TE Vwgh Erkenntnis 2002/1/29 2001/05/1023

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.01.2002
beobachten
merken

Index

41/02 Melderecht;

Norm

MeldeG 1991 §1 Abs6;
MeldeG 1991 §1 Abs7;
MeldeG 1991 §17 Abs1;
MeldeG 1991 §17 Abs2 Z2;
MeldeG 1991 §17 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Enzlberger-Heis, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Wien gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 26. März 2001, Zl. 600.623/5- II/13/00, betreffend Reklamationsverfahren nach § 17 Abs. 2 Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Parteien:

1.

Bürgermeister der Gemeinde Weißensee in Weißensee,

2.

Michael Seeland in Wien XIX, Schegargasse 1/10, bzw. in Weißensee, Techendorf 13), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 41,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der am 24. April 1967 in Wien geborene, geschiedene Zweitmitbeteiligte war vom 10. Oktober 1973 bis zum 6. April 1983 mit Hauptwohnsitz (ordentlichem Wohnsitz) in Wien gemeldet. Seither ist er mit Hauptwohnsitz in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters (Weißensee) gemeldet. Im zugrundeliegenden Verwaltungsverfahren gab der mitbeteiligte Bürgermeister der belangten Behörde mit Schreiben vom 16. Dezember 1999 bekannt, der Zweitmitbeteiligte habe am 7. April 1983 gemeinsam mit seinen Eltern und seinen Geschwistern den Hauptwohnsitz von Wien nach Weißensee verlegt (Verlegung des Mittelpunktes der Lebensbeziehungen durch Übernahme des elterlichen Gastronomiebetriebes durch die Mutter des Zweitmitbeteiligten). Er habe dann nach seiner Eheschließung seinen Hauptwohnsitz innerhalb der Gemeinde Weißensee verlegt, seit seiner Scheidung im Februar 1995 habe er sich wieder mit Hauptwohnsitz bei seinen Eltern gemeldet. Seine geschiedene Frau und seine beiden Kinder wohnten nach wie vor in Weißensee. Aus der Tatsache, dass der Umzug nach Weißensee bereits vor 16 Jahren erfolgt sei, sei sicher abzuleiten, dass der Zweitmitbeteiligte eine starke familiäre, gesellschaftliche und kulturelle Bindung zu Weißensee entwickelt habe und eine solche nach wie vor bestehe.

Der Zweitmitbeteiligte äußerte sich in einer Eingabe vom 20. März 2000 (es handelt sich um ein formularmäßiges Erhebungsblatt zur Feststellung des Hauptwohnsitzes) dahin, er sei geschieden. In Weißensee halte er sich etwa 156 Tage im Jahr zum Wochenende auf, in Wien rund 280 Tage im Jahr werktags. Seine Mitbewohner in Weißensee seien seine Eltern und sein Bruder, in Wien werden keine Familienmitglieder als Mitbewohner angegeben. In der Gemeinde Weißensee wohnten weiters seine beiden Töchter, in Wien wohne ein (weiterer) Bruder (der in Weißensee nicht mit Hauptwohnsitz gemeldet sei). Er sei in Wien berufstätig und trete den Weg zur Arbeitsstätte im Regelfall von Wien aus an. Seine Kinder besuchten in Weißensee bzw. in einer benachbarten Gemeinde die Schule. Seinen gesellschaftlichen Betätigungen in beiden Gemeinden seien "weniger intensiv".

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag des beschwerdeführenden Bürgermeisters auf Aufhebung des Hauptwohnsitzes des Zweitmitbeteiligten an der gemeldeten Adresse in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters abgewiesen. Zusammengefasst folgte sie den Angaben des Zweitmitbeteiligten im Verwaltungsverfahren (wobei in diesem Zusammenhang ausgeführt wurde, dieser habe die Angaben des Beschwerdeführers im verfahrenseinleitenden Antrag, wonach er in Wien mit seiner Lebensgefährtin wohne, nicht bestätigt, sodass dieser Umstand nicht als erwiesen angenommen worden sei). Die belangte Behörde folgerte daraus, dass der berufsmäßige Mittelpunkt der Lebensbeziehungen in Wien liege, der "Familienwohnsitz" und somit der gesellschaftliche Schwerpunkt seiner Lebensbeziehungen hingegen eindeutig in Weißensee, wo sein soziales Umfeld konzentriert sei. Das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", welches nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck komme, gebe daher im Beschwerdefall den Ausschlag.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt; angesprochen wird der Vorlageaufwand.

Der erstmitbeteiligte Bürgermeisters verwies in seinem Schriftsatz auf seine Ausführungen im Verwaltungsverfahren und erklärte, er habe der Stellungnahme des Zweitmitbeteiligten vom 20. März 2000 an die belangte Behörde nichts hinzuzufügen. Kostenersatz wird nicht angesprochen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im zulässigerweise eingeleiteten Reklamationsverfahren wird die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt, ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u.a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher die nunmehr ausdrücklich in § 1 Abs. 8 MeldeG (in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 28/2001) genannten Kriterien, maßgeblich sind:

Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes oder der Ausbildungsstätte, Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz oder zur Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, klargestellt, dass das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", das nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck kommt, nur in den Fällen den Ausschlag gibt, in denen als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zwei oder mehrere "Mittelpunkte der Lebensbeziehungen" des Betroffenen hervorgekommen sind (also wenn ausnahmsweise zwei oder mehrere Wohnsitze des Betroffenen solche Mittelpunkte darstellen, wobei die vom Betroffenen vorgenommene Bezeichnung eines Hauptwohnsitzes allein nicht jedenfalls maßgeblich ist). Das Reklamationsverfahren wird nur dann für den antragstellenden Bürgermeister erfolgreich sein, wenn der Betroffene ein "überwiegendes Naheverhältnis" an einem Ort behauptet, an dem er keinen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen (§ 1 Abs. 7 MeldeG) hat, mag er dort auch einen Wohnsitz im Sinne des § 1 Abs. 6 MeldeG haben. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang auch klargelegt, dass eine "absolute Sicherheit" über die Lebenssituation des Meldepflichtigen für die Evaluierung des zu beurteilenden Sachverhaltes nicht notwendig ist; der Gesetzgeber hat durch die Regelung des § 17 Abs. 3 MeldeG bewusst die in Rede stehenden Unschärfen aus rechtspolitischen Gründen in Kauf genommen (siehe dazu näher das genannte Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, oder auch das weitere Erkenntnis vom selben Tag, Zl. 2001/05/0930).

Der Verwaltungsgerichtshof teilt die Beurteilung der belangten Behörde, dass der Zweitmitbeteiligte auf Grund seiner beruflichen Tätigkeit in Wien in dieser Stadt einen "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen" hat. Der Beschwerdefall ist aber dadurch gekennzeichnet, dass der Zweitmitbeteiligte familiäre Beziehungen zu Weißensee hat, wobei hier dem Umstand besondere Bedeutung zukommt, dass dort seine beiden minderjährigen Kinder wohnen. Vor diesem Hintergrund teilt der Verwaltungsgerichtshof die weitere Auffassung der belangten Behörde, dass der Zweitmitbeteiligte auch in Weißensee einen Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat (d.h., der Ausnahmefall vorliegt, dass eine Person mehr als einen "Mittelpunkt der Lebensbeziehungen" hat) und ihm daher ein Wahlrecht zukam.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001, wobei § 47 Abs. 4 VwGG nicht zur Anwendung gelangt (vgl. den hg. Beschluss vom 9. Oktober 2001, Zl. 2001/05/0255).

Wien, am 29. Jänner 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2001051023.X00

Im RIS seit

11.04.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten