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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §13 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Weiss, über die Beschwerde des am 25. Mai 1960 geborenen C in G, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen den am 14. Juni 1999 mündlich verkündeten und am 15. Juni 1999 schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 200.881/0-V/13/98, betreffend § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein aus "Warre" im "Delta-State" stammender Staatsangehöriger von Nigeria, reiste am 18. April 1997 von Italien kommend nach Österreich ein und stellte am 28. April 1997 einen Asylantrag. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 14. Mai 1997 gab er an, er habe am 22. März 1997 an einer Demonstration gegen die neu und an einem anderen Ort als bisher eingesetzte Lokalregierung teilgenommen. Die Demonstranten seien zur Firma SHELL marschiert und hätten dort "Geiseln" genommen, die sie aber wieder freigelassen hätten. Sie hätten die Leute von SHELL aufgefordert, bei der Bundesregierung zu "protestieren", dass die alte Lokalregierung an ihrem ursprünglichen Sitz wieder eingesetzt werde. "Am Dienstag" (offenbar gemeint am 25. März 1997) sei es dann zu einem "Zwischenfall" gekommen: Ca. zwanzig Demonstranten seien zum Haus des "früheren Informationsministers" gegangen, wo die Wachen begonnen hätten, auf sie zu schießen. Beim folgenden Schusswechsel seien "die Wachen" von den Demonstranten erschossen worden. Die Demonstranten hätten sodann das Haus des Ministers in Brand gesetzt. Zu den Hintergründen befragt gab der Beschwerdeführer an, alles sei von den "Chiefs", den "Dorfhäuptlingen", organisiert worden, er sei dafür "vorgesehen" gewesen, "den Zeitpunkt des Angriffes auf das Haus zu bestimmen." Am 29. März 1997 sei der Beschwerdeführer in seinem Haus verhaftet und ins Gefängnis gebracht worden, wobei die Polizisten bei der Verhaftung seine Mutter, die ihn habe beschützen wollen, erschossen hätten. Der Beschwerdeführer sei am 3. April 1997 durch die Hilfe seines Bruders aus dem Gefängnis formlos entlassen worden und dann sofort aus Nigeria geflüchtet.
Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 22. Mai 1997 den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 ab. Es ging - abgesehen von der nicht mehr relevanten Annahme der Verfolgungssicherheit in Italien - im Wesentlichen davon aus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers aus näher dargestellten Gründen nicht glaubwürdig sei.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung trat der Beschwerdeführer neben der Geltendmachung von Verfahrensmängeln hauptsächlich der Beweiswürdigung der Erstbehörde entgegen und beantragte dazu seine neuerliche Einvernahme.
In der vor der belangten Behörde am 14. Juni 1999 durchgeführten Berufungsverhandlung änderte und präzisierte der Beschwerdeführer sein Vorbringen insbesondere dahin, dass gegen die "Gemeinderegierung", die ursprünglich "auf unserer Seite" gewesen und nunmehr "auf die andere Seite" gewechselt sei, demonstriert worden sei. Später erwähnte der Beschwerdeführer auch, das Motiv für die Demonstration sei ein ethnischer Konflikt gewesen. Er gehöre zur Volksgruppe der "Igho". Die Demonstranten hätten mit der "Geiselnahme" beabsichtigt, die Regierung wieder "auf ihre Seite" zu bringen. Diese habe aber nicht nur den "Standpunkt" geändert, sondern auch "die Adresse". Unmittelbar nach der Freilassung der Geiseln seien die Demonstranten zum Haus des früheren Informationsministers, der für den Regierungswechsel verantwortlich gewesen sei, gezogen. Als die Wache des Ministers eine Gruppe "im Anmarsch" gesehen habe, habe sie das Feuer eröffnet, einige Demonstranten angeschossen und auch getötet. Cirka zwanzig Personen seien dann in das Anwesen eingedrungen. Die Demonstranten - wer konkret, könne der Beschwerdeführer nicht angeben - hätten dabei "den Wächter" getötet. Als man den Informationsminister nicht angetroffen habe, habe man deshalb das Haus in Brand gesteckt. Daran sei der Beschwerdeführer insofern beteiligt gewesen, als er die Gruppe, die das Feuer gelegt habe, (dem Zusammenhang nach: auch bei der Brandlegung) angeführt habe. Auf Vorhalt, dabei handle es sich um ein nicht politisches Delikt, erwiderte der Beschwerdeführer:
"Man kann schon sagen, dass es in gewisser Weise politischer Natur ist, denn der Grund für unsere Demonstration war ja, dass die von unserem Staat eingesetzte Gemeinderegierung ihren Standort gewechselt hat. Grund unseres Ärgers war auch das Öl. Dieser Informationsminister hat ein paar Vertreter in der Gemeinderegierung, diese teilen den Gewinn aus der Ölfirma unter sich auf. Es kommt den Völkern der Igho, Ishekiri etc., in deren Land nach Öl gebohrt wird, hievon nichts zugute. Wir haben keine Straßen, keine guten Schulen, keine Stromversorgung."
