TE Vwgh Erkenntnis 2001/12/19 98/20/0242

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Veröffentlicht am 19.12.2001
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Strohmayer, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Weiss, über die Beschwerde des W in L, geboren am 10. Oktober 1964, vertreten durch Mag. Wilhelm Bergthaler, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Landstraße 12, gegen Spruchpunkt 1. des Bescheides des unabhängigen Bundesasylsenates vom 23. Jänner 1998, Zl. 200.175/0-V/14/98, betreffend § 7 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird im Umfang der Anfechtung (Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- (EUR 908,41) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Liberia, reiste am 26. Juni 1996 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 30. Juli 1996 Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 27. August 1996 gab er an, sein Vater sei um den 15. März 1996 erschossen worden. Der Beschwerdeführer wisse nicht, wer ihn getötet habe. Er habe aber gesehen, wie Leute in seinem Heimatdorf getötet worden seien. Es seien junge Burschen in das Dorf gekommen und hätten sich genommen, was sie gewollt hätten. Dabei seien die Dorfbewohner verwundet oder getötet worden. Der Beschwerdeführer habe dies nicht ansehen können und aus diesem Grund Ende Mai 1996 das Dorf und in der Folge Liberia verlassen. Auf die Frage, ob er "weitere asylrelevante Gründe" habe, antwortete der Beschwerdeführer, er habe Sportveranstaltungen geliebt und diese organisiert. Aus diesem Grund habe man seiner "von Seiten der Rebellen habhaft werden" wollen. Auf die Frage, welche Rebellen dies gewesen seien, erwiderte der Beschwerdeführer, ein Freund habe ihm gesagt, dass es sich um Rebellen handle. Mehr könne er dazu nicht angeben. In die Heimatregion des Beschwerdeführers seien zwar schon vor ca. zwei Jahren Soldaten bzw. Rebellen gekommen, diese seien aber wieder weggegangen. "Jetzt" sei versucht worden, die Leute aus diesem Gebiet zu vertreiben, "um sich selbst niederzulassen". Der Beschwerdeführer könne nicht genau sagen, wer dies versucht habe. Er sei aber sicher, dass der "Chef" dieser Personen "C. Taylor" sei.

Mit Bescheid vom 28. August 1996 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 ab. Es stellte das Vorbringen des Beschwerdeführers dar und traf "auf Grund des amtswegigen Ermittlungsverfahrens im Zusammenhalt mit Ihren Angaben" - aber ohne Ausführungen zur Beweiswürdigung - "folgende Feststellungen" zum Sachverhalt:

"Sie verließen Ihre Heimat auf Grund des dortigen Bürgerkrieges bzw. dessen Auswirkungen. Sie reisten über Guinea und dem Senegal in Richtung Slowenien. Von Slowenien gelangten Sie am 26.06.1996 an einen Ihnen unbekannten Grenzübergang illegal nach Österreich."

In rechtlicher Hinsicht leitete das Bundesasylamt daraus ab, der Beschwerdeführer sei nicht Flüchtling. Dies wurde im Wesentlichen darauf gestützt, dass der Beschwerdeführer nur allgemeine Bürgerkriegsgefahren geltend gemacht habe. Auf die Annahme ausreichenden Schutzes durch den Heimatstaat des Beschwerdeführers gründete sich die Entscheidung nicht. Die Abweisung des Antrages wurde außerdem noch auf den Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z 3 des Asylgesetzes 1991 gestützt.

