TE Vwgh Erkenntnis 2001/12/19 2000/20/0369

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Veröffentlicht am 19.12.2001
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Weiss, über die Beschwerde des M in P, geboren am 18. September 1962, vertreten durch Dr. Benedikt Spiegelfeld, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Parkring 2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 20. Juni 2000, Zl. 209.823/0- VIII/22/99, betreffend Abweisung eines Asylantrages gemäß § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- (EUR 908,41) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Iran, kam auf dem Luftwege am 11. November 1996 nach Österreich und beantragte Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt gab der Beschwerdeführer am 18. November 1996 an, er habe den Iran verlassen, weil man in diesem Land keinen Wert auf Künstler lege. Er habe oft bis 4.00 Uhr morgens gearbeitet und nur einen geringen Lohn erhalten. Er sei nach Österreich in der Hoffnung gekommen, dass Künstler in diesem Land mehr geschätzt würden als im Iran.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 27. November 1996 diesen Asylantrag gemäß § 3 AsylG 1991 ab.

In der dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, er habe im Iran in den Achzigerjahren mit den Volksmudjaheddin zusammengearbeitet. Er sei in der Folge verhaftet und verhört worden und habe durch Schläge eine seiner Nieren verloren. Nach fünf Jahren Haft und Verbüßen von 60 Peitschenhieben sei er endlich aus der Haft entlassen worden. Schließlich habe er heiraten können. Das Vorbringen über die Zugehörigkeit zu den Mudjaheddin erstatte er erst jetzt, weil er Angst gehabt habe, dass bewaffnete Mudjaheddin gemeinsam mit der österreichischen Polizei in das Flüchtlingslager kommen könnten und er sich später im Irak einer Ausbildung zum Terroristen unterziehen müsste. Er habe den Iran nicht aus wirtschaftlichen Gründen verlassen, sondern wegen seiner politischen Probleme. Bei seiner Rückkehr würde er mit großer Wahrscheinlichkeit hingerichtet werden.

In der mündlichen Berufungsverhandlung vor der gemäß § 44 AsylG zuständig gewordenen belangten Behörde am 3. November 1999 brachte der Beschwerdeführer vor, er sei seit 1983 fünf Jahre lang beim Militär gewesen und habe auch in dieser Zeit die Zusammenarbeit mit den Volksmudjaheddin fortgesetzt. Von 1988 bis 1993 sei er wegen des Verrats militärischer Geheimnisse in Haft gewesen. Im Gefängnis sei er misshandelt worden und habe seine Vorderzähne und eine Niere verloren. Mittlerweile habe er sich geistig von den Volksmudjaheddin entfernt und stehe seit Jahren nicht mehr mit ihnen in Kontakt. Nunmehr werde ihm wegen seiner Äußerungen gegen die Mujaheddin sogar nachgesagt, mit der islamischen Republik zusammenzuarbeiten.

Auf die Frage, was mit dem Beschwerdeführer geschehen würde, wenn er in den Iran zurückkehrte, gab der Beschwerdeführer an, es bestehe seit längerer Zeit eine Distanz zum Islam. Er glaube jetzt an Jesus Christus. Er habe das nicht erwähnen wollen, weil er nicht den Eindruck habe erwecken wollen, dass er hiermit eine positive Entscheidung bewirken wolle. Er glaube, dass man nur durch Jesus Christus gerettet werde. Er sei auch getauft worden und habe eine Taufbestätigung, damit er bei der amerikanischen Botschaft für die Auswanderung einen Antrag stellen könne. Das habe er aber noch nicht gemacht. Der Beschwerdeführer legte eine Taufbestätigung der evangelischen Pfarrgemeinde A.B. Mistelbach vom 30. August 1999 sowie eine Bestätigung der Bezirkshauptmannschaft Mistelbach vom 18. Dezember 1998 über seinen Austritt aus der islamischen Religionsgemeinschaft vor.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 7 AsylG ab.

Die belangte Behörde stellte fest, dass der Beschwerdeführer während seines Militärdienstes wegen des Verrates militärischer Geheimnisse zu fünf Jahren Haft und 60 Peitschenhieben bedingt verurteilt worden sei. Er habe anschließend seinen Militärdienst fortgesetzt, von dem er desertiert sei. Hierauf sei er als Händler tätig gewesen und habe sich 1992 verehelicht. Im November 1996 sei er unter Verwendung eines echten iranischen Reisepasses legal auf dem Luftwege nach Österreich eingereist. Am 31. Mai 1997 sei er - unter Fremdeinwirkung - vom Zug überrollt worden. Darauf habe ihm der linke Unterschenkel amputiert werden müssen. In Österreich sei der Beschwerdeführer mit dem Christentum in Berührung gekommen und am 4. Juli 1999 in der evangelischen Pfarrgemeinde AB Mistelbach getauft worden. Er habe sodann Kontakte zu evangelikalen freikirchlichen Gemeinden in Wien gepflegt.

Zur Situation der Christen im Iran gelangte die belangte Behörde unter Heranziehung einer aus unterschiedlichen Exzerpten bestehenden Dokumentation "Zur Verfolgung vom Islam Abgefallener" zusammenfassend zur Feststellung, dass es bei der Verfolgung der vom Islam abgefallenen Personen im Iran maßgeblich darauf ankomme, ob die Konversion nach Ansicht der iranischen Behörden einen politischen Charakter aufweise. Eine private Konversion, die keine Öffentlichkeitswirksamkeit entfalte, werde von den iranischen Behörden mitunter stillschweigend geduldet. Missionarisch tätige Konvertiten seien hingegen im besonderen Maße gefährdet, wegen Apostasie zu einer hohen Freiheitsstrafe oder sogar zum Tode verurteilt zu werden. Die Verfolgungsmaßnahmen richteten sich bisher ganz überwiegen gezielt gegen die Kirchenführer und die in der Öffentlichkeit besonders aktiven, nicht aber gegen einfache Gemeindemitglieder. Es seien Fälle bekannt, in denen konvertierte Moslems problemlos im Iran leben könnten, wohingegen in anderen Fällen Konvertiten hart bestraft würden. Es spiele jedenfalls keine Rolle, ob der Betreffende erst im Ausland Mitglied einer christlichen Gemeinde geworden sei. Der Abfall vom Glauben habe neben der rein religiösen eine vorrangige politische Dimension, die ihm erst die Todeswürdigkeit verleihe. Man finde im Iran Personen, die vom Islam zum Christentum übergetreten seien und an religiösen Aktivitäten teilnehmen würden, ohne dass die iranischen Behörden einschritten. Ein im Ausland vollzogener Glaubensübertritt werde im Iran als "technische", auf die Asylanerkennung ausgerichtete Handlung angesehen, sodass der Betreffende, wenn er in seine Heimat zurückgeschickt werde, nicht Gefahr laufe, ernsthaft beeinträchtigt zu werden. Die im Iran weit verbreitete Praxis der "Taqieh", nach der die Täuschung zur Erreichung eines Zwecks erlaubt sei, zeige sich sehr großzügig gegenüber Verhaltensweisen, die z.B. bezweckten, in einem westlichen Land Asyl zu bekommen.

In der Beweiswürdigung verwies die belangte Behörde insbesondere darauf, dass der Beschwerdeführer sein Vorbringen nach seiner erstinstanzlichen Einvernahme komplett ausgewechselt habe. Der Beschwerdeführer habe persönlich keinen "sehr" glaubwürdigen Eindruck gemacht. "Äußerst glaubwürdig" seien hingegen die (auch geistige) Abwendung von den Volksmudjaheddin und die Hinwendung zum Christentum vorgebracht worden.

Hinsichtlich der allfälligen Verfolgung vom Islam abgefallener Personen gehe die belangte Behörde von der erwähnten Dokumentation aus, in der die Originalquellen zitiert worden seien und denen der Beschwerdeführer nicht grundsätzlich widersprochen habe.

In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, dass ein Verrat militärischer Geheimnisse auch in Österreich und anderen demokratischen Rechtsstaaten strafbar sei und der Beschwerdeführer die dafür erhaltene Haftstrafe bereits verbüßt habe und deswegen keine Verfolgung mehr befürchten müsse. Dies zeige seine Heirat im Jahre 1992 und insbesondere seine legale Ausreise.

Hinsichtlich des Übertritts des Beschwerdeführers zum Christentum hielt die belangte Behörde fest, dass der Beschwerdeführer im Iran keine Kontakte zu christlichen Kirchen gehabt habe. Es sei daher der "in dem bereits mehrmals genannten Dokument" gezogene Schluss zu wiederholen, dass (von den iranischen Behörden) ein im Ausland vollzogener Glaubensübertritt als "technische", auf die Asylanerkennung ausgerichtete Handlung gesehen werde, sodass der Betreffende, wenn er in sein Heimatland zurückgeschickt würde, nicht Gefahr laufe, ernsthaft beeinträchtigt zu werden (möge das Christentum durchaus auch einer inneren Überzeugung des Beschwerdeführers entsprechen).

