Index
19/05 Menschenrechte;Norm
FlKonv Art1 AbschnA Z2;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 98/21/0143Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Bauernfeind, über die Beschwerden des H, geboren am 23. Dezember 1979, vertreten durch Dr. Christa Unzeitig, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Schönaugasse 44, gegen die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark jeweils vom 4. November 1997, Zl. Fr 668/1997, betreffend Ausweisung und Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 Fremdengesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von je S 282,50, insgesamt daher S 565,--, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 4. November 1997 wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Liberia, gemäß § 17 Abs. 1 in Verbindung mit § 19 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, aus. Nach der Begründung dieses Bescheides sei der Beschwerdeführer am 27. Februar 1997 "über einen unbekannten Flughafen, illegal, unter Verwendung eines fremden Reisedokumentes" in das Bundesgebiet eingereist. Seinen (am 28. Februar 1997) gestellten Asylantrag habe das Bundesasylamt mit noch nicht rechtskräftigem Bescheid vom 10. März 1997 abgewiesen. Der Beschwerdeführer, der über keinerlei Bewilligung nach dem Fremden-, Aufenthalts- oder Asylgesetz (so auch nicht über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach letztgenanntem Gesetz) verfüge, halte sich seit seiner illegalen Einreise unrechtmäßig im Bundesgebiet auf.
In Bezug auf § 19 FrG stellte die belangte Behörde fest, der Beschwerdeführer sei ledig und habe keine Familienangehörigen oder nahen Verwandten im Bundesgebiet. Da auf Grund seines erst kurzfristigen Aufenthaltes und seiner Beschäftigungslosigkeit nicht von einer Integration ausgegangen werden könne, erfolge durch die Ausweisung kein relevanter Eingriff in sein Privat- oder Familienleben. Es erübrige sich daher die Prüfung im Sinn des § 19 FrG, ob die Erlassung der Ausweisung aus den dort genannten Gründen dringend geboten sei. Letzteres wäre aber selbst unter der Annahme eines relevanten Eingriffs in das Privat- oder Familienleben des Beschwerdeführers wegen seines unrechtmäßigen Aufenthalts und der damit einhergehenden Beeinträchtigung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, denen ein hoher Stellenwert zukomme, zu bejahen.
Mit dem weiteren Bescheid vom 4. November 1997 stellte die belangte Behörde - gleichfalls im Instanzenzug - gemäß § 54 Abs. 1 FrG fest, es bestünden keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass der Beschwerdeführer in Liberia gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei, weshalb seine Abschiebung in diesen Staat zulässig sei.
Zu seinem Antrag nach § 54 FrG hatte der Beschwerdeführer angegeben, er habe Liberia ausschließlich deswegen verlassen, weil in seiner Heimat Bürgerkrieg herrsche. Seine Eltern seien im Zuge dieses Bürgerkriegs getötet worden, er selbst habe sich eigentlich immer neutral verhalten und keine Seite bevorzugt. Er sei allerdings vor seiner Ausreise aus Liberia von den Rebellen aufgefordert worden, für sie zu kämpfen, was er abgelehnt habe. Da er von dieser Gruppe deshalb mit dem Tod bedroht worden sei, habe er aus Liberia flüchten müssen. Von der regulären Armee sei er zwar nicht offiziell einberufen worden, müsse jedoch bei seiner Rückkehr mit seiner sofortigen Rekrutierung rechnen. Sein Leben wäre daher im Falle seiner Rückkehr nach Liberia von zwei Seiten massiv bedroht.
Die belangte Behörde sprach den geschilderten Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen im letztgenannten Bescheid aus dort näher dargestellten Gründen jegliche Glaubwürdigkeit ab. Dessen ungeachtet sei allerdings selbst dann, wenn man den Behauptungen des Beschwerdeführers Glauben schenken wollte, nicht von einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten Bedrohung im Sinne des § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG auszugehen. Liberia sei nämlich auf Grund der geänderten politischen Situation in der Lage, dem Beschwerdeführer Schutz vor Übergriffen noch allfällig existierender bewaffneter Rebellengruppen zu bieten. Nach einem im Jahr 1995 vereinbarten Waffenstillstand zwischen den Bürgerkriegsparteien seien im Jahr 1997 Wahlen, die von UNO-Wahlbeobachtern als fair beurteilt worden seien, abgehaltenen worden. Der dabei als Wahlsieger hervorgegangene Charles Taylor sei noch im August 1997 als neuer Staatspräsident angelobt worden. Seit seiner Machtübernahme sei von einer einigermaßen funktionierenden Staatsgewalt auszugehen, welche durch die in Liberia stationierten internationalen Truppen der ECOMOG unterstützt werde.
