TE Vwgh Erkenntnis 2002/1/30 2000/08/0218

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Veröffentlicht am 30.01.2002
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §67 Abs10;
VwGG §13 Abs1;
VwGG §63 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des B in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Zatlasch, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Mariahilferstraße 49, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 8. November 2000, Zl. MA 15-II-R 18/2000, betreffend Haftung für Beitragsschuldigkeiten gem. § 67 Abs. 10 ASVG (mitbeteiligte Partei: Wiener Gebietskrankenkasse, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Windmühlgasse 30), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Vorgeschichte des Beschwerdefalls ist dem hg. Erkenntnis vom 29. März 2000, Zl. 95/08/0140, zu entnehmen: Mit diesem Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof den im ersten Rechtsgang erlassenen Bescheid der belangten Behörde, mit welchem der Beschwerdeführer als Geschäftsführer einer Gesellschaft mbH gem. § 67 Abs. 10 ASVG zur Zahlung bei der Gesellschaft rückständiger Sozialversicherungsbeiträge verpflichtet und sein Einspruch gegen den erstinstanzlichen Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse abgewiesen worden war, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit der Begründung aufgehoben, die belangte Behörde habe die Uneinbringlichkeit der Beiträge bei der Gesellschaft nicht mängelfrei festgestellt.

Mit dem nunmehr ergangenen angefochtenen Einspruchsbescheid verpflichtete die belangte Behörde die beschwerdeführende Partei gem. § 67 Abs. 10 ASVG als Geschäftsführer einer näher bezeichneten Gesellschaft mbH neuerlich zur Zahlung von rückständigen, bei der Gesellschaft uneinbringlich gewordenen Sozialversicherungsbeiträgen in der Höhe von S 257.149,95 sA.

Dieser Bescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die genannten, aus Zeiträumen, während derer die beschwerdeführende Partei Geschäftsführer der genannten Gesellschaft gewesen sei, unberichtigt aushaftenden Sozialversicherungsbeiträge im Insolvenzverfahren der Gesellschaft uneinbringlich geworden seien und die beschwerdeführende Partei nicht (ausreichend) dargetan habe, dass sie an der Nichtentrichtung dieser Beiträge kein Verschulden treffe, insbesondere dass die Verbindlichkeiten der Gebietskrankenkasse nicht schlechter behandelt worden seien als die übrigen Verbindlichkeiten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen. Die mitbeteiligte Partei hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gem. § 67 Abs. 10 ASVG haften die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften (offene Handelsgesellschaft, offene Erwerbsgesellschaft, Kommanditgesellschaft, Kommandit-Erwerbsgesellschaft) berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Vermögensverwalter haften, soweit ihre Verwaltung reicht, entsprechend.

Seit dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 12. Dezember 2000, Zlen. 98/08/0191, 0192, vertritt der Verwaltungsgerichtshof in Abkehr von seiner früheren ständigen Rechtsprechung nunmehr die Auffassung, dass unter den "den Vertretern auferlegten Pflichten" im Sinne dieser Gesetzesstelle in Ermangelung weiterer in den gesetzlichen Vorschriften ausdrücklich normierter Pflichten des Geschäftsführers im Wesentlichen die Melde- und Auskunftspflichten, soweit diese in § 111 ASVG iVm § 9 VStG auch gesetzlichen Vertretern gegenüber sanktioniert sind, sowie die in § 114 Abs. 2 ASVG umschriebene Verpflichtung zur Abfuhr einbehaltener Dienstnehmerbeiträge zu verstehen sind. Auf die nähere Begründung dieses Erkenntnisses wird gem. § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.

Entgegen dieser nunmehrigen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofes ist die belangte Behörde (noch) davon ausgegangen, dass die beschwerdeführende Partei gem. § 67 Abs. 10 ASVG für alle nicht entrichteten, bei der Gesellschaft uneinbringlich gewordenen Sozialversicherungsbeiträge haftet, hinsichtlich derer sie nicht in der Lage ist nachzuweisen, dass sie an der Nichtentrichtung kein Verschulden trifft, insbesondere durch den Nachweis fehlender Gesellschaftsmittel im Zeitraum des Beitragsrückstandes und der (jeweiligen) Gleichbehandlung der Gebietskrankenkasse mit anderen Gläubigern bei der Erbringung von Zahlungen.

