannt gewesen, wer bei dieser Partei gewesen sei. Der Beschwerdeführer gab weiters an, nicht mehr genau zu wissen, wann er das letzte Mal geschlagen und erniedrigt worden sei, es sei so gewesen, dass es das ganze Jahr 1994 so dahin gegangen sei. Seine Familie sorge für Frau und Kind, sodass er sich persönlich keine Sorgen diesbezüglich mache. Es sei auch nicht möglich, innerhalb der Türkei eine neue Existenz aufzubauen und in eine Großstadt zu gehen, da er als Kurde auffallen würde und auch dort der Druck entsprechend groß wäre.

Die Frage, ob dies seine ganzen Fluchtgründe seien, bejahte der Beschwerdeführer. Er wisse nicht, was er sonst noch sagen solle. Er gebe aber an, dass einer seiner Cousins seit acht Jahren verschwunden sei. Er wisse nicht, ob dieser getötet worden sei oder sich den Partisanen angeschlossen habe. Dieser Cousin trage zufällig den gleichen Namen wie er, sodass man auf Grund der Namensgleichheit auch den Beschwerdeführer immer wieder festgenommen habe (vgl. zum Vorbringen vor der Asylbehörde das den Beschwerdeführer betreffende hg. Erkenntnis vom 27. Februar 1997, Zl. 95/20/0365).

Nach Abweisung des Asylantrages mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 8. Mai 1995 stellte der Beschwerdeführer am 24. September 1997 den auf § 54 Fremdengesetz 1992 gestützten Antrag, die Zulässigkeit seiner Abschiebung in die Türkei zu überprüfen. Diesen begründete er wie folgt:

Er habe seine Heimat aus politischen Gründen verlassen und wolle sich in Europa, außerhalb der Türkei, niederlassen. Der Grund dafür sei gewesen, dass er "bereits im März 1994 wegen der Teilnahme an den Newroz-Feierlichkeiten" von der Gendarmerie festgenommen worden sei. Er sei "zwei Wochen lang festgehalten" und während seiner Haftzeit schwer misshandelt worden. Sein Onkel sei zu dieser Zeit als Dorfschützer für die türkische Regierung tätig gewesen, der Beschwerdeführer habe ihn jedoch dazu bewegt, diese Tätigkeit nieder zu legen. Die Gendarmerie habe deswegen den Beschwerdeführer "festnehmen wollen", es sei ihm jedoch die Flucht gelungen. Von August 1994 bis zum 16. Februar 1995 sei er an einem näher genannten Ort geblieben, und habe dann über Ratschlag seines Vaters die Türkei verlassen. Er wisse nicht, was man im Falle seiner Rückkehr nach der zu erwartenden Festnahme mit ihm machen würde, doch gebe es täglich Tote auf den türkischen Straßen, deren Identität und Todesursache nicht geklärt worden sei. Zu seinem Cousin führte der Beschwerdeführer abschließend an, dass dieser "PKK-Aktivist" sei und gesucht werde. Wegen der Namensgleichheit dieses Cousins werde man dem Beschwerdeführer, sollte man ihn aufgreifen, für den gesuchten PKK-Kämpfer halten.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid stellte die belangte Behörde gemäß (dem mittlerweile in Kraft getretenen) § 75 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. I Nr. 75, fest, es bestünden keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass der Beschwerdeführer in der Türkei gemäß § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei. Seine Abschiebung in die Türkei sei somit zulässig. Wie bereits die Behörde erster Instanz, so begründete auch die belangte Behörde ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers "vollkommen unglaubhaft" sei, was sich aus dem Vergleich seiner geschilderten Angaben im Asylverfahren mit jenen vor der Fremdenpolizeibehörde ergebe.

Im Widerspruch zu seinen Aussagen vom 5. April 1995 (über eine einwöchige Haft des Beschwerdeführers wegen der Beeinflussung seines Onkels "gegen die Türkei" und danach nur mehr stundenweise folgenden Verhaftungen) sei er nach der Begründung des vor der Fremdenpolizeibehörde gestellten Antrages zwei Wochen wegen der Teilnahme an Newroz-Feierlichkeiten festgenommen und dabei misshandelt worden. Nach Ansicht der belangten Behörde sei eine solche Inhaftierung aber ein einschneidendes Ereignis, dass (derart) unterschiedliche Angaben über ihre Dauer zur Unglaubwürdigkeit des Vorbringens führen würden.

Durch die vor der Fremdenpolizeibehörde aufgestellte Behauptung, sein namensgleicher Cousin sei Aktivist der PKK, habe der Beschwerdeführer sein Vorbringen gegenüber jenem vor der Asylbehörde gesteigert. Auch die Zugehörigkeit zur nunmehr verbotenen DEP-Partei habe der Beschwerdeführer, der nach seinen Angaben sämtliche Unterlagen darüber vernichtet habe, nicht glaubhaft machen können.

