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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Enzlberger-Heis, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Wien gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 14. Februar 2001, Zl. 601.215/5- II/13/00, betreffend Reklamationsverfahren nach § 17 Abs. 2 Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Parteien: 1. Bürgermeister der Marktgemeinde Jenbach, 2. Markus Schindler in Jenbach, Rotholzerweg 11/12), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-- und dem Zweitmitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von EUR 55,23 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der am 15. Juni 1975 in Schwaz geborene, ledige Zweitmitbeteiligte ist seit seiner Geburt in Jenbach mit Hauptwohnsitz (siehe § 23 Abs. 1 des im Beschwerdefall anzuwendenden Meldegesetzes 1991, BGBl. Nr. 9/1992 in der Fassung des Hauptwohnsitzgesetzes, BGBl. Nr. 505/1994; in der Folge kurz: MeldeG) gemeldet. Am 9. März 1999 meldete der Zweitmitbeteiligte Wien als weiteren Wohnsitz.
Der Zweitmitbeteiligte besucht in Wien einen zweijährigen Ausbildungslehrgang und bewohnt am gemeldeten weiteren Wohnsitz in Wien eine Wohnung (nähere Angaben über Größe und Ausstattung der Wohnung fehlen). In Jenbach hat er eine (geförderte) Genossenschaftswohnung. Der Aufenthalt in Wien sei deshalb notwendig, weil die Ausbildung zum Tontechniker beim SAE-Kolleg nur in Wien möglich sei.
Der beschwerdeführende Bürgermeister beantragte mit Eingabe vom 27. Dezember 1999 gemäß § 17 Abs. 2 Z. 2 MeldeG die Einleitung eines Reklamationsverfahrens zur Entscheidung darüber, ob der Zweitmitbeteiligte, der in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters mit Hauptwohnsitz angemeldet ist, dort weiterhin den Hauptwohnsitz hat. Begründet wurde dieser Antrag im Wesentlichen damit, dass im Hinblick auf die qualifizierte Anwesenheit des Zweitmitbeteiligten in Wien, zumal er in Wien eine Lebensgefährtin habe, dieser Wohnsitz als Mittelpunkt der Lebensbeziehungen betrachtet werden müsse. Wenn man im Übrigen auch noch mit ins Kalkül ziehe, dass die Stadt Wien mit all ihren zahlreichen kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Angeboten mit Sicherheit dem Zweitmitbeteiligten schon bisher dienlich gewesen sei und weiterhin sein werde, sei Wien als Hauptwohnsitz zu betrachten.
Der Zweitmitbeteiligte führte in seiner Stellungnahme aus, seine Wohnung, seine Familie und Freunde in Jenbach seien für ihn der Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen; die Unterstellungen des Beschwerdeführers seien geschmacklos.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des beschwerdeführenden Bürgermeisters auf Aufhebung des Hauptwohnsitzes des Zweitmitbeteiligten an der gemeldeten Adresse in Jenbach ab. Auf Grund des Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens und einer Gesamtbetrachtung der Lebensbeziehungen des Zweitmitbeteiligten reiche der zeitweilige Aufenthalt in Wien - somit lediglich der "Schwerpunkt" der Ausbildung - allein nicht aus, um seinen Hauptwohnsitz in Jenbach, der den Mittelpunkt der familiären und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen darstelle, aufzuheben.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen. Die zweitmitbeteiligte Partei erstattete ebenfalls eine Gegenschrift. Der Zweitmitbeteiligte beantragte Kostenzuspruch für Stempelmarken.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, hat der Verwaltungsgerichtshof im Geltungsbereich der auch im Beschwerdefall anzuwendenden Rechtslage des Meldegesetzes 1991, BGBl. Nr. 9/1992, in der Fassung BGBl. Nr. 352/1995, ausgeführt, dass im zulässigerweise eingeleiteten Reklamationsverfahren die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt (wird), ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG 1991) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u. a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher - wie auch den Erläuterungen der Regierungsvorlage zur Meldegesetznovelle, BGBl. Nr. 505/1994 (GP XVIII RV 1334), zu entnehmen ist - vor allem folgende Bestimmungskriterien maßgeblich sind: Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes und der Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften. Durchaus möglich ist, dass am Hauptwohnsitz - und damit beim Mittelpunkt der Lebensbeziehungen - wenige oder gar keine beruflichen Lebensbeziehungen bestehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. August 1999, Zl. 99/05/0076). Diese Regelung hat auch durch die Anfügung des Abs. 8 im § 1 MeldeG mit der Novelle vom 30. März 2001, BGBl. I Nr. 28/2001, keine inhaltliche Änderung erfahren, weil damit nur die in der vorzitierten Regierungsvorlage angeführten Kriterien in Gesetzesform gegossen worden sind.
Für das vom Verfassungsgerichtshof in seinem obzitierten Erkenntnis vom 26. September 2001 als verfassungskonform bewertete Reklamationsverfahren gilt daher, dass nur die im § 17 Abs. 3 MeldeG angeführten Beweismittel zulässig sind; die Parteien trifft eine besondere Mitwirkungspflicht. Die am Reklamationsverfahren beteiligten Bürgermeister dürfen nur Tatsachen geltend machen, die sie in Vollziehung eines Bundes- oder Landesgesetzes ermittelt haben und die keinem Übermittlungsverbot unterliegen.
