TE Vfgh Erkenntnis 1999/2/23 V127/97

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Veröffentlicht am 23.02.1999
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Index

82 Gesundheitsrecht
82/03 Ärzte, sonstiges Sanitätspersonal

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verordnung
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art83 Abs2
SchilderO der Österr Ärztekammer vom 17.06.94 §6 Abs3
SchilderO der Österr Ärztekammer vom 17.06.94 §8 Abs1
ÄrzteG §29 Abs4

Leitsatz

Gesetzwidrigkeit einer Verordnungsbestimmung betreffend Erteilung einer Bewilligung durch die Landesärztekammer für die Anbringung von Hinweisschildern in Ausnahmefällen; keine gesetzliche Deckung zur Errichtung eines Bewilligungsregimes und Normierung von Zuständigkeiten für zusätzliche Ordinationstafeln; Bestimmungen über zusätzliche Tafeln hingegen im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers und ausreichend determiniert

Spruch

§8 Abs1 der Schilderordnung der Österreichischen Ärztekammer, beschlossen in der Vollversammlung am 17. Juni 1994, kundgemacht in der Österreichischen Ärztezeitung Nr. 20 vom 25. Oktober 1994 war gesetzwidrig.

Die Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales ist verpflichtet, diesen Ausspruch unverzüglich im Bundesgesetzblatt II kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verwaltungsgerichtshof ist zur Geschäftszahl 95/11/0401 eine Beschwerde gegen einen Bescheid der Ärztekammer für Steiermark anhängig, mit welchem dem Beschwerdeführer die Anbringung einer Hinweistafel für seine urologische Ordination untersagt wurde. Dem beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid liegen die Bestimmungen der §§6 Abs3 und 8 Abs1 der (in der Folge mit Beschluß der Vollversammlung vom 1. Dezember 1995 und Kundmachung vom 10. März 1996 neu erlassenen) Schildeordnung der Österreichischen Ärztekammer (im folgenden: "Schilderordnung") zugrunde, die am 17. Juni 1994 beschlossen und u nach Kenntnisnahme durch das Bundesministerium für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz als Aufsichtsbehörde gemäß §104 ÄrzteG 1984 u in der Österreichischen Ärztezeitung Nr. 20 vom 25. Oktober 1994 kundgemacht wurde.

2. §29 Abs4 des auf den Beschwerdefall anzuwendenden Ärztegesetzes 1984 lautet:

"(4) Die Art und Form, wie die Ordinationsstätte bezeichnet wird, darf allgemeinen (gemeint wohl: allgemeine) Interessen des Berufsstandes der Ärzte, insbesondere das Ansehen der Ärzteschaft, nicht beeinträchtigen. Die Österreichische Ärztekammer hat unter Bedachtnahme auf die allgemeinen Interessen des Berufsstandes der Ärzte, insbesondere das Ansehen der Ärzteschaft, nähere Vorschriften über die Art und Form der äußeren Bezeichnung der ärztlichen Ordinationen zu erlassen."

Die dem beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdefall zugrundeliegenden Bestimmungen der in Ausführung dieser Gesetzesbestimmung ergangenen Schilderordnung lauten:

"§6

...

(3) In Ausnahmefällen, insbesondere bei versteckt liegenden Ordinationen, können mit Bewilligung der zuständigen Landesärztekammer weitere Ordinationsschilder angebracht werden.

...

§8 (1) Unter den Voraussetzungen des §6 Abs3 kann von der zuständigen Landesärztekammer die Bewilligung zur Anbringung von Hinweisschildern in der ortsüblichen Form erteilt werden."

3.1. Der Verwaltungsgerichtshof ist aus Anlaß des bei ihm anhängigen Beschwerdeverfahrens mit Beschluß vom 5. August 1997 an den Verfassungsgerichtshof mit dem Antrag herangetreten, gemäß Art139 Abs1 und 4 B-VG auszusprechen, daß §8 Abs1 der Schilderordnung gesetzwidrig war.

Der Verwaltungsgerichtshof hegt gegen diese Bestimmung insbesondere das Bedenken, daß sie durch die Verordnungsermächtigung des §29 Abs4 ÄrzteG 1984 nicht gedeckt sei. Dies folge schon aus der Tatsache, daß §29 Abs4 ÄrzteG 1984 die Ärztekammer lediglich zur Erlassung näherer Bestimmungen über die "Art und Form" der äußeren Bezeichnung ärztlicher Ordinationen, nicht aber zur Normierung einer Bewilligungspflicht und eines dazugehörigen Verfahrens ermächtigt habe.

