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E000 EU- Recht allgemein;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Beck und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Zeller, über die Beschwerde des ER in W, vertreten durch Dr. Wilfried Weh, Rechtsanwalt in Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 9. Juli 1998, Zl. Ia 545-1/95, betreffend Bewilligung und Auftrag nach dem Vorarlberger Tierschutzgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Land Vorarlberg Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom 10. Mai 1996, Zl. 95/02/0432, verwiesen. Mit diesem war der Bescheid der belangten Behörde vom 31. Juli 1995 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben worden, weil die Frage auf sachverständiger Basis (ergänzend) zu klären war, ob es sich bei den in Rede stehenden Straußen, deren Haltung dem Beschwerdeführer versagt worden war, um "Wildtiere" im Sinne des § 5 des Vorarlberger Tierschutzgesetzes, LGBl. Nr. 31/1982, handle.
Nach Ergänzung des Ermittlungsverfahrens erließ die belangte Behörde den Bescheid vom 9. Juli 1998, mit welchem sie neuerlich der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge gab (sodass dem Beschwerdeführer neuerlich im Instanzenzug die Bewilligung zur Haltung von drei Straußen auf einer näher umschriebenen Liegenschaft versagt wurde - Spruchpunkt I - und ihm gleichzeitig der Auftrag erteilt wurde, diese Tiere - in näher umschriebener Weise - zu entfernen oder töten zu lassen - Spruchpunkt II), wobei sie sich nunmehr auf das inzwischen in Kraft getretene Gesetz über eine Änderung des Tierschutzgesetzes, LGBl. Nr. 46/1996, berief.
In der Begründung führte die belangte Behörde u.a. aus, auf Grund der eingeholten Ergänzungsgutachten des veterinärmedizinischen Amtssachverständigen vom 10. März 1997 und vom 16. Dezember 1997 werde folgender Sachverhalt festgestellt:
Der Beschwerdeführer halte auf dem Grundstück Nr. ..., KG ..., auf einer eingezäunten Wiesenfläche im Ausmaß von ca. 80 x 50 m derzeit insgesamt drei erwachsene Strauße (zwei Hennen und einen Hahn). Weiters halte er auf einem anschließenden, ebenfalls eingezäunten Wiesengrundstück im Ausmaß von ca. 50 x 12 m neun unterschiedlich alte, aber alle im Jahre 1997 geschlüpfte Jungvögel aus eigener Nachzucht. Die Schlupfrate in Kunstbrut betrage lediglich 20 bis 40 %. Viele Eier seien verfault. Ein natürliches Brutgeschäft sei nicht möglich. Hinsichtlich des Geheges sei festzuhalten, dass der Grasbewuchs natürliche Beschaffenheit aufweise, die Möglichkeit zum Sandbad bestehe, den Vögeln ein überdachter Unterstand zur Verfügung stehe und die Jungvögel in der Nacht im geschlossenen Stall gehalten würden.
Bei den gegenständlichen Straußen handle es sich nach wie vor um Wildtiere, da eine Domestikation noch nicht erfolgt sei. Dies sei anlässlich des Ortsaugenscheins eindrücklich bestätigt worden. Dabei sei festgestellt worden, dass sich das äußere Erscheinungsbild der gegenständlichen Tiere von dem ihrer wild lebenden Artgenossen nicht unterscheide. Ihr Bewegungsverhalten habe als einzigen Unterschied eine verminderte Fluchtreaktion aufgewiesen, welche auf eine Fehlprägung auf den Menschen und eine Fütterungskonditionierung zurückzuführen sei. Darüber hinaus habe eine Veränderung der Anatomie, insbesondere der Beinbemuskelung bzw. eine Änderung des natürlichen großen Bewegungsbedürfnisses auf Grund der Zucht bei den gegenständlichen Tieren nicht festgestellt werden können. Das natürliche Bewegungsbedürfnis sei dadurch charakterisiert, dass diese typischen Laufvögel große Strecken mit großer Geschwindigkeit zurücklegten, wobei sie im vollen Lauf eine Spitzengeschwindigkeit bis zu 80 km/h erreichen könnten. Eine Erfüllung dieses Bewegungsbedürfnisses sei durch das gegenständliche Gehege nicht gewährleistet.