Auf weiteren Vorhalt, eine Benachteiligung des Volkes des Beschwerdeführers durch das "Abschöpfen" der Erträge aus dem Ölgeschäft stelle noch keinen Grund dar, einen Wächter zu töten und ein Haus nieder zu brennen, antwortete der Beschwerdeführer:
"Wir wurden immer mehr an die Wand gedrängt. Es war nichts anderes mehr möglich, was wir tun hätten können.
...................................
Ich glaube, das (die begangene Tat) war politisch motiviert.
Ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll, aber wenn man
demonstriert, muss man auf die Straße, protestiert, protestiert,
aber es geschieht nichts. Dieser Wächter hat ja all die Leute von
uns umgebracht und das waren auch Menschen. Vor zwei Wochen sind
200 Menschen meines Volkes im Zuge von Kampfhandlungen getötet
worden. CNN hat darüber berichtet.
....................................
Ich möchte sagen, dass die Tötungen nach wie vor im Gange sind und der Krieg zwischen den Volksgruppen der Igho und Ishekiri noch andauert. Es gibt nach wie vor eine Ausgangssperre."
Auf die Frage, was der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Nigeria konkret befürchte, antwortete er:
"Der General-Brigadier, der mich freigelassen hat, hat mir gesagt, ich darf keinesfalls in das Land zurückkommen, weil er sich sonst vor dem Militärgericht verantworten müsste.
Was würde Ihnen persönlich passieren?
Ich würde mit einer weiteren Anklage konfrontiert werden."
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß "§ 7 iVm § 13 Abs. 1 AsylG" ab. Sie legte ihrer Entscheidung folgenden Sachverhalt zugrunde:
"Der Antragsteller ist Staatsangehöriger von Nigeria. Der Antragsteller nahm am 22.3.1997 an einer Kundgebung gegen die zum damaligen Zeitpunkt neu eingesetzte Lokalregierung teil und begab sich der Demonstrationszug zum Haus des früheren Informationsministers, wobei die dort postierte Wache auf die Demonstranten zu schießen begann. Von Seiten der Demonstranten wurde in der Folge zurückgeschossen und wurde die Wache hiebei getötet. Das Haus des Informationsministers wurde niedergebrannt. Am 29.3.1997 wurde der Antragsteller festgenommen. An dem Angriff auf das Haus des Informationsministers waren etwa zwanzig Personen beteiligt bzw. wurde der Angriff sowie die erfolgte Brandstiftung von diesen Personen unter Anführung des Berufungswerbers unternommen. Am 29.3.1997 kamen Soldaten in das Haus des Antragstellers und wurde die Mutter des Antragstellers von diesen erschossen. Der Antragsteller wurde mitgenommen und inhaftiert.
Nicht festgestellt werden konnte hingegen, dass der Antragsteller mit Hilfe seines Bruders dergestalt befreit wurde, dass er von einem hohen Offizier ohne nähere Angabe von Gründen vor das Gefängnis geführt und formlos freigelassen wurde."
