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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
ASVG §113 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des Bundes, vertreten durch den Bundeskanzler, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 14. Mai 1997, Zl. 5-s 2606/13- 97, betreffend Ordnungsbeiträge gemäß § 56 Abs. 1 ASVG (mitbeteiligte Partei: Steiermärkische Gebietskrankenkasse, 8011 Graz, Josef-Pongratz-Platz 1), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Antrag des Bundes auf Zuspruch von Aufwandersatz wird abgewiesen.
Begründung
Auf Grund der Ermächtigung durch das Bundesgesetz vom 4. Februar 1994, BGBl. Nr. 92, schloss der Bund mit dem Land Steiermark und der Stadt Graz einen (nicht datierten) Vertrag, wonach eine Sanierung des Bundesstadions Graz-Liebenau vereinbart und in Aussicht genommen wurde, die Liegenschaft dieses Stadions samt den darauf befindlichen Sportanlagen aus dem Eigentum der beschwerdeführenden Partei in das Eigentum der Stadt Graz mit gesondertem Vertrag zu übertragen.
§ 7 Abs. 2 des genannten Vertrages bestimmt, dass namentlich genannte, im Bundesstadion Graz-Liebenau beschäftigte Vertragsbedienstete der Beschwerdeführerin ab dem 1. Jänner 1995 von der Stadt Graz in ein privatrechtliches Dienstverhältnis aufgenommen würden. Gemäß § 7 Abs. 4 des Vertrages sollten die Personalkosten für die genannten Bediensteten bis zum 31. Dezember 1994 zur Gänze vom Bund getragen werden. Für den Zeitraum vom 1. Jänner 1995 bis zur Fertigstellung der Eishalle, längstens jedoch bis zum 30. September 1996, habe die Beschwerdeführerin der Stadt Graz die Hälfte der für diese Bediensteten aufgewendeten Personalkosten zu refundieren.
Tatsächlich wurden die Dienstverhältnisse von sechs Dienstnehmern mit der Beschwerdeführerin erst am 28. Februar 1995 beendet. Die ab dem 1. März 1995 für die Stadt Graz beschäftigten Dienstnehmer wurden von dieser auch bei der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse gemäß § 33 Abs. 1 ASVG angemeldet. Die Beschwerdeführerin (bzw. der für sie handelnde Betriebsleiter des Stadions Liebenau) meldete der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse die Beendigung der Dienstverhältnisse aber erst am 11. April 1995 (eingelangt am 17. April 1995).
Mit Bescheid vom 23. Mai 1996 verpflichtete die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse die Beschwerdeführerin wegen nicht rechtzeitiger Erstattung der Versicherungsabmeldungen für diese Dienstnehmer gemäß § 56 Abs. 1 ASVG, die allgemeinen Beiträge (Ordnungsbeiträge) für die Zeit vom 1. März 1995 bis 14. April 1995 in der Höhe von S 101.068,24 weiter zu entrichten.
In ihrem dagegen erhobenen Einspruch brachte die Beschwerdeführerin vor, von den zuständigen Mitarbeitern im Bundesstadion Graz-Liebenau sei irrtümlich keine Abmeldung der Dienstnehmer bei der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse erfolgt, weil sie von ihrem neuen Dienstgeber, der Stadt Graz, am 1. März 1995 beim gleichen Sozialversicherungsträger angemeldet worden seien. Bedingt durch eine Änderung des Bundesministeriengesetzes 1986, BGBl. Nr. 1105/1994, sei der Bundeskanzler seit 1. Jänner 1995 für die Angelegenheiten des Sports zuständig. Bei einem Wechsel der Ressortzuständigkeit nehme die Übergabe der erforderlichen Akten regelmäßig mehrere Monate in Anspruch. Die gebotene Abmeldung sei jedenfalls nach Urgenz durch die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse unverzüglich durchgeführt worden. Die Säumnis sei durch eine Verkettung unglücklicher Umstände zu Stande gekommen. Es werde auf die pünktliche Bezahlung und klaglose Abwicklung der Versicherungsverhältnisse von tausenden MitarbeiterInnen des Bundes hingewiesen. Für die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse habe zu keinem Zeitpunkt die Gefahr bestanden, dass Leistungen an Versicherungspflichtige erbracht würden, die nicht durch Beiträge gedeckt seien. Die Voraussetzungen für einen gänzlichen Verzicht des Versicherungsträgers im Sinne des § 56 Abs. 3 ASVG lägen daher vor.
Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse nahm zu diesem Einspruch und zu weiteren Ausführungen der Beschwerdeführerin über die gesetzwidrige Handhabung des Ermessens i. S. des § 56 Abs. 3 ASVG am 4. September 1996 gegenüber der belangten Behörde wie folgt Stellung:
"Im Anlassfall hat es der Beitragsausschuss der Kasse - in Würdigung des Sinnes und des Zweckes der Ordnungsbeiträge - angesichts des im folgenden näher zu erörternden bisherigen Meldeverhaltens der Einspruchswerberin abgelehnt, von der Weiterentrichtung der allgemeinen Beiträge gemäß § 56 Abs. 3 ASVG Abstand zu nehmen.
Eine Versicherungsanmeldung per 01.12.1990 wurde wesentlich verspätet am 09.05.1996 erstattet. Dieser Meldeverstoß hat zur Vorschreibung eines Beitragszuschlages gemäß § 113 Abs. 1 Z. 2 ASVG im Betrage von S 28.020,-- geführt.
Im Kalenderjahr 1993 wurden 2 Dienstnehmer verspätet von der Pflichtversicherung abgemeldet. Dennoch hat die Kasse von der Weiterentrichtung der Ordnungsbeiträge gemäß § 56 Abs. 3 ASVG zur Gänze abgesehen.
Weiters wird bekannt gegeben, dass eine Versicherungsanmeldung per 17.06.1993 verspätet am 20.09.1993 erstattet wurde. Trotz dieses Meldeverstoßes hat die Kasse von der Vorschreibung eines Beitragszuschlages gemäß § 113 Abs. 1 Z. 2 ASVG Abstand genommen.
Außerdem wurde eine Versicherungsanmeldung per 03.07.1996 verspätet am 11.07.1996 erstattet, sodass ein Beitragszuschlag in der Höhe von S 500,-- vorgeschrieben wurde.
Von einer erstmaligen Verletzung der Meldepflicht, welche eine Nachsicht rechtfertigen würde, kann im Anlassfall daher nicht gesprochen werden. Vielmehr hat die Einspruchswerberin wiederholt gegen die Meldebestimmungen des ASVG verstoßen."
Die belangte Behörde teilte der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse darauf mit Schreiben vom 10. Februar 1997 mit, diese sei in der zitierten Stellungnahme nicht darauf eingegangen, weshalb auf die Weiterentrichtung der Beiträge nicht habe verzichtet werden können. Aus der Stellungnahme gehe nicht hervor, dass das bisherige Meldeverhalten der Beschwerdeführerin nicht ordnungsgemäß verlaufen wäre.
Darauf bekräftigte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse mit Schreiben vom 5. März 1997 ihren Standpunkt und führte u.a. noch aus, dass sie im Rahmen der Ermessensübung auch das bisherige Meldeverhalten der Einspruchswerberin in Betracht gezogen und einen "erheblichen Verspätungszeitraum von über 5 Jahren - eine Versicherungsanmeldung per 01.12.1990 wurde am 09.05.1996 erstattet - mit berücksichtigt" habe.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dem Einspruch insofern Folge, als der Ordnungsbeitrag auf S 81.068,24 herabgesetzt wurde. Begründend führte die belangte Behörde nach einer Zusammenfassung des Geschehens im Verwaltungsverfahren und unter Hinweis darauf, dass die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse zum "bisherigen Meldeverhalten" die Verspätung einer "Versicherungsanmeldung per 03.07.1996" bekannt gegeben habe, aus, die Vorschreibung der Ordnungsbeiträge sei dem Grunde nach zu Recht erfolgt. In Anbetracht
"der besonderen Sachlage und der Tatsache, dass die von der Gebietskrankenkasse vorgeworfenen Meldeverletzungen großteils aus dem Jahre 1993 stammen bzw. noch nicht rechtskräftig darüber entschieden wurde,"
sei jedoch eine Herabsetzung der verhängten Ordnungsbeiträge um S 20.000,-- vorgenommen worden. Für eine weitere Herabsetzung sehe die belangte Behörde keinen Anlass, weil es der Beschwerdeführerin möglich gewesen wäre,
"sich rechtzeitig bei der Gebietskrankenkasse zu informieren, wie im Anlassfall vorzugehen ist, um Meldeverstöße hintanzuhalten. Des Weiteren sollen Ordnungsbeiträge die Dienstgeberin veranlassen, künftig die Meldungen bzw. Abrechnungsunterlagen innerhalb der im ASVG vorgesehenen bzw. vereinbarten Fristen vorzulegen".
Nähere Feststellungen über frühere Meldepflichtverletzungen der beschwerdeführenden Gebietskörperschaft wurden nicht getroffen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat Teile der Akten vorgelegt und - ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse - eine Gegenschrift erstattet, in der die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Seit der 21. ASVG-Novelle, BGBl. Nr. 6/1968, lautet § 56 Abs. 1 ASVG:
"(1) Für Versicherte, die vom Dienstgeber nicht oder nicht rechtzeitig abgemeldet werden, sind die allgemeinen Beiträge bis zum Zeitpunkt der schriftlichen Abmeldung durch den Dienstgeber, längstens aber für die Dauer von drei Monaten nach dem Ende der Versicherung, weiter zu entrichten."
