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21/01 Handelsrecht;Norm
EStG 1988 §4 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Karger, Dr. Sulyok, Dr. Fuchs und Dr. Zorn als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Zehetner, über die Beschwerde der W & Co Ges. m. b. H. in St. Ruprecht a.d. Raab, vertreten durch Dr. Guido Held und Mag. Gottfried Berdnik, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Schlögelgasse 1, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Steiermark (Berufungssenat) vom 23. September 1998, GZ RV-070.97/1- 10/97, betreffend Körperschaftsteuer 1993 und 1994, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von 4.565 S binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
In den Jahresabschlüssen zum 30. Juni 1993 und 1994 bildete die Beschwerdeführerin erstmals Rückstellungen unter der Bezeichnung "Abfertigung für Handelsvertreter".
Im Zuge einer abgabenbehördlichen Prüfung vertrat die Prüferin die Auffassung, der Ausgleichsanspruch der Handelsvertreter nach § 24 des Bundesgesetzes über die Rechtsverhältnisse der selbständigen Handelsvertreter, BGBl. 88/93, (nachfolgend: HVertrG 1993) stehe wirtschaftlich einer Einmalvergütung für alle künftig von alten Kunden hereingeholten Aufträge näher als einer Nachvergütung für bereits vor Beendigung des Vertragsverhältnisses erbrachten Leistungen. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes könne für den Entschädigungs- bzw. Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters keine Rückstellung gebildet werden, da dieser Anspruch in erster Linie künftig entgehende Provisionen abgelten soll. Die in den Jahren 1993 und 1994 vorgenommene Dotierung der Rückstellungen (1993: 670.000 S, 1994: 1,130.000 S) sei steuerlich unzulässig.
Das Finanzamt erließ - nach Wiederaufnahme der Verfahren - den Prüfungsfeststellungen entsprechende geänderte Körperschaftsteuerbescheide für 1993 und 1994.
In der Berufung gegen die Körperschaftsteuerbescheide brachte die Beschwerdeführerin vor, Handelsvertretern stehe gemäß § 24 HVertrG 1993 unter den in dieser Bestimmung normierten Voraussetzungen grundsätzlich ein Ausgleichsanspruch zu. Anders als vor Inkrafttreten des HVertrG 1993 bedeute dies, dass ein Auslgeichsanspruch auch bei Beendigung des Vertrages infolge Fristablauf bzw. einvernehmlicher Auflösung bestehe. Nur in den in § 24 Abs. 3 HVertrG 1993 genannten Fällen bestehe kein Anspruch. Mit dem Entstehen einer Verbindlichkeit sei daher ernsthaft zu rechnen.
Gemäß § 198 Abs. 8 HGB seien somit handelrechtlich für diese Ansprüche zwingend Rückstellungen zu bilden. Nach einem Fachgutachten des Fachsenates für Handelsrecht und Revision des Instituts für Betriebswirtschaft, Steuerrecht und Organisation der Kammer der Wirtschaftstreuhänder seien Ausgleichsansprüche unter die abfertigungsähnlichen Verpflichtungen im Sinne des Art. X Abs. 1 RLG zu subsumieren.
Wesentliche Ursache für die Verpflichtung der Beschwerdeführerin zur Ausgleichszahlung an Handelsvertreter bei Vertragsauflösung sei nicht der Ausgleich für entgehende zukünftige Provisionen, sondern die Nachvergütung bereits vor Beendigung des Vertragsverhältnisses erbrachter Leistungen, wie die Zuführung neuer Kunden bzw. die Erweiterung bestehender Geschäftsbeziehungen.
Nach Ergehen einer abweisenden Berufungsvorentscheidung stellte die Beschwerdeführerin den Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz. Sie führte aus, ob und inwieweit die Tätigkeit des Handelsvertreters in der Vergangenheit Nutzen und Vorteile für das Unternehmen in der Zukunft bringe, sei völlig ungewiss. Bei Beschäftigung eines neuen Handelsvertreters erhalte dieser zudem nach allgemeiner Erfahrung Provisionen für die Betreuung der Kunden. Folgte man dem Standpunkt des Finanzamtes, so würde dies bedeuten, dass die zukünftige Periode mit doppelten Provisionsaufwendungen belastet würde.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Der Ausgleichsanspruch nach § 24 Abs. 1 HVertrG 1993 gebühre nach Beendigung des Vertragsverhältnisses, sofern keine für den Handelsvertreter günstigere Vereinbarung vorliege, wenn und soweit die in den Ziffern 1 bis 3 leg. cit. genannten Voraussetzungen erfüllt seien. Dies bedeute, dass bei aufrechtem Vertragsverhältnis für den Handelsvertreter ein Anspruch bzw. eine Anwartschaft nicht bestehe. Die Beendigung des Handelsvertretervertrages sei daher erste und grundsätzliche Voraussetzung für das Entstehen des Ausgleichsanspruches. Die weiteren in den Ziffern 1 bis 3 leg. cit. geregelten Voraussetzungen bewirkten einerseits, dass der Ausgleichsanspruch erst gar nicht entsehe, wenn nicht alle Voraussetzungen erfüllt seien, und schafften andererseits betragliche Grenzen des Anspruchs. Für die Entstehung des Ausgleichanspruches sei es nach Ziffer 3 leg. cit erforderlich, dass die Zahlung des Ausgleiches unter Berücksichtigung aller Umstände der Billigkeit entspreche.
