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41/02 Melderecht;Norm
MeldeG 1991 §1 Abs6;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Enzlberger-Heis, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Wien in Wien I, Rathaus, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 26. März 2001, Zl. 600.895/8-II/13/00, betreffend Reklamationsverfahren nach § 17 Abs. 2 Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Parteien:
1.
Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz in Linz,
2.
Mag. Franz Burgstaller in Wien II, Glockengasse 26/8, bzw. in Linz, Freistädter Straße 64), zu Recht erkannt:
Spruch
Der abweisliche Spruchteil des angefochtenen Bescheides wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Antrag des Beschwerdeführers auf Zuspruch von Kosten wird abgewiesen.
Begründung
Der am 14. Mai 1966 geborene, verheiratete Zweitmitbeteiligte ist seit 23. Mai 1966 in Linz gemeldet. Seit 27. April 1999 ist er in Wien mit weiterem Wohnsitz gemeldet.
Der erstmitbeteiligte Bürgermeister vertrat im Verwaltungsverfahren die Auffassung, der Zweitmitbeteiligte habe seinen Hauptwohnsitz in Linz. In einer Stellungnahme an die belangte Behörde (es handelt sich um ein formularmäßiges Erhebungsblatt zur Feststellung des Hauptwohnsitzes) vom 26. März 2000 brachte der Zweitmitbeteiligte vor, er bewohne sowohl in Linz als auch in Wien eine Mietwohnung. Er sei bei einer Unternehmensberatung tätig. Er halte sich etwa zwei Drittel des Jahres in Linz, etwa ein Drittel des Jahres in Wien auf, nämlich sowohl an Wochenenden als auch werktags. Er verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass das Unternehmen ("wir") sowohl in Wien als auch in Linz Niederlassungen habe. Mitbewohnerin in Linz sei seine Mutter, in Linz wohnten weiters ein Bruder, eine Schwester, und "alle Verwandten". Mitbewohner in Wien seien seine Frau und seine Tochter (die beide in Wien ihren Hauptwohnsitz hätten), weiters wohnten seine Schwiegereltern und sein Schwager in Wien. Gesellschaftliche Betätigungen in Linz seien sehr intensiv (Theaterverein, Sportverein, in Wien werden solche verneint). Er verwies in dieser Stellungnahme weiters darauf, er "beantragte, dass der Hauptwohnsitz Linz bleibt und sehe eigentlich keinen Grund, den zu ändern. Zumal ich meinen Freundeskreis, meine gesellschaftl. Betätigung in Linz habe. Sollte sich dies jedoch ändern, wäre ich auch gerne bereit, den Hauptwohnsitz zu verlegen".
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers abgewiesen (erster Absatz des Spruches) und den Beschwerdeführer weiters gemäß § 76 Abs. 1 AVG verpflichtet, die Kosten für die im Verwaltungsverfahren eingeholte Stellungnahme der Statistik Österreich in einer näher bezifferten Höhe zu tragen (zweiter Absatz des Spruches). Die abweisliche Entscheidung wird insbesondere unter Hinweis auf das Vorbringen des Zweitmitbeteiligten zusammengefasst damit begründet, dass dieser sowohl in Linz als auch in Wien einen Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen habe, womit letztlich seine subjektive Einstellung den Ausschlag gebe.
Gegen diesen Bescheid, inhaltlich aber nur gegen den abweislichen ersten Absatz, richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im zulässigerweise eingeleiteten Reklamationsverfahren wird die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt, ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u.a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen".
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, klargestellt, dass das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", das nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck kommt, nur in den Fällen den Ausschlag gibt, in denen als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zwei oder mehrere "Mittelpunkte der Lebensbeziehungen" des Betroffenen hervorgekommen sind (also wenn ausnahmsweise zwei oder mehrere Wohnsitze des Betroffenen solche Mittelpunkte darstellen, wobei die vom Betroffenen vorgenommene Bezeichnung eines Hauptwohnsitzes allein nicht jedenfalls maßgeblich ist). Das Reklamationsverfahren wird nur dann für den antragstellenden Bürgermeister erfolgreich sein, wenn der Betroffene ein "überwiegendes Naheverhältnis" an einem Ort behauptet, an dem er keinen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen (§ 1 Abs. 7 MeldeG) hat, mag er dort auch einen Wohnsitz im Sinne des § 1 Abs. 6 MeldeG haben. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang auch klargelegt, dass eine "absolute Sicherheit" über die Lebenssituation des Meldepflichtigen für die Evaluierung des zu beurteilenden Sachverhaltes nicht notwendig ist; der Gesetzgeber hat durch die Regelung des § 17 Abs. 3 MeldeG bewusst die in Rede stehenden Unschärfen aus rechtspolitischen Gründen in Kauf genommen (siehe dazu näher das genannte Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, oder auch das weitere Erkenntnis vom selben Tag, Zl. 2001/05/0930).
Im Beschwerdefall steht fest, dass der bei Bescheiderlassung nahezu 34-jährige Zweitmitbeteiligte einer Beschäftigung sowohl in Wien als auch in Linz nachgeht und in Wien mit seiner Ehefrau und seiner Tochter wohnt, deren Hauptwohnsitz Wien ist. Er macht insbesondere gesellschaftliche Beziehungen zu Linz geltend, die in Wien nicht bestünden.
Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis (ebenfalls) vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0941 näher dargelegt hat, ist dann, wenn sich der Betroffene mit einem Partner in einer ehelichen Lebensgemeinschaft befindet, davon auszugehen, dass die Ehegatten denselben Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen haben, es sei denn besondere, im Reklamationsverfahren zu behauptende und von der Behörde festzustellende Gründe sprächen für eine gegenteilige Annahme. Derartiges ist nicht hervorgekommen. Von besonderer Bedeutung ist hier weiters, dass auch die Tochter des Zweitmitbeteiligten Mitbewohnerin am Wiener Wohnsitz ist.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes ist diese in Wien bestehende familiäre und somit gesellschaftliche wie auch berufliche Lebensbeziehung gegenüber der ebenfalls beruflichen, aber auch gesellschaftlichen Lebensbeziehung in Linz als derart überwiegend anzusehen, dass der Mittelpunktcharakter von Linz nicht mehr bejaht werden kann.
Ausgehend davon hat vorliegendenfalls der Zweitmitbeteiligte ohne Rechtsgrundlage eine Wahl nach § 1 Abs. 7 letzter Satz MeldeG getroffen, sodass die Reklamation durch den Beschwerdeführer zu Recht erfolgte. Da die belangte Behörde diese Rechtslage verkannt hat, belastete sie den bekämpften, abweislichen Teil des angefochtenen Bescheides mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er insofern gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Das Kostenersatzbegehren des Beschwerdeführers war abzuweisen (angesprochen wird der Schriftsatzaufwand), weil er nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten war (§ 49 Abs. 1 VwGG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 88/1997).
Wien, am 29. Jänner 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2001051020.X00Im RIS seit
11.04.2002