Daraus folgerte die belangte Behörde rechtlich, der Ausschlusstatbestand des Art. 1 Abschnitt F lit. b der Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonv), wonach die Bestimmungen der FlKonv dann nicht anwendbar sind, wenn hinsichtlich des Asylwerbers ernsthafte Gründe für den Verdacht bestehen, dass er, bevor er als Flüchtling in das Gastland zugelassen wurde, ein schweres, nicht politisches Verbrechen begangen hat, sei erfüllt und die Asylgewährung daher gemäß § 7 iVm § 13 Abs. 1 AsylG nicht statthaft. Der Beschwerdeführer sei nämlich an führender bzw. bestimmender Stelle am strafrechtlichen Delikt der Brandstiftung bzw. auch der Tötung eines Menschen beteiligt gewesen. "Die - aus Sicht der erkennenden Behörde - relativ wahllose Inbrandsteckung des Hauses eines ehemaligen Politikers" stelle jedenfalls ein schweres, nicht politisches Verbrechen dar bzw. ein Verbrechen mit jedenfalls überwiegend kriminellem Charakter. Die gegen den Beschwerdeführer gerichteten staatlichen Verfolgungshandlungen seien sohin als Konsequenz der staatlichen Strafrechtspflege zu werten. Der Beschwerdeführer sei auch nicht in der Lage gewesen, konkrete Gründe dafür darzulegen, dass er in einem allenfalls gegen ihn gerichteten strafrechtlichen Prozess asylrelevanten Verfolgungs- bzw. Diskriminierungsakten gegen seine Person aus Konventionsgründen (insbesondere aus dem der politischen Gesinnung) ausgesetzt (gewesen) wäre. Die Verfolgung einer Person aus strafrechtlichen Gründen stelle jedoch das legitime Recht eines jeden Staates dar und eine solche Verfolgung sei - ohne hinzutretende weitere Momente - nicht vom Schutzzweck der Genfer Flüchtlingskonvention umfasst. Es sei davon auszugehen, dass sich das behördliche Interesse auf die Tatsache gründe, dass der Beschwerdeführer an kriminellen Handlungen selbst beteiligt oder zumindest in solche involviert gewesen sei, "weshalb nicht erkannt werden könne", dass sich das behördliche Interesse an der Person des Antragstellers und die erfolgte Inhaftierung etwa auf politische Motive seitens der Behörden des Heimatstaates gegründet habe. Behördliche Verfolgungshandlungen - so die belangte Behörde abschließend - auf Grund von (zumindest mutmaßlich) begangenen kriminellen Handlungen seien nicht geeignet, die Asylgewährung zu tragen.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Nach § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F FlKonv genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt. In Ergänzung dazu bestimmt § 13 Abs. 1 AsylG, dass Asyl ausgeschlossen ist, wenn einer der in Art. 1 Abschnitt F FlKonv genannten Ausschlussgründe vorliegt. Nach der - hier in Betracht kommenden - lit. b des Art. 1 Abschnitt F FlKonv sind die Bestimmungen dieser Konvention auf Personen nicht anwendbar, hinsichtlich derer ernsthafte Gründe für den Verdacht bestehen, dass sie, bevor sie als Flüchtlinge in das Gastland zugelassen wurden, außerhalb desselben ein schweres, nicht politisches Verbrechen begangen haben.
Nach überwiegender internationaler Lehre ist bei der Prüfung, ob Art. 1 Abschnitt F lit. b FlKonv anzuwenden ist, eine Güterabwägung ("balancing") vorzunehmen, indem die Art (Verwerflichkeit) der Straftat, derer der Asylwerber verdächtig ist, und der Grad der befürchteten Verfolgung gegeneinander abzuwägen sind (vgl. Goodwin-Gill, The Refugee in International Law2 (1996), Seite 106 f, der erkennbar dem Standpunkt im UNHCR-Handbuch, Absatz 156, folgt; siehe dazu auch die ergänzenden Ausführungen des UNHCR in einem neueren Positionspapier, Auslegung von Artikel 1 des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (2001), Absatz 48, mwN; Kälin, Grundriß des Asylverfahrens (1990), Seite 181 f, sowie Kälin/Künzli, Sonderheft des International Journal of Refugee Law (IJRL, Volume 12, Winter 2000), Seite 72 ff, mwN; in demselben Sonderheft etwa auch Bliss, Seite 108 f; siehe schließlich noch Rohrböck, Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (1999), Rz 449, mwN). Der Verwaltungsgerichtshof