TE Vwgh Erkenntnis 2002/2/19 2000/01/0113

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Veröffentlicht am 19.02.2002
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

ZustG §8 Abs1;
ZustG §8 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schimetits, über die Beschwerde des S M in Wien, geboren am 21. Dezember 1978, vertreten durch Dr. Michael Hecht, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wipplingerstraße 23, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 24. Jänner 2000, Zl. 214.968/0- V/13/00, betreffend Zurückweisung einer Berufung als verspätet (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Nach der Aktenlage reiste der Beschwerdeführer, seinen Angaben zufolge ein sudanesischer Staatsangehöriger, am 30. August 1999 in das Bundesgebiet ein; am 13. September 1999 wurde er als Schubhäftling in das Polizeigefangenenhaus Linz (PGH) eingeliefert. Von dort beantragte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 1. Oktober 1999, eingelangt beim Bundesasylamt, Außenstelle Linz, am 4. Oktober 1999, die Gewährung von Asyl. Die Ladung zu seiner ersten Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 13. Oktober 1999 war an die Anschrift des PGH gerichtet, das auch in der Niederschrift über seine Einvernahme als Adresse des Beschwerdeführers festgehalten wurde. Am 29. Oktober 1999 wurde der Beschwerdeführer aus der Schubhaft entlassen.

Ohne dass aus den Verwaltungsakten eine Ladung nachvollzogen werden könnte, hat das Bundesasylamt den Beschwerdeführer am 3. November 1999 neuerlich niederschriftlich einvernommen und im "Betreff" des darüber aufgenommenen Protokolls unter anderem "unsteten Aufenthaltes" angeführt. Eine ausdrückliche Befragung des Beschwerdeführers nach seinem Aufenthalt geht aus der Niederschrift nicht hervor.

Mit Bescheid vom 16. November 1999 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 3 AsylG als offensichtlich unbegründet ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Sudan zulässig sei. In zwei beim Bundesasylamt angefertigten Aktenvermerken vom 16. November 1999 wird einerseits festgehalten, dass sich der Beschwerdeführer "laut Auskunft der Fremdenpolizei Linz, Frau S., am 9. 11. 1999 nach unbekannt abgemeldet" habe und andererseits, dass der genannte Bescheid "gem. § 8/2 iVm § 23/1 ZustellG ohne vorherigen Zustellversuch bei der Behörde am 16. 11. 1999 durch Hinterlegung im Akt zugestellt worden" sei.

Am 10. Jänner 2000 wurde dem Beschwerdeführer bei einer Vorsprache beim Bundesasylamt eine Kopie des erstinstanzlichen Bescheides ausgefolgt. Bei dieser Gelegenheit legte der Beschwerdeführer einen Meldezettel mit einem Anmeldevermerk des Bezirkspolizeikommissariates Hernals vom 24. November 1999 vor, in dem als bisheriger Hauptwohnsitz die Anschrift 4041 Linz, Rudolfstraße 64, und der Vermerk "abgem. 9. 11. 99 unbekannt" und als neuer Hauptwohnsitz eine Wiener Adresse angegeben wurde.