Darüber hinaus hegt der Verwaltungsgerichtshof das Bedenken, der angefochtenen Bestimmung liege eine sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierung zwischen dem "ersten" und weiteren Ordinationsschildern zugrunde; des weiteren sei die Umschreibung der Bewilligungsvoraussetzungen in §6 Abs3 der Schilderordnung unzureichend determiniert.

3.2. Die Österreichische Ärztekammer hat zu dem Antrag des Verwaltungsgerichtshofes Stellung genommen und seine Abweisung beantragt. Die Ärztekammer bringt im wesentlichen vor, daß durch die in Rede stehende Bestimmung eine Bewilligungspflicht für zusätzliche Ordinations- und für Hinweisschilder nicht statuiert gewesen sei. Vielmehr wäre durch diese Bestimmung den betroffenen Ärzten eine von der Verordnungsermächtigung gedeckte Serviceleistung angeboten worden, indem ihnen die Möglichkeit gegeben worden sei, über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der Anbringung eines Schildes die Meinung der zuständigen Landesärztekammer einzuholen, bevor es deswegen zu einem u wesentlich unangenehmeren u Disziplinarverfahren gekommen wäre.

3.3. Die Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Akten des aufsichtsbehördlichen Stellungnahmeverfahrens vorgelegt und von der Erstattung einer Äußerung abgesehen.

3.4. Auch der Beschwerdeführer des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Anlaßverfahrens hat eine Äußerung zum Antrag des Verwaltungsgerichtshofes erstattet.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über den Antrag des Verwaltungsgerichtshofes erwogen:

1. Der Antrag ist zulässig.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem bei ihm anhängigen Verfahren §8 Abs1 der Schilderordnung offenkundig anzuwenden. Nicht anzuwenden hat der Verwaltungsgerichtshof §6 Abs3 dieser Verordnung, obwohl in §8 Abs1 der Schilderordnung hinsichtlich der Bewilligungsvoraussetzungen auf diese Bestimmung verwiesen wird. Es wurden zwar die Bewilligungsvoraussetzungen in §8 Abs1 der Schilderordnung nicht wiederholt, sondern es wurde die Regelung des §6 Abs3 dieser Verordnung in Form einer Verweisung zum Inhalt des §8 Abs1 gemacht. Der Verwaltungsgerichtshof hat aber dennoch nicht §6 Abs3 der Schilderordnung, sondern nur den im Wege der Verweisung Bestandteil der angefochtenen Regelung gewordenen Inhalt dieser Bestimmung anzuwenden. Dieser Inhalt wurde durch die Wortfolge "Unter den Voraussetzungen des §6 Abs3", hinsichtlich derer der Verwaltungsgerichtshof (richtigerweise: vgl. bloß VfSlg. 10577/1985; 12223/1989 12564/1990 und andere) eigene Bedenken vorbringt, Inhalt der Regelung des §8 Abs1. Der Antrag ist daher nicht etwa zu eng gefaßt.

2. Der Antrag ist auch im Ergebnis berechtigt.

2.1. Der Verfassungsgerichtshof teilt zwar nicht die vom Verwaltungsgerichtshof gegen die Bewilligungsvoraussetzungen des §6 Abs3 der Schilderordnung vorgebrachten Bedenken der Gleichheitswidrigkeit und der mangelnden Determiniertheit:

2.1.1. Daß nach der Schilderordnung jede Ordination über eine Ordinationstafel verfügen durfte, auch ohne daß dafür eine Bewilligung der zuständigen Ärztekammer eingeholt werden mußte, während für weitere Ordinationsschilder spezifische Erfordernisse aufgestellt waren, begegnet für sich genommen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Eine gleichheitswidrige, weil sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierung zwischen dem "ersten" und jedem weiteren Ordinations- oder Hinweisschild kann darin schon deshalb nicht erblickt werden, weil die Notwendigkeit eines ("ersten") Ordinationsschildes unmittelbar einleuchtet und auch ohne vorangegangene Sachverhaltsfeststellungen grundsätzlich anzuerkennen ist, während es im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers lag, unter Bedachtnahme auf die im Gesetz genannten Kriterien für zusätzliche Schilder strengere materielle Erfordernisse aufzustellen.

