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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
B-VG Art119a Abs5;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Höfinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Köhler und Dr. Zens als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der Marktgemeinde Matzen-Raggendorf, vertreten durch Dr. Franz Nistelberger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stock im Eisen-Platz 3, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 10. November 1997, Zl. IVW3-BE-112-19-97, betreffend Kanaleinmündungsabgabe (mitbeteiligte Parteien: 1. FC und 2. WC, beide in M), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat der beschwerdeführenden Marktgemeinde Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid des Bürgermeisters der beschwerdeführenden Marktgemeinde vom 28. Dezember 1992 wurde den mitbeteiligten Parteien gemäß §§ 2, 3 und 3a des NÖ Kanalgesetzes 1977, LGBl. Nr. 8230-4, und der geltenden Kanalabgabenordnung der beschwerdeführenden Marktgemeinde eine Vorauszahlung auf die Kanaleinmündungsabgabe in der Höhe von S 32.631,96, zuzüglich 10 % USt, vorgeschrieben. Bei der Berechnung wurde ein Einheitssatz von S 116,33 und eine Berechnungsfläche von 350,64 m2 zu Grunde gelegt.
Mit Bescheid des Bürgermeisters der beschwerdeführenden Marktgemeinde vom 26. Juni 1996 wurde den mitbeteiligten Parteien gemäß § 17 des NÖ Kanalgesetzes 1977, LGBl. Nr. 8230-4, und gemäß §§ 56 und 113 der NÖ Bauordnung 1976, LGBl. Nr. 8200, die Umgestaltung der Kanalanlage aufgetragen. Begründend wird ausgeführt, dass nach den angeführten Gesetzesbestimmungen die Eigentümer von Liegenschaften verpflichtet seien, ihre Liegenschaft mit der öffentlichen Kanalanlage entsprechend in Verbindung zu bringen. Es sei somit die direkte Einleitung der Abwässer in den öffentlichen Mischwasserkanal anzuordnen gewesen.
Mit Bescheid des Bürgermeisters der beschwerdeführenden Marktgemeinde vom 30. Oktober 1996 wurde den mitbeteiligten Parteien die "restliche Kanaleinmündungsabgabe" in der Höhe von S 4.057,74, zuzüglich 10 % USt, sohin ein Gesamtbetrag von S 4.463,51, für den Anschluss der Liegenschaft an den öffentlichen Mischwasserkanal gemäß §§ 2 und 3 NÖ Kanalgesetz 1977 und der geltenden Kanalabgabenordnung der beschwerdeführenden Marktgemeinde vorgeschrieben. Von der insgesamt zu erhebenden Kanaleinmündungsabgabe in der Höhe von S 36.689,70 (bei einem Einheitssatz von nunmehr S 130,23) wurde die mit dem erstinstanzlichen Bescheid vom 28. Dezember 1992 vorgeschriebene Vorauszahlung in der Höhe von S 32.631,96 in Abzug gebracht.
Die mitbeteiligten Parteien erhoben Berufung und führten aus, dass die Berechnungsfläche von 281,73 m2 - wie im Bescheid des Bürgermeisters der beschwerdeführenden Marktgemeinde vom 30. Oktober 1996 angeführt - nicht den Tatsachen entspreche.
Mit Bescheid des Gemeinderates der beschwerdeführenden Marktgemeinde vom 11. Juni 1997 wurde der Berufung keine Folge gegeben und der bekämpfte Bescheid vollinhaltlich bestätigt. Zum Vorbringen der mitbeteiligten Parteien, dass die Berechnungsfläche von 281,73 m2 nicht den Tatsachen entspreche werde festgehalten, dass dem erstinstanzlichen Bescheid des Bürgermeisters der beschwerdeführenden Marktgemeinde ein Erhebungsbogen zur Kanalgebührenbemessung vom 15. Mai 1986 zu Grunde liege, dem zufolge für die Ermittlung der bebauten Fläche 281,73 m2 heranzuziehen gewesen seien. Da gegen den Bescheid vom 28. Dezember 1992 kein Einspruch hinsichtlich der verbauten Fläche erhoben worden sei und von den Eigentümern seither keine Angaben über eine eventuelle Änderung der örtlichen Gegebenheiten vorlägen, sei die Kanaleinmündungsabgabe der Höhe nach zu Recht vorgeschrieben worden.
