TE Vwgh Erkenntnis 2002/1/29 2001/05/1014

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Veröffentlicht am 29.01.2002
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Melderecht;

Norm

AVG §37;
AVG §45 Abs2;
MeldeG 1991 §1 Abs6;
MeldeG 1991 §1 Abs7;
MeldeG 1991 §1 Abs8 idF 2001/I/028;
MeldeG 1991 §17 Abs1;
MeldeG 1991 §17 Abs2 Z2;
MeldeG 1991 §17 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl und Dr. Kail als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Enzlberger-Heis, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Wien gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. März 2001, Zl. 601.647/5-II/13/01, betreffend Reklamationsverfahren nach § 17 Abs. 2 Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Parteien: 1. Bürgermeister der Gemeinde Hellmonsödt, 2. Gerhard Neubauer in Wien XX, Klosterneuburger Straße 56/34), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 41,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der am 16. März 1980 in Linz geborene, ledige Zweitmitbeteiligte ist in Hellmonsödt mit Hauptwohnsitz (siehe § 23 Abs. 1 des im Beschwerdefall anzuwendenden Meldegesetzes 1991, BGBl. Nr. 9/1992 in der Fassung des Hauptwohnsitzgesetzes, BGBl. Nr. 505/1994; in der Folge kurz: MeldeG) gemeldet. Am 29. März 1999 meldete der Zweitmitbeteiligte Wien als weiteren Wohnsitz.

Der Zweitmitbeteiligte arbeitet in Wien und bewohnt am gemeldeten weiteren Wohnsitz in Wien eine Wohnung (nähere Angaben über Größe und Ausstattung der Wohnung fehlen). In Hellmonsödt wohnt er gemeinsam mit seinen Eltern und seiner Schwester. Der Aufenthalt in Wien sei deshalb notwendig, weil er in Wien seiner Arbeit nachgehe, die Wochenenden verbringe er in Hellmonsödt, wo er langjähriges, aktives Mitglied im Sportverein sei.

Der beschwerdeführende Bürgermeister beantragte mit Eingabe vom 29. Februar 2000 gemäß § 17 Abs. 2 Z. 2 MeldeG die Einleitung eines Reklamationsverfahrens zur Entscheidung darüber, ob der Zweitmitbeteiligte, der in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters mit Hauptwohnsitz angemeldet ist, dort weiterhin den Hauptwohnsitz hat. Begründet wurde dieser Antrag im Wesentlichen damit, dass im Hinblick auf die qualifizierte Anwesenheit des Zweitmitbeteiligten in Wien, zumal er in Wien mit einer gleichaltrigen, nicht verwandten Frau wohne, dieser Wohnsitz als Mittelpunkt der Lebensbeziehungen betrachtet werden müsse. Wenn man im Übrigen auch noch mit ins Kalkül ziehe, dass die Stadt Wien mit all ihren zahlreichen kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Angeboten mit Sicherheit dem Zweitmitbeteiligten schon bisher dienlich gewesen sei und weiterhin sein werde, sei Wien als Hauptwohnsitz zu betrachten.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des beschwerdeführenden Bürgermeisters auf Aufhebung des Hauptwohnsitzes des Zweitmitbeteiligten an der gemeldeten Adresse in Hellmonsödt ab. Auf Grund des Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens und einer Gesamtbetrachtung der Lebensbeziehungen des Zweitmitbeteiligten reiche der zeitweilige Aufenthalt in Wien - somit lediglich der "Schwerpunkt" der Ausbildung - allein nicht aus, um seinen Hauptwohnsitz in Hellmonsödt, der den Mittelpunkt der familiären und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen darstelle, aufzuheben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens ohne Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen, vor. Die mitbeteiligten Parteien erstatteten keine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat hierüber in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, hat der Verwaltungsgerichtshof im Geltungsbereich der auch im Beschwerdefall anzuwendenden Rechtslage des Meldegesetzes 1991, BGBl. Nr. 9/1992, in der Fassung BGBl. Nr. 352/1995, ausgeführt, dass im zulässigerweise eingeleiteten Reklamationsverfahren die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt (wird), ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG 1991) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u. a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher - wie auch den Erläuterungen der Regierungsvorlage zur Meldegesetznovelle, BGBl. Nr. 505/1994 (GP XVIII RV 1334), zu entnehmen ist - vor allem folgende Bestimmungskriterien maßgeblich sind: Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes und der Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften. Durchaus möglich ist, dass am Hauptwohnsitz - und damit beim Mittelpunkt der Lebensbeziehungen - wenige oder gar keine beruflichen Lebensbeziehungen bestehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. August 1999, Zl. 99/05/0076). Diese Regelung hat auch durch die Anfügung des Abs. 8 im § 1 MeldeG mit der Novelle vom 30. März 2001, BGBl. I Nr. 28/2001, keine inhaltliche Änderung erfahren, weil damit nur die in der vorzitierten Regierungsvorlage angeführten Kriterien in Gesetzesform gegossen worden sind.