In seiner selbst verfassten Berufung vom 11. Jänner 2000, bei der belangten Behörde am 14. Jänner 2000 eingelangt, ersuchte der Beschwerdeführer um Erstreckung der Berufungsfrist; zu seinem Bedauern habe "SOS Mitmensch, Rudolfstraße 64" seine Wohnadresse nicht an das Bundesasylamt weitergeleitet.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als verspätet zurück und führte in der Begründung aus, der Beschwerdeführer habe bei seiner Einvernahme am 3. November 1999 keine Wohnadresse bzw. taugliche Abgabestelle namhaft machen können. Gemäß einer Auskunft der Fremdenpolizei Linz vom 16. November 1999 habe sich der Antragsteller jedenfalls am 9. November 1999 von der Adresse 4041 Linz, Rudolfstraße 64, unbekannt wohin, abgemeldet. Auf Grund der Tatsache, dass es der Erstbehörde trotz eingeholter Meldeanfrage bei der zuständigen Meldebehörde nicht möglich gewesen sei, eine Abgabestelle des Beschwerdeführers zu eruieren, sei der erstinstanzliche Bescheid am 16. November 1999 rechtswirksam durch Hinterlegung bei der Behörde zugestellt worden. Die vorliegende Berufung sei erst am 12. Jänner 2000, somit nach Ablauf der zehntägigen Rechtsmittelfrist nach § 32 Abs. 1 AsylG, erhoben worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Der Beschwerdeführer vertritt in seiner Beschwerde zusammengefasst die Ansicht, eine Abgabestelle für die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides hätte ohne Schwierigkeiten dadurch festgestellt werden können, dass bei der - wie angenommen wird - dem Bundesasylamt zuletzt bekannt gewordenen Adresse in 4041 Linz, Rudolfstraße 64, einem Heim von SOS-Mitmensch, nachgefragt worden wäre. Dort sei die neue Anschrift des Beschwerdeführers bekannt gewesen. Die durchgeführte Meldeanfrage sei hingegen unzweckmäßig gewesen. In jedem Fall hätte die Behörde SOS-Mitmensch von der Hinterlegung verständigen müssen.

§ 8 Zustellgesetz (ZustG) lautet:

"(1) Eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, hat dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen.

(2) Wird diese Mitteilung unterlassen, so ist, soweit die Verfahrensvorschriften nicht anderes vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann."

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, seine neue Anschrift in Wien dem Bundesasylamt nicht unverzüglich mitgeteilt zu haben. Das Unterlassen einer solchen Mitteilung geht bei Änderung der bisherigen Abgabestelle nach § 8 Abs. 2 Zustellgesetz zu Lasten der Partei, wenn die Behörde die geänderte Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten in Erfahrung bringen kann. Zu welchen Erhebungen die Behörde in diesem Rahmen verpflichtet ist, wird im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (162 BlgNR 15. GP) - aus deren allgemeinen Teil sich ergibt, dass das Zustellgesetz unter anderem die Zielrichtung verfolgt, die Verwaltung einfacher und ökonomischer zu gestalten - ist die Behörde nur verpflichtet, einfache Hilfsmittel - etwa Meldeauskünfte oder Mitteilungen an den Zusteller durch Nachbarn - heranzuziehen. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Behörde jedenfalls mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln auf zumutbare Weise die neue Abgabestelle zu erforschen, wozu eine Anfrage bei der Meldebehörde der letzten Abgabestelle gehört (vgl. die Erkenntnisse vom 2. Juli 1998, Zl. 96/20/0017, und vom 22. Februar 2001, Zl. 99/20/0487). Eine Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch ist nur dann mit der Wirkung der Zustellung ausgestattet, wenn die Behörde ergebnislos den ihr zumutbaren und ohne Schwierigkeiten zu bewältigenden Versuch unternommen hat, eine (neue, andere) Abgabestelle festzustellen. Ansonsten bewirkt in diesen Fällen die Hinterlegung nicht die Rechtswirksamkeit der Zustellung.