Nachdem der Gesetzestext eindeutig von "entgehenden", d.h. zukünftigen Provisionen, also Vorteilen, welche erst in künftigen Perioden realisiert worden wären, spreche, stelle der in § 24 HVertrG 1993 geregelte Ausgleichsanspruch eine erst mit Vertragsauflösung entstehende Vergütung für alle künftig von alten Kunden hereingeholten Aufträge dar. Der Ausgleich solle nicht tatsächliche spätere Gewinne, sondern die dem Unternehmer zukommenden Gewinnchancen, d.h. die Schaffung gewinnträchtiger Geschäftsbeziehungen, abgelten. Der Aufwand der Zahlung könne daher erst im Zeitpunkt der Entstehung des Anspruches geltend gemacht werden.
Dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, bei Beschäftigung eines neuen Handelsvertreters würden abermals Provisionen für die Betreuung der Kunden anfallen, werde entgegengehalten, nach der Regelung des § 24 Abs. 3 Z 3 HVertrG 1993 verliere im Falle eines "Vertretungsverkaufs" der alte Handelsvertreter seinen Ausgleichsanspruch, während der neue Handelsvertreter in einem solchen Falle bei Beendigung seines Vertragsverhältnisses hinsichtlich des "gekauften" Kundenstocks erstmals einen Ausgleichsanspruch geltend machen könne. Entstehe hingegen ein Ausgleichsanspruch des ausgeschiedenen Vertreters, so habe der neue Handelsvertreter den (übernommenen) Kundenstock dem Unternehmer nicht im Sinne des § 24 Abs 1 Z 1 HVertrG 1993 "zugeführt", d.h. dass bei Beendiung des (zweiten) Vertragsverhältnisses hierfür keine Ausgleichsanspruch entstehe und daher eine Doppelbelastung mit zukünftigen Provisionsaufwendungen nie gegeben sein könne.
Zur Darlegung der Beschwerdeführerin, wesentliches Kriterium für vertragliche Vereinbarungen sei die Zuführung neuer Kunden, werde bemerkt, dass die Kundenzuführung für die Entstehung des Augleichsanspruches allein nicht ausreiche. Es müsse vielmehr zusätzlich zu erwarten sein, dass der Unternehmer auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses daraus Vorteile ziehen werde, wobei es sich um erhebliche (zukünftige) Vorteile handeln müsse.
Nach § 198 Abs. 8 Z 3 HGB seien in der Handelsbilanz Rückstellungen auch für "sonstige ungewisse Verbindlichkeiten" zu bilden. Zwar sei der Kaufmann aufgrund des handelsrechtlichen Vorsichtsprinzipes verpflichtet, unter anderem für ungewisse Verbindlichkeiten, die am Stichtag wahrscheinlich oder sicher, hinsichtlich der Höhe oder dem Zeitpunkt aber unbestimmt sind, eine Rückstellung zu bilden. Die bloße Möglichkeit einer Inanspruchnahme, also nur das Vorliegen eines Verpflichtungsgrundes, genüge für eine Rückstellung nicht. Mit der Inanspruchnahme müsse ernstlich zu rechnen sein. Die Rückstellungsbildung erfolge nur unter dem Aspekt einer periodengerechten Abgrenzung, weswegen der entsprechende Aufwand spätestens zum Bilanzstichtag wirtschaftlich verursacht sein müsse. Das sei beim Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters vor Beendigung des Vertragsverhältnisses gar nicht möglich, weshalb eine handelsrechtliche Pflicht zur Bildung einer Rückstellung für den Ausgleichsanspruch zu verneinen sei.
In der Steuerbilanz müssten Rückstellungen für künftige Ausgaben, die ursächlich mit einem abgelaufenen Wirtschaftsjahr in Zusammenhang stehen, gebildet werden. Wesentliche Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung sei, dass mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit ein Aufwand drohe, der wirtschaftlich den bis zum Bilanzstichtag vorangegangenen Zeitraum betreffe und erst nach dem Bilanzstichtag zu Ausgaben führe. Genau diese Voraussetzungen erfülle der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreter jedoch nicht. Der Zeitpunkt des Anspruchentstehung könne nicht in Wirtschaftsperioden projiziert werden, in denen das Vertragsverhältnis mit dem Handelsvertreter noch aufrecht sei. Der Anspruch sei eindeutig Perioden nach Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses zuzuordnen.