Die Taufe und die durchaus glaubwürdig erscheinende religiöse Betätigung des Beschwerdeführers in Österreich sei den iranischen Behörden nicht mit maßgebender Wahrscheinlichkeit bekannt geworden. Es gebe auch keinen vernünftigen Grund dafür, dass die iranischen Behörden ernsthaft bestrebt seien, den Glaubenswechsel und die religiöse Betätigung des schon seit Jahren in Österreich lebenden Beschwerdeführers in Erfahrung zu bringen. Dem Beschwerdeführer drohe daher bei einer allfälligen Rückkehr in den Iran nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der Beschwerdeführer macht insbesondere geltend, bei einer Rückkehr in den Iran könnte er wegen seines Abfalles vom Islam verfolgt und womöglich hingerichtet werden. Der Religionswechsel stelle eine zusätzliche Gefahr der Verfolgung durch die Behörden im Iran dar. Wie sich aus dem Schreiben des Deutschen Orientinstituts ergebe, gebe es im Iran zwar kein staatliches Gesetz, welches den Abfall vom Islam ausdrücklich mit Strafe bedrohe, nach der islamischen Rechtslehre bestehe jedoch kein Zweifel an der Todeswürdigkeit der Apostasie. Ein Konvertit könne daher auf Grund der im Iran geltenden Rechtslage jederzeit zum Tode verurteilt werden. Schon allein dieser Umstand stelle eine unglaubliche psychische Belastung für den Beschwerdeführer dar. Man könne dem Beschwerdeführer außerdem nicht zumuten, sein religiöses Bekenntnis im Iran geheim zu halten oder gar sich zum Islam zu bekennen. Der Beschwerdeführer habe sich erst nach eingehendem Studium der Bibel und der christlichen Lehre entschlossen, sich zum Christentum zu bekehren. Dieser Übertritt habe nichts mit dem Bestreben des Beschwerdeführers, als Flüchtling anerkannt zu werden, zu tun.

Im angefochtenen Bescheid verneinte die belangte Behörde eine aus der früheren Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zu den Volksmudjaheddin resultierende Verfolgung und folgte im Übrigen dem Vorbringen des Beschwerdeführers über den Wechsel seiner Religionszugehörigkeit. Die demnach (allein) verbleibende Tatsache des (bloßen) Glaubensübertrittes zum Christentum erachtet die belangte Behörde - unter Berufung auf die erwähnten Länderberichte - für nicht ausreichend, um eine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zu begründen.

Das von der belangten Behörde ihrer Entscheidung u.a. zu Grunde gelegte Exzerpt "Zur Verfolgung vom Islam Abgefallener" stellt jedoch, wie nicht zuletzt eine Gegenüberstellung mit den "Volltexten" dieser Länderberichte zeigt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Oktober 2001, Zl. 99/20/0550), die Verfolgungsgefahr für zum christlichen Glauben konvertierte Muslime bei Rückkehr in den Iran verkürzt, und damit den Tatsachen nicht gerecht werdend, dar. Indem die belangte Behörde daraus die Schlussfolgerung zog, der bloße Glaubensübertritt vom Islam zum Christentum führe bei Rückkehr in den Iran noch zu keiner Verfolgung, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit einem wesentlichen Verfahrensmangel (vgl. dazu und zur Maßgeblichkeit einer von den staatlichen Organen des Iran unterstellten Missionierungsabsicht das zitierte Erkenntnis vom 24. Oktober 2001).

Schließlich vertritt die belangte Behörde die Auffassung, der Beschwerdeführer habe selbst bei Bekanntwerden seiner in Österreich erfolgten Taufe nicht mit Bestrafung zu rechnen, weil sich der Iran bezüglich der weit verbreiteten Praxis des "Taqieh", nach der die Täuschung zur Erreichung eines Zwecks erlaubt sei, sehr großzügig zeige.

Mit diesem Argument unterstellt die belangte Behörde, dass der Beschwerdeführer bereit sei, auf die Ausübung seiner christlichen Religion zu verzichten und sich im Sinne des von der belangten Behörde u.a. herangezogenen Botschaftsberichtes vom 21. April 1999 "reuig" wieder zum Islam zu bekennen. Der Beschwerdeführer hat aber nicht behauptet, im Falle seiner Rückkehr in den Iran wieder zum Islam übertreten zu wollen und dessen ungeachtet Strafe zu befürchten. Die belangte Behörde geht auch nicht davon aus, dass der Beschwerdeführer nur zum Schein konvertiert sei. Vor dem Hintergrund des vorliegenden Asylansuchens kommt es daher nicht auf die Frage an, welche Konsequenzen der Beschwerdeführer wegen einer bloß vorübergehenden, der Asylerlangung dienenden Annahme des christlichen Glaubens zu befürchten hätte. Vielmehr ist maßgeblich, ob er bei weiterer Ausführung seines behaupteten inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion belegt zu werden (vgl. nochmals das zitierte Erkenntnis vom 24. Oktober 2001).

Da die belangte Behörde somit, abgesehen von den ihr unterlaufenen Verfahrensfehlern, jedenfalls in Bezug auf den letztgenannten Umstand die Rechtslage verkannte, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 19. Dezember 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:2000200369.X00

Im RIS seit

12.03.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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