hat unter Berufung auf Kälin und im Hinblick auf die Anerkennung "in der Staatenpraxis" in seinem Erkenntnis vom 6. Oktober 1999, Zl. 99/01/0288, ebenfalls eine Verpflichtung zu einer solchen Güterabwägung angenommen. Auch in den zum Asylgesetz 1991 ergangenen Erkenntnissen vom 14. März 1995, Zl. 94/20/0761, und vom 16. Juni 1994, Zl. 94/19/0630, wurde bei der Anwendung der Ausschlussklausel des Art. 1 Abschnitt F lit. b FlKonv eine Abwägung zwischen der Verwerflichkeit der Tat und den (allfälligen) Schutzinteressen des Asylwerbers für notwendig erachtet. Mag es auch gegenteilige Judikatur im anglo-amerikanischen Rechtsbereich geben, so besteht angesichts der zitierten Lehrmeinungen und der darauf gestützten, bei den erwähnten Autoren dargestellten Rechtsprechung mehrerer Länder in Europa für den Verwaltungsgerichtshof kein begründeter Anlass von seiner bisherigen Rechtsprechung abzugehen, zumal eine derartige Interessenabwägung dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Einschränkung von Rechten entspricht (vgl. dazu etwa Kapferer, Seite 217 in dem erwähnten Sonderheft des IJRL; zur Betonung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im gleichfalls in Betracht zu ziehenden Auslieferungsrecht etwa Linke, ÖJZ 1980, 365) und eine sachgerechte Lösung unter Beachtung der Umstände des Einzelfalles ermöglicht (vgl. zuletzt auch die Erläuterungen der Kommission zu Art. 14 des Vorschlages vom 12. September 2001 für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen).
Die zwingende Konsequenz aus der Notwendigkeit einer solchen Güterabwägung ist aber, dass in einem Asylverfahren jedenfalls zu prüfen ist, ob und welche Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv dem Asylwerber droht. Zu diesem Schluss kommt auch Goodwin-Gill (aaO, Seite 106), wenn er meint, in der Praxis könne die Berufung auf die Flüchtlingseigenschaft im Hinblick auf das notwendige "balancing" selten ignoriert werden (zum Grundsatz "inclusion before exclusion" vgl. das UNHCR-Handbuch, Absatz 176 f; in dem schon mehrfach erwähnten Sonderheft des IJRL Seite 106 ff, 215 ff, 228, 304 f und 324 f). In diesem Sinn ist von den Behörden jedenfalls immer auch zu prüfen, ob der Asylwerber überhaupt Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv ist.
Im Ergebnis hat die belangte Behörde dieser Forderung entsprochen und die Flüchtlingseigenschaft allerdings mit der Begründung verneint, dem Beschwerdeführer drohe in seinem Heimatstaat lediglich eine nicht asylrelevante Strafverfolgung. Zu dieser Argumentationslinie hat der Verwaltungsgerichtshof aber in der Vergangenheit bereits mehrfach (vgl. etwa das einen PKK-Kämpfer betreffende Erkenntnis vom 14. März 1995, Zl. 94/20/0761) ausgesprochen,
"dass allein der Vorwurf der Begehung einer strafbaren Handlung die Anerkennung als Flüchtling im Sinne des ... Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ... nicht ausschließt, weil damit noch nicht gesagt ist, dass die gegen den Asylwerber zu erwartenden staatlichen Sanktionen ihre Grundlage (zu ergänzen: allein) in strafrechtlichen Belangen und nicht darüber hinaus auch in solchen, die als Konventionsgründe zu werten sind, hätten. Selbst terroristische Aktivitäten hindern die Anerkennung als Konventionsflüchtling nicht von vornherein, sofern nicht der Ausschlussgrund nach Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention vorliegt (vgl. hg. Erkenntnisse vom 10. März 1993, Zl. 92/01/0882, und jeweils vom 17. Juni 1993, Zlen. 92/01/0986, 0987). Es ist vielmehr in jedem Fall durch Ermittlungen zu klären und festzustellen, in welchem Zusammenhang die dem Asylwerber vorzuwerfenden strafbaren Handlungen mit seiner politischen Tätigkeit bzw. Meinung stehen, um beurteilen zu können, ob die drohende Strafverfolgung ... nicht als eine solche wegen der politischen Gesinnung (oder aus einem anderen in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Grund) angesehen werden kann (vgl. hiezu auch das hg. Erkenntnis vom 18. März 1993, Zl. 92/01/0720)."