In seiner Berufung gegen diese Entscheidung wiederholte der Beschwerdeführer zunächst sein erstinstanzliches Vorbringen. Daran anschließend brachte er aber vor, die "Rebellen", die in sein Dorf gekommen seien, hätten ihn aufgefordert, sich ihnen anzuschließen. Da der Beschwerdeführer ein guter Sportler sei und auch verschiedene Sportveranstaltungen organisiert habe, sei er "den Rebellen wohl besonders wertvoll" erschienen. Er habe sich aber geweigert, sich ihnen anzuschließen, nicht zuletzt auf Grund des Einflusses seines Vaters. Um den Beschwerdeführer leichter beeinflussen zu können, hätten die Rebellen seinen Vater umgebracht. Für den Beschwerdeführer sei das aber ein Grund mehr gewesen, sich ihnen nicht anzuschließen. Wenn er in die Dienste der Rebellen getreten wäre, dann hätte er lernen müssen, zu morden. Das könne er mit seinem Gewissen nicht vereinbaren. Wäre er in Liberia geblieben und hätte er sich weiterhin geweigert, sich den Rebellen anzuschließen, so hätte ihn diese mit Sicherheit umgebracht. Die Tatsache, dass die Rebellentruppen ihn auf Grund seiner speziellen Fähigkeiten, d.h. auf Grund seines Organisationstalentes, dazu zu zwingen versucht hätten, sich ihnen anzuschließen, sei keine allgemeine Folge des Bürgerkrieges. Der Beschwerdeführer weigere sich entschieden, in die Dienste der Rebellen zu treten. Dafür müsste er mit Sicherheit mit seinem Leben bezahlen. Diese Bedrohung betreffe ihn auf Grund seiner individuellen Fähigkeiten und auf Grund seines persönlichen Wertes für die Rebellen.

Mit Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt 2. betraf einen auf § 8 des Asylgesetzes 1991 gestützten Antrag des Beschwerdeführers). In den Erwägungen, auf die sie diese Entscheidung stützte, führte die belangte Behörde zunächst Folgendes aus:

"Da in der Berufung keine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens geltend gemacht wird und weder eine solche, noch ein anderer Grund für eine Ergänzung oder Wiederholung dieses Ermittlungsverfahrens aus der vorliegenden Aktenlage ersichtlich ist, wird der Entscheidung der von der Erstbehörde festgestellte Sachverhalt zugrunde gelegt."

Dem folgte nach allgemein gehaltenen Ausführungen über den Flüchtlingsbegriff folgende Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers:

"Tragende Begründung für die Flucht des Asylwerbers aus seinem Heimatland war nach seinen Angaben bei der niederschriftlichen Befragung vom 27. August 1996 und seinen Berufungsausführungen die Sorge, dass ihn die Rebellentruppen auf Grund seiner 'speziellen Fähigkeiten', insbesondere wegen seines 'Organisationstalentes' dazu zwingen könnten, sich ihnen anzuschließen. Da er sich entschieden geweigert hätte, in die Dienste der Rebellen zu treten, fürchte er um sein Leben.

Bei diesem Vorbringen handelt es sich aber lediglich um subjektiv empfundene Furcht vor Verfolgung. Anhaltspunkte für konkrete, gegen ihn gerichtete oder geplante Verfolgungshandlungen wurden vom Asylwerber nicht vorgebracht. Die begründete Furcht vor Verfolgung liegt - wie oben dargestellt - aber nur dann vor, wenn objektiverweise eine Person in der individuellen Situation des Asylwerbers Grund hat, eine Verfolgung zu befürchten.

Bringt er durch sein Vorbringen zum Ausdruck, dass ihm auf Grund der Weigerung, in die Dienste der Rebellen einzutreten, von diesen eine andere politische Gesinnung unterstellt werde und er aus diesem Grunde verfolgt werden könnte, wäre dieses Vorbringen asylrechtlich nur dann relevant, wenn sein Heimatstaat i.S.d. oben zitierten Judikates nicht in der Lage bzw. nicht gewillt gewesen wäre, diese von den Rebellen ausgehenden Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Der Asylwerber hat aber weder behauptet noch ist hervorgekommen, dass er auch nur versucht hätte, sich unter staatlichen Schutz zu stellen.

Vielmehr deutet sein Vorbringen insgesamt darauf hin, dass er auf Grund der immer wiederkehrenden gewaltsamen Vorfälle im Dorf durch einzelne Rebellen es bevorzugt habe, sein Heimatland zu verlassen. Es handelt sich bei den geschilderten Übergriffen aber um allgemeine Erscheinungen eines Bürgerkrieges, die nicht als asylrechtlich relevant angesehen werden können.