Insgesamt seien seine Behauptungen im Asylverfahren und im fremdenpolizeilichen Verfahren "zwar widersprüchlich, doch dem Grunde nach ähnlich". Im konkreten Fall sei, so die belangte Behörde an anderer Stelle ihrer Begründung, "eindeutig festzustellen", dass für den Beschwerdeführer auf Grund seines "unglaubwürdigen Vorbringens" im Falle seiner Rückkehr in die Türkei eine Gefährdung im Sinn des § 57 FrG nicht bestehe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die Beschwerde, die zunächst über mehrere Seiten die Lage der Kurden in der Türkei darstellt, wendet gegen den angefochtenen Bescheid Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften ein. Dem Bescheid mangle es schon hinsichtlich der angeblichen Widersprüche in den Angaben des Beschwerdeführers an einer nachvollziehbaren Begründung, weil darin einerseits festgestellt werde, die Angaben des Beschwerdeführers im Asylverfahren und vor der Fremdenpolizeibehörde seien divergierend, nach anderen Teilen der Begründung gleiche sich hingegen sein Vorbringen in den beiden Verfahren.

In diesem Zusammenhang ist der Beschwerde zunächst zuzugestehen, dass der Begründung des angefochtenen Bescheides mehrfach Schwächen der genannten Art anhaften. Dennoch liegt ein Begründungsmangel im Sinn des § 60 AVG nicht vor. Dem angefochtenen Bescheid kann in seiner Gesamtheit doch mit hinreichender Deutlichkeit die Ansicht der belangten Behörde entnommen werden, dass der Beschwerdeführer eine Verfolgung bzw. Gefährdung nach seinem Vorbringen sowohl im Asylverfahren als auch im Verfahren nach § 75 FrG auf dieselben Ursachen (vor allem seine behauptete Haft und Misshandlung durch staatliche Stellen) zurückführe, dass er diese Ursachen jedoch in den beiden Verwaltungsverfahren in wesentlichen Punkten unterschiedlich und somit widersprüchlich beschrieben habe. Die vom Beschwerdeführer geschilderten Gefährdungsgründe seien daher insgesamt nicht glaubwürdig.

Der Beschwerdeführer wendet weiter ein, die belangte Behörde hätte seinen Beweisanträgen, so auch jenem auf Einholung eines Gutachtens eines medizinischen Sachverständigen zum Beweis für seine erlittenen Folterungen stattgeben müssen. Dieses Gutachten hätte zu dem Ergebnis geführt, dass er an den Folterungen, die ihm von staatlicher Seite zugefügt worden seien, "bis zum heutigen Tag laboriere". Indem die belangte Behörde seinem Vorbringen ohne Aufnahme dieses Beweises die Glaubwürdigkeit abgesprochen habe, habe sie in unzulässiger Weise eine antizipierende Beweiswürdigung vorgenommen.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg. In der dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Berufung hat der Beschwerdeführer ein ärztliches Gutachten zum Beweis für die Folterungen, die er nach seiner Inhaftierung anlässlich der Newroz-Feierlichkeiten von staatlicher Stelle erlitten habe, beantragt. Sichtbare Narben an seinem Körper würden noch heute von den Misshandlungen zeugen. Die belangte Behörde hat sich im angefochtenen Bescheid mit diesem Beweisantrag nicht weiter auseinander gesetzt, sondern von "der Aufnahme weiterer Beweise insofern Abstand genommen, als der entscheidungsrelevante Sachverhalt ausreichend ermittelt erschien".

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel - ohne unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung - untauglich ist (vgl. die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, unter E. 234 zu § 45 AVG referierte hg. Judikatur). Die genannten Voraussetzungen liegen gegenständlich nicht vor. Insbesondere kann von vornherein nicht ausgeschlossen werden, dass aus den behaupteten Narben am Körper des Beschwerdeführers Rückschlüsse auf erlittene Folterungen seiner Person gezogen werden können, welche die Glaubwürdigkeit seiner Schilderungen über eine bestehende Gefährdung und/oder Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG erhöhen könnten.

Indem die belangte Behörde den genannten Beweisantrag überging, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war. Die Durchführung einer Verhandlung erübrigte sich gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 13. Dezember 2001

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete Beweiswürdigung antizipative vorweggenommene Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Erheblichkeit des Beweisantrages Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie Beweiswürdigung Vorweggenommene antizipative Beweiswürdigung Verfahrensbestimmungen Beweiswürdigung Antrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1998210115.X00

Im RIS seit

11.04.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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