Für das vom Verfassungsgerichtshof in seinem obzitierten Erkenntnis vom 26. September 2001 als verfassungskonform bewertete Reklamationsverfahren gilt daher, dass nur die im § 17 Abs. 3 MeldeG angeführten Beweismittel zulässig sind; die Parteien trifft eine besondere Mitwirkungspflicht. Die am Reklamationsverfahren beteiligten Bürgermeister dürfen nur Tatsachen geltend machen, die sie in Vollziehung eines Bundes- oder Landesgesetzes ermittelt haben und die keinem Übermittlungsverbot unterliegen.

Um dem Ziel des Reklamationsverfahrens gemäß § 17 Abs. 3 MeldeG - "die Richtigkeit einer von einem Meldepflichtigen vorgenommenen Erklärung seines Hauptwohnsitzes im öffentlichen Interesse zu hinterfragen" (siehe das bereits zitierte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001) - nachkommen zu können, hat sohin die Behörde (§ 17 Abs. 1 MeldeG) in ihrer Entscheidung für die Beurteilung des Mittelpunktes der Lebensbeziehungen des Betroffenen als wesentliches Tatbestandsmerkmal seines Hauptwohnsitzes gemäß § 1 Abs. 7 MeldeG eine Gesamtbetrachtung seiner beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen vorzunehmen. Diesen Anforderungen wird das Ermittlungsverfahren nur dann entsprechen, wenn die Behörde jedenfalls die oben wiedergegebenen, nunmehr im § 1 Abs. 8 MeldeG, BGBl. Nr. 28/2001, für den Mittelpunkt der Lebensbeziehungen eines Menschen angeführten Kriterien berücksichtigt hat. Hiefür stehen der Behörde die im § 17 Abs. 3 MeldeG (abschließend) aufgezählten Beweismittel zur Verfügung. Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich in diesem Zusammenhang der vom Verfassungsgerichtshof in dessen Erkenntnis vom 26. September 2001 vertretenen Auffassung an, dass die dort normierte besondere Mitwirkungspflicht der Parteien, insbesondere des Betroffenen, deren Verpflichtung einschließt, zu strittigen Umständen in Form verbindlicher und nachvollziehbarer Erklärungen und Erläuterungen Stellung zu nehmen. Die belangte Behörde hat daher in diesem Rahmen den maßgebenden Sachverhalt (§ 37 AVG) zu ermitteln und die vorliegenden Beweise auch zu würdigen (§ 45 Abs. 2 AVG). In diesem Zusammenhang weist der Verwaltungsgerichtshof darauf hin, dass das subjektive Kriterium des "überwiegenden Naheverhältnisses" nur dann entscheidend ist, wenn ausnahmsweise zwei oder mehrere Wohnsitze des Betroffenen Mittelpunkte der Lebensbeziehungen darstellen (siehe das hg. Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935), die vom Betroffenen vorgenommene Bezeichnung des Hauptwohnsitzes allein also nicht jedenfalls maßgeblich ist.

Der Verfassungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang auch klargelegt, dass eine "absolute Sicherheit" über die Lebenssituation des Meldepflichtigen für die Evaluierung des zu beurteilenden Sachverhaltes nicht notwendig ist; der Gesetzgeber hat durch die Regelung des § 17 Abs. 3 MeldeG bewusst die in Rede stehenden Unschärfen in Kauf genommen, um im gegebenen Zusammenhang bestimmte behördliche Vorgangsweisen hintanzuhalten, die bei Geltung des Prinzips der Unbeschränktheit der Beweismittel nach § 46 AVG denkbar oder möglicherweise sogar geboten wären.

