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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §32 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Bauernfeind, über die Beschwerde des am 6. Jänner 1967 geborenen F in Wien, vertreten durch Dr. Otto Reich-Rohrwig, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Gonzagagasse 14, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 24. November 1998, Zl. Fr 203/98, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Schwechat vom 1. Dezember 1997 wurde über den Beschwerdeführer, einen algerischen Staatsbürger, gemäß § 18 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 des Fremdengesetzes ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer noch am selben Tag zugestellt.
Mit der gegen diesen Bescheid erhobenen, erst am 7. Jänner 1998 zur Post gegebenen Berufung verband der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Zur Begründung brachte er im wesentlichen vor, im Zeitpunkt der Aushändigung des angefochtenen Bescheides habe er sich in Schubhaft befunden. Obwohl er der deutschen Sprache nicht mächtig sei, sei der Amtshandlung kein Dolmetsch beigezogen worden. Ihm seien der Inhalt und die Bedeutung des ausgehändigten Schriftstückes bis zu seiner Entlassung aus der Schubhaft am 5. Jänner 1998 nicht bewusst gewesen.
Selbst bei dessen Übersetzung wäre der Beschwerdeführer vor unüberwindlichen Hindernissen bei der Abfassung eines Rechtsmittels gestanden. Mangels Aufliegens der österreichischen Rechtsvorschriften in einer ihm verständlichen Sprache und mangels der Möglichkeit, einen Dolmetsch und/oder einen Rechtsbeistand "aufzusuchen", wäre ihm das Verfassen einer korrekten Berufung unmöglich gewesen. Der Kontakt mit einem Rechtsbeistand sei erst nach Verstreichen der Berufungsfrist gelungen. Der Beschwerdeführer habe, obwohl er sich wiederholt darum bemüht habe, im Zeitpunkt der Bescheidzustellung und auch danach keinen Rechtsbeistand erhalten. Im Polizeigefangenenhaus habe ihn keiner über seine Rechte aufklären können. Darüber hinaus habe er über die in der Flüchtlingsberatung tätigen Organisationen und deren Telefonnummern keine Kenntnis gehabt. Im Polizeigefangenenhaus werde der Zugang zu einem Telefonbuch und die Benützung des Telefons in der Praxis nicht immer oder nur mit erheblichen Verzögerungen und oft nur auf Grund wiederholter Anfragen des Schubhäftlings gewährt. Weiters stelle sich bei einer telefonischen Kontaktaufnahme zu einer derartigen Organisation "das Problem der mangelnden Sprachkenntnisse". Somit stelle die Unkenntnis der deutschen Sprache in Verbindung mit der Verhängung der Schubhaft und dem fehlenden Kontakt zu einem Rechtsbeistand ein unabwendbares Ereignis dar, das zur Versäumung der Berufungsfrist geführt habe. Daran treffe den Beschwerdeführer kein Verschulden und dessen Wegfall sei erst mit dem Zeitpunkt der Entlassung aus der Schubhaft eingetreten.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde wurde dieser Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG im wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, nicht nur der Vernehmung am 1. Dezember 1997, sondern auch der "Bescheidverkündung" sei ein gerichtlich beeideter Dolmetsch für die arabische Sprache beigezogen worden. Der "Bescheid sowie die Rechtsmittelbelehrung" seien von diesem Dolmetsch übersetzt worden. Dem Einwand, der Beschwerdeführer habe nicht gewusst, an welche Organisation er sich bezüglich einer rechtlichen Vertretung hätte wenden können, sei entgegen zu halten, dass der Beschwerdeführer bereits während der Schubhaft von Mitgliedern der Caritas besucht worden sei. Ihm wäre in der Schubhaft auch die telefonische Verständigung von Vertrauenspersonen möglich gewesen. Im übrigen hätte die Berufungsschrift - aus von der belangten Behörde näher dargestellten Gründen - auch vom Beschwerdeführer selbst verfasst werden können. Der Beschwerdeführer habe somit "aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes" nicht glaubhaft machen können, dass er durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert gewesen sei, die Berufungsfrist einzuhalten.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Der Beschwerdeführer bemängelt im Zusammenhang mit der Feststellung, der Beschwerdeführer sei während der Schubhaft von Mitarbeitern der Caritas besucht worden, dass sich die belangte Behörde dabei ausschließlich auf einen Bericht der Erstbehörde gestützt und nicht geprüft habe, wann der Besuch stattgefunden habe, ob der Besucher überhaupt rechtskundig und ob dem Beschwerdeführer mit ihm eine Verständigung möglich gewesen sei. Die angenommenen Möglichkeit des Telefonierens setze zunächst eine entsprechende Belehrung des Beschwerdeführers über diese Möglichkeit voraus und weiters, dass sie nicht nur "abstrakt" bestand, sondern dass konkret der Beschwerdeführer dazu Gelegenheit gehabt hätte.
Mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf, weil es einerseits auf den gerügten Feststellungsmangel nicht ankommt, andererseits die beanstandete Feststellung ausreichend ist:
Gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ist unter anderem gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten, und dass sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Der Aufenthalt eines Fremden in Schubhaft ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - auch wenn er noch unvertreten ist - kein Grund, der es zuließe, die Unterlassung einer rechtzeitigen Berufungseinbringung als unverschuldet oder als ein über den minderen Grad des Versehens nicht hinausgehendes Verschulden zu werten. Auch das Zusammentreffen des Umstandes der Freiheitsentziehung mit einer mangelnden Sprachkenntnis des Betroffenen vermag - weil das Fremdengesetz die Erlassung eines Aufenthaltsverbots-Bescheides in einer für den Betroffenen verständlichen Sprache nicht vorsieht - ohne das Hinzutreten eines ihn konkret treffenden Hinderungsgrundes, der über die allgemeine Situation eines in Schubhaft befindlichen, der deutschen Sprache nicht mächtigen Fremden hinausgeht, die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu rechtfertigen. (Vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 23. Juni 1998, Zl. 97/21/0770, mwN, sowie das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2000, Zl. 96/21/0430).
Ein Verhinderungsgrund im Sinn des § 71 Abs. 1 Z 1 AVG läge - insofern ist der Beschwerde beizupflichten - bei einem in Schubhaft befindlichen Fremden dann vor, wenn nicht sichergestellt wäre, dass er während der Einengung seiner Freiheit den von ihm gewünschten Rechts- oder sonstigen Beistand rechtzeitig erhält (ohne ihm ständige Urgenzen zuzumuten) bzw. wenn ihm auch die Möglichkeit genommen wäre, trotz eines diesbezüglichen Wunsches eine Berufung verfassen und einbringen zu können (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Juni 1999, Zl. 99/01/0024, mwN, sowie das bereits zitierte Erkenntnis vom 24. Februar 2000). Es kommt daher entscheidungswesentlich darauf an, dass der Beschwerdeführer konkret in nachvollziehbarer Weise (zB durch Nennung des Tages; der Aufsichtsperson) behauptet und glaubhaft macht, dass er in der Schubhaft den Wunsch geäußert habe, in Kontakt mit einem Rechtsvertreter (sonstigen Beistand) gelangen zu können bzw. Schreibmaterial zu erhalten, um selbst eine Berufung erheben zu können, und dass diese Wünsche abgelehnt oder ignoriert worden wären (vgl. das erwähnte Erkenntnis vom 16. Juni 1999; vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 16. Oktober 1996, Zl. 96/01/0195).
In diesem Zusammenhang hat der Beschwerdeführer aber lediglich ganz allgemein vorgebracht, er habe, obwohl er sich wiederholt darum bemüht habe, keinen Rechtsbeistand erhalten. Abgesehen davon, dass sich dieses Vorbringen mit der primären von der belangten Behörde unbekämpft als unricht angenommenen Behauptung, dem Beschwerdeführer seien der Inhalt und die Bedeutung des Bescheides mangels Übersetzung gar nicht bewusst gewesen, und mit dem weiteren Einwand, es hätten unüberwindliche Verständigungsschwierigkeiten bestanden, kaum in Einklang bringen lässt, können ihm auch keine konkreten, einer Prüfung zugänglichen Vorgänge entnommen werden. Es kann daher nicht beanstandet werden, wenn die Erstbehörde diesbezüglich lediglich eine diesem allgemein gehaltenen Vorbringen widersprechende generelle Feststellung dahin getroffen hat, dass der Beschwerdeführer jederzeit die Möglichkeit gehabt hätte, einen Rechtsbeistand seines Vertrauens zu kontaktieren, und die behaupteten Antragsgründe insgesamt für nicht glaubhaft angesehen hat. Diesen Feststellungen und der zugrunde liegenden Beweiswürdigung ist die Berufung, die sich weitgehend auf eine bloß wörtliche Wiederholung des Antragsvorbringens beschränkt, nicht konkret entgegen getreten. Auch die Beschwerde nimmt auf die - von den Verwaltungsbehörden (auch durch den weiteren Hinweis auf die Möglichkeit des Telefonierens) erkennbar als nicht bescheinigt angesehene - Behauptung, der Beschwerdeführer habe sich wiederholt um die Beistellung eines Rechtsbeistandes bemüht, nicht konkret Bezug. Anders als in Fällen, in denen sich die Verwaltungsbehörden mit dem diesbezüglichen Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag überhaupt nicht auseinander gesetzt hatten (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 27. Juli 1995, Zl. 94/19/0518, vom 21. Mai 1997, Zl. 96/21/0574, und vom 19. Oktober 1994, Zl. 93/01/1117), besteht im Gegensatz dazu bei der hier zu beurteilenden Konstellation demnach kein Grund für eine Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
Soweit die Beschwerde letztlich einen Verfahrensmangel behauptet, weil die belangte Behörde ihre Ermittlungsergebnisse dem Beschwerdeführer persönlich und nicht der ausgewiesenen Vertreterin zugestellt habe, unterlässt sie es, die Relevanz darzutun.
Es kann nach dem Gesagten somit nicht als rechtswidrig erkannt werden, wenn die belangte Behörde auf dem Boden der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshof den Wiedereinsetzungsantrag abgewiesen hat. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 13. Dezember 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1999210110.X00Im RIS seit
11.04.2002