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63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz;Norm
BDG 1979 §14 Abs1 idF 1995/820;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Germ und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Julcher, über die Beschwerde der M in W, vertreten durch Riedl und Ringhofer, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Franz Josefs Kai 5, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur vom 2. Februar 2001, Zl. 2282/4-Pr/1/2000, betreffend Abweisung eines Antrages auf Versetzung in den Ruhestand (§ 14 BDG 1979), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die 1947 geborene Beschwerdeführerin steht als Amtsdirektorin mit dem Titel einer Regierungsrätin in einem öffentlichrechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Ihre Dienststelle ist das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur.
Mit Schreiben vom 29. Mai 2000 an die belangte Behörde beantragte sie "aus gesundheitlichen Gründen" die Versetzung in den dauernden Ruhestand. In dem beiliegenden, von der Beschwerdeführerin ausgefüllten, (formularmäßigen) Fragebogen zur Feststellung der Dienst-/Erwerbsunfähigkeit gab sie (zusammengefasst) an, mit Bescheid des Bundessozialamtes für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 12. Jänner 1999 sei eine Behinderung in Höhe von 70 v. H. festgestellt worden. Auf Grund der Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes fühle sie sich weder dauernd erwerbs- noch dienstfähig. Sie halte sich seit Mitte 1999 für dienstunfähig. Weiters wird auf Kuraufenthalte in den Jahren 1995 und 1996 hingewiesen sowie auf eine dauernde neurologische Behandlung sowie physikalische und diverse fachärztliche Behandlungen.
Mit Erledigung vom 13. Juni 2000 ersuchte die belangte Behörde das Bundespensionsamt unter Anschluss des vorerwähnten Fragenbogens, der Arbeitsplatzbeschreibung, des Urlaubs- und Krankheitsblattes und der vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen um die Erstellung eines Gutachtens.
Das Bundespensionsamt übermittelte dann mit Schreiben vom 19. Oktober 2000 der belangten Behörde das ärztliche Gutachten, in dem seitens des leitenden Arztes im Bundespensionsamt zusammenfassend Folgendes festgestellt wurde:
"Diagnose (nach Relevanz hinsichtlich Arbeitsfähigkeit)
1.
Neurotische Depression mit Somatisierungstendenz
2.
Diabetes mellitus medikamentös insuffizient eingestellt bei höhergradiger Adipositas mit der Erfordernis der Einhaltung eine entsprechenden Diabetesdiät und medikamentösen Therapie.
3. Hypertonie medikamentös insuffizient eingestellt auf Grund der Adipositas und mangelnder Kooperationsbereitschaft.
4. Cervikalsyndrom und Lumbalgie bei höhergradigen Aufbrauchserscheinungen der Wirbelsäule.
5. Schmerzhafte Funktionseinschränkung beider Kniegelenke bei mäßigen Aufbrauchserscheinungen (Knorpelschaden) der Kniegelenke."
Als Leistungskalkül wird in diesem Gutachten angegeben:
"Die Beamtin steht auf Grund einer neurotischen Depression mäßiggradiger Ausbildung in laufender psychiatrisch fachärztlicher Behandlung.
Der Antrieb ist im Normbereich, die Merkfähigkeit ungestört und die geistige Leistungsfähigkeit altersentsprechend.
Die im orthopädischen und chirurgischen Gutachten angeführte depressive Symptomatik konnte im höherwertigen neurologischen Gutachten nicht in diesem Ausmaß objektiviert werden. Von neurologischer Seite wäre die Beamtin im Stande, Arbeiten aller Schweregrade durchzuführen.
Es bestehen jedoch höhergradige Aufbrauchserscheinungen des Bewegungsapparates mit schmerzhafter Funktionseinschränkung beider Kniegelenke, der rechten Hüfte und der gesamten Wirbelsäule. Im Zusammenhang mit der psychischen Komponente erhalten diese Beschwerden allerdings einen erhöhten Krankheitswert (Somatisierungstendenz).
Es können jedoch leichte körperliche Tätigkeiten ständig im Sitzen, überwiegend auch im Stehen und Gehen, durchgeführt werden, das fallweise Heben, Tragen und Schieben von Gegenständen bis 5 kg ist zulässig. Zusätzliche Arbeitspausen sind nicht erforderlich. Überkopfarbeiten und andere Zwangshaltung sowie monotone Arbeitsabläufe sind zu meiden. Allgemein exponierte Lagen und höhenexponierte Lagen sind nicht zumutbar, das Besteigen einer Leiter oder anderer Steighilfen bis 2m ist jedoch möglich.