§ 56 Abs. 3 ASVG lautet (in der bisher unverändert gebliebenen Stammfassung):
"(3) Der Versicherungsträger, bei dem die Beiträge einzuzahlen sind, kann auf die Weiterentrichtung der Beiträge über das Ende der Versicherung hinaus (Abs. 1) oder auf die Entrichtung der bisherigen Beiträge (Abs. 2) zur Gänze oder zum Teil verzichten und bereits entrichtete Beiträge dieser Art zurückerstatten."
2. Insoweit die Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall geltend macht, durch die rechtzeitig erfolgte Anmeldung der Dienstnehmer durch die eintretende Dienstgeberin sei die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse auch über den zu Grunde liegenden "Unternehmensübergang" (die Übergabe des Bundesstadions Liebenau an die Stadt Graz) in Kenntnis gesetzt worden, eine Abmeldung wäre daher gar nicht erforderlich gewesen und es habe zu keinem Zeitpunkt die Gefahr bestanden, dass rechtsgrundlos Sozialversicherungsleistungen an die Dienstnehmer erbracht würden, ist ihr entgegenzuhalten, dass der Gesetzgeber die Rechtslage durch die 21. ASVG-Novelle bewusst in einer Weise verändert hat, die mit der Vorstellung, die Weiterentrichtung von Beiträgen solle in derartigen Fällen unterbleiben, nicht vereinbar wäre (vgl. das Erkenntnis vom 23. Juni 1998, Zl. 95/08/0331).
3.1. Die Beschwerdeführerin beanstandet ferner, die belangte Behörde habe zu den angeblichen früheren Meldepflichtverletzungen der Beschwerdeführerin keine bzw. völlig unzureichende Feststellungen getroffen und zu Unrecht einen nach der gegenständlichen Meldepflichtverletzung vom 18. April 1996 unterlaufenen Meldeverstoß vom 3. Juli 1996 erschwerend berücksichtigt. Die Berücksichtigung einer seit dem 1. Dezember 1990 unterlassenen und erst am 9. Mai 1996 nachgeholten Anmeldung des Dienstnehmers Mario P. für die Ermessensentscheidung sei rechtswidrig, weil die Tatsache, ob in diesem Fall überhaupt ein versicherungspflichtiges Dienstverhältnis vorgelegen sei, Gegenstand eines laufenden Verwaltungsverfahrens sei. Darüber hinaus könnten nur jene Meldepflichtverletzungen als "Wiederholungsfall" gelten, die dem jeweils zuständigen Bundesminister ("ressortintern") zugerechnet werden könnten, denn nur dieser habe objektiv die Möglichkeit, durch organisatorische Vorkehrungen und deren Überprüfung Meldepflichtverletzungen zu verhindern. Meldepflichtverletzungen, die unter den "Tatbestand des § 113 ASVG (Beitragspflichten)" zu subsumieren seien, könnten eine Meldepflichtverletzung i. S. des § 56 Abs. 1 ASVG nicht erschweren. Auch die "Betriebsgröße" und die damit verbundene größere Fehlerwahrscheinlichkeit sei zu berücksichtigen, denn die Gleichbehandlung des Bundes als Dienstgeber mit hunderttausend Bediensteten und etwa einem Handwerkmeister mit zwei Gesellen sei in Bezug auf die Häufigkeit von Meldepflichtverletzungen nicht sachgerecht. Die Ermessensentscheidung der belangten Behörde sei nicht nachvollziehbar.
3.2. Dem Sozialversicherungsträger steht bei der Anwendung des § 56 Abs. 1 ASVG nach § 56 Abs. 3 ASVG in Bezug auf einen allfälligen Verzicht auf Beiträge Ermessen zu, von dem der Landeshauptmann im Falle des Einspruches Gebrauch zu machen hat (vgl. das auch von der Beschwerdeführerin zitierte Erkenntnis vom 18. Juni 1991, Zl. 87/08/0098).
Art. 130 Abs. 2 B-VG normiert für die Überprüfung von Ermessensentscheidungen einen besonderen Prüfungsmaßstab. Die Ermessensübung kann nur dann als rechtswidrig erkannt werden, wenn die Behörde nicht "im Sinne des Gesetzes", also im Sinne der im Gesetz festgelegten Kriterien der Ermessensübung entschieden hat. Im Hinblick auf diese Einschränkung seiner Befugnis hat der Verwaltungsgerichtshof nur zu prüfen, ob die Behörde unter Einbeziehung der im Gesetz festgelegten Kriterien (noch) eine vertretbare Lösung gefunden hat oder ob ihr ein Ermessensfehler zum Vorwurf gemacht werden muss, d.h. ob sie bei der Ermessensübung zu berücksichtigende Umstände unbeachtet gelassen, unsachliche Ermessenskriterien herangezogen, die gebotene Abwägung überhaupt unterlassen oder dabei das Gewicht der abzuwägenden Sachverhaltselemente grob verkannt hat.
