TE Vwgh Erkenntnis 2002/1/30 96/08/0088

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Veröffentlicht am 30.01.2002
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Index

L92059 Altenheime Pflegeheime Sozialhilfe Wien;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §52;
B-VG Art127 Abs1;
B-VG Art127 Abs8;
SHG Wr 1973 §13 Abs1;
SHG Wr 1973 §13 Abs6;
SHG Wr 1973 §3;
SHG Wr 1973 §6;
SHV Richtsätze Wr 1973 §4 Abs1;
SHV Richtsätze Wr 1973;
VwGG §42 Abs2 Z3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des K in W, vertreten durch Dr. Hansjörg Heiter, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wiesingerstraße 3, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 29. November 1995, Zl. MA 12 - 15352/94, betreffend Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes nach dem Wiener Sozialhilfegesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 22. Februar 1995 wies der Magistrat der Stadt Wien, MA 12 - Sozialamt, den Antrag des Beschwerdeführers vom 18. Jänner 1995 auf Zuerkennung einer monatlichen Geldleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes unter Berufung auf die §§ 8, 12 und 13 des Wiener Sozialhilfegesetzes, LGBl. Nr. 11/1973 (WSHG), und der §§ 1, 4 und 5 der Richtsatzverordnung ab.

Nach der Begründung habe der Beschwerdeführer noch nicht das Pensionsalter, nämlich das 65. Lebensjahr, erreicht und sei außerdem laut amtsärztlichem Gutachten jeweils nur kurzfristig für arbeitsunfähig befunden worden. Daher bestünden derzeit nicht die Voraussetzungen für die Gewährung einer Dauerleistung.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung, wobei er im Wesentlichen vorbrachte, seit 1993 bei der ARGE-Nichtsesshaften-Hilfe in Betreuung zu stehen. Er habe in dieser Zeit massive gesundheitliche Probleme gehabt, weshalb er sich mehrmals in stationärer Krankenhausbehandlung befunden habe. Die Behörde erster Instanz habe es unterlassen, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen. Insbesondere sei weder ein psychiatrisches, noch ein neurologisches oder psychologisches Gutachten eingeholt worden. Außerdem habe der Beschwerdeführer keine Möglichkeit gehabt, zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung zu nehmen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung keine Folge gegeben und der Bescheid der Behörde erster Instanz bestätigt.

In ihrer Begründung verwies die belangte Behörde u.a. auf § 13 Abs. 1 WSGH, wonach die Bemessung von Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes unter Anwendung von Richtsätzen zu erfolgen habe. Die Richtsätze seien durch Verordnung der Landesregierung (Richtsatzverordnung) festzusetzen. Nach § 13 Abs. 6 WSHG sei der nicht durch den Richtsatz gedeckte Bedarf im Rahmen des Lebensunterhaltes, insbesondere die Unterkunft, Bekleidung, Hausrat und Beheizung, durch zusätzliche Geld- oder Sachleistungen zu decken, deren Ausmaß nach den Erfordernissen des einzelnen Falles zu bemessen seien. Bei alten oder erwerbsunfähigen Beziehern wiederkehrender monatlicher Geldleistungen zur Sicherung des Lebensbedarfes könne der Bedarf durch einen Zuschlag zum Richtsatz pauschal abgedeckt werden. Nach § 4 Abs. 1 der Richtsatzverordnung sei bei Dauersozialhilfebeziehern, die das 65. Lebensjahr (bei Männern) überschritten hätten oder für mindestens ein halbes Jahr erwerbsunfähig seien, der nicht durch den Richtsatz gedeckte Bedarf im Rahmen des Lebensunterhaltes durch einen Zuschlag zum Richtsatz pauschal abzudecken. Aus diesen Bestimmungen ergebe sich, dass grundsätzlich alte (bei Männern ab dem vollendeten 65. Lebensjahr, bei Frauen ab dem vollendeten 60. Lebensjahr) oder länger als sechs Monate erwerbsunfähige Personen eine Dauerleistung beziehen könnten. Im Beschwerdefall sei weder die Altersgrenze erreicht noch liege ein ärztlicher Befund vor, der eine länger als sechsmonatige Erwerbsunfähigkeit konstatiere. Vielmehr sei der Beschwerdeführer, beginnend mit Jänner 1995 jeweils nur befristet (ca. zwei Monate) krankgeschrieben worden. Es ergebe sich auch kein Anhaltspunkt dafür, dass der Amtsarzt der MA 15 für die von der Behörde verlangte Beurteilung weitere fachärztliche Gutachten benötigt hätte. Eine Aufforderung des Beschwerdeführers zur Stellungnahme zu den amtsärztlichen Gutachten sei in mehrfacher Hinsicht nicht erforderlich gewesen. Einerseits habe der Beschwerdeführer selbst mit seinen Angaben gegenüber dem Amtsarzt an der Erstellung der Gutachten mitgewirkt bzw. sei ihm deren Ergebnis bekannt gewesen, wobei er bei Unklarheiten jeweils in den Verfahrensakt hätte Einsicht nehmen können. Ein Anspruch auf eine monatlich wiederkehrende Geldleistung sei daher im Beschwerdefall nicht gegeben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Das Wiener Sozialhilfegesetz regelt nicht ausdrücklich, unter welchen Voraussetzungen Sozialhilfe für den Lebensbedarf in Form von regelmäßigen Dauerleistungen zuzuerkennen ist. Es sieht lediglich vor, dass Sozialhilfe auch in Form wiederkehrender Geldleistungen gewährt werden kann. Steht die Behörde in einem konkreten Einzelfall vor der Entscheidung, ob sie Sozialhilfe in der Weise gewähren soll, dass sie für die Zukunft einen regelmäßig auszuzahlenden Geldbetrag zuerkennt, der so lange auszuzahlen ist, als nicht anderes verfügt wird, oder ob sie eine Sozialhilfeleistung jeweils nur für einen konkreten Zeitraum zuerkennt und weitere Leistungen späteren Bescheiden vorbehält, hat sie sich diesbezüglich von Überlegungen leiten zu lassen, die sich an den einleitenden Bestimmungen des Gesetzes (§§ 3 ff), aber auch an den verfassungsrechtlichen Geboten der Art. 127 Abs. 1 und 8 B-VG (Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit) zu orientieren (vgl. etwa das Erkenntnis vom 11. März 1988, Zl. 87/11/0228).