Um dem Ziel des Reklamationsverfahrens gemäß § 17 Abs. 3 MeldeG - "die Richtigkeit einer von einem Meldepflichtigen vorgenommenen Erklärung seines Hauptwohnsitzes im öffentlichen Interesse zu hinterfragen" (siehe das bereits zitierte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001) - nachkommen zu können, hat sohin die Behörde (§ 17 Abs. 1 MeldeG) in ihrer Entscheidung für die Beurteilung des Mittelpunktes der Lebensbeziehungen des Betroffenen als wesentliches Tatbestandsmerkmal seines Hauptwohnsitzes gemäß § 1 Abs. 7 MeldeG eine Gesamtbetrachtung seiner beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen vorzunehmen. Diesen Anforderungen wird das Ermittlungsverfahren nur dann entsprechen, wenn die Behörde jedenfalls die oben wiedergegebenen, nunmehr im § 1 Abs. 8 MeldeG, BGBl. Nr. 28/2001, für den Mittelpunkt der Lebensbeziehungen eines Menschen angeführten Kriterien berücksichtigt hat. Hiefür stehen der Behörde die im § 17 Abs. 3 MeldeG (abschließend) aufgezählten Beweismittel zur Verfügung. Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich in diesem Zusammenhang der vom Verfassungsgerichtshof in dessen Erkenntnis vom 26. September 2001 vertretenen Auffassung an, dass die dort normierte besondere Mitwirkungspflicht der Parteien, insbesondere des Betroffenen, deren Verpflichtung einschließt, zu strittigen Umständen in Form verbindlicher und nachvollziehbarer Erklärungen und Erläuterungen Stellung zu nehmen. Die belangte Behörde hat daher in diesem Rahmen den maßgebenden Sachverhalt (§ 37 AVG) zu ermitteln und die vorliegenden Beweise auch zu würdigen (§ 45 Abs. 2 AVG). In diesem Zusammenhang weist der Verwaltungsgerichtshof darauf hin, dass das subjektive Kriterium des "überwiegenden Naheverhältnisses" nur dann entscheidend ist, wenn ausnahmsweise zwei oder mehrere Wohnsitze des Betroffenen Mittelpunkte der Lebensbeziehungen darstellen (siehe das hg. Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935), die vom Betroffenen vorgenommene Bezeichnung des Hauptwohnsitzes allein also nicht jedenfalls maßgeblich ist.
Der Verfassungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang auch klargelegt, dass eine "absolute Sicherheit" über die Lebenssituation des Meldepflichtigen für die Evaluierung des zu beurteilenden Sachverhaltes nicht notwendig ist; der Gesetzgeber hat durch die Regelung des § 17 Abs. 3 MeldeG bewusst die in Rede stehenden Unschärfen in Kauf genommen, um im gegebenen Zusammenhang bestimmte behördliche Vorgangsweisen hintanzuhalten, die bei Geltung des Prinzips der Unbeschränktheit der Beweismittel nach § 46 AVG denkbar oder möglicherweise sogar geboten wären.
Im Beschwerdefall steht fest, dass der nunmehr 26-jährige Zweitmitbeteiligte in Wien einer auf zwei Jahre begrenzten Ausbildung nachgeht und in Wien in einer Mietwohnung wohnt; er macht gesellschaftliche, insbesondere familiäre Beziehungen zu Jenbach geltend, die in Wien nicht bestünden. Durch die mit der Anschaffung einer Genossenschaftswohnung erfolgte Kapitalbindung wurde jedenfalls eine massive wirtschaftliche Beziehung zu Jenbach verstärkt. Die erforderliche Gesamtbetrachtung verleiht der familiären und der wirtschaftlichen Lebensbeziehung ein deutliches Übergewicht über den zeitlich begrenzten Aufenthalt zur Berufsausbildung in Wien.
Im "Erhebungsblatt zur Feststellung des Hauptwohnsitzes" hat der Zweitmitbeteiligte keinen Mitbewohner, geschweige denn eine Lebensgemeinschaft, an seiner Wiener Wohnung angegeben. Weitere Ermittlungen dazu waren der belangten Behörde aber auf Grund der in § 17 Abs. 3 MeldeG statuierten Beschränkung der Beweismittel auf das Vorbringen der Parteien verwehrt. Denn die beschränkte Beweisaufnahme erlaubt keinesfalls die Feststellung einer Lebensgemeinschaft gegen den Willen der Betroffenen (siehe das hg. Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0941).
Es ist daher davon auszugehen, dass eine Mittelpunktqualität des Wohnsitzes in Jenbach nach wie vor gegeben ist.
Ausgehend davon hat im vorliegenden Fall der Zweitmitbeteiligte mit Recht Jenbach als seinen Hauptwohnsitz angegeben, sodass die Reklamation durch den Beschwerdeführer zu keinem anderen Ergebnis führten konnte. Der angefochtene Bescheid ist daher mit keiner Rechtswidrigkeit behaftet, weshalb die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am 29. Jänner 2002
Schlagworte
Grundsatz der UnbeschränktheitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2001050991.X00Im RIS seit
11.04.2002