Im Erkenntnis vom 7. März 1991, VfSlg. 12.672, hielt der Verfassungsgerichtshof dem Einwand des Verwaltungsgerichtshofes, § 56 Abs. 3 ASVG sei unbestimmt und gebe keine Kriterien vor, nach denen das Ermessen geübt werden könnte, entgegen, dass sich der Sinn des mit dieser Vorschrift eingeräumten Ermessens durch Heranziehung des § 59 Abs. 2 ASVG und des § 113 Abs. 1 ASVG ermitteln lasse.
Die zuletzt genannten Bestimmungen lauten:
"§ 59. (2) Der zur Entgegennahme der Zahlung berufene Versicherungsträger kann die Verzugszinsen herabsetzen oder nachsehen, wenn durch ihre Einhebung in voller Höhe die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beitragsschuldners gefährdet wären. Die Verzugszinsen können überdies nachgesehen werden, wenn es sich um einen kurzfristigen Zahlungsverzug handelt und der Beitragsschuldner ansonsten regelmäßig seine Beitragspflicht erfüllt hat."
"§ 113. (1) Beitragszuschläge können den in § 111 genannten Personen (Stellen) in folgenden Fällen vorgeschrieben werden:
1.
...
2.
Wenn eine Anmeldung zur Pflichtversicherung verspätet erstattet worden ist oder wenn das Entgelt verspätet gemeldet worden ist, kann ein Beitragszuschlag bis zum Doppelten jener Beiträge, die auf die Zeit ab Beginn der Pflichtversicherung bis zum Eintreffen der
verspäteten Anmeldung bzw. bis zum Eintreffen der
verspäteten Meldung des Entgeltes beim Versicherungsträger entfallen, vorgeschrieben werden.
3. ...
Bei der Festsetzung des Beitragszuschlages hat der Versicherungsträger insbesondere die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beitragsschuldners und die Art des Meldeverstoßes zu berücksichtigen. Der Beitragszuschlag darf jedoch die Höhe der Verzugszinsen nicht unterschreiten, die ohne seine Vorschreibung auf Grund des § 59 Abs. 1 für die nachzuzahlenden Beiträge zu entrichten gewesen wären."
3.3. Bei der Ermessensübung gemäß § 56 Abs. 3 ASVG sind demnach die (in beiden der zitierten Gesetzesstellen erwähnten) wirtschaftlichen Verhältnisse des Beitragsschuldners zu berücksichtigen. Dieser Gesichtspunkt konnte im vorliegenden Fall - beim Beitragsschuldner handelt es sich um den Bund - nicht für eine Herabsetzung der oder einen Verzicht auf die Beiträge sprechen.
In Bezug auf das in § 59 Abs. 2 zweiter Satz ASVG (dort als Voraussetzung für eine gänzliche Nachsicht der Verzugszinsen) genannte Ermessenskriterium, dass "es sich um einen kurzfristigen Zahlungsverzug handelt", vertrat der Verwaltungsgerichtshof in dem Erkenntnis vom 23. Juni 1998, Zl. 95/08/0331, die Auffassung, dass das darin liegende Erfordernis einer objektiven Geringfügigkeit des Verzuges auf § 56 Abs. 3 ASVG nur insoweit übertragbar sei, als es dort um einen nicht bloß teilweisen, sondern um einen gänzlichen Verzicht auf die Weiterentrichtung der Beiträge gehen soll. Im vorliegenden Fall war die einen Zeitraum von 30 Tagen (vgl. den Beitragszeitraum nach § 44 Abs. 2 ASVG) übersteigende Verspätung der Abmeldung aber keine bloß "kurzfristige". Mangels Hinzutretens die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin betreffender Argumente für einen Verzicht widersprach es daher gemäß Art 130 Abs. 2 B-VG nicht dem Sinn des Gesetzes, wenn auf die Weiterentrichtung der Beiträge nicht zur Gänze verzichtet wurde (vgl. wiederum das Erkenntnis vom 23. Juni 1998, Zl. 95/08/0331).
3.4. Die Ermessensübung entspricht aber in Ansehung eines möglichen teilweisen Verzichtes auf die Weiterentrichtung der Beiträge nicht dem Sinn des Gesetzes, wenn die Art des Meldeverstoßes oder die regelmäßige Erfüllung der Meldepflichten nicht in die Überlegungen einbezogen wurden.
Zum Gesichtspunkt der sonst regