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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
B-VG Art6 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Enzlberger-Heis, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Wien gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 15. Oktober 2001, Zl. 605.950/6- II/13/01, betreffend Reklamationsverfahren nach § 17 Abs. 2 Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Parteien:
1.
Bürgermeister der Gemeinde Wiesfleck in Wiesfleck,
2.
Jürgen Brenner in Wien III, Hainburgerstraße 48/37, bzw. in Wiesfleck Nr. 192), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 41,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der am 17. Feber 1979 geborene, ledige Zweitmitbeteiligte ist seit seiner Geburt mit Hauptwohnsitz in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters gemeldet. Seit 14. Mai 1999 ist er mit weiterem Wohnsitz in Wien gemeldet, wo er studiert. In einer am 20. April 2001 im Gemeindeamt des erstmitbeteiligten Bürgermeisters niederschriftlich abgegeben und an die belangte Behörde gerichteten Erklärung gab der Zweitmitbeteiligte an, er wähle seinen Hauptwohnsitz in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters, was er wie folgt begründe: Er sei zwar in Wien "berufstätig, fahre aber mindestens zweimal in der Woche" nach Hause zum Fußballtraining und jedes Wochenende (Freitag bis Montag in der Früh) sei er auch zu Hause (Anmerkung: gemeint ist in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters). Er spiele aktiv beim lokalen Sportklub und sei auch noch Mitglied beim Tennisverein in seiner Heimatgemeinde. Er wohne noch bei seinen Eltern und werde auch ihr Einfamilienhaus übernehmen. Er wolle daher auch dort den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen "festlegen". In seiner Wohnsitzerklärung (§ 15a MeldeG) vom 7. Mai 2001 gab er an, Student zu sein. In der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters wohne er mit seinen Eltern, in Wien mit seiner Lebenspartnerin, die dort mit Nebenwohnsitz gemeldet ist. Den Weg zur Studieneinrichtung trete er überwiegend von Wien aus an. In keiner der beiden Gemeinden übe er Funktionen in privaten oder öffentlichen Körperschaften aus. Er halte sich in Wien rund 150 Tage im Jahr, in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters rund 215 Tage im Jahr auf.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des beschwerdeführenden Bürgermeisters auf Aufhebung des Hauptwohnsitzes des Zweitmitbeteiligten an der gemeldeten Adresse in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters ab. Hiezu stellte die belangte Behörde fest, dass der ausbildungsmäßige Mittelpunkt der Lebensbeziehungen auf Grund des Studiums in Wien liege, der "Familienwohnsitz" und somit der gesellschaftliche Schwerpunkt der Lebensbeziehungen des Zweitmitbeteiligten liege hingegen eindeutig in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters. Dort sei auch das soziale Umfeld des Zweitmitbeteiligten konzentriert. Das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", welches nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck komme, gebe daher im Beschwerdefall den Ausschlag.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt;
angesprochen wird der Vorlageaufwand.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im zulässigerweise eingeleiteten Reklamationsverfahren wird die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt, ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u.a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher die Bestimmungskriterien des § 1 Abs. 8 MeldeG (in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 28/2001), maßgeblich sind: Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes oder der Ausbildungsstätte, Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz oder zur Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, klargestellt, dass das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", das nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck kommt, nur in den Fällen den Ausschlag gibt, in denen als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zwei oder mehrere "Mittelpunkte der Lebensbeziehungen" des Betroffenen hervorgekommen sind (also wenn ausnahmsweise zwei oder mehrere Wohnsitze des Betroffenen solche Mittelpunkte darstellen, wobei die vom Betroffenen vorgenommene Bezeichnung eines Hauptwohnsitzes allein nicht jedenfalls maßgeblich ist). Das Reklamationsverfahren wird nur dann für den antragstellenden Bürgermeister erfolgreich sein, wenn der Betroffene ein "überwiegendes Naheverhältnis" an einem Ort behauptet, an dem er keinen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen (§ 1 Abs. 7 MeldeG) hat, mag er dort auch einen Wohnsitz im Sinne des § 1 Abs. 6 MeldeG haben. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang auch klargelegt, dass eine "absolute Sicherheit" über die Lebenssituation des Meldepflichtigen für die Evaluierung des zu beurteilenden Sachverhaltes nicht notwendig ist; der Gesetzgeber hat durch die Regelung des § 17 Abs. 3 MeldeG bewusst die in Rede stehenden Unschärfen aus rechtspolitischen Gründen in Kauf genommen (siehe dazu näher das genannte Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, oder auch das weitere Erkenntnis vom selben Tag, Zl. 2001/05/0930).
Zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides hatte der Zweitmitbeteiligte (der Student ist) das 26. Lebensjahr noch nicht vollendet, was im Sinne des hg. Erkenntnisses vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, auf dessen eingehende Begründung gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, bedeutet, dass jedenfalls ein Mittelpunkt der Lebensbeziehungen des Zweitmitbeteiligten noch in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters, nicht aber auch in Wien anzunehmen ist. Allerdings wohnt der Zweitmitbeteiligte seinen Angaben zufolge in Wien mit einer Lebensgefährtin (Lebenspartnerin), worauf die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht eingegangen ist. Dadurch ergibt sich zwar zusätzlich zur familiären Bindung zu den Angehörigen im Heimatort eine neue, weitere familiäre Bindung, der rechtserhebliche Bedeutung zukommt, zumal der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0941, eine - unstrittig bestehende - Lebensgemeinschaft in diesem Zusammenhang einer Ehe gleichgestellt hat. Daraus könnte sich - ausnahmsweise - zusätzlich zum Mittelpunkt der Lebensbeziehungen des Zweitmitbeteiligten an seinem Heimatort (allenfalls) ein weiterer Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in Wien ergeben, aber nicht, dass der Zweitmitbeteiligte an seinem Heimatort keinen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen hätte (und nur daraus könnte der Beschwerdeführer etwas für seinen prozessualen Standpunkt gewinnen).
Damit hat die belangte Behörde jedenfalls im Ergebnis den Antrag des Beschwerdeführers zu Recht abgewiesen, weshalb die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am 29. Jänner 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2001051120.X00Im RIS seit
12.04.2002