Vor dem Hintergrund der gewalttätigen politischen Auseinandersetzungen in den Ölförderungsgebieten des Niger-Deltas und der dort in diesem Zusammenhang auch bestehenden ethnischen Konflikte (auf die der Beschwerdeführer in der Berufungsverhandlung im Prinzip zutreffend Bezug genommen hat) kann aber - entgegen dem Standpunkt der belangten Behörde - auch im vorliegenden Fall nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass dem Beschwerdeführer eine in ihrer konkreten Ausformung als Verfolgung im Sinne der FlKonv (aus politischen und/oder ethnischen Gründen) anzusehende Strafverfolgung für die im Zuge der behaupteten Demonstration gegen die Regierung begangenen Delikte droht. Zu Recht hebt die Beschwerde in diesem Zusammenhang den von der belangten Behörde festgestellten Umstand, dass bei der Verhaftung des Beschwerdeführers seine Mutter (ohne erkennbaren Grund) von den Polizisten ermordet worden sei, als Indiz für eine wahllose und rechtsstaatlichen Grundsätzen keineswegs entsprechende Strafverfolgung hervor. In die gleiche Richtung deutet auch die Aussage des Beschwerdeführers, er habe, als er von dem "General-Brigadier" aus seiner Zelle geholt worden sei, mit seiner Erschießung (also mit einer ohne Verfahren vollstreckten Todesstrafe) gerechnet. Geht die belangte Behörde daher - wie im angefochtenen Bescheid - von der grundsätzlichen Glaubwürdigkeit der vom Beschwerdeführer behaupteten Fluchtgründe aus, so hätte sie sich im Sinne der oben dargestellten Rechtsprechung und der auch im angefochtenen Bescheid eingeräumten Möglichkeit des Hinzutretens "weiterer Momente" nicht auf den Hinweis beschränken dürfen, dass die Strafverfolgung wegen eines Verhaltens wie des vom Beschwerdeführer behaupteten "das legitime Recht eines jeden Staates" sei. Die belangte Behörde hätte vielmehr weitere Ermittlungen über die dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr drohenden Folgen vornehmen und dazu Feststellungen treffen müssen, die rechtlich dahin zu prüfen gewesen wären, ob sie eine asylrelevante Verfolgung oder - wovon die belangte Behörde bisher ausgegangen ist - eine legitime Strafverfolgung darstellen.
Sollte der Beschwerdeführer - immer ausgehend davon, dass seinen Angaben Glaubwürdigkeit beizumessen sei, und unter Berücksichtigung allfälliger weiterer Ermittlungsergebnisse zur aktuellen Situation in Nigeria - aufgrund der ihm drohenden Behandlung und der für diese maßgeblichen Gründe die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv erfüllen, so wird die belangte Behörde bei der Prüfung nach Art. 1 Abschnitt F lit. b FlKonv anders als bisher zu beachten haben, dass es auf die näheren Einzelheiten des Geschehens ankommt, und zwar sowohl unter dem Gesichtspunkt der Schwere des dem Beschwerdeführer bei Zutreffen seiner Angaben vorzuwerfenden Deliktes (vgl. zum Begriff des "schweren Verbrechens" aus der Rechtsprechung das zu Art. 33 Z 2 FlKonv ergangene, bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 6. Oktober 1999, Zl. 99/01/0288, sowie die hg. Erkenntnisse vom 28. November 1995, Zl. 94/20/0870, und vom 24. Oktober 1996, Zl. 95/20/0231; aus dem Schrifttum etwa das UNHCR-Handbuch, Absatz 155 und 157 f; das bereits genannte UNHCR-Positionspapier, Absatz 45; im wesentlichen den Ausführungen von Kälin, aaO, Seite 181 f, folgend Rohrböck, aaO, Rz 449; Goodwin-Gill, aaO, Seite 107), als auch unter dem Gesichtspunkt des allfälligen Vorliegens eines politischen Charakters im Sinne eines "relativ politischen Deliktes" (vgl. zum Begriff des "nicht politischen Deliktes" aus der Rechtsprechung das auch von der belangten Behörde zitierte hg. Erkenntnis vom 7. November 1995, Zl. 94/20/0794, in dem unter Wiedergabe der Ausführungen bei Rohrböck, Das Asylgesetz 1991 (1994), Seite 128, nunmehr Rohrböck,
Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (1999), Rz 448, zum "politischen" und zum "gemischt-politischen" Delikt Stellung genommen und bei der Beurteilung des konkreten Falles im Ergebnis auch das Vorliegen eines sogenannten "relativ politischen" Deliktes geprüft wird; aus dem Schrifttum etwa das UNHCR-Handbuch, Absatz 152, und das erwähnte Positionspapier des UNHCR, Absatz 46 f; Goodwin-Gill, aaO, Seite 65 und 105 f; Kälin, aaO, Seite 107 f; Kälin/Künzli, aaO, Seite 65 f und 69; in demselben Sonderheft Nyinah, Seite 311; Kapferer, Seite 201 iVm 221 und Sloan, Seite 240; zum Auslieferungsrecht § 14 ARHG und die zu Z 2 dieser Bestimmung ergangene Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 2. Dezember 1998, Zl. 14Os161, 162/98). In diesem Sinn wäre nicht nur näher darauf einzugehen, ob dem Beschwerdeführer eine Beteiligung an der Ermordung der Wache überhaupt vorzuwerfen ist, was die belangte Behörde bisher grundsätzlich nicht anzunehmen scheint, in einer Passage des angefochtenen Bescheides aber offenbar doch unterstellt (zur besonderen Bedeutung des Kriteriums der individuellen Verantwortlichkeit vgl. Goodwin-Gill, aaO, Seite 106, und Nyinah, aaO, Seite 300). Es würde auch bei der Brandstiftung am Haus des für den Regierungswechsel (und für die Verlegung des Verwaltungssitzes) aus der Sicht der Demonstranten verantwortlichen Ministers auf den politischen Zusammenhang ankommen, der dann, wenn es sich - wie die belangte Behörde bisher meint - tatsächlich um eine "relativ wahllose Inbrandsteckung des Hauses eines ehemaligen Politikers" gehandelt haben sollte, wohl zu verneinen wäre. Bei der Beurteilung der Tat wäre aber auch auf die Eskalation der Lage durch die angeblich vorangegangenen, teils tödlichen und angesichts der Abwesenheit des Ministers offenbar nur dem Schutz des Eigentums dienenden Schüsse der Wache Bedacht zu nehmen.
Insoweit sich auch bei Berücksichtigung der konkreten Umstände ergeben sollte, dass die in seinem Vorbringen behauptete - vorläufig aber nicht präzisierte - Mitverantwortung des Beschwerdeführers für die Ausartung der Demonstration nicht im Rahmen eines "politischen" Deliktes bleibt und das Ausmaß eines "schweren Verbrechens" erreicht, bedürfte es schließlich der eingangs erwähnten Gesamtabwägung, wofür die Voraussetzungen schon aufgrund der unzureichenden Auseinandersetzung der belangten Behörde mit der vom Beschwerdeführer im Falle einer nunmehrigen Rückkehr nach Nigeria zu erwartenden Behandlung noch nicht gegeben sind.
In der aufgezeigten Unterlassung notwendiger Ermittlungen und Feststellungen liegt eine wesentliche Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b VwGG aufzuheben war.
Die belangte Behörde ist aber auch daran zu erinnern, dass die Auseinandersetzung mit derartigen Sachverhalten auf der Grundlage eines entsprechenden Faktenwissens über die Verhältnisse und Vorgänge im Herkunftsland des Asylwerbers zu erfolgen hat. Unter diesem Gesichtspunkt ist in Bezug auf die - ohne nähere Beweiswürdigung getroffenen - Sachverhaltsfeststellungen im angefochtenen Bescheid anzumerken, dass nach den dem Verwaltungsgerichtshof zugänglichen Quellen die vom Beschwerdeführer beschriebene Geiselnahme am 22. März 1997 als Protest gegen die Verlegung des Verwaltungssitzes von Angehörigen der Volksgruppe der Ijaw, hingegen die Inbrandsetzung des Hauses und Ermordung eines Wächters des früheren Informationsministers, eines Sprechers der Ijaw, der die Verlegung des Verwaltungssitzes kritisiert habe, von Itsekiri und somit Gegnern der Ijaw begangen worden sein soll, wobei die behauptete Beteiligung des Beschwerdeführers an beiden Vorfällen auch unter Bedachtnahme auf den Umstand, dass er keiner der beiden Ethnien, sondern der großen Volksgruppe der Igbo (Ibo) angehören soll, zu erörtern wäre.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am 31. Jänner 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:1999200372.X00Im RIS seit
17.04.2002Zuletzt aktualisiert am
26.03.2009