Dazu kommt, dass die Verfolgungsgefahr aktuell sein muss. Auch dafür bietet sich nach dem Vorbringen des Asylwerbers kein konkreter Anhaltspunkt. Zwar behauptet er (erstmals in der Berufung), die Rebellen hätten seinen Vater erschossen, um ihn leichter beeinflussen zu können. Dies wäre nach seinen Angaben um den 15. März 1996 passiert. Seine Flucht erfolgte aber erst im Mai 1996, ohne dass zu diesem Zeitpunkt ein konkreter aktueller Anlass erkennbar wäre. Ein aktueller Zusammenhang zwischen dem Tod seines Vaters und der Flucht des Asylwerbers ist daher nicht anzunehmen, da er auf Grund des dargelegten Sachverhaltes nicht glaubhaft machen konnte, dass er in dieser Zeit Verfolgungshandlungen durch die Rebellen ausgesetzt gewesen sei."

Gegen diesen Bescheid - den Beschwerdeausführungen zufolge nur gegen dessen Spruchpunkt 1. - richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde führt in der Begründung des angefochtenen Bescheides einerseits aus, sie lege ihrer Entscheidung die - sehr allgemein gehaltenen und auf das Berufungsvorbringen naturgemäß nicht Bedacht nehmenden - Sachverhaltsfeststellungen der Erstbehörde zugrunde, scheint sich andererseits aber auch mit dem (offenbar als glaubwürdig unterstellten) Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers auseinander setzen zu wollen. Geht man mit der belangten Behörde davon aus, dieses Vorbringen habe u.a. die Gefahr einer Verfolgung wegen der Unterstellung einer abweichenden politischen Gesinnung durch die "Rebellen" zum Ausdruck gebracht, so kann die Ansicht der belangten Behörde, diese Gefahr könne nicht zur Asylgewährung führen, unter den von der belangten Behörde herangezogenen Gesichtspunkten nur geteilt werden, wenn die Annahme, der Beschwerdeführer hätte bei "staatlichen Stellen" Schutz finden können, in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden wäre. Dass eine Person in der vom Beschwerdeführer behaupteten Lage keinen Grund gehabt habe, sich vor Verfolgung zu fürchten, dass eine solche Verfolgung auch dann, wenn sie wegen einer unterstellten politischen Gesinnung erfolgt wäre, als "allgemeine Erscheinung eines Bürgerkrieges" und somit "nicht als asylrechtlich relevant" anzusehen wäre und der behauptete Tod des Vaters des Beschwerdeführers als Anlass zur Flucht im Mai 1996 nicht mehr "aktuell" gewesen sei, sind gedanklich nicht nachvollziehbare Elemente in der Begründung des angefochtenen Bescheides.

Die Ansicht, der Beschwerdeführer hätte sich ausgehend davon, dass ihm - wie in der Beschwerde auch ausdrücklich geltend gemacht wird - eine Verfolgung wegen einer ihm unterstellten den Rebellen feindlichen Gesinnung drohte, mit Aussicht auf Erfolg an "staatliche Stellen" wenden können, wird im angefochtenen Bescheid nur dahingehend artikuliert, dass der Beschwerdeführer Gegenteiliges "weder behauptet" habe, noch "hervorgekommen" sei, dass er "auch nur versucht hätte, sich unter staatlichen Schutz zu stellen". Diese Formulierung lässt vor dem Hintergrund des allgemein bekannten Ausganges des Bürgerkrieges in Liberia, nämlich der Machtergreifung gerade des vom Beschwerdeführer genannten Anführers der "Rebellen", auch in Verbindung mit dem "von der Erstbehörde festgestellten Sachverhalt" nicht erkennen, dass und aus welchen Gründen die belangte Behörde der Meinung war, die von Charles Taylor bekämpfte Regierung wäre nach dem damaligen Stand der Bürgerkriegsauseinandersetzung willens und in der Lage gewesen, den Beschwerdeführer vor der behaupteten Bedrohung zu schützen. Feststellungen über dieses mit dem Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren nicht erörterte Thema wären im Übrigen - unter Einbeziehung der in weiterer Folge eingetretenen Entwicklung im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers und erforderlichenfalls in Verbindung mit Ausführungen zur Glaubwürdigkeit vor allem seiner erstmals im Berufungsverfahren erhobenen Behauptungen - nach Durchführung der im Gesetz vorgeschriebenen mündlichen Berufungsverhandlung zu treffen gewesen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 19. Dezember 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1998200242.X00

Im RIS seit

12.03.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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