TE Vwgh Beschluss 2002/2/7 AW 2001/09/0088

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Veröffentlicht am 07.02.2002
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E2D Assoziierung Türkei;
E2D E02401013;
E2D E05204000;
E2D E11401020;
E6J;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
60/04 Arbeitsrecht allgemein;
62 Arbeitsmarktverwaltung;

Norm

61998CJ0065 Eyüp VORAB;
ARB1/80 Art6;
ARB1/80 Art7 Satz1;
ARB1/80 Art7;
AuslBG §4c Abs2;
EURallg;
VwGG §14 Abs2;
VwGG §30 Abs2;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag des S, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt, der gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Vorarlberg vom 14. November 2001, Zl. LGSV/3/13115/2001 ABA 1113945, betreffend Ablehnung der Verlängerung eines Befreiungsscheines nach § 4c Abs. 2 Ausländerbeschäftigungsgesetz, erhobenen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen bzw. mit einstweiliger Anordnung auszusprechen, dass der Beschwerdeführer bis zur Entscheidung über diese Beschwerde berechtigt sei, in Österreich eine Arbeitsstelle anzutreten und es sei ein potentieller Arbeitgeber berechtigt, ihn ohne weiteres zu beschäftigen ohne arbeitsmarktrechtliche Strafsanktionen befürchten zu müssen, den Beschluss gefasst:

Spruch

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag nicht stattgegeben.

Begründung

Mit dem mit Beschwerde (zur hg. Zl. 2001/09/0239) angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Landesgeschäftsstelle Vorarlberg des Arbeitsmarktservice vom 14. November 2001 wurde der Antrag des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen, auf Verlängerung seines (mit Geltungsdauer bis 31. Dezember 1996 ausgestellten) Befreiungsscheines gemäß § 4c Abs. 2 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG) abgewiesen.

Der Beschwerdeführer beantragt in seiner Beschwerde unter anderem (unter Punkt 7), der Verwaltungsgerichtshof möge seiner Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkennen bzw. mit einstweiliger Anordnung aussprechen, dass er bis zur Entscheidung über diese Beschwerde berechtigt sei, in Österreich eine Arbeitsstelle anzutreten und ein potentieller Arbeitgeber berechtigt sei, ihn ohne weiteres zu beschäftigen, ohne arbeitsmarktrechtliche Sanktionen befürchten zu müssen. Begründet wird dieser Antrag im wesentlichen damit, der angefochtene Bescheid sei einem Vollzug zugänglich, weil darin normativ zum Ausdruck käme, dass er in Österreich nicht assoziationsintegriert sei. Arbeitgeber, die einen assoziationsintegrierten türkischen Arbeitnehmer ohne "Papier" beschäftigen, würden "quasi wegen Majestätsbeleidigung mit Gehässigkeit verfolgt". Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sei eine einstweilige Anordnung zu erlassen, wenn Unaufschiebbarkeit und der fumus boni juris vorliege. Beides liege vor: die Assoziationsintegration (des Beschwerdeführers) sei aktenkundig und stehe außer Streit und er habe eine Arbeitsstelle konkret in Aussicht und könnte jederzeit mit der Arbeit beginnen. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zu Zl. AW 2000/09/0067- 7, sei unrichtig bzw. aus dem Verfahren Eyüp nicht abzuleiten.

Einer Beschwerde ist gemäß § 30 Abs. 2 VwGG die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, insoweit dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung aller berührten Interessen mit dem Vollzug oder mit der Ausübung der mit Bescheid eingeräumten Berechtigung durch einen Dritten für den Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre. Gemäß § 30 Abs. 3 zweiter Satz VwGG hat die Behörde im Fall der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung den Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes aufzuschieben und die hiezu erforderlichen Verfügungen zu treffen; der durch den angefochtenen Bescheid Berechtigte darf die Berechtigung nicht ausüben.

Der Beschwerdeführer beruft sich erkennbar auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, wonach ein mit einem nach Gemeinschaftsrecht zu beurteilenden Rechtsstreit befasstes Gericht durch eine Vorschrift des nationalen Rechts nicht daran gehindert werden darf, einstweilige Anordnungen zu erlassen, um die volle Wirksamkeit der späteren Gerichtsentscheidung über das Bestehen der aus dem Gemeinschaftsrecht hergeleiteten Rechte sicherzustellen (vgl. etwa das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 19. Juni 1990, in der Rechtssache C-213/89, Factortame, Slg. 1990, I-2433, und auch die Urteile vom 21. Februar 1991, in der Rechtssache C-143/88 und C-92/89, Zuckerfabrik Süderdithmarschen u. a., Slg. 1991, I-0415, vom 9. November 1995, in der Rechtssache Atlanta Fruchthandelsgesellschaft mbH u.a. C-465/93, Slg. 1995, I- 3761, und vom 17. Juli 1997, in der Rechtssache KrügerGmbH & Co. KG, C-334/95, Slg. 1997, I-4517; vgl. nunmehr auch das Urteil vom 8. Februar 2000, in der Rechtssache Emesa, C- 17/98).