Generell sollten Arbeiten nur in geschlossenen Räumen durchgeführt werden. Leichte grob- und feinmotorische Arbeiten in wechselnder Arbeitshaltung sowie bildschirmunterstütztes Arbeiten (maximal 10 % der Arbeitszeit) sind möglich. Parteienverkehr und Kundenkontakt sind uneingeschränkt möglich. Das geistige Leistungsvermögen ist für mäßig schwierige bis schwierige Arbeiten geeignet, die psychische Belastbarkeit ist auf Grund der Hypertonie als durchschnittlich einzustufen.
Mit einer suffizienten medikamentösen Therapie und entsprechender Kooperationsbereitschaft von Seiten der Beamtin (Gewichtsreduktion und regelmäßige Medikamenteinnahme) ist eine Stabilisierung der allgemeinmedizinischen Defizite (Hypertonie, Diabetes) zumindestens möglich.
Mit einer medikamentösen und eventuell unterstützenden psychotherapeutische Behandlung ist eine Besserung der psychischen Komponente wahrscheinlich.
Bei den Aufbrauchserscheinungen des Achsenskeletts ist jedoch längerfristig mit einer Progredienz zu rechnen.
Zusammenfassend ist die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Referatsleiterin weiter zulässig. Allerdings sollte, um eine Stabilisierung nicht zu gefährden, das Arbeitsausmaß vorerst 1 Jahr auf die Hälfte reduziert werden."
Dem Amtsvortrag im Verwaltungsakt, mit dem der angefochtene Bescheid erlassen wurde, ist zu entnehmen, das ärztliche Sachverständigengutachten zur Leistungsfeststellung sei vom leitenden Arzt des Bundespensionsamtes zusammenfassend festgestellt worden und habe die weitere Zulässigkeit der zuletzt ausgeführten Tätigkeit als Referatsleiterin ergeben. Die beantragte Ruhestandsversetzung wäre daher negativ zu bescheiden.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 2. Februar 2001 gab die belangte Behörde dem Antrag der Beschwerdeführerin vom 29. Mai 2000 auf Versetzung in den Ruhestand wegen dauernder Dienstunfähigkeit gemäß § 14 Abs. 1, 3 und 4 BDG 1979, BGBl. Nr. 333, in der geltenden Fassung, nicht statt.
Die Begründung des angefochtenen Bescheides enthält einleitend einen Hinweis auf § 14 Abs. 1 und 3 BDG 1979, sodann wird das Ersuchen an das Bundespensionsamt um Erstellung eines ärztlichen Gutachtens über den Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin und die Übermittlung des ärztlichen Sachverständigengutachtens durch den leitenden Arzt des Bundespensionsamtes dargestellt. Nach einer wortwörtlichen Wiedergabe des "Leistungskalküls" in diesem Gutachten (siehe obige Sachverhaltsdarstellung) enthält der angefochtene Bescheid lediglich die Aussage, dass "in Berücksichtigung dieser für die Dienstbehörde ausschlaggebenden Feststellungen im ärztlichen Sachverständigengutachten" im Falle der Beschwerdeführerin keine dauernde Dienstunfähigkeit angenommen werden könne.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes bzw. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften begehrt wird.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf Ruhestandsversetzung nach § 14 BDG 1979 durch unrichtige Anwendung dieser Norm, sowie der Vorschriften über die Sachverhaltsermittlung, das Parteiengehör und die Bescheidbegründung verletzt. Als Rechtswidrigkeit des Inhaltes bringt sie im Wesentlichen vor, die belangte Behörde scheine der Meinung zu sein, was der leitende Arzt des Bundespensionsamtes liefere, sei für sie sakrosankt. Die Begründung des angefochtenen Bescheides enthalte keinerlei Beweiswürdigung. Der belangten Behörde scheine nicht aufgefallen zu sein, dass sich ihr Gutachter seinerseits nur auf ein neurologisches Gutachten berufe, ein psychiatrisches Gutachten scheine gar nicht eingeholt worden zu sein. Es falle in den Bereich der Lebenserfahrung und des Allgemeinwissens, dass Depressionen nicht der neurologischen, sondern der psychiatrischen Sphäre zuzuordnen seien. Da die Bescheidbegründung nicht auch nur den geringsten Anhaltspunkt dafür enthalte, dass sich die belangte Behörde ihrer Verpflichtung bewusst gewesen wäre, auch im Falle des Vorliegens eines Gutachtens eine Beweiswürdigung durchzuführen, insbesondere dadurch, dass das Gutachten auf seine inner Schlüssigkeit überprüft und mit den anderen Beweismitteln sowohl nach den Gesichtspunkten der Wiederspruchsfreiheit wie auch der Schlüssigkeit untersucht werde, sei von einer grundsätzlichen Verkennung der Rechtslage durch die belangte Behörde hinsichtlich ihrer Aufgaben in einem derartigen Verfahren auszugehen.
Nach § 14 Abs. 1 BDG 1979, BGBl. Nr. 333, in der Fassung BGBl. Nr. 820/1995, ist der Beamte von Amts wegen oder auf seinen Antrag in den Ruhestand zu versetzen, wenn er dauernd dienstunfähig ist. Der Beamte ist nach Abs. 3 der genannten Bestimmung (Stammfassung) dienstunfähig, wenn er infolge seiner körperlichen oder geistigen Verfassung seine dienstlichen Aufgaben nicht erfüllen und ihm im Wirkungsbereich seiner Dienstbehörde kein mindestens gleichwertiger Arbeitsplatz zugewiesen werden kann, dessen Aufgaben er nach seiner körperlichen und geistigen Verfassung zu erfüllen im Stande ist und der ihm mit Rücksicht auf seine persönlichen, familiären und sozialen Verhältnisse billigerweise zugemutet werden kann.
Soweit die Beurteilung eines Rechtsbegriffes im Abs. 1 oder 3 von der Beantwortung von Fragen abhängt, die in das Gebiet ärztlichen oder berufskundlichen Fachwissens fallen, ist nach Abs. 4 der vorgenannten Bestimmung (in der Fassung des Art. I Z. 1 der 1. Dienstrechts-Novelle 1998, BGBl. I Nr. 123/1998) mit Wirkung ab 1. September 1998 vom Bundespensionsamt - ausgenommen für die der Post- und Telekom Austria AG zugewiesenen Beamten - Befund und Gutachten zu erstatten.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die "Dienstunfähigkeit" ein Rechtsbegriff, dessen Beurteilung der Dienstbehörde obliegt. Der Schluss auf die Dienstunfähigkeit ist aber nicht nur auf Grund ärztlicher Feststellungen, sondern - insbesondere bei habituellen Charaktereigenschaften bzw. bestimmten offenkundigen geistigen Mängeln - auch aus der Art der Dienstleistung selbst zulässig (siehe insbesondere das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 1997, Slg. N. F. Nr. 14.625/A, mwH).
Ausgehend vom ärztlichen Sachverständigengutachten hat die Dienstbehörde die Frage der Ruhestandsversetzung demnach wie folgt zu beurteilen:
Der Beamte ist dienstunfähig, wenn er infolge seiner körperlichen oder geistigen Verfassung seine dienstlichen Aufgaben nicht erfüllen kann (medizinischer Aspekt) und kein mindestens gleichwertiger Arbeitsplatz im Bereich seiner Dienstbehörde vorhanden ist, dessen Aufgabe der Beamte erfüllen kann und dessen Ausübung ihm billigerweise zugemutet werden kann (Vergleichsaspekt).
Daraus folgt - entsprechend der angegebenen Vorjudikatur - auch für den Beschwerdefall, dass die Frage der Dienstunfähigkeit unter konkreter Bezugnahme auf die dienstlichen Aufgaben am Arbeitsplatz bzw. die Möglichkeit der Zuweisung eines gleichwertigen Arbeitsplatzes zu lösen ist.
Die belangte Behörde hat der Beschwerdeführerin zu dem ärztlichen Gutachten des Bundespensionsmates kein Parteiengehör gewährt. Die Beschwerdeführerin hat mit der Beschwerde ein psychiatrisches Gutachten vorgelegt, nach dem sie nicht in der Lage sei, irgendeine Arbeit auszuüben. Bei den Akten des Verwaltungsverfahrens findet sich weiters ein von der belangten Behörde eingeholtes amtsärztliches Gutachten, vom 10. August 2001, das ebenfalls auf eine dauernde Dienstunfähigkeit der Beschwerdeführerin hindeutet. Es liegt damit eine relevante Verletzung des Partiengehörs vor; ein für die Beschwerdeführerin günstigeres Ergebnis ist nicht auszuschließen.
Sollten die Ausführungen der belangten Behörde im Übrigen so zu verstehen sein, dass für die Beurteilung der Dienstunfähigkeit der Beschwerdeführerin der Verweis auf das Leistungskalkül im Gutachten des Bundespensionsamtes ausreichend bzw. die darin enthaltene Feststellung der Dienstunfähigkeit für sie geradezu bindend sei, wäre diese Rechtsauffassung unzutreffend, weil die Funktion des Bundespensionsamtes nach § 14 Abs. 4 BDG 1979 auf die Erstattung von Befund und Gutachten beschränkt ist.
Der angefochtene Bescheid war demnach gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 19. Dezember 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:2001120069.X00Im RIS seit
15.03.2002