Bezugnehmend auf das in der Berufung angeführte Fachgutachten werde bemerkt, dass dem Versuch, den Ausgleichsanspruch nach § 24 HVertrG 1993 als einen dem Abfertigungsanspruch im Sinne der §§ 23 und 23a AngG angenäherten Anspruch darzustellen, nicht zugestimmt werden könne. Schon die völlig unterschiedliche Grundkonzeption der Anspruchsentstehung stehe dem entgegen. Der Abfertigungsanspruch sei ein besonderes Entgelt, das auf Gesichtspunkte wie Betriebstreue, Versorgungs- und Überbrückungshilfe zurückzuführen sei. Soziale Gesichtspunkte stünden im Vordergrund. Die Anwartschaftsrechte auf diesen Anspruch würden bereits im Laufe des Arbeitsverhältnisses erworben. Der Ausgleichsanspruch stelle hingegen einen Wertausgleich für entgehende zukünftige Provisionen, eine dem Unternehmer gesetzlich auferlegte Gegenleistungspflicht dar und sei nicht als "Sozialschutz" des Handelsvertreters aufzufassen. Zu bedenken sei, dass sich mit Geschäftsherrn und Handelsvertreter zwei selbständige Unternehmer gegenüberstünden. Der Ausgleich solle weder eine fehlende Altersversorgung noch eine Leistungs- bzw. Treueprämie für den verdienstvollen Vertreter darstellen. Eine analoge Anwendung der Bestimmungen über den arbeitsrechtlichen Abfertigungsanspruch auf den Ausgleichsanspruch sei daher aufgrund der unterschiedlichen Grundkonzeption der Ansprüche nicht möglich.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:
Bei der Verbindlichkeitsrückstellung handelt es sich um ein Gewinnkorrektivum, welches steuerrechtlich in der Höhe anerkannt wird, in der der Erfolg des betreffenden Wirtschaftsjahres voraussichtlich mit künftigen Ausgaben belastet wird. Voraussetzung einer steuerrechtlich anzuerkennenden Rückstellung ist stets, dass ein die Vergangenheit betreffender Aufwand bestimmter Art ernsthaft droht. Die wirtschaftliche Verursachung muss im Abschlussjahr gelegen sein. Einer wirtschaftlichen Verursachung in der Vergangenheit steht entgegen, wenn die Verpflichtung mit den dem Unternehmer erst in der Zukunft erwachsenden Vorteilen verknüpft ist (vgl. beispielsweise die hg. Erkenntnisse vom 28. November 2000, 96/14/0067, und vom 27. November 2001, 2001/14/0081).
Wie der Verwaltungsgerichtshof in dem vorzitierten Erkenntnis 2001/14/0081 dargelegt hat, liegt beim Ausgleichsanspruch, der sich aus dem mit 1. März 1993 in Kraft getretenen § 24 Abs 1 HVertrG 1993 ergibt, die wirtschaftliche Verursachung nicht in der Vergangenheit, sondern in der Zukunft, weil der Zusammenhang mit künftigen Erträgen des Unternehmers gegeben ist. Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters hängt nämlich davon ab, dass der Unternehmer mit hoher Wahrscheinlichkeit nach Beendigung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile aus den Geschäftsverbindungen mit den vom Handelsvertreter geworbenen Kunden erzielen wird. Der Ausgleichsanspruch nach § 24 HVertrG 1993 unterscheidet sich somit seinem in den Anspruchsvoraussetzungen zum Ausdruck kommenden rechtlichen Charakter nach grundsätzlich von Abfertigungsansprüchen nach §23a AngG, deren wirtschaftliche Verursachung in der Vergangenheit liegt.
Soweit die Beschwerdeführerin vorbringt, die Bildung von Rückstellungen für den Ausgleichsanspruch gemäß § 24 HVertrG 1993 sei handelsrechtlich geboten, wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die Begründung des hg. Erkenntnisses 2001/14/0081 verwiesen. Wie der Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis hinsichtlich der Rückstellungsbildung für den Fall der Gewinnermittlung nach § 5 Abs. 1 EStG ausgesprochen hat, ergibt sich aus der die Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen berücksichtigenden Auslegung des § 4 Abs. 1 EStG iVm § 6 EStG die zwingende einkommensteuerrechtliche Regelung, dass im Betriebsvermögen, welches für die steuerliche Gewinnermittlung maßgebend ist, nur solche negative Wirtschaftsgüter berücksichtigt werden dürfen, die mit einer Belastung des Steuerpflichtigen verbunden sind und ihre wirtschaftliche Verursachung vor dem Bilanzstichtag haben (vgl. auch Hofstätter/Reichel, EStG 1988, Tz 28ff zu § 9).
Aus dem Gesagten folgt, dass die belangte Behörde die Bildung einer Verbindlichkeitsrückstellung für den Ausgleichsanspruch nach § 24 HVertrG 1993 daher zu Recht ausgeschlossen hat.
Die Beschwerde erweist sich sohin als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 18. Dezember 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1998150177.X00Im RIS seit
08.05.2002