§ 30 Abs. 2 VwGG ermächtigt dazu, einer Beschwerde mit Beschluss die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und damit zur Aussetzung des Vollzuges des angefochtenen Bescheides, wobei der Begriff "Vollzug" in einem weiten Sinn zu verstehen ist und sämtliche Rechtswirkungen des angefochtenen Bescheides erfasst.

§ 30 Abs. 2 VwGG ermächtigt jedoch nicht zur Erlassung von einstweiligen Verfügungen oder zur Zuerkennung von vorläufigen Rechten, mit denen mehr als die Suspendierung der Umsetzung des angefochtenen Bescheides in die Wirklichkeit verfügt werden soll. Soweit im Rahmen von Anträgen auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde die Einräumung von positiven, auch vor Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht bestehenden Rechten beantragt wurde, haben die Berichter des Verwaltungsgerichtshofes solche Anträge regelmäßig im Rahmen ihrer Befugnis gemäß § 14 Abs. 2 VwGG im Wesentlichen mit der Begründung abschlägig beschieden, dass die Einräumung von Rechten, die eine beschwerdeführende Partei vor Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht hatte, und die ihr auch bei der Aufhebung des angefochtenen Bescheides nicht zukäme, gemäß § 30 Abs. 2 VwGG nicht bewirkt werden kann, weil der angefochtene Bescheid einem Vollzug im Sinn dieser Gesetzesstelle insofern nicht zugänglich sei (vgl. etwa die Beschlüsse vom 8. September 1994, Zl. AW 94/08/0023, vom 21. März 1995, Zl. AW 95/20/0084, und vom 12. Jänner 1998, Zl. AW 97/05/0112). Die Beurteilung, welche Rechtsstellung dem Beschwerdeführer im Fall der Aufhebung des angefochtenen Bescheides zukäme, setzte insoferne auch eine Prognose über die Entscheidung in der Sache selbst, nämlich ihrer Rechtsfolgen (vgl. § 42 Abs. 3 und § 63 Abs. 1 VwGG) voraus.

Auch beim vorliegenden Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung des Inhaltes, dass der Beschwerdeführer bis zur Entscheidung über diese Beschwerde berechtigt sei, in Österreich eine Arbeitsstelle anzutreten und ein potentieller Arbeitgeber berechtigt sei, ihn ohne weiteres zu beschäftigen, ohne arbeitsmarktrechtliche Strafsanktionen befürchten zu müssen, handelt es sich um einen Antrag auf vorläufige Zuerkennung einer Rechtsstellung, die der Beschwerdeführer vor Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht hatte. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde nämlich weder eine derartige Berechtigung aufgehoben, noch wird die Rechtsstellung des Beschwerdeführers durch die Umsetzung des angefochtenen Bescheides in die Wirklichkeit verändert. Durch die mit dem angefochtenen Bescheid ausgesprochene Abweisung seines Antrages auf Verlängerung seines mit einer Gültigkeit bis 31. Dezember 1996 ausgestellten Befreiungsscheines gemäß § 4c Abs. 2 AuslBG wurde nicht auf bindende Weise ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer die Voraussetzungen des Art. 6 oder 7 des Beschlusses des Assoziationsrates EWG - Türkei Nr. 1/1980 nicht erfülle.

Die vorläufige Einräumung des begehrten Rechts kann daher nicht allein auf § 30 Abs. 2 VwGG, sondern allenfalls auf diese Bestimmung in Verbindung mit dem Gemeinschaftsrecht und die dazu ergangene angeführte Rechtsprechung des EuGH gegründet werden. Der in der Beschwerde gestellte Antrag ist - auch wenn der antragstellende Beschwerdeführer seinen Antrag als "Provisorialmaßnahme" oder als "einstweilige Anordnung" bezeichnet und die Erlassung einer Anordnung mit konkretem Inhalt vorschlägt -

