Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §67d;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schimetits, über die Beschwerde des MN in Lisov (Tschechien), vertreten durch Dr. Wilfrid Raffaseder und Mag. Michael Raffaseder, Rechtsanwälte in 4240 Freistadt, Hauptplatz 22, gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 10. April 2001, Zl. VwSen-420301/6/KI/Rd, betreffend Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein tschechischer Staatsangehöriger, wurde am 14. Dezember 2000 beim Versuch, über den Grenzübergang Wullowitz nach Österreich einzureisen, gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 lit. a FrG zurückgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wies der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (die belangte Behörde) unter Berücksichtigung einer seitens der Bezirkshauptmannschaft Freistadt erstatteten Gegenschrift und ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Bescheid vom 10. April 2001 als unbegründet ab.
Die belangte Behörde stellte fest, dass der Beschwerdeführer am 14. Dezember 2000 um 09.00 Uhr bei der versuchten Einreise nach Österreich kontrolliert worden sei. Im Zuge der Passkontrolle habe man "in Erfahrung gebracht", dass er wegen schwerer Eigentumsdelikte aus jüngster Vergangenheit dringend verdächtig wäre. Über Befragung nach dem Zweck seines Aufenthalts in Österreich habe der Beschwerdeführer eine geschäftliche Tätigkeit genannt. In der Folge sei er nach Tschechien zurückgewiesen worden.
Auf Grund des vom Beschwerdeführer beim Grenzübertritt geäußerten Aufenthaltszweckes und "des durch die Beamten durch die Ermittlungen gewonnenen dringenden Tatverdachtes von gewerbsmäßig organisierten Geschäftseinbruchsdiebstählen" sei - so die belangte Behörde weiter - eine bestimmte Tatsache gegeben gewesen, die (iS des § 52 Abs. 2 Z 3 lit. a FrG) die Annahme gerechtfertigt habe, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit oder die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat (nämlich Tschechien) gefährden würde. Die Entscheidung der Grenzkontrollorgane über die Zulässigkeit der Einreise sei nach Befragung des Beschwerdeführers und nach dem sonst bekannten Sachverhalt getroffen worden, weshalb ausgehend von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes der Bestimmung des § 52 Abs. 3 FrG entsprochen worden sei. Dem Beschwerdeführer sei ein Glaubhaftmachen von nur geschäftlichen Beziehungen mit bestimmten Kfz-Firmen nicht gelungen bzw. habe er keine nähere Ausführungen hinsichtlich seiner geschäftlichen Tätigkeit gemacht. Dem einschreitenden Organ könne daher kein Vorwurf gemacht werden, dass es auf Grund des "sonst bekannten Sachverhaltes" über die Zulässigkeit der Einreise entschieden habe und mit Zurückweisung vorgegangen sei. Da der Sachverhalt ausreichend geklärt sei und nicht den Ausführungen des Beschwerdeführers widerspreche, habe eine öffentliche mündliche Verhandlung unterbleiben können.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
§ 52 FrG lautet - auszugsweise - wie folgt:
"Zurückweisung
§ 52. (1) Fremde sind bei der Grenzkontrolle am Betreten des Bundesgebietes zu hindern (Zurückweisung), wenn Zweifel an ihrer Identität bestehen, wenn sie der Pass- oder Sichtvermerkspflicht nicht genügen oder wenn ihnen die Benützung eines anderen Grenzüberganges vorgeschrieben wurde (§§ 6 und 42). Eine Zurückweisung hat zu unterbleiben, soweit dies einem Bundesgesetz, zwischenstaatlichen Vereinbarungen oder internationalen Gepflogenheiten entspricht.
(2) Fremde sind bei der Grenzkontrolle zurückzuweisen, wenn
...
3. sie zwar für den von ihnen angegebenen Aufenthaltszweck zur sichtvermerksfreien Einreise berechtigt sind, aber bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass
a) ihr Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit oder die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat gefährden würde;
...
(3) Über die Zulässigkeit der Einreise ist nach Befragung des Fremden auf Grund des von diesem glaubhaft gemachten oder sonst bekannten Sachverhaltes zu entscheiden. Die Zurückweisung kann im Reisedokument des Fremden ersichtlich gemacht werden."
§ 52 FrG ist weitgehend der Regelung über die Zurückweisung in § 32 des Fremdengesetzes aus 1992 nachgebildet (vgl. 685 BlgNR 20. GP 78). Zu der letztgenannten Bestimmung haben die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (692 BlgNR 18. GP 46) - ua. - ausgeführt, dass (bei den Zurückweisungsgründen) an die Sichtvermerksversagungsgründe angeknüpft werden solle.