Strauße hätten keine Bürzeldrüse und dadurch keine Möglichkeit, ihre Federn einzuölen und dadurch eine wasserdichte Befiederung zu erreichen. Auf Grund der "bei uns" (gemeint: in Vorarlberg) herrschenden klimatischen Bedingungen sei es daher nicht möglich, dass sich die Tiere zu jeder Jahreszeit den Großteil des Tages im Freien aufhielten. Große Flächen von gut getrocknetem Land im Freien könnten zu einem überwiegenden Teil des Jahres ebenfalls auf Grund der Klimaverhältnisse nicht zur Verfügung gestellt werden. Des Weiteren wiesen die gegenständlichen Tiere - wie bereits erwähnt - ein gestörtes Brutverhalten auf und die natürliche Aufzucht der Jungtiere sei unmöglich. Diese nachhaltige Veränderung im Verhalten und in den physiologischen Vorgängen weise eindeutig auf eine nicht ausreichende Erfüllung der besonderen natürlichen Bedürfnisse in der bestehenden Haltung hin. Auf Grund der gegebenen räumlichen und klimatischen Verhältnisse sei nach der Ansicht des Amtssachverständigen im vorliegenden Fall eine artgerechte Haltung der gegenständlichen Strauße nicht möglich.
Darüber hinaus werde von der belangten Behörde festgestellt, dass ein öffentliches Interesse an der gegenständlichen Straußenhaltung durch den Beschwerdeführer nicht vorliege.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser hat erwogen:
Zu Recht verweist die belangte Behörde u.a. auf das hg. Erkenntnis vom 18. Oktober 1989, Zl. 89/02/0123, wonach keine Verpflichtung bestand, zum Augenschein des Sachverständigen (der die Beweisaufnahme vor Abgabe des Gutachtens diente) eine Partei beizuziehen.
Das Argument des Beschwerdeführers, nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sei dies für "civil-rights-Verfahren" unzutreffend, ist vom Ansatzpunkt her verfehlt, weil es im vorliegenden Verwaltungsverfahren, betreffend Tierschutz, nicht um ein solches Recht ging (vgl. in diesem Zusammenhang zur "Tierhaltung" das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 20. Juni 1989, Slg. Nr. 12082, sowie die Judikaturhinweise bei Mayer, Das österreichische Bundesverfassungsrecht, Kurzkommentar, 2. Auflage, S. 538 f). Abgesehen davon gelingt es dem Beschwerdeführer nicht, eine Relevanz dieses behaupteten Verfahrensmangels darzutun.
§ 5 des Vorarlberger Tierschutzgesetzes in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 46/1996 (im Folgenden kurz: TG) lautet im hier interessierenden Umfang:
"§ 5
Haltung von Wildtieren
(1) Die Haltung von Wildtieren, die ihrer Art nach ein großes Bewegungsbedürfnis haben, ist verboten. Die Landesregierung kann durch Verordnung die Haltung anderer Wildtiere verbieten, wenn diese besondere Ansprüche an die Haltung und Pflege stellen.
(2) Die Behörde kann auf Antrag Ausnahmen von den Verboten des Abs. 1 bewilligen, wenn
a) den besonderen Bedürfnissen des Tieres Rechnung getragen wird oder die Tierhaltung im öffentlichen Interesse liegt und ..."
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht konkret, dass es sich bei den in Rede stehenden Straußen, für welche die angestrebte Bewilligung versagt wurde, um "Wildtiere" im Sinne des § 5 Abs. 1 erster Satz TG handelt. Auch der Verwaltungsgerichtshof vermag im Hinblick auf das von der belangten Behörde u.a. zitierte Gutachten des veterinärmedizinischen Amtssachverständigen vom 16. Dezember 1997, wonach der "über viele Generationen dauernde Domestikationsprozess bei den gegenständlichen Tieren sicherlich noch nicht abgeschlossen" sei, diese Feststellung im Lichte des zitierten Vorerkenntnisses vom 10. Mai 1996, Zl. 95/02/0432, und auch des dort bezogenen hg. Erkenntnisses vom 9. September 1993, Zl. 92/01/0996, nicht als rechtswidrig zu erkennen; insbesondere ergibt sich weder aus dem Gesetzestext noch den Gesetzesmaterialien (vgl. die Regierungsvorlage S. 3, 34. Beilage im Jahre 1996 zu den Sitzungsberichten des XXVI. Vorarlberger Landtages) zur Novelle LGBl. Nr. 46/1996, dass dem Begriff "Wildtiere" nunmehr ein anderer Inhalt zu unterstellen ist. Damit unterlagen diese Tiere dem Verbot des § 5 Abs. 1 erster Satz TG.
Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers kann der Verwaltungsgerichtshof nicht finden, dass die belangte Behörde die angestrebte Bewilligung nach § 5 Abs. 2 lit. a TG zu erteilen gehabt hätte, konnte sich doch die belangte Behörde zur Beantwortung der Frage, ob "den besonderen Bedürfnissen des Tieres Rechnung getragen wird", durchaus auf die oben zitierten gutachtlichen Äußerungen des veterinärmedizinischen Amtssachverständigen stützen, denen der Beschwerdeführer nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten ist.
Die vom Beschwerdeführer behauptete inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides liegt aus nachstehenden Erwägungen gleichfalls nicht vor:
Was zunächst die Bezugnahme des Beschwerdeführers auf Art. 30 und Art. 36 EG-Vertrag anlangt, so kann nicht ernsthaft in Erwägung gezogen werden, dass ein Anwendungsbereich im Beschwerdefall - wo es um die "Haltung" von Tieren unter dem Blickwinkel ihres Schutzes geht - vorliegt, handelt doch Art. 30 EG-Vertrag von "Einfuhrbeschränkungen" (vgl. dazu näher das hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 1998, Zl. 97/03/0305, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird), wobei Art. 36 leg. cit. u.a. Ausnahmen davon vorsieht.
Mit dem Hinweis auf das Europäische Übereinkommen zum Schutz von Tieren in der Landwirtschaft, BGBl. Nr. 82/1993, welches Gegenstand des Beschlusses des Rates der Europäischen Gemeinschaften über den Abschluss eines Protokolls zur Änderung dieses Abkommens war (vgl. 92/583/EWG), ist für den Beschwerdeführer gleichfalls nichts gewonnen:
Die Prüfung der Frage, ob diesem Abkommen als Bestandteil des Gemeinschaftsrechts "unmittelbare Anwendbarkeit" zukommt (die es dem EU-Bürger erlauben würden, sich darauf vor Gericht zu berufen), führt nämlich bezogen auf den vorliegenden Beschwerdefall zum Ergebnis, dass es unter Berücksichtigung des Wortlautes und im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Abkommens eine klare und eindeutige Verpflichtung nicht enthält, deren Erfüllung oder deren Wirkungen nicht vom Erlass eines weiteren Rechtsaktes abhängen (vgl. Thun-Hohenstein-Cede, Europarecht, 2. Auflage, S. 225 und die zitierte Rechtsprechung des EuGH).
Soweit sich der Beschwerdeführer auch auf die Richtlinie des Rates vom 28. März 1983 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften, 83/189/EWG, beruft, ist nicht nachvollziehbar, inwieweit diese im Beschwerdefall Anwendung finden könnte; von einer "technischen Vorschrift", die dem dort geregelten Informationsverfahren unterliegen soll, kann keine Rede sein (vgl. auch zu dieser Richtlinie das zitierte hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 1998, Zl. 97/03/0305). Somit geht auch das Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Replik zur Gegenschrift, § 5 TG sei mangels der "gemeinschaftsrechtlich zwingend vorgeschriebenen Notifikation an die Europäische Kommission" verfassungswidrig, von vornherein fehl.
Die vorliegende Beschwerde erweist sich sohin als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG Abstand genommen werden; dem steht Art. 6 Abs. 1 MRK nicht entgegen (vgl. das oben zitierte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 20. Juni 1989, Slg. Nr. 12082, sowie Mayer, a.a.O.).
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 1/1994.
Wien, am 21. Dezember 2001
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Beweismittel Augenschein Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel AugenscheinEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1998020304.X00Im RIS seit
02.04.2002