Im Beschwerdefall steht fest, dass der nunmehr 21-jährige Zweitmitbeteiligte in Wien beschäftigt ist und die Wochenenden in Hellmonsödt verbringt; er macht gesellschaftliche, insbesondere familiäre Beziehungen zu Hellmonsödt geltend, die in Wien nicht bestünden. Er hat in Wien nur aus beruflichen Gründen eine Unterkunft.

Seine Wohnung in Wien dient im Wesentlichen nur als Ausgangspunkt für den Weg zur Arbeitsstätte an diesem Wohnsitz, weil die tägliche Anreise vom Hauptwohnsitz in Oberösterreich zum Arbeitsplatz zu beschwerlich wäre. Dass der Zweitmitbeteiligte die Wiener Wohnung auch aus anderen, für die Begründung eines Hauptwohnsitzes entscheidungswesentlichen Gründen angeschafft hätte (in Frage kämen hier die im § 1 Abs. 8 MeldeG, BGBl. Nr. 28/2001, angeführten Kriterien zwecks Begründung gesellschaftlicher und/oder wirtschaftlicher Lebensbeziehungen), ist nicht hervorgekommen. Sogenannte "Wochenpendler" wie der Zweitmitbeteiligte, die eine Unterkunft (Wohnung) am Ort oder in der näheren Umgebung des Arbeitsplatzes als weiteren Wohnsitz nur aus beruflichen Gründen im aufgezeigten Sinn nehmen und im Falle eines Berufs- bzw. Arbeitgeberwechsels auch einen Wechsel des weiteren Wohnsitzes in Kauf nehmen würden, haben damit keinen Hauptwohnsitz begründet, weil sie ihre wesentlichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen an dem Wohnsitz haben, zu dem sie sich grundsätzlich nach einer Arbeitswoche begeben, um dort mit ihren Familienmitgliedern an der bestehenden Wohnungs- und Wirtschaftsgemeinschaft wieder teilzunehmen und allenfalls die übernommenen Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften auszuüben.

Dies gilt auch für ledige, alleinstehende Betroffene, wenn sie ausschließlich ihre beruflichen Lebensbeziehungen am Ort oder in der Nähe der Arbeitsstätte konzentriert haben, aber gesellschaftliche, insbesondere familiäre Beziehungen am Heimatwohnsitz bestehen. Sofern nicht weitere besondere gesellschaftliche und/oder wirtschaftliche Lebensbeziehungen (etwa die Anschaffung einer Eigentumswohnung, siehe das Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2000/05/0930) am Ort oder in der Nähe des Arbeitsplatzes hinzukommen, treten in diesem Fall die Kriterien der Aufenthaltsdauer, die Lage des Arbeitsplatzes und der Weg von der notwendigerweise am Ort oder in der Nähe des Ortes des Arbeitsplatzes gewählten Wohnung dorthin in den Hintergrund.

Der Verwaltungsgerichtshof verkennt nicht, dass die aus beruflichen Gründen getroffene Wahl eines weiteren Wohnsitzes für den Betroffenen notgedrungen dort auch die zum Ausgleich erforderliche Freizeitgestaltung mit sich bringt und zu gesellschaftlichen und freundschaftlichen Kontakten führen kann (und in der Regel auch führen wird) und in diesem Zusammenhang kulturelle, wirtschaftliche und soziale Angebote am Ort der Arbeitsstätte genutzt werden. Solange eine solche Lebensführung eines Wochenpendlers jedoch nicht über im Wesentlichen zufällig oder berufsbedingt entstandene lose gesellschaftliche Beziehungen hinausgeht, vermag aber der ausschließlich zum Zwecke der Berufsausübung gewählte weitere Wohnsitz den (bisherigen) Hauptwohnsitz des Betroffenen nicht aufzuheben und eine über § 1 Abs. 6 MeldeG hinausgehende Qualität nicht zu erreichen.

Da somit kein Mittelpunkt von Lebensbeziehungen in der Gemeinde des reklamierenden Bürgermeisters besteht, hätte der Antrag zurückgewiesen werden müssen; durch die Abweisung wurde der Beschwerdeführer aber in keinen Rechten verletzt. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Ein Anwendungsfall des § 47 Abs. 4 VwGG liegt nicht vor (vgl. hiezu den hg. Beschluss vom 9. Oktober 2001, Zl. 2001/05/0255).

Wien, am 29. Jänner 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2001051014.X00

Im RIS seit

11.04.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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