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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §6 Z3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Weiss, über die Beschwerde des S, geboren am 10. Oktober 1983, vertreten durch Dr. Ernst Brunner, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Prinz Eugen-Straße 62, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 7. März 2001, Zl. 218.511/0- X/30/00, betreffend §§ 6 und 8 AsylG 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Indien, reiste am 20. Juni 2000 in das Bundesgebiet ein und stellte am 30. Juni 2000 einen Asylantrag. Diesen begründete er in seiner Ersteinvernahme vor dem Bundesasylamt mit Problemen, die er und seine Familie einerseits mit militanten pakistanischen Extremisten und andererseits mit der Polizei hätten. Das Bauernhaus seiner Eltern liege ca. 60 km von der pakistanischen Grenze entfernt. In der Nacht seien immer wieder bewaffnete Extremisten gekommen und hätten den Beschwerdeführer und seine Familie unter Bedrohung ihres Lebens gezwungen, Verpflegung und Unterkunft zu gewähren. Sie hätten den Beschwerdeführer eingeschüchtert und erklärt, er dürfe keinesfalls zur Polizei gehen. Von der örtlichen Polizei sei seine Familie verdächtigt worden, in Kontakt mit den Extremisten zu stehen, weshalb der Beschwerdeführer und sein Vater mehrmals zur Polizeistation mitgenommen und befragt worden seien. Den Vorwurf der Polizisten, dass er und seine Familie die Extremisten unterstützen würden, habe der Beschwerdeführer aus Angst verneint, doch hätten ihm die Polizisten nicht geglaubt und ihn misshandelt. Aus Angst vor Folter habe er der Polizei auch nicht mitgeteilt, dass die Extremisten Zwang ausgeübt hätten, sie zu verpflegen.
Mit Bescheid vom 9. August 2000 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 2 und Z 3 AsylG ab und stellte die Zulässigkeit seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Indien gemäß § 8 AsylG fest. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung, über die die belangte Behörde eine mündliche Verhandlung durchführte. In dieser brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst Folgendes vor:
Zum Vorhalt der Behörde, es sei nicht nachvollziehbar, dass die indische Polizei eigene Staatsbürger verfolge und diese nicht gegen Bedrohungen pakistanischer Terroristen unterstütze, entgegnete der Beschwerdeführer, dass die Polizei "annehme, dass wir die Extremisten unterstützen". Leute, die nachts die Felder bewässerten, hätten die Extremisten beim Elternhaus des Beschwerdeführers möglicherweise gesehen und dies der Polizei mitgeteilt. Zwar wären diese Terroristen zunächst auch zu anderen Bewohnern des Dorfes gekommen, doch hätten sich diese dagegen geschlossen zur Wehr gesetzt. Eine solche Möglichkeit habe für den Beschwerdeführer und seine Familie nicht bestanden, weil ihr Haus ca. 3 km außerhalb des Ortes gelegen sei und sie kein Telefon besäßen. Es sei ihm nicht möglich, die Polizei oder die Terroristen zu unterstützen. Letztere hätten ihn und seine Familie mit dem Umbringen bedroht, falls sie der Polizei etwas erzählten. Die Polizei fasse dieses Unvermögen jedoch als Unterstützung im weitesten Sinn für die Terroristen auf. Er habe der Polizei schon gesagt, dass er von den pakistanischen Extremisten zur Unterstützung "quasi genötigt" worden sei, doch habe ihm die Polizei nicht geglaubt. Um ein Geständnis herbeizuführen seien sein Vater und er wiederholt vernommen und geschlagen worden.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers im Grunde der §§ 6 und 8 AsylG ab, wobei sie die Abweisung des Asylantrages "als offensichtlich unbegründet" ausschließlich auf § 6 Z 3 AsylG stützte. Sie führte dazu begründend aus, es bestehe insbesondere nach der mündlichen Berufungsverhandlung kein Zweifel daran, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers zur Bedrohungssituation ganz offenkundig nicht auf wahren Begebenheiten beruhe. So ergebe sich nach einem in der Verhandlung verlesenen Gutachten des Mag. Brüser, welches dieser in einem gleichgelagerten Fall erstattet habe, dass indische Sicherheitsorgane in der Regel alle Anstrengungen unternähmen, um pakistanischer Extremisten habhaft zu werden. Indische Staatsorgane seien daher an Anzeigen, die zur Verhaftung solcher Extremisten führen, interessiert, weshalb es "nicht plausibel" erscheine, dass die indische Polizei "bei Bekanntgabe derartiger erwünschter Informationen" einem indischen Staatsangehörigen keinen Glauben schenke, sondern ihm unterstelle, mit den pakistanischen Terroristen zu kooperieren. Es wäre nämlich "unlogisch", wenn indische Behörden einerseits ausländischer Terroristen habhaft werden wollten, andererseits aber Anzeigen und Informationen zur Ergreifung pakistanischer Terroristen als unglaubwürdig erachteten und die eigene Bevölkerung durch Misshandlungen von derartigen Anzeigen abschrecken würde. Auch der Sachverständige habe in seinem Gutachten in Bezug auf eine vergleichbare Aussage eines anderen Beschwerdeführers eine solche Reaktion der indischen Polizei als "verwunderlich" bezeichnet. Der Beschwerdeführer habe jedenfalls "nicht überzeugend" aufzeigen können, weshalb ihm wegen der angegebenen Entfernung seines Elternhauses zum Dorf ein Schutz durch die Polizei versagt bleiben sollte. Im Übrigen "erscheine unglaubwürdig", dass pakistanische Terroristen in der vom Beschwerdeführer behaupteten Häufigkeit (10- 15 Mal innerhalb von zwei Jahren) und über die von ihm angegebene Region (Kaschmir) in den Punjab eindringen könnten.
