TE Vwgh Erkenntnis 2002/1/29 2001/05/1070

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Veröffentlicht am 29.01.2002
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
41/02 Melderecht;

Norm

B-VG Art6 Abs3;
MeldeG 1991 §1 Abs6;
MeldeG 1991 §1 Abs7;
MeldeG 1991 §17 Abs1;
MeldeG 1991 §17 Abs2 Z2;
MeldeG 1991 §17 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Enzlberger-Heis, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Wien gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 14. September 2001, Zl. 604.146/6- II/13/00, betreffend Reklamationsverfahren nach § 17 Abs 2 Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Parteien: 1. Bürgermeister der Gemeinde 8903 Lassing, 2. Susanne Schnepfleitner in 1090 Wien, Lazarettgasse 14 C), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Die am 30. Dezember 1979 geborene, ledige Zweitmitbeteiligte hat seit 4. November 1999 einen weiteren Wohnsitz in Wien; als Hauptwohnsitz gab sie "Stein 4, Lassing" an.

Im Zuge des über Antrag des Beschwerdeführers eingeleiteten Ermittlungsverfahrens wurde zuletzt vom Beschwerdeführer die Wohnsitzerklärung der Zweitmitbeteiligten vom 15. Mai 2001 vorgelegt. Danach verbringt die Zweitmitbeteiligte am Hauptwohnsitz 180, am Nebenwohnsitz 235 Tage im Jahr; in der Unterkunft am Hauptwohnsitz lebten mit ihr gemeinsam ihre Eltern und vier Geschwister, am angegebenen Nebenwohnsitz ein 1967 geborener Lebensgefährte, der dort mit Hauptwohnsitz gemeldet sei. Der Arbeitsort befinde sich in 1150 Wien, der Nebenwohnsitz sei auch der Ausgangspunkt des Arbeitsweges. Ergänzend gab sie an, dass sie im Herbst wieder die Schule besuche, weshalb sie derzeit nur den Nebenwohnsitz in Wien "besitze".

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des beschwerdeführenden Bürgermeisters auf Aufhebung des Hauptwohnsitzes der Zweitmitbeteiligten an der gemeldeten Adresse in Lassing ab. Nach dem durchgeführten Ermittlungsverfahren befinde sich der Schwerpunkt der beruflichen Lebensbeziehungen in Wien, der Familienwohnsitz und somit der gesellschaftliche Schwerpunkt liege jedoch in Lassing. Festgestellt werde allerdings auch, dass in Wien eine Lebensgemeinschaft bestehe. Der Bezug zu Wien und der damit zwangsläufig verbundene Aufenthalt reiche nicht aus, um den bestehenden Hauptwohnsitz, der jedenfalls Mittelpunktqualität in familiärer und gesellschaftlicher Hinsicht aufweise und zu dem das persönliche Naheverhältnis definiert worden sei, aufzuheben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor; die erstmitbeteiligte Partei erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im zulässigerweise eingeleiteten Reklamationsverfahren wird die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt, ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u.a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher die Bestimmungskriterien des § 1 Abs. 8 MeldeG (in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 28/2001), maßgeblich sind: Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes oder der Ausbildungsstätte, Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz oder zur Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem er seiner Erwerbstätigkeit nachgeht, ausgebildet wird oder die Schule oder den Kindergarten besucht, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935 klargestellt, dass das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", das nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck kommt, nur in den Fällen den Ausschlag gibt, in denen als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zwei oder mehrere "Mittelpunkte der Lebensbeziehungen" des Betroffenen hervorgekommen sind. Das Reklamationsverfahren wird nur dann für den antragstellenden Bürgermeister erfolgreich sein, wenn der Betroffene ein "überwiegendes Naheverhältnis" an einem Ort behauptet, an dem er keinen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen (§ 1 Abs. 7 MeldeG) hat, mag er dort auch einen Wohnsitz im Sinne des § 1 Abs. 6 MeldeG haben.

Im Beschwerdefall steht fest, dass die nunmehr 22-jährige Zweitmitbeteiligte in Wien einer Beschäftigung nachgeht und in Wien in ihrer Wohnung zwar ohne Familienmitglieder, aber mit einem Lebensgefährten wohnt, dessen Hauptwohnsitz in Wien ist. Sie macht gesellschaftliche, insbesondere familiäre Beziehungen zu Lassing geltend, die in Wien nicht bestünden.

Wohl spielt bei der erforderlichen Abwägung der einzelnen Kriterien die für eine 22-jährige Person im Regelfall noch gegebene familiäre Bindung eine Rolle. Andererseits führt aber die Berufstätigkeit (im Gegensatz zum Studium, bei dem üblicherweise eine finanzielle Abhängigkeit von den Eltern besteht) zu einer wirtschaftlichen Selbstständigkeit. Die Lebensgemeinschaft mit einem mit Hauptwohnsitz in Wien gemeldeten Menschen schafft eine neue familiäre Beziehung, zumal der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0941, die (unstrittig bestehende) Lebensgemeinschaft in diesem Zusammenhang der Ehe gleichgestellt hat.

Diese in Wien bestehende familiäre und somit gesellschaftliche sowie die berufliche und die wirtschaftliche Lebensbeziehung muss gegenüber der bloß gesellschaftlichen Lebensbeziehung in Lassing als derart überwiegend angesehen werden, dass der Mittelpunktcharakter des Heimatortes nicht mehr bejaht werden kann.

Ausgehend davon hat im vorliegenden Fall die Zweitmitbeteiligte ohne Rechtsgrundlage eine Wahl nach § 1 Abs. 7 letzter Satz MeldeG getroffen, sodass die Reklamation durch den Beschwerdeführer zu Recht erfolgte. Da die belangte Behörde diese Rechtslage verkannt hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Dieser Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 29. Jänner 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2001051070.X00

Im RIS seit

11.04.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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