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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schimetits, über die Beschwerde des MH in Graz, geboren am 23. März 1979, vertreten durch Dr. Gerald Ruhri, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Roseggerkai 5/IV, gegen den am 7. August 1998 verkündeten und am 11. August 1998 schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 11. August 1998, Zl. 204.244/0-IV/10/98, betreffend §§ 7, 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Bundesrepublik Jugoslawien und aus Dubovc stammender Angehöriger der albanischen Volksgruppe im Kosovo, reiste am 7. Jänner 1998 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag Asyl.
Bei der Einvernahme zu seinen Fluchtgründen am 7. Mai 1998 gab er an, kurz vor Jahresbeginn habe die Polizei in seinem Elternhaus, wie auch in anderen Häusern in Dubovc, nach Waffen gesucht. Dabei sei der Beschwerdeführer, der sich im Bett befunden habe, mit einem Gummiknüppel geschlagen worden. Die Schläge seien nicht so stark gewesen, dass sie Verletzungsspuren hinterlassen hätten. Die Polizei habe keine Waffen gefunden und sei wieder abgezogen. Sie sei in den darauf folgenden Tagen bis zur Ausreise des Beschwerdeführers nicht zurückgekehrt. Dass der Beschwerdeführer den Vorfall zum Anlass für seine Flucht genommen habe, erklärte er damit, dass man nie wisse, "wann etwas geschieht".
Die Frage, was er bei einer nunmehrigen Rückkehr in sein Heimatland befürchte, beantwortete der Beschwerdeführer damit, er nehme an, dass er dasselbe wie sein Vater zu erwarten hätte. Diesem sei bei einem Vorfall im März 1998 in die Beine geschossen worden.
Am 20. Mai 1998 legte der Beschwerdeführer einen Zeitungsbericht vom 7. März 1998 vor, der das Vorgehen serbischer Einheiten in Prekaz zum Inhalt hatte. Aus dem Teil des Zeitungsberichtes, den das Bundesasylamt übersetzen ließ, ging hervor, dass die serbischen Polizisten den Onkel des Beschwerdeführers (Isak H.) getötet und seinen Vater schwer verletzt hätten, wobei die Tötung des Vaters des Beschwerdeführers nur unterblieben sei, weil die Polizisten durch das Feuer schwerer Geschosse zur Flucht veranlasst worden seien.
Das Bundesasylamt wies den Antrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 3. Juli 1998 gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "nach Jugoslawien" sei zulässig. In der Begründung dieser Entscheidung ging das Bundesasylamt davon aus, die Behauptung des Beschwerdeführers, wegen des Vorfalls im Dezember 1997 geflohen zu sein, sei u.a. deshalb nicht glaubwürdig, weil der Beschwerdeführer Dubovc erst am 6. Jänner 1998 verlassen und sich daher "mehr als 7 Tage weiterhin zu Hause der Gefahr ausgesetzt" haben würde, was nicht glaubwürdig sei. Außerdem seien die vom Beschwerdeführer behaupteten Schläge mit dem Gummiknüppel damit zu erklären, dass der Beschwerdeführer "auf dem Bett gelegen" sei, "in dem die staatlichen Organe die Waffen gesucht" hätten, und er somit "die Amtshandlung offensichtlich behindert" habe, weshalb "in der Anwendung von staatlicher Gewalt zur Durchsetzung einer Amtshandlung keine Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention erblickt werden" könne.
Das Vorbringen des Beschwerdeführers zu den Vorfällen im März 1998 wurde in diesem Bescheid nur insoweit wiedergegeben, als der Beschwerdeführer angegeben habe, er habe Angst davor, in sein Heimatland zurückzukehren, und er habe erfahren, dass seinem Vater im März 1998 in die Beine geschossen worden sei. Dass der Beschwerdeführer in Beantwortung der Frage nach seinen Befürchtungen für den Fall einer Rückkehr angegeben hatte, er nehme an, er würde wie sein Vater behandelt werden, und dass der Onkel des Beschwerdeführers nach dem Zeitungsbericht, der an einer (nicht übersetzten) Stelle von einem "Massaker" spricht, bei dem Polizeieinsatz getötet wurde, blieb unerwähnt. In rechtlicher Hinsicht wurde ausgeführt, der Vorfall im Dezember 1997 habe keine weiteren Konsequenzen nach sich gezogen und sei daher nicht asylrelevant, und soweit der Vater des Beschwerdeführers Verfolgungen ausgesetzt gewesen sei, hätten sich diese nicht gegen den Beschwerdeführer gerichtet. Die "derzeitige" Entwicklung deute nicht auf eine Gruppenverfolgung aller Kosovo-Albaner hin. Es gebe auch keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass dem Beschwerdeführer in seinem Heimatland Gefahren im Sinne des § 57 FrG drohten.