Was die Befürchtung des Beschwerdeführers betreffe, im Falle seiner Rückkehr von der regulären Armee rekrutiert zu werden, so könne diesem Umstand im Verfahren nach § 54 FrG keine Bedeutung zukommen, zumal es das Recht eines jeden Staates sei, seine männlichen und wehrfähigen Staatsbürger zum Militärdienst einzuberufen.
Gegen diese Bescheid richten sich die wegen ihres persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten
Senat erwogen hat:
I. Zur Ausweisung:
Der Auffassung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer halte sich seit seiner Einreise unrechtmäßig in Österreich auf, hält die Beschwerde entgegen, der Beschwerdeführer sei nach den Ausführungen im angefochtenen Bescheid über einen "unbekannten Flughafen" in das Bundesgebiet eingereist. Diese Feststellung sei vor dem Hintergrund des § 15 Abs. 1 FrG "wichtig, da die belangte Behörde davon ausgehe, dass sich der Beschwerdeführer offensichtlich einer im Grenzbereich stattfindenden Kontrolle nicht gestellt hätte". Der Feststellung der belangten Behörde, dass der Beschwerdeführer unter Verwendung eines fremden Reisedokumentes in das Bundesgebiet einreiste, tritt die Beschwerde allerdings nicht entgegen. Schon deshalb vermag sie aber eine Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Sinn des § 15 Abs. 1 FrG - nach den Beschwerdeausführungen ist die Z 1 dieser Bestimmung angesprochen - nicht aufzuzeigen, da die dort geforderte Einhaltung der Bestimmungen des 2. Teiles des Fremdengesetzes die Verwendung eines gültigen Reisepasses voraussetzt (vgl. § 2 Abs. 1 FrG).
Sollte die Beschwerde mit den genannten Ausführungen jedoch davon ausgehen, der Beschwerdeführer habe auf Grund seiner Einreise über einen unbekannten Flughafen zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung im Sinn des § 7 Asylgesetz 1991 verfügt und sein Aufenthalt sei deswegen rechtmäßig, so ist dazu Folgendes anzumerken: Selbst wenn der Beschwerdeführer, wie er im Asylverfahren behauptet hat, über den Flughafen Wien-Schwechat eingereist wäre, läge die für die Erlangung der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach § 7 Abs. 1 in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Asylgesetz 1991 erforderliche Voraussetzung der "direkten" Einreise aus dem Staat, in dem er Verfolgung befürchtet, nicht vor. Er hat nämlich im Rahmen seiner Einvernahmen sowohl vor der Asyl- als auch der Fremdenpolizeibehörde vorgebracht, er wäre von Liberia zunächst mit einem Auto nach Sierra Leone gebracht worden. In Sierra Leone habe er nicht um Asyl ansuchen wollen, sondern geplant, nach Amerika zu gelangen "wo es Weiße und Schwarze gibt, und weil man dort Englisch spricht" (vgl. die Niederschrift vom 7. März 1997). Da er nicht vorbringt, er hätte nicht in den Staat, aus dem er "direkt" einreiste (Sierra Leone), zurückgewiesen werden dürfen, erfüllt er auch die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Asylgesetz 1991 nicht.
Da somit nach dem Gesagten davon auszugehen ist, dass dem Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides auch eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nicht zukam (die Erteilung anderer Bewilligungen im Sinn des § 15 Abs. 1 FrG hat der Beschwerdeführer nicht behauptet), vermag der Verwaltungsgerichtshof der Ansicht der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe sich im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides seit seiner Einreise nach Österreich unrechtmäßig in Österreich aufgehalten, nicht entgegen zu treten.
Soweit der Beschwerdeführer mit Blick auf die Voraussetzungen des § 19 FrG unzureichende Ermittlungen der belangten Behörde über sein bestehendes Privat- und Familienleben einwendet, gelingt es ihm nicht, die Relevanz eines solcherart behaupteten Verfahrensmangels darzulegen. Im angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde, wie erwähnt, die Erlassung einer Ausweisung selbst im Falle des Bestehens eines Privat- oder Familienlebens des Beschwerdeführers zum Schutz der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele für dringend geboten erachtet, weil sie - zutreffend - der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften einen hohen Stellenwert beimaß. Sie durfte dabei auf Grund der Angaben des Beschwerdeführers in seinem Antrag nach § 54 FrG davon ausgehen, dass seine Eltern im Zuge des Bürgerkrieges getötet wurden. Da der Beschwerde nicht zu entnehmen ist, mit welchen Personen der Beschwerdeführer "nunmehr in einem Familienverband lebt", kommt diesem Einwand keine Relevanz zu. Zu Recht hat die belangte Behörde wegen der Kürze des Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides das Dringendgebotensein der Ausweisung bejaht.
Im Übrigen wurde der angefochtene Bescheid, wie dargestellt, ausreichend begründet. Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht musste sich die belangte Behörde - im Rahmen der vorliegenden Ausweisung - nicht mit einer allfälligen Bedrohung des Beschwerdeführers in seinem Heimatland auseinander setzen, da mit einer Ausweisung nicht darüber abgesprochen wird, dass der Fremde in ein bestimmtes Land auszureisen habe oder dass er (allenfalls) abgeschoben werde (vgl. aus vielen das hg. Erkenntnis vom 2. Oktober 1997, Zl. 95/18/1317).
II. Zum Feststellungsbescheid:
Im Verfahren gemäß § 54 Abs. 1 FrG ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vom Antragsteller mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen, also im Falle seiner Abschiebung in den im Antrag genannten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt durch diese nicht abwendbaren Bedrohung im Sinne des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG glaubhaft zu machen und von der Behörde das Vorliegen konkreter Gefahren für jeden einzelnen Fremden für sich zu prüfen. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob etwa gehäufte Verstöße der in § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Juni 2001, Zl. 97/21/0831, mwN).
Soweit die Beschwerde der Beweiswürdigung der belangten Behörde, welche die Angaben des Beschwerdeführers über seine fluchtauslösenden Gründe als unglaubwürdig erachtet hat, entgegen tritt und Widersprüche im Vorbringen des Beschwerdeführers auf seine persönliche Verfassung zum Zeitpunkt der Vernehmung sowie auf Übersetzungsprobleme zurückführt, kann dahingestellt bleiben, ob die belangte Behörde dem genannten Vorbringen des Beschwerdeführers die Glaubwürdigkeit nachvollziehbar abgesprochen hat. Sie hat nämlich eine Gefährdung bzw. Bedrohung des Beschwerdeführers im Sinn des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG auch unter Zugrundelegung der von ihm geschilderten Rekrutierungsversuche durch Rebellengruppen mit der Begründung verneint, dass sich die Lage in Liberia im Zeitpunkt der Bescheiderlassung auf Grund der mit der Wahl Charles Taylors zum Staatspräsidenten und seiner Angelobung im August 1997 einhergehenden Festigung der Staatsgewalt und dem Eingreifen der ECOMOG-Truppen so weit stabilisiert hat, dass von einem Schutz des Beschwerdeführers durch die einigermaßen funktionierende Staatsgewalt im Falle seiner Rückkehr nach Liberia auszugehen sei.
Wenn der Beschwerdeführer dagegen einwendet, dass auch sein Vater (zu einem nicht näher genannten Zeitpunkt vor der Flucht des Beschwerdeführers im Februar 1997) von den Rebellen getötet worden sei, so vermag er mit diesem Einwand die von der belangten Behörde unter Quellenangaben getroffenen aktuelleren Feststellungen über die Stabilisierung der Lage in Liberia in der 2. Hälfte des Jahres 1997 nicht zu entkräften.
Schließlich ist der belangten Behörde nicht entgegen zu treten, wenn sie der vom Beschwerdeführer befürchteten (bloßen) Einberufung in die reguläre Armee Liberias im Falle seiner Rückkehr vor dem Hintergrund des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG keine Bedeutung beimaß (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 24. Juli 2001, Zl. 97/21/0641). Dass die Einberufung des Beschwerdeführers aus einem der in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe erfolgen würde oder dem Beschwerdeführer aus solchen Gründen wegen der Verweigerung des Militärdienstes schärfere Sanktionen als anderen liberianischen Staatsbürgern drohten oder er mit der Todesstrafe oder einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe rechnen müsse, wurde nicht vorgebracht.
Nach dem Gesagten waren die Beschwerden daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 13. Dezember 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1998210142.X00Im RIS seit
15.03.2002