Die mitbeteiligten Parteien erhoben Vorstellung.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Vorstellung Folge, hob den bei ihr angefochtenen Bescheid auf und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeinderat. Begründend führte die belangte Behörde nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und der maßgeblichen Rechtsvorschriften aus, dass die Vorstellung in mehrfacher Hinsicht berechtigt sei. Es ergebe sich aus dem NÖ Kanalgesetz 1977, dass die Vorauszahlung nach § 3a nur einen Schätzwert darstellen könne. Das genaue Ausmaß der Berechnungsfläche und der tatsächlich festgesetzte Einheitssatz seien im eigentlichen Abgabenverfahren zur Festsetzung der Kanaleinmündungsabgabe genau zu ermitteln. Für das gegenständliche Verfahren bedeute dies, dass die Gemeinde auf jeden Fall den Einwand der mitbeteiligten Parteien hinsichtlich der Größe der Berechnungsfläche prüfen hätte müssen. Der Vollständigkeit halber werde angemerkt, dass auf Grund der Definition des Begriffes "bebaute Fläche" in § 1a des NÖ Kanalgesetzes 1977 der Schluss nahe liege, dass es sich beim gegenständlichen Balkon bzw. der Terrasse, der/die eine Fläche von 25,11 m2 aufweise, unter Umständen um einen untergeordneten Bauteil im Sinne der zitierten Bestimmung handle. Es wären von der Gemeinde ergänzende Ermittlungen durchzuführen und gegebenenfalls wäre dieser Bauteil entsprechend bei der Ermittlung der Berechnungsfläche nicht zu berücksichtigen. Dadurch, dass die Abgabenbehörde zweiter Instanz das Vorbringen der Vorstellungswerber hinsichtlich der Berechnungsfläche nicht berücksichtigt habe und ergänzende Ermittlungen nicht durchgeführt habe, seien die mitbeteiligten Parteien in ihren subjektiven Rechten verletzt, sodass der bei der Vorstellungsbehörde bekämpfte Bescheid aufzuheben gewesen sei.
Darüber hinaus werde festgehalten, dass § 3a des NÖ Kanalgesetzes 1977 normiere, dass die Anrechnung der Vorauszahlungen auf die tatsächlich zu entrichtende Kanaleinmündungsabgabe für den Fall der Änderung des Einheitssatzes zwischen dem Zeitpunkt der Vorschreibung der Vorauszahlungen und dem der Vorschreibung der insgesamt zu entrichtenden Kanaleinmündungsabgabe in valorisierter Form zu erfolgen habe. Dies ergebe eine gebotene verfassungskonforme Interpretation und überdies eine systematische Betrachtung der Bestimmungen des § 3a Abs. 5 und 6 des NÖ Kanalgesetzes 1977.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der sich die beschwerdeführende Marktgemeinde gegen die Rechtsauffassung der belangten Behörde betreffend die Ermittlung der Berechnungsgrundlage und die Valorisierung der Vorauszahlung wendet.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Entgegen der Auffassung der belangten Behörde in der Gegenschrift stellen die Ausführungen im angefochtenen Bescheid zum Verfahrensmangel im Zusammenhang mit der Feststellung der Berechnungsgrundlage kein obiter dictum dar. Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid im Rahmen der rechtlichen Beurteilung zunächst festgestellt, dass die Vorstellung "in mehrfacher Hinsicht berechtigt" sei. Sodann führte sie aus, dass die Gemeindebehörde auf den Einwand hinsichtlich der Berechnungsfläche eingehen hätte müssen. Dadurch, dass die Abgabenbehörde zweiter Instanz das Vorbringen der mitbeteiligten Parteien hinsichtlich der Berechnungsfläche nicht berücksichtigt und ergänzende Ermittlungen nicht durchgeführt habe, seien die mitbeteiligten Parteien in ihren Rechten verletzt. Daraus ergibt sich, dass die belangte Behörde den Verfahrensmangel im Zusammenhang mit der Feststellung der Berechnungsgrundlage zum Anlass für die Aufhebung des angefochtenen Bescheides genommen und zu einem tragenden Grund hiefür gemacht hat.
Es ist daher zunächst darauf einzugehen, ob die Aufhebung des angefochtenen Bescheides insoweit Rechte der beschwerdeführenden Marktgemeinde verletzt.