2.1.2. Auch ist der Verfassungsgerichtshof nicht der Auffassung, daß die Bewilligungsvoraussetzungen in einer unzureichend determinierten, der zuständigen Ärztekammer schrankenloses Ermessen einräumenden Weise normiert gewesen wären: Der Grundsatz, nach dem zusätzliche Ordinations- und Hinweisschilder nur "(i)n Ausnahmefällen" aufgestellt oder angebracht werden durften, wurde in §8 Abs1 der Schilderordnung durch die demonstrative Nennung eines solchen Ausnahmefalles ergänzt. Der Verfassungsgerichtshof hat keine Bedenken dagegen, daß der vollziehenden Ärztekammer die an den jeweiligen sachlichen und örtlichen Gegebenheiten orientierte Beurteilung gleich gelagerter Ausnahmefälle ohne nähere Determinierung überlassen war.

2.2. Der Verfassungsgerichtshof hält aber das vom Verwaltungsgerichtshof grundsätzlich gegen das in §8 Abs1 der Schilderordnung normierte Bewilligungsregime vorgebrachte Bedenken der mangelnden gesetzlichen Deckung für zutreffend.

2.2.1. §29 Abs4 ÄrzteG 1984 ermächtigte die Ärztekammer zur Erlassung näherer Bestimmungen über die "Art und Form der äußeren Bezeichnung" ärztlicher Ordinationen. Dadurch sollte dem Verordnungsgeber lediglich die nähere Regelung der Gestaltung solcher Bezeichnungen übertragen werden. Der Österreichischen Ärztekammer war aber weder durch §29 Abs4 des ÄrzteG 1984 noch durch eine andere Norm eine Ermächtigung zur Einrichtung eines Bewilligungsregimes für Hinweisschilder eingeräumt. Dies erhellt auch daraus, daß ein solches Bewilligungsregime notwendig ein Bewilligungsverfahren einschließlich der Normierung von Zuständigkeiten voraussetzt. Der Verfassungsgerichtshof hat nun aber wiederholt ausgesprochen, daß die Festlegung von Zuständigkeiten für Verfahren in eindeutiger Weise durch das Gesetz erfolgen muß (vgl. zB VfSlg. 9937/1984, 6675/1972, 5698/1968). Der Gesetzgeber darf diese Aufgabe auch nicht ohne weitere Determinierung dem Verordnungsgeber überlassen (VfSlg. 5698/1968). Schon aus diesem verfassungsrechtlichen Grund ist es ausgeschlossen, die Bestimmung des §29 Abs4 ÄrzteG 1984 auch als Ermächtigung zur Normierung eines Bewilligungsregimes für Hinweisschilder aufzufassen. Ohne gesetzliche (freilich die Schranken der Erwerbsausübungsfreiheit beachtende) Ermächtigung durfte aber der Verordnungsgeber keinesfalls ein Bewilligungsregime errichten und Zuständigkeiten für seine Durchführung normieren.

2.2.2. An diesem Ergebnis vermag auch das Vorbringen der Österreichischen Ärztekammer nichts zu ändern, §29 Abs4 ÄrzteG 1984 habe die Ermächtigung für die in Rede stehende Verordnungsbestimmung in sich geschlossen, weil eine Bewilligung durch die Landesärztekammer im Vergleich zu einer sonst zu gewärtigenden disziplinarrechtlichen Verfolgung bei ungerechtfertigter Anbringung eines Hinweisschildes das gelindere, die betroffenen Ärzte schonendere Mittel gewesen sei. Denn erstens ändert auch diese - die Zweckmäßigkeit der Regelung darlegende - Argumentation nichts am Erfordernis einer gesetzlichen Zuständigkeitsregelung zur Durchführung eines Bewilligungsverfahrens, welche hier fehlt. Zweitens aber ist der Österreichischen Ärztekammer entgegenzuhalten, daß im Hinblick auf die Zulässigkeit von Feststellungsbescheiden bei Vorliegen eines rechtlichen Interesses (hier: des Arztes) eine Klärung von Zweifelsfragen auch ohne das Risiko disziplinarrechtlicher Verfolgung wegen ordnungswidriger Schilderaufstellung möglich wäre. Die Österreichische Ärztekammer vermag aus diesen Gründen mit ihren Argumenten, mit welchen sie die Gesetzmäßigkeit der vom Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bestimmung zu verteidigen sucht, nicht durchzudringen.

2.3. Bei diesem Ergebnis ist - unter Bedachtnahme darauf, daß die zu prüfende Norm, wie eingangs erwähnt, nicht mehr dem Rechtsbestand angehört - auszusprechen, daß §8 Abs1 der Schilderordnung gesetzwidrig gewesen ist.

3. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung beschlossen werden.

Schlagworte

Ärztekammer, Behördenzuständigkeit, Legalitätsprinzip, Rechtspolitik, Determinierungsgebot, Ermessen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:V127.1997

Dokumentnummer

JFT_10009777_97V00127_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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