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L82000 Bauordnung;Norm
AVG §66 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde der R GmbH in I, vertreten durch Mag. Egon Stöger, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Bürgerstraße 20, gegen den Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Innsbruck vom 17. Jänner 2000, Zl. I-5090/1998, betreffend Einwendungen gegen eine Baubewilligung (mitbeteiligte Parteien: 1. E und 2. N, beide in I, beide vertreten durch Dr. Nader Mahdi, Rechtsanwalt in 6112 Wattens, Bahnhofstraße 21, 3. G, 4. K, beide vertreten durch Dr. Arne Markl, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Adolf-Pichler-Platz 10, 5. H, 6. M in I, ebenfalls vertreten durch Dr. Arne Markl, 7. I in I, 8. E in P, 9. A, beide ebenfalls vertreten durch Dr. Arne Markl, 10. P in I, 11. F in I, 12. H in I, 13. S in I, alle vier vertreten durch Dr. Hanns Forcher-Mayr, Rechtsanwalt in 6010 Innsbruck, Colingasse 8, und 14. P in I, vertreten durch Dr. Lothar Stix, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Müllerstraße 27), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Landeshauptstadt Innsbruck hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Stadtmagistrats der Landeshauptstadt Innsbruck vom 9. Juni 1998 wurde auf Grund des Antrages der Beschwerdeführerin gemäß § 40 Abs. 3 der Tiroler Bauordnung 1998 die Zulässigkeit des Abbruchs auf einer näher bezeichneten Liegenschaft in Innsbruck bestehender Bestandsobjekte unter bestimmten Auflagen festgestellt und der Beschwerdeführerin gemäß § 26 Abs. 7 der Tiroler Bauordnung 1998 unter näher bestimmten Bedingungen und mit bestimmten Auflagen die Baubewilligung für die Errichtung eines Wohn- und Geschäftshauses (zwei Baukörper) mit zweigeschoßiger Tiefgarage erteilt. Mit gleichem Bescheid wurden verschiedene Einwendungen der mitbeteiligten Parteien teils als unbegründet abgewiesen, teils als unzulässig zurückgewiesen.
Mit Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Innsbruck vom 1. Oktober 1998 wurden die gegen diesen Bescheid gerichteten Berufungen der mitbeteiligten Parteien gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unbegründet abgewiesen und dies zusammengefasst damit begründet, dass die Tiroler Bauordnung 1998 in ihrem § 25 den Nachbarn im Baubewilligungsverfahren nur das Recht einräume, in Ansehung des jeweiligen Grundstückes die Verletzung der Abstandsbestimmungen nach § 6 leg. cit. geltend zu machen. Weitere subjektive Nachbarrechte kenne die Tiroler Bauordnung 1998 nicht, weshalb die gegen das Vorhaben im Hinblick auf seine behauptete Unvereinbarkeit mit den Zielen der örtlichen Raumordnung gerichteten Einwendungen sowie auch weitere Einwendungen als unzulässig zu beurteilen gewesen seien.
Auf Grund gegen diesen Bescheid erhobener Beschwerden beim Verfassungsgerichtshof hob dieser den letzten Satz des § 25 Abs. 2 der Tiroler Bauordnung 1998, LGBl. Nr. 15, mit Erkenntnis vom 1. Oktober 1999, G 73/99, als verfassungswidrig auf und mit Erkenntnissen vom 15. Oktober 1999, B 2126/98, hinsichtlich der erst- und zweitmitbeteiligten Partei, vom 16. Oktober 1999, B 2105/98, hinsichtlich der dritt-, viert-, fünft-, sechst-, neunt- und 14.-mitbeteiligten Partei, und vom 16. Oktober 1999, B 2155/98, hinsichtlich der zehnt-, elft- und zwölftmitbeteiligten Partei den Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Innsbruck vom 1. Oktober 1998 auf und sprach aus, dass diese mitbeteiligten Parteien durch diesen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden seien.
Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Innsbruck vom 17. Jänner 2000 wurde den von den mitbeteiligten Parteien gegen den Bescheid des Stadtmagistrates Innsbruck vom 9. Juni 1998 erhobenen Berufungen "ersatzweise gemäß § 66 Abs. 4 AVG Folge gegeben und die erstinstanzliche Entscheidung wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (§ 25 Abs. 2 letzter Satz TBO 1998) ersatzlos behoben".
Der angefochtene Bescheid wurde nach Wiedergabe des Verfahrensganges damit begründet, es sei - ohne auf das umfangreiche Berufungsvorbringen inhaltlich weiter eingehen zu müssen - davon auszugehen, dass sich im Anlassfall der Bescheid des Stadtmagistrates Innsbruck vom 9. Juni 1998 auf ein verfassungswidriges Gesetz, nämlich die Bestimmung des § 25 Abs. 2 letzter Satz der Tiroler Bauordnung 1998 stütze, sodass den Berufungen Folge zu leisten und die erteilte Baubewilligung ersatzlos zu beheben gewesen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, zunächst beim Verfassungsgerichtshof erhobene und von diesem mit Beschluss vom 13. Juni 2000, B 459/00, abgelehnte und dem Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf eine erledigende Sachentscheidung durch die Oberbehörde verletzt und fühlt sich insoweit beschwert, als von ihr verlangt werde, ein neuerliches Bauansuchen einzubringen, wohingegen bei ordnungsgemäßer Behandlung der Berufungen die inhaltlich nicht berechtigten Einwendungen abgewiesen und die Erteilung der Baubewilligung hätte bestätigt werden müssen.
Die belangte Behörde legte Teile der Akten des Verwaltungsverfahrens vor. Von der belangten Behörde sowie den erst- und zweitmitbeteiligten Parteien, den dritt-, viert-, sechst- , acht- und neunt-, den zehnt-, elft-, zwölft- und 13.- sowie der 14.-mitbeteiligten Parteien wurden jeweils Gegenschriften erstattet, in denen die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführerin hält den angefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil die Verwaltungssache mit der Aufhebung des Bescheides des Stadtsenates der Landeshauptstadt Innsbruck vom 1. Oktober 1998 durch den Verfassungsgerichtshof in die Lage vor Erlassung dieses Berufungsbescheides zurückgetreten sei. Die belangte Behörde hätte inhaltlich über die Berufungen entscheiden müssen, ohne dabei den durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes aufgehobenen letzten Satz des § 25 Abs. 2 der Tiroler Bauordnung 1998 anzuwenden. Die ersatzlose Behebung der erteilten Baubewilligung habe hingegen zur Folge, dass sich nunmehr nicht einmal die Behörde erster Instanz als für eine Entscheidung zuständig erachte, vielmehr werde von der Beschwerdeführerin begehrt, um eine neue Baubewilligung anzusuchen.
Die belangte Behörde führt in ihrer Gegenschrift aus, dass am 1. Dezember 1999 mit einem Vertreter der Beschwerdeführerin, und dem Planverfasser sowie Vertretern der Behörde erster Instanz, dem zuständigen Mitglied des Stadtsenates der Landeshauptstadt Innsbruck, einem Vertreter des Stadtplanungsamtes sowie einem Vertreter der belangten Behörde eine Besprechung stattgefunden hätte und dass als deren Ergebnis davon auszugehen gewesen sei, dass seitens der Beschwerdeführerin auf die idente Aufrechterhaltung des ursprünglichen Bauansuchens verzichtet werden würde. Weiters habe die Bauwerberin am 15. Dezember 1999 mit den betroffenen Nachbarn die weitere Vorgangsweise einvernehmlich besprochen. Im Vertrauen auf die Verbindlichkeit der von der Beschwerdeführerin getätigten Aussagen hätte der nunmehr angefochtene Bescheid zu ergehen gehabt.
Die mitbeteiligten Parteien führen in ihren Gegenschriften aus, dass die Beschwerdeführerin ihr Bauansuchen jedenfalls in der vorliegenden Form nicht mehr aufrecht halte, sie habe gegenüber den mitbeteiligten Parteien eine Projektänderung und ein neues Bauansuchen angekündigt. Somit fehle ihr ein Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
Den mitbeteiligten Parteien ist darin nicht zu folgen, dass die Beschwerdeführerin kein Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Bescheides habe. Den Feststellungen des angefochtenen Bescheides ist nämlich nicht zu entnehmen, dass sie das dem gegenständlichen Verfahren zu Grunde liegende Bauansuchen zurückgezogen hätte und auch die mitbeteiligten Parteien bringen solches nicht vor, sondern bloß, sie habe ihre Absicht erklärt, das Projekt abzuändern. Die bloße Erklärung einer solchen Absicht führt jedoch nicht dazu, dass das rechtliche Interesse an einer Entscheidung über ihren Antrag weggefallen wäre. Die Voraussetzungen für eine ersatzlose Behebung gemäß § 66 Abs. 4 AVG des Bescheides vom 9. Juni 1998 (vgl. in einem solchen Fall das hg. Erkenntnis vom 22. Dezember 1987, Slg. Nr. 12.599/A) lagen mangels Zurückziehung der Anträge der Beschwerdeführerin daher nicht vor.
Die belangte Behörde hatte vielmehr im Hinblick auf die mit den Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofes bewirkte Aufhebung des § 25 Abs. 2 letzter Satz der Tiroler Bauordnung 1998 sowie des Bescheides des Stadtsenates der Landeshauptstadt Innsbruck vom 1. Oktober 1998 im Grunde des § 87 Abs. 2 VfGG sowie gemäß Art. 140 Abs. 7 dritter Satz B-VG im vorliegenden Fall als Anlassfall ungeachtet der mit dem Erkenntnis vom 1. Oktober 1999 für alle übrigen Fälle gesetzten Frist für das Inkrafttreten der Aufhebung dieser Bestimmung § 25 Abs. 2 der Tiroler Bauordnung 1998 unter Außerachtlassung des aufgehobenen letzten Satzes anzuwenden.
Die durch die Aufhebung des § 25 Abs. 2 letzter Satz der Tiroler Bauordnung 1998 bewirkte Änderung der Rechtslage führte hiebei dazu, dass insoferne neue Einwendungen von Nachbarn auch im Berufungsverfahren erhoben werden durften und ihnen auch keine Präklusion entgegen gehalten werden konnte (vgl. die bei Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, 2. Auflage 1998, zu E. 26. und E. 25. zu § 42 AVG angeführte hg. Rechtsprechung). Dies gilt auch für das fortgesetzte Verfahren. In diesem wird die belangte Behörde die nunmehr geltende Rechtslage (vgl. insbesondere § 25 der Tiroler Bauordnung i.d.F. der 2. Bauordnungsnovelle, LGBl. Nr. 79/2000) anzuwenden haben, zumal die Wirkung des Art. 140 Abs. 7 B-VG nur zur Folge hat, dass das aufgehobene Gesetz im Anlassfall nicht anzuwenden ist, nicht aber, dass zukünftige Änderungen der Rechtslage nicht zu berücksichtigen wären. Allenfalls kann eine Aufhebung des erstinstanzlichen Bescheides gemäß § 66 Abs. 2 AVG in Betracht kommen (vgl. das hg.
Erkenntnis vom 24. September 1992, Zl. 91/06/0235).
Der angefochtene Bescheid war nach dem Gesagten gemäß § 42
Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m.
der Verordnung BGBl. I Nr. 501/2001.
Wien, am 31. Jänner 2002
Schlagworte
Baubewilligung BauRallg6European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2000060126.X00Im RIS seit
23.04.2002