Wenn die beschwerdeführende Marktgemeinde im vorliegenden Zusammenhang moniert, dass die belangte Behörde "im angefochtenen Bescheid keine eindeutige Würdigung dieser Frage vorzunehmen" vermöge, so ist darauf hinzuweisen, dass die Aufhebung eines gemeindebehördlichen Bescheides wegen eines Verfahrensmangels (hier im Zusammenhang mit der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes) nicht voraussetzt, dass der (von der Gemeindebehörde eben noch nicht ausreichend erhobene) Sachverhalt von der Vorstellungsbehörde einer rechtlichen Würdigung unterzogen wird. Das Fehlen ausreichender Feststellungen macht nämlich eine Nachprüfung des Abgabenbescheides durch die Vorstellungsbehörde in diesem Punkt unmöglich: Ob der in Rede stehende Balkon so ausgeführt ist, dass seine Fläche zur bebauten Fläche im Sinne des § 1a Z 1 NÖ Kanalgesetz 1977 gehört, kann erst nach Vorliegen der ergänzenden Feststellungen beurteilt werden. Es kann der belangten Behörde daher nicht entgegengetreten werden, wenn sie den von der Gemeindebehörde festgestellten Sachverhalt nicht als ausreichend für die Beurteilung der maßgeblichen Rechtsfrage angesehen hat. Die Beschwerdeausführungen sind insoweit nicht geeignet, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darzutun.
Dieser von der belangten Behörde herangezogene Aufhebungsgrund erweist sich somit nicht als rechtswidrig.
2. Da die belangte Behörde den bei ihr bekämpften Abgabenberufungsbescheid jedoch in mehrfacher Hinsicht als rechtswidrig angesehen hat und neben der Frage der Feststellung des Sachverhaltes auch die Rechtsauffassung der belangten Behörde hinsichtlich der Anrechnung der Vorauszahlung als rechtswidrig qualifiziert hat, entfaltet auch die diesbezügliche Rechtsauffassung der belangten Behörde Bindungswirkung. Es ist daher auch der zweite herangezogene Aufhebungsgrund zu prüfen. Da nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die tragenden Aufhebungsgründe eines aufhebenden Vorstellungsbescheides Bindungswirkung für das fortgesetzte Verfahren entfalten, ist ein Vorstellungsbescheid auch dann aufzuheben, wenn zwar ein zutreffender Grund für die Aufhebung des mit Vorstellung bekämpften Gemeindebescheides vorgelegen war, jedoch einer der von der Vorstellungsbehörde herangezogenen Aufhebungsgründe sich als rechtswidrig erweist (vgl. das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 97/17/0533, unter Bezugnahme auf das hg. Erkenntnis vom 16. Juni 1980, Zlen. 3153, 3154/79).
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 9. April 2001, Zl. 97/17/0495, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, mit näherer Begründung dargetan hat, trifft es nicht zu, dass eine Anrechnung der Vorauszahlung an Kanaleinmündungsabgabe gemäß NÖ Kanalgesetz 1977 in valorisierter Form zu erfolgen hätte.
Der zweite von der belangten Behörde herangezogene Aufhebungsgrund erweist sich daher als rechtswidrig.
3. Zur Vermeidung des Eintrittes der erwähnten Bindungswirkung war daher der angefochtene Bescheid ungeachtet des Umstandes, dass eine Aufhebung des vor der belangten Behörde mit Vorstellung bekämpften Bescheides des Gemeinderates auf Grund des zunächst herangezogenen ersten Aufhebungsgrundes zulässig gewesen wäre, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben (vgl. das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 97/17/0533).
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. II Nr. 501/2001, insbesondere deren § 3 Abs. 2. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft die verzeichnete Pauschalgebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG, zu deren Entrichtung die beschwerdeführende Marktgemeinde gemäß § 2 Abs. 1 Z 2 und 3 Gebührengesetz 1957 iVm § 24 Abs. 3 letzter Satz VwGG nicht verpflichtet war.
Wien, am 28. Jänner 2002
Schlagworte
Bindung an die Rechtsanschauung der Vorstellungsbehörde Ersatzbescheid Inhalt der Vorstellungsentscheidung Aufgaben und Befugnisse der VorstellungsbehördeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:1997170536.X00Im RIS seit
11.06.2002