Schließlich trete zu "dieser ins Auge springenden Unplausibilität" hinzu, dass sich der Beschwerdeführer in seinem Vorbringen widersprochen habe. So habe er vor dem Bundesasylamt ausgesagt, er hätte der indischen Polizei aus Angst vor Misshandlungen nicht mitgeteilt, dass die Extremisten Zwang auf ihn ausgeübt hätten, wohingegen er seine solche Angabe in der Berufungsverhandlung bejaht habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
In der Beschwerde wird eingewendet, ein Asylantrag dürfe gemäß § 6 AsylG nur dann als offensichtlich unbegründet abgewiesen werden, wenn eine Verfolgungsgefahr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eindeutig auszuschließen sei. Eine derartige Eindeutigkeit sei vor dem Hintergrund der Angaben des Beschwerdeführers (jedenfalls) nicht gegeben.
Nach § 6 AsylG sind Asylanträge als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist nach Z 3 dieser Bestimmung dann der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat das Vorbringen des Asylwerbers zu einer Bedrohungssituation offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht.
Die gemäß § 6 Z 3 AsylG geforderte Offensichtlichkeit ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes so zu verstehen, dass nur Fälle "qualifizierter Unglaubwürdigkeit" erfasst werden und eine "schlichte Unglaubwürdigkeit" des Asylwerbers nicht zur Anwendung dieses Tatbestandes führt. Gelangt die Asylbehörde im Rahmen ihrer Beweiswürdigung zu dem Ergebnis, dass das Vorbringen eines Asylwerbers als unglaubwürdig zu werten ist, so ist damit noch nichts darüber ausgesagt, ob ein solches Maß an Unglaubwürdigkeit erreicht ist, dass der Tatbestand des § 6 Z 3 leg.cit. als erfüllt angesehen werden kann. Letzteres kann nur dann angenommen werden, wenn Umstände vorliegen, die besonders deutlich die Unrichtigkeit der erstatteten Angaben vor Augen führen. Es muss unmittelbar einsichtig ("eindeutig", "offensichtlich") sein, dass die abgegebene Schilderung wahrheitswidrig ist. Dieses Urteil muss sich quasi "aufdrängen", die dazu führenden Gesichtspunkte müssen klar auf der Hand liegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. August 2001, Zl. 2000/01/0214).
Wie die Beschwerde zutreffend einwendet, treffen diese Voraussetzungen auf den vorliegenden Fall ganz offensichtlich nicht zu. Wenn die belangte Behörde in ihrer Beweiswürdigung meint, die Anstrengungen der indischen Polizei, pakistanischer Extremisten habhaft zu werden, stünden der Annahme entgegen, dass indischen Staatsbürgern "bei Bekanntgabe derartiger erwünschter Informationen" von der Polizei kein Glaube geschenkt und diese misshandelt würden, so übersieht sie, dass der Beschwerdeführer vorgebracht hat, Informationen über die Extremisten gerade nicht an die Polizei weitergegeben zu haben und (u.a.) gerade wegen dieser Weigerung geschlagen worden zu sein.
Abgesehen davon, dass daher aus den von der belangten Behörde wiedergegebenen Angaben des Sachverständigen, auf die sie ihre Entscheidung primär stützte, schon für eine "schlichte" Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers zu seiner Bedrohungssituation wenig zu gewinnen ist, sind aus der Begründung des angefochtenen Bescheides auch keine Argumente für eine "Offensichtlichkeit" tatsachenwidriger Angaben des Beschwerdeführers im genannten Sinn erkennbar. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, dass ihm auf Grund der isolierten Lage seines Elternhauses ein (effektiver) Schutz durch die Polizei versagt sei (weshalb er aus Angst vor den Terroristen mit der indischen Polizei nicht kooperieren könne) widerspricht nicht (und schon gar nicht offensichtlich) der allgemeinen Lebenserfahrung. Soweit die belangte Behörde das Eindringen pakistanischer Terroristen nach Indien in der vom Beschwerdeführer angegebenen Häufigkeit und, wie von ihm behauptet, über die Krisenregion Kaschmir als unglaubwürdig einstuft, unterlässt sie es, ihre Ansicht auf nachvollziehbare Tatsachen zu stützen.
Der nach der Bescheidbegründung somit allein verbleibende behauptete Widerspruch im Vorbringen des Beschwerdeführers zur Frage, ob er die Polizei in Indien auf den seitens der Extremisten auf ihn ausgeübten Druck, diese zu unterstützen, hingewiesen habe, vermag für sich allein (nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt seiner Aussagen) jedenfalls noch nicht zu bewirken, dass sich das Urteil der Tatsachenwidrigkeit der von ihm geschilderten Bedrohungssituation gleichsam "aufdrängt", sodass dieses Vorbringen als "offensichtlich" wahrheitswidrig qualifiziert werden könnte.
Da die belangte Behörde somit die Voraussetzungen des § 6 Z 3 AsylG verkannt hat, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Spruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Die Abweisung des Mehrbegehrens beruht darauf, dass die begehrte Umsatzsteuer in den Pauschalierungssätzen der genannten Aufwandersatzverordnung bereits enthalten ist.
Wien, am 31. Jänner 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2001200381.X00Im RIS seit
17.04.2002