Die belangte Behörde hat im bekämpften Bescheid nicht weiter festgestellt, welche "Ermittlungen" die einschreitenden Grenzkontrollbeamten anstellten bzw. wie sie "in Erfahrung brachten", dass der Beschwerdeführer der gewerbsmäßigen Begehung von Einbruchsdiebstählen dringend verdächtig sei, und worauf dieser dringende Tatverdacht konkret gründe. Die Bezirkshauptmannschaft Freistadt hatte dazu in ihrer Gegenschrift vor der belangten Behörde ausgeführt, dass auf Grund einer EKIS-Information mit der Kriminalabteilung für Tirol Rücksprache gehalten worden sei, wobei sich ergeben habe, dass gegen den Beschwerdeführer und einige andere tschechische Staatsangehörige der dringende Verdacht der Begehung von "gewerbsmäßig organisierten Geschäftseinbruchsdiebstählen" in Westösterreich, speziell in Tirol, bestehe und dass kein Zweifel "an der Person" gegeben sei.
Zum Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z 4 des Fremdengesetzes aus 1992 ("wenn der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde"; vgl. nunmehr § 10 Abs. 2 Z 3 FrG) hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass er auch dann gegeben sein könne, wenn (bloß) der Verdacht der Begehung einer strafbaren Handlung vorliege; es müsse sich jedoch um einen "begründeten Verdacht", der durch entsprechende Beweisergebnisse untermauert ist, handeln (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 7. September 1995, Zl. 94/18/0524, und vom 15. Dezember 1995, Zl. 95/21/0177). Im Hinblick auf die oben dargestellten Gesetzesmaterialien kommen diese Überlegungen auch im gegenständlichen Fall zum Tragen. Ob hier eine ausreichende Verdachtslage die ausgesprochene Zurückweisung rechtfertigte, kann auf Grund der Feststellungen der belangten Behörde freilich nicht beurteilt werden. Auch unter Miteinbeziehung der im bekämpften Bescheid wiedergegebenen Stellungnahme der Bezirkshauptmannschaft Freistadt lässt sich diese Frage nicht beantworten. Offen bleibt nämlich jedenfalls, was im Rahmen der Rücksprache des einschreitenden Grenzkontrollorganes mit der Kriminalabteilung für Tirol konkret erörtert worden bzw. an konkreten Tatsachen zutage getreten ist, sodass das wiedergegebene Ergebnis (gegen den Beschwerdeführer und einige andere tschechische Staatsangehörige bestehe der dringende Verdacht der Begehung von "gewerbsmäßig organisierten Geschäftseinbruchsdiebstählen" in Westösterreich, speziell in Tirol, es existiere kein Zweifel "an der Person") nicht überprüft werden kann. Das verkennt die belangte Behörde, wenn sie in ihrer Gegenschrift darauf hinweist, dass sie (ohnehin) die erwähnte Auskunft bei der Kriminalabteilung für Tirol ihrer Entscheidung zugrunde gelegt habe. Der entscheidende Gesichtspunkt, wie sich daraus die Untermauerung des Verdachtes im Sinne der zitierten Vorjudikatur ergeben konnte, bleibt im Dunkeln. Es wurde somit der "sonst bekannte Sachverhalt" iS des § 52 Abs. 3 FrG, auf dessen Grundlage die Zurückweisung ausgesprochen worden war, nicht ausreichend dargelegt. Im Hinblick darauf kann aber nach dem Gesagten nicht beurteilt werden, ob bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde. Dass - wie die belangte Behörde überdies vermeint - im Hinblick auf die Verdachtslage ein inländischer Aufenthalt des Beschwerdeführers die Beziehungen der Republik Österreich zu Tschechien gefährden würde, ist für den Verwaltungsgerichtshof ebenfalls nicht nachvollziehbar. Der bekämpfte Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Ergänzend sei angemerkt, dass die belangte Behörde zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung verpflichtet gewesen wäre. Dass eine solche nicht beantragt wurde und eine mündliche Erörterung der Rechtssache - nach Ansicht der belangten Behörde - eine weitere Klärung nicht habe erwarten lassen, vermag vor dem Hintergrund des § 67d AVG (in der Fassung vor der Verwaltungsverfahrensnovelle 2001) den Entfall einer Verhandlung nicht zu rechtfertigen.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am 29. Jänner 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2001010232.X00Im RIS seit
11.04.2002Zuletzt aktualisiert am
19.12.2013