Nach der Aktenlage war dem Bundesasylamt eine Abgabestelle des Beschwerdeführers nach seiner Entlassung aus dem PGH nicht mehr bekannt. Auch aus dem erwähnten Aktenvermerk über die Auskunft der Fremdenpolizei ergibt sich nicht, dass die Behörde von seiner vorübergehenden Unterkunft bei "SOS-Mitmensch" Kenntnis erlangt hat. Die entsprechende Feststellung im angefochtenen Bescheid stimmt in diesem Punkt mit der Aktenlage nicht überein. Als einzige Maßnahme zur Feststellung einer Abgabestelle des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem Aktenvermerk des Bundesasylamtes vom 16. November 1999 eine Anfrage an die "Fremdenpolizei". Zwar kommen den nach dem Fremdengesetz 1997 (FrG) - vom Bundesasylamt offenbar ins Auge gefassten - zuständigen Behörden gewisse Kompetenzen im Bereich der Aufnahme und Übermittlung von personenbezogenen Daten zu (vgl. §§ 96 ff FrG), die Wohnsitzevidenz obliegt ihnen jedoch nicht. Dafür sind die Meldebehörden zuständig (vgl. § 13 Meldegesetz); für die Landeshauptstadt Linz somit die dort bestehende Bundespolizeidirektion. Nur von dieser durfte das Bundesasylamt annehmen, dass sie auf Grund der bestehenden Meldepflicht alle in ihrem Zuständigkeitsbereich an- bzw. abgemeldeten Personen evident hält und zuverlässig über diese Daten Auskunft geben kann, während die Anfrage an die Fremdenbehörde allein kein taugliches Mittel zur Erforschung einer Abgabestelle darstellt, sondern dazu allenfalls in Ergänzung zu anderen Maßnahmen geeignet wäre (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis vom 22. Februar 2001, zu einer für den genannten Zweck ebenfalls untauglichen Anfrage an ein Polizeigefangenenhaus).

Im Beschwerdefall kann nach dem Inhalt des im Verwaltungsverfahren vorgelegten Meldezettels angenommen werden, dass der Beschwerdeführer an der dort genannten Anschrift in Linz nach den Entlassung aus der Schubhaft eine Zeit lang polizeilich gemeldet war und das Bundesasylamt auf Grund einer an die Bundespolizeidirektion Linz gerichteten Meldeanfrage von dieser Anschrift, sofern sie diese nicht ohnehin schon durch die "fremdenpolizeiliche" Anfrage in Erfahrung gebracht hat, Kenntnis erlangt hätte. Es kann aber dahinstehen, ob - wie der Beschwerdeführer meint - die Bekanntgabe bzw. die Kenntnis dieser Anschrift Anlass zu weiteren Erhebungen durch Nachfrage sein hätte müssen; die verfügte Hinterlegung ohne Zustellversuch war nämlich schon deshalb rechtswidrig, weil das Bundesasylamt die ihm zumutbare und ohne Schwierigkeiten zu bewältigende Anfrage an die Meldebehörde unterlassen hat, ohne dass es darauf ankäme, dass die Meldeanfrage - wie im vorliegenden Fall mangels einer neuerlichen polizeilichen Anmeldung des Beschwerdeführers in Linz - ohnehin erfolglos gewesen wäre (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis vom 2. Juli 1998). Meint der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang, die Einholung einer Meldeanfrage sei nicht erfolgversprechend gewesen, da sich der Beschwerdeführer nach der fremdenpolizeilichen Auskunft "nach unbekannt" abgemeldet habe, ist ihm zu erwidern, dass sich das Bundesasylamt auf diese Auskunft ohnehin nicht hätte beschränken dürfen und nach dem eben Gesagten eine Meldeauskunft ungeachtet der Erfolgsaussichten einzuholen gewesen wäre.

Bei diesem Ergebnis erübrigt sich die Auseinandersetzung mit der Frage, in welcher Hinsicht das Bundesasylamt ausgehend davon, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt seiner letzten Einvernahme "unsteten Aufenthaltes" gewesen sei, die Voraussetzung der unterbliebenen Mitteilung über die Änderung einer "bisherigen Abgabestelle" als gegeben erachten konnte.

Indem die belangte Behörde verkannte, dass die vom Bundesasylamt vorgenommene Hinterlegung ohne Zustellversuch aus den erwähnten Gründen nicht wirksam war, hat sie ihren Bescheid mit einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit belastet. Die belangte Behörde hätte mangels Vorliegens eines rechtswirksam erlassenen Bescheides die Berufung nicht wegen Verspätung zurückweisen dürfen. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 19. Februar 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2000010113.X00

Im RIS seit

08.05.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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