In seiner Berufung gegen diese Entscheidung verwies der Beschwerdeführer u.a. auf das Erfordernis einer auf die Zukunft bezogenen Verfolgungsprognose und auf Berichte und ein deutsches Gerichtsurteil darüber, welchen Zwecken das Vorgehen der Serben gegen die Kosovoalbaner diene und dass es als Gruppenverfolgung zu werten sei. Im Zusammenhang mit dem Ausspruch gemäß § 8 AsylG verwies er auf eine Entscheidung der belangten Behörde über die Gefährdung in die Bundesrepublik Jugoslawien zurückkehrender Albaner.
Die belangte Behörde führte eine mündliche Berufungsverhandlung durch, in der der Beschwerdeführer - ausschließlich zum Vorfall im Dezember 1997 - einvernommen wurde. Der Verhandlungsleiter hielt dem Beschwerdeführer vor, seine Darstellung des Vorfalls sei nicht glaubwürdig, "wenn die serb. Polizei wirklich so gefährlich" sei. Im Zusammenhang mit der gemäß § 8 AsylG zu treffenden Entscheidung wurde dem Beschwerdeführer vorgehalten, der "Hinweis auf die allg. Situation" sei "kein Grund für ein non-refoulement". Auf die anschließende Frage, was er persönlich befürchte, antwortete der Beschwerdeführer, sein Vater sei verletzt worden und auf das Schicksal seines Onkels habe er hingewiesen.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG abgewiesen und gemäß § 8 AsylG festgestellt, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Bundesrepublik Jugoslawiens sei zulässig.
In der Begründung dieser Entscheidung hielt die belangte Behörde fest, das erstinstanzliche Vorbringen des Beschwerdeführers sei "im Wesentlichen" im Bescheid des Bundesasylamtes "richtig und vollständig wiedergegeben" worden, weshalb dieser Teil des erstinstanzlichen Bescheides "auch zum Inhalt des gegenständlichen Bescheides erhoben" werde. Seitens der belangten Behörde werde weiters "festgestellt, dass die Behörde erster Instanz nach Maßgabe des seinerzeitigen Kenntnisstandes ihre Feststellungen richtig und zutreffend getroffen" habe, weshalb die Feststellungen des erstinstanzlichen Bescheides zur Gänze übernommen würden. Ergänzend stellte die belangte Behörde fest, der Beschwerdeführer sei nie Mitglied einer Partei gewesen, die Waffensuche der Polizei, die "als Asylgrund herangezogen" werde, habe "die Familie des Asylwerbers nicht zielgerichtet, sondern allgemein das ganze Dorf" getroffen, und der Beschwerdeführer selbst gebe "zu, dass die Polizei - auf Grund der Tatsache, dass er bei der Hausdurchsuchung ohne offensichtlichen Grund im Bett verblieb - im Bett versteckte Waffen vermutete". Trotz dieser auf den Angaben des Beschwerdeführers beruhenden "Feststellungen" bezeichnete die belangte Behörde sein Vorbringen, gestützt auf Einzelheiten des Aussageverhaltens in der Berufungsverhandlung, als "eher unglaubwürdig". Die Befragung zu dem Vorfall im Dezember 1997 sei die "nochmalige Aufarbeitung des einzigen (Hervorhebung im Original) angeblich asylrelevanten Sachverhaltes" gewesen.
