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82 GesundheitsrechtNorm
EMRK 1. ZP Art1Leitsatz
Verletzung im Eigentumsrecht durch rechtswidrige Anwendung einer Bestimmung des GehaltskassenG betreffend die Vorrückung von Apotheker/innen in die nächste Gehaltsstufe infolge offenkundigen Widerspruchs der Regelung zum Gemeinschaftsrecht; Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts in jedem Stadium des VerfahrensSpruch
Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit ATS 18.000.-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.a) Die Beschwerdeführerin ist angestellte Apothekerin. Sie leistet seit 1. Juni 1988 Teildienst im Ausmaß von 5/10 des Volldienstes. Mit Wirksamkeit vom 1. April 1993 ist sie in der Gehaltsstufe VII des Gehaltsschemas nach §12 des Bundesgesetzes über die Pharmazeutische Gehaltskasse für Österreich (Gehaltskassengesetz 1959), BGBl. 254/1959, idF BGBl. 104/1985, (im folgenden kurz: GKG), eingereiht.
b) Im Hinblick auf ein - gemäß §5 des Gleichbehandlungsgesetzes erstattetes - Gutachten der Gleichbehandlungskommission vom 22. Juni 1995 begehrte die Einschreiterin mit Schreiben vom 2. Februar 1996, sie rückwirkend ab 1. April 1995 in die (nächsthöhere) Gehaltsstufe VIII einzustufen.
c) Die Pharmazeutische Gehaltskasse lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 9. Februar 1996 gemäß §12 Abs6 iVm §21 GKG ab.
Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Berufung, über welche die (damalige) Bundesministerin für Gesundheit und Konsumentenschutz mit Bescheid vom 8. August 1996 entschied. Sie wies das Rechtsmittel als unbegründet ab und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid.
2. Gegen den eben erwähnten Berufungsbescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
3. Die (damalige) Bundesministerin für Gesundheit und Konsumentenschutz legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift. Sie begehrt, die Beschwerde als unbegründet kostenpflichtig abzuweisen.
4. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Beschluß vom 26. Februar 1998 ein Verfahren zur Prüfung des §12 Abs6 GKG eingeleitet, dieses jedoch mit Beschluß vom 11. Dezember 1998, G57/98, wieder eingestellt, da er zur Ansicht kam, daß die in Prüfung gezogene Bestimmung nicht präjudiziell ist, weil deren Anwendung offenkundig dem Gemeinschaftsrecht widerspricht.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. a) Der angefochtene Bescheid betrifft einen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Gehaltszahlung. Da diesem Anspruch jedoch eine Gegenleistung, nämlich die Dienstleistung der Beschwerdeführerin gegenübersteht, ist er vom Eigentumsschutz des Art1 des 1. ZPEMRK umfaßt (vgl. VfGH 11. März 1998, G363/97 u. a.Zlen., betreffend die Notstandshilfe).
b) Ein Eingriff in dieses Grundrecht bedarf einer gesetzlichen Grundlage. Hat ein Grundrecht wie das hier in Rede stehende einen Gesetzesvorbehalt, so ist ein solcher Eingriff nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg. 10356/1985, 10482/1985, 11650/1988 ua.) jedenfalls dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen ist, aber auch dann, wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine Rechtsvorschrift in denkunmöglicher Weise angewendet hat. Dies ist dann der Fall, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hat, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist.
Einen derartigen Fehler hat die Behörde durch die Anwendung des §12 Abs6 GKG begangen. Sie hat nämlich eine innerstaatliche gesetzliche Vorschrift, die - wie aus dem Beschluß des Verfassungsgerichtshofes G57/98 vom 11. Dezember 1998 hervorgeht - offenkundig einer unmittelbar anwendbaren Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, nämlich dem Art119 EGV, widerspricht, deren Anwendung also der Anwendungsvorrang unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechts entgegensteht, angewendet. Eine derartige Gesetzesanwendung ist einer Gesetzlosigkeit gleichzuhalten, weshalb die Beschwerdeführerin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums nach Art1 des 1. ZPEMRK verletzt ist.
c) Nun ist der belangten Behörde nicht subjektiv vorwerfbar, daß sie die Unanwendbarkeit der von ihr dem Bescheid zugrundegelegten innerstaatlichen Rechtsvorschrift nicht erkannt hat, da deren Unanwendbarkeit - wie sich aus dem zitierten Beschluß des Verfassungsgerichtshofes ebenfalls ergibt - erst mit dem Urteil des EuGH vom 17.6.1998, Rs. C-243/95, Hill/Stapleton, Slg. 1998, I-3739, offenkundig wurde. Dessen ungeachtet hat der Verfassungsgerichtshof den nunmehr deutlich gewordenen Fehler aufzugreifen: Alle Gerichte der Mitgliedstaaten haben nämlich nach der Rechtsprechung des EuGH im Rahmen ihrer Zuständigkeit das Gemeinschaftsrecht uneingeschränkt anzuwenden und für die volle Wirksamkeit der gemeinschaftsrechtlichen Normen Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen (vgl. EuGH 9.3.1978, Rs. 106/77, Staatliche Finanzverwaltung/Simmenthal, Slg. 1978, I-629, Rz. 21/23). Diese Verpflichtung trifft auch den Verfassungsgerichtshof. Folglich hat der Verfassungsgerichtshof die festgestellte Rechtswidrigkeit der Gesetzesanwendung im Sinne der effektiven Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts in jedem Stadium des Verfahrens zu beachten, und zwar auch dann, wenn die Nichtanwendbarkeit des innerstaatlichen Rechts - wie im vorliegenden Fall - erst im Zuge des Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof offenkundig wurde.
Der angefochtene Bescheid war sohin wegen Verletzung des durch Art1 des 1. ZPEMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes aufzuheben.
2. Der Kostenzuspruch gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von ATS 3.000.-- enthalten.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Apotheken, Gehaltskasse pharmazeutische, EU-Recht, Gleichheit Frau-Mann, Diskriminierung mittelbare, Eigentumsrecht, SchutzumfangEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1999:B3073.1996Dokumentnummer
JFT_10009695_96B03073_00