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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
B-VG Art6 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Enzlberger-Heis, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Wien gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 12. September 2001, Zl. 603.370/6- II/13/01, betreffend Reklamationsverfahren nach § 17 Abs. 2 Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Parteien: 1. Bürgermeister der Stadtgemeinde St. Veit an der Glan, 2. Martin Stanjko, 1150 Wien, Goldschlagstraße 110/22), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Der am 2. Februar 1977 geborene, ledige Zweitmitbeteiligte war zunächst bis zum 15. Juni 1998 in St. Veit an der Glan, Bahnweg 84, mit Hauptwohnsitz gemeldet. Ab diesem Zeitpunkt meldete er als neuen Hauptwohnsitz Wien IX, Spittelauer Lände 9. Am 3. März 1999 verlegte er den Hauptwohnsitz zurück nach St. Veit an der Glan, an der Adresse in Wien meldete er einen weiteren Wohnsitz.
Im Zuge des vom beschwerdeführenden Bürgermeister eingeleiteten Reklamationsverfahrens gab der Zweitmitbeteiligte über Aufforderung der belangten Behörde im Erhebungsblatt zur Feststellung des Hauptwohnsitzes vom 29. April 2001 an, dass er sich in Wien werktags aufhalte, in seiner Heimatgemeinde hingegen an den Wochenenden und im Urlaub; gleichzeitig bezifferte er die Aufenthaltsdauer in Wien mit 300, jene in Sankt Veit mit 65 Tagen. Seine Mitbewohner dort seien seine Mutter und seine Schwester. In der Heimatgemeinde würden weiters sein Vater und seine Großmutter leben. Er betätige sich weder in Wien noch in St. Veit an der Glan aktiv gesellschaftlich. Er verbringe nur derzeit aus beruflichen Gründen in Wien den Großteil seiner Zeit, seine Verwandten, langjährigen Freunde und Bekannten wohnten aber in St. Veit an der Glan. Daher sehe er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen eindeutig in dieser Gemeinde.
Am 27. Juli 2001 übermittelte der Beschwerdeführer der belangten Behörde die Wohnsitzerklärung (§ 15a MeldeG) des Zweitmitbeteiligten, in der er eine Änderung der Wiener Adresse bekannt gab. Im Übrigen deckten sich die Angaben mit der seinerzeitigen Stellungnahme des Zweitmitbeteiligten.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des beschwerdeführenden Bürgermeisters auf Aufhebung des Hauptwohnsitzes an der gemeldeten Adresse in St. Veit an der Glan ab. Der Zweitmitbeteiligte habe in Wien lediglich den Schwerpunkt seiner beruflichen Lebensbeziehungen, der gesellschaftliche Schwerpunkt der Lebensbeziehungen liege hingegen in St. Veit an der Glan. Das vom Zweitmitbeteiligten dargelegte (subjektive) überwiegende Naheverhältnis zum derzeitigen Hauptwohnsitz habe zulässigerweise den Ausschlag gegeben, diesen als Hauptwohnsitz zu bezeichnen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Reklamationsverfahren wird die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt, ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u.a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher die Bestimmungskriterien des § 1 Abs. 8 MeldeG (in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 28/2001), maßgeblich sind: Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes oder der Ausbildungsstätte, Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz oder zur Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, klargestellt, dass das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", das nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck kommt, nur in den Fällen den Ausschlag gibt, in denen als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zwei oder mehrere "Mittelpunkte der Lebensbeziehungen" des Betroffenen hervorgekommen sind. Das Reklamationsverfahren wird nur dann für den antragstellenden Bürgermeister erfolgreich sein, wenn der Betroffene ein "überwiegendes Naheverhältnis" an einem Ort behauptet, an dem er keinen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen (§ 1 Abs. 7 MeldeG) hat, mag er dort auch einen Wohnsitz im Sinne des § 1 Abs. 6 MeldeG haben.
Im Beschwerdefall steht fest, dass der nunmehr 24-jährige Zweitmitbeteiligte den Großteil des Jahres in Wien wohnt und dort seit längerer Zeit berufstätig ist. Er macht gesellschaftliche, insbesondere familiäre Beziehungen zu St. Veit an der Glan geltend, die in Wien nicht bestünden.
Wohl hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2000/05/945, ausgeführt, dass sog. "Wochenpendler", die eine Unterkunft (Wohnung) am Ort oder in der näheren Umgebung des Arbeitsplatzes als weiteren Wohnsitz nehmen, damit keinen Hauptwohnsitz begründet haben. Das Kriterium "nur aus beruflichen Gründen" kann aber hier nicht vorliegen, wenn der Zweitmitbeteiligte selbst angegeben hat, 300 Tage im Jahr in Wien zu verbringen, sodass auch ein Teil der Freizeit von dieser Aufenthaltsdauer erfasst sein muss. Dazu kommt, dass der Zweitmitbeteiligte durch eine frühere Hauptwohnsitzmeldung in Wien ein "überwiegendes Naheverhältnis" zur beschwerdeführenden Gemeinde kundgetan hat; warum dieses Naheverhältnis nicht mehr bestehen soll, ist durch den Verweis auf die familiären Bindungen zum Heimatwohnsitz nicht erklärbar. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0930, dem Umstand, dass der Hauptwohnsitz am Heimatort bereits einmal abgemeldet und der Ort der Berufsausübung als neuer Hauptwohnsitz deklariert wurde, als Hinweis auf eine Reduktion der gesellschaftlichen Beziehungen zum Heimatort durchaus Bedeutung beigemessen, sodass ohne Hinzutreten neuer Lebensbeziehungen am Heimatort (neue Lebensgemeinschaft, Berufstätigkeit etc.) dort nicht wieder ein Mittelpunkt von Lebensbeziehungen entstehen kann und die Bezeichnung als Hauptwohnsitz nach § 1 Abs. 7 MeldeG unzulässig wäre.
Ausgehend davon hat im vorliegenden Fall der Zweitmitbeteiligte ohne Rechtsgrundlage eine Wahl nach § 1 Abs. 7 letzter Satz MeldeG getroffen, sodass die Reklamation durch den Beschwerdeführer zu Recht erfolgte. Da die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Dieser Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 29. Jänner 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2001051077.X00Im RIS seit
11.04.2002