Dauerleistungen sollen dann zuerkannt werden, wenn sich auf Grund einer vorhersehbaren Stabilität der Verhältnisse des Hilfesuchenden ein für die (nächste) Zukunft annähernd gleichbleibender Bedarf nach Sozialhilfeleistungen zu ergeben scheint. In diesem Fall liegt es nicht nur im Interesse des Hilfesuchenden, Sozialhilfeleistungen ohne monatliche Antragstellung rechtzeitig (§ 6 WSHG) zu erhalten, sondern auch im Interesse der Behörde im Sinne einer sparsamen und zweckmäßigen Verwaltung, nicht monatlich über Anträge Ermittlungen anstellen und absprechen zu müssen. Die im Gesetz und in der Verordnung genannten Voraussetzungen des Alters und der Erwerbsunfähigkeit stellen gewiss typische Fälle der Zuerkennung von Dauerleistungen dar. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass auch bei jüngeren und erwerbsfähigen Hilfesuchenden auf Grund besonderer Umstände die genannte Stabilität der für die Beurteilung der Hilfsbedürftigkeit maßgebenden Verhältnisse gegeben ist, die einen gleichbleibenden Sozialhilfeanspruch als wahrscheinlich erscheinen lassen (vgl. das Erkenntnis vom 31. Jänner 1995, Zl. 94/08/0202, mit Hinweis auf Vorjudikatur).

Im Beschwerdefall hat die belangte Behörde ihre Auffassung, dass dem Beschwerdeführer keine Dauerleistung zu gewähren sei, im Wesentlichen damit begründet, aus den von ihr eingeholten amtsärztlichen Gutachten ergebe sich bloß eine vorübergehende Erwerbsunfähigkeit des Beschwerdeführers.

Bei diesen Gutachten handelt es sich um formularmäßige Vordrucke, mit denen die Arbeitsfähigkeit im Sinne des § 255 Abs. 3 ASVG (Begriff der Invalidität) zu beurteilen war. In den der belangten Behörde vorliegenden Gutachten (vom 13. Jänner 1995, 14. März 1995, 16. Mai 1995, 25. Juli 1995, 26. September 1995 und 24. November 1995) wurde vom Gutachter in der Rubrik "Vorgeschichte und Befund" häufig auf den im Wesentlichen unveränderten Zustand hingewiesen bzw. "Äthylismus" eingetragen. In der Rubrik "Diagnose" wurden fast immer "chronischer Äthylismus, organisches Psychosyndrom, Ösophagusvarizen, KHK, linksvertikulare Hypertrophie" eingetragen. Vom Gutachter wurden ferner der Vordruck "Nur vorübergehend arbeitsunfähig: Nachprüfung des Fortbestehens der Arbeitsunfähigkeit nach ..." angekreuzt und stets die Worte "zwei Monaten" eingefügt.

Äußerungen, die allerdings nur unüberprüfbare Behauptungen enthalten und nicht die Erwägungen aufzeigen, auf Grund derer der Sachverständige zu seinem Gutachten gelangt ist, können nicht als taugliches Gutachten eines Sachverständigen angesehen werden. Legt die Behörde ein in sich unklares Gutachten ihrer Entscheidung zu Grunde, ohne auf eine Aufklärung der Unklarheit zu dringen, so ist schon deshalb der Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben (vgl. dazu etwa die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, zu § 52 AVG wiedergegebene Rechtsprechung, insbesondere E 214 und 227).

Da die belangte Behörde allein auf der Grundlage der wiedergegebenen Ermittlungsergebnisse die für eine Dauerleistung erforderliche Stabilität der Verhältnisse des Beschwerdeführers verneint hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Dieser war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

     Von der beantragten mündlichen Verhandlung wurde gemäß § 39

Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen.

     Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die

§§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 30. Jänner 2002

Schlagworte

Gutachten Beweiswürdigung der Behörde Anforderung an ein Gutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:1996080088.X00

Im RIS seit

03.06.2002

Zuletzt aktualisiert am

30.09.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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