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27 RechtspflegeNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch unrichtige Zusammensetzung des erkennenden Senats der OBDK; Verstoß gegen die Übergangsbestimmungen zu der im Entscheidungszeitpunkt anzuwendenden GeschäftsverteilungSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Die Rechtsanwaltskammer Wien ist schuldig, dem Beschwerdeführer die mit S 18.000,- bestimmten Kosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Bescheid der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (OBDK) vom 17. März 1997 wurde der Berufung des Beschwerdeführers gegen einen Bescheid des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien nicht Folge gegeben. Der erstinstanzliche Bescheid wurde mit der Maßgabe einer Änderung des Spruchtextes bestätigt.
2. Gegen diesen Bescheid der OBDK richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, auf Vorhersehbarkeit der Straffolgen gemäß Art7 EMRK und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens (ohne einen in Verstoß geratenen Akt des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien) vorgelegt, auf die Erstattung einer Gegenschrift jedoch verzichtet.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird unter anderem dann verletzt, wenn eine unrichtig zusammengesetzte Kollegialbehörde entschieden hat (zB VfSlg. 11677/1988).
2. Der Beschwerdeführer behauptet, der angefochtene Bescheid verletze ihn unter anderem deshalb im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, weil die belangte Behörde unrichtig zusammengesetzt gewesen sei. Der Vorsitzende Dr. K und die Richterin Dr. K seien nicht Mitglieder des zuständigen Senates 3 der OBDK. Dies trifft zwar nicht zu, die Beschwerde ist jedoch aufgrund einer vom Beschwerdeführer nicht relevierten unrichtigen Zusammensetzung des erkennenden Kollegialorganes im Ergebnis berechtigt.
3.1. Gemäß §63 Abs1 des Disziplinarstatuts 1990 BGBl. 474 (DSt) verhandelt und entscheidet die OBDK in Senaten, die aus zwei Richtern und zwei Anwaltsrichtern bestehen. Nach §63 Abs3 DSt hat der Präsident der OBDK jeweils bis zum Jahresschluß für das folgende Kalenderjahr die Senate zu bilden und die Geschäfte auf sie zu verteilen.
3.2. Die Berufung fiel 1996 bei der OBDK an. Nach der Geschäftsverteilung für dieses Jahr war der Senat 3 zuständig, der sich aus dem Vorsitzenden Dr. H, Richter Dr. B und den Anwaltsrichtern Dr. B und Dr. M zusammensetzte. Mit Beschluß des Präsidenten der OBDK vom 9. Dezember 1996 wurde festgestellt, daß Dr. B befangen sei. Dr. M war mit 31. Mai 1996 aus der OBDK ausgeschieden.
Nach den "Allgemeinen Bestimmungen" der Geschäftsverteilung sollten für Dr. B und Dr. M Dr. S und Dr. T M eintreten. Da Dr. S wegen Krankheit verhindert war, waren Anwaltsrichter Dr. M und Dr. R, wobei Dr. M zum Berichterstatter bestellt wurde.
3.3. Der angefochtene Bescheid wurde am 17. März 1997 beschlossen. An diesem Tag war auch die Berufungsverhandlung abgehalten worden.
Pkt. 1. der Übergangsbestimmungen der Geschäftsverteilung für das Jahr 1997 lautet:
"Für die Erledigung der vor dem 1. Jänner 1997 angefallenen Akten ist der Senat, bei welchem sie angefallen sind, in der nach dieser Geschäftsverteilung geltenden Zusammensetzung zuständig. Gehört der bestellte Berichterstatter ab 1. Jänner 1997 einem anderen Senat an, so hat er den Akt dennoch in dem Senat vorzutragen, dem er zur Zeit seiner Bestellung angehört hat, wobei er an die Stelle des erstangeführten Anwaltsrichters tritt. Diese Regelung gilt sinngemäß auch für den Fall einer Änderung der Geschäftsverteilung während des Jahres 1997."
Nach der im März 1997 in Kraft stehenden Geschäftsverteilung für das Jahr 1997 war Vorsitzender des Senates 3 der OBDK Dr. K, Richterin Dr. K, Anwaltsrichter waren Dr. B und Dr. N. Der bereits bestellte Berichterstatter Dr. M gehörte dem Senat 3 wiederum nur als Ersatzmitglied an. Für diesen Fall trifft Pkt. 1 der Übergangsbestimmungen keine ausdrückliche Regelung; jedoch ist der zweite Satz - nach seinem Zweck - analog anzuwenden. Dieser Satz ist erkennbar von dem Bestreben getragen, einen Wechsel in der Person des Berichterstatters hintanzuhalten.
Dr. M trat sohin (zu Recht) an die Stelle des erstangeführten Anwaltsrichters Dr. B. Dr. N hat jedoch am Verfahren nicht teilgenommen, sondern Dr. R. Daß 1996 an die Stelle Dr. M Dr. R getreten war, rechtfertigt nicht, ihn nun auch anstelle Dr. N heranzuziehen. Das Einschreiten Dr. R anstelle Dr. N verstößt gegen Pkt. 1 der Übergangsbestimmungen zur Geschäftsverteilung für das Jahr 1997. Der Beschwerdeführer wurde sohin in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
4. Der Bescheid war daher aufzuheben. Bei diesem Ergebnis war auf das weitere Beschwerdevorbringen nicht mehr einzugehen.
5. Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 3.000,-
enthalten.
Schlagworte
Rechtsanwälte, Disziplinarrecht, Übergangsbestimmung, Kollegialbehörde, BehördenzusammensetzungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1999:B1655.1997Dokumentnummer
JFT_10009777_97B01655_2_00