letztlich ein Antrag, seiner Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, ist § 30 Abs. 2 VwGG doch keine Umschreibung, Aufzählung oder Einschränkung von Sicherungsmitteln bzw. von im Einzelfall anzuordnenden Maßnahmen zu entnehmen, die der Verwaltungsgerichtshof in einem Beschluss, mit dem einer Beschwerde "die aufschiebende Wirkung zuerkannt wird" anordnen dürfte. Werden - wie auch vorliegend - bloß unzulässige oder unstatthafte Sicherungsmittel oder sichernde Anordnungen begehrt, ändert dies nichts daran, dass ein nach § 30 Abs. 2 VwGG zu wertender Antrag vorliegt. Demnach wurden auch Anträge, die unter Berufung auf das Gemeinschaftsrecht gestellt wurden, vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der Entscheidung gemäß § 30 Abs. 2 VwGG behandelt und entschieden (vgl. etwa die hg. Beschlüsse vom 9. April 1999, Zl. AW 99/21/0061, vom 5. November 1999, Zl. AW 99/09/0073, vom 30. November 1999, Zlen. AW 99/21/0246 - 0248, und vom 4. Oktober 2000, Zl. AW 2000/21/0128; vgl. aber den hg. Beschluss vom 29. September 1999, Zl. 99/11/0257), handelt es sich bei den Bestimmungen der §§ 14 Abs. 2 und 30 Abs. 2 VwGG um jene Bestimmungen des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985, deren Anwendung als nächstliegende Vorschriften im Rahmen der Beurteilung gemeinschaftsrechtlich allenfalls gebotener Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes durch den Verwaltungsgerichtshof in Frage kommt, wobei die letztere Vorschrift durch die gemeinschaftsrechtlichen inhaltlichen Voraussetzungen für Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes, insbesondere auch was den Inhalt und die Art der Sicherungsmittel anlangt, gegebenenfalls entsprechend überlagert ist.

Dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 22. Juni 2000 in der Rechtssache Eyüp, Nr. C-65/98, zufolge können die gemäß Art. 7 Satz 1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 bestehenden Rechte unmittelbar geltend gemacht werden, sie stehen dem Berechtigten ohne irgendeine Genehmigung zu (RZ 48), und jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts ist außer Anwendung zu lassen (RZ 42). Die Ausstellung einer Urkunde, mit der das Bestehen dieser Rechte bescheinigt wird, ist gemeinschaftsrechtlich nicht geboten: Insofern ist daher auch die Anordnung von vorläufigen Maßnahmen nach dem Gemeinschaftsrecht durch ein Gericht, das über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung des Zugangs zur Beschäftigung zu entscheiden hat, nicht erforderlich (RZ 49). Ist der Beschwerdeführer daher - wie er behauptet - gemäß Art. 6 des angeführten Assoziationsratsbeschlusses berechtigt (hier: was den Antritt einer Beschäftigung oder allenfalls die Weiterbeschäftigung durch den bisherigen Arbeitgeber anlangt), so darf ihm die Aufnahme einer Beschäftigung nicht verwehrt und ein Arbeitgeber nicht an seiner Beschäftigung gehindert oder dafür bestraft werden. Verlangt das Gemeinschaftsrecht aber - wie der Beschwerdeführer selbst einräumt - für die Ausübung dieser Rechte nicht die Ausstellung einer Urkunde, mit welcher deren Bestehen dieser Rechte bescheinigt wird, so ist auch die zur vorläufigen Ausübung dieser allenfalls bestehenden Rechte von dem Beschwerdeführer begehrte einstweilige Anordnung im Lichte des angeführten Urteiles des EuGH nicht geboten, weshalb dem vorliegenden Antrag nicht stattzugeben war (vgl. zum Ganzen die hg. Beschlüsse vom 5. November 1999, Zl. AW 99/09/0073, vom 10. November 2000, Zl. 2000/09/0067, vom 30. November 2000, Zl. 99/09/0073, und vom 1. Dezember 2000, Zl. 2000/09/0058, und die jeweils darin angegebene Judikatur).

Dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung bzw. auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung konnte daher nicht stattgegeben werden.

Wien, am 7. Februar 2002

Gerichtsentscheidung

EuGH 61998J0065 Eyüp VORAB

Schlagworte

Begriff der aufschiebenden WirkungBesondere Rechtsgebiete ArbeitsrechtIndividuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3Gemeinschaftsrecht vorläufige Aussetzung der Vollziehung provisorischer Rechtsschutz EURallg6

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:AW2001090088.A00

Im RIS seit

24.05.2002

Zuletzt aktualisiert am

04.11.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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