Die belangte Behörde durfte auch nicht etwa deshalb - weiterhin - von dieser Rechtsauffassung ausgehen, weil das im ersten Rechtsgang ergangene aufhebende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes auch Rechtsausführungen enthalten hat, welche die Grundzüge der damaligen ständigen Rechtsprechung darlegten:

Nach ständiger Rechtsprechung ist der Verwaltungsgerichtshof an eine gem. § 63 Abs. 1 VwGG der Behörde überbundene Rechtsaufassung in der Weise auch selbst gebunden, dass er selbst durch einen verstärkten Senat nicht von ihr abgehen kann (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, S 739, vorl. Absatz wiedergegebene Rechtsprechung). Eine solche Bindung wird in der Rechtsprechung teils hinsichtlich jener Fragen angenommen, die der Verwaltungsgerichtshof nicht ausdrücklich behandelt hat, die aber eine notwendige Voraussetzung seines aufhebenden Erkenntnisses bilden (wie jene von Prozessvoraussetzungen, vgl. zB zur Frage der Zuständigkeit der belangten Behörde das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 13. Mai 1980, Slg. Nr. 10.128/A; aA jedoch zur Frage der Erschöpfung des Instanzenzuges der Beschluss vom 12. Februar 1986, Zl. 84/11/0285), teils - jedenfalls soweit es sich nicht um Prozessvoraussetzungen handelt - nur hinsichtlich jener Fragen, die im Vorerkenntnis ausdrücklich behandelt wurden (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, S 733, ab dem vierten Absatz wiedergegebene, auf das Erkenntnis vom 3. Oktober 1967, Zl. 1166/65, zurückgehende Rechtsprechung; aus jüngerer Zeit etwa das Erkenntnis vom 16. Mai 2001, Zl. 2001/08/0016).

Im vorliegenden Fall ist eine Bindung, die der Bedachtnahme auf das Erkenntnis des verstärkten Senates vom 12. Dezember 2000 entgegenstünde, deshalb zu verneinen, weil tragender Grund der Aufhebung (und damit Gegenstand der gem. § 63 Abs. 1 VwGG eingetretenen Bindung der belangten Behörde) zum einen ausschließlich ein Verfahrensmangel betreffend den Gesichtspunkt der Uneinbringlichkeit der Beiträge bei der Gesellschaft gewesen ist und weil andererseits die Uneinbringlichkeit der Beitragsschulden bei der Gesellschaft Grundvoraussetzung der Haftung des Geschäftsführers ist und alle übrigen Fragen, wie jener nach dem Verschulden des Geschäftsführers an der Uneinbringlichkeit, denknotwendig erst dann geprüft werden können, wenn sowohl die Uneinbringlichkeit der Beitragsschulden in einem bestimmten Ausmaß als auch die Herkunft der uneinbringlich gewordenen Beitragsschulden aus einem bestimmten, vor Beginn oder während der Dauer der jeweiligen Organfunktion des Geschäftsführers liegenden Zeitraums feststehen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 16. Mai 2001, Zl. 2001/08/0016). Die Bejahung einer über den Haftungsrahmen des Erkenntnisses eines verstärkten Senates vom 12. Dezember 2000 hinausgehenden Haftung des Beschwerdeführers war daher auch nicht denknotwendige Voraussetzung der im Vorerkenntnis in den für die Aufhebung tragenden Gründen zum Ausdruck gebrachten Rechtsauffassung.

Der angefochtene Bescheid war daher gem. § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Das - ungeachtet einer nach der Aktenlage mittlerweile durch das Finanzamt für Gebühren und Verkehrsteuern erfolgten Erstattung aufrecht erhaltene - auf den Ersatz von Stempelgebühren gerichtete Mehrbegehren war schon wegen dieser Erstattung, im Übrigen aber auch im Hinblick auf die auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bestehende sachliche Gebührenbefreiung gem. § 110 ASVG abzuweisen.

Wien, am 30. Jänner 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2000080218.X00

Im RIS seit

03.06.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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