In der rechtlichen Würdigung des Sachverhaltes führte die belangte Behörde aus, dem Beschwerdeführer sei nicht Asyl zu gewähren gewesen, weil, "wie im Bescheid erster Instanz richtig ausgeführt, eine Glaubwürdigkeit der Fluchtgründe, insbesondere jedoch eine Glaubwürdigkeit einer aus objektiver Sicht aufrechten, persönlichen Verfolgung des Asylwerbers nicht gegeben" gewesen sei. Die erstinstanzlichen Rechtsausführungen hiezu würden "ausdrücklich übernommen". Zur non-refoulement-Prüfung führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe auch diesbezüglich "(nach ausdrücklichem Vorhalt) nichts Neues vorbringen" können, weshalb auch insofern die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides übernommen werde.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Der belangten Behörde ist schon in ihrer Bezugnahme auf die Darstellung des Vorbringens im erstinstanzlichen Bescheid nicht zu folgen. Wenn der im Jänner 1998 nach Österreich gekommene Beschwerdeführer die Frage danach, was ihm im Falle einer Rückkehr drohe, mit dem Hinweis auf einen Vorfall im März 1998 beantwortete, so machte er damit der Sache nach einen Nachfluchtgrund geltend, dessen Erwähnung in der Darstellung des Vorbringens im erstinstanzlichen Bescheid um einen wesentlichen Gesichtspunkt - nämlich die Annahme des Beschwerdeführers, er hätte die gleiche Behandlung zu erwarten - verkürzt wurde. Der Verkürzung des Vorbringens entspricht in der rechtlichen Würdigung des Sachverhaltes - der sich die belangte Behörde gleichfalls angeschlossen hat - die Verkennung des Umstandes, dass der Beschwerdeführer den Vorfall nicht als gegen ihn gerichtete Maßnahme in der Vergangenheit, sondern als Hinweis darauf, was ihm in Zukunft drohe, ins Treffen geführt hatte. Die Frage, ob der Vorfall vom März 1998 solche Schlüsse zuließ, hätte im Mittelpunkt der faktischen und rechtlichen Prüfung des Falles zu stehen gehabt.
Durch die Vorlage des Zeitungsberichtes über die Vorgänge in Prekaz im März 1998 wies der Beschwerdeführer aber auch auf einen Umstand hin, mit dem sich sowohl die erstinstanzliche als auch die belangte Behörde nach der mittlerweile ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes schon von Amts wegen zu befassen gehabt hätte. Der in dem Zeitungsartikel beschriebene Polizeieinsatz war nämlich Teil der notorischen Lageverschärfung im Zentral-Kosovo im März 1998, in Bezug auf die der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt hat, derartige Entwicklungen insbesondere in Ländern, aus denen viele Asylwerber nach Österreich kämen, seien vom Bundesasylamt und der belangten Behörde als speziell eingerichteten Bundesbehörden auch von Amts wegen zu berücksichtigen. Im einzelnen kann dazu auf die Vorjudikatur (etwa das Erkenntnis vom 16. Juni 1999, Zl. 98/01/0378) verwiesen werden, wobei hinzuzufügen ist, dass der Onkel des Beschwerdeführers in einer Liste von 29 identifizierten Opfern des Polizeieinsatzes in Prekaz mit der Beifügung, bei ihm habe es sich um einen Besucher aus Dubovc gehandelt, namentlich aufscheint und Dubovc selbst von den Vorgängen von Anfang an mitbetroffen gewesen (und später, allerdings erst nach der Erlassung des angefochtenen Bescheides, zerstört worden) sein soll, jedenfalls aber nahe bei Prekaz liegt.
Auf die Gefahren, die sich aus den allgemein bekannten Vorgängen im März 1998, über die der Beschwerdeführer noch dazu einen Zeitungsbericht vorgelegt hatte, im Falle seiner Rückkehr für ihn ergeben hätten, wäre es - unter dem Gesichtspunkt der Übergriffe auf die albanische Zivilbevölkerung und der daraus abzuleitenden ethnisch bedingten Verfolgungsgefahr - im Sinne der erwähnten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, aber auch nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers im vorliegenden Fall primär angekommen.
Da die belangte Behörde dies verkannt hat, war der angefochtene Bescheid ohne nähere Auseinandersetzung mit ihrem Herangehen an die übrigen durch den Fall aufgeworfenen Tat- und Rechtsfragen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 19. Februar 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:1998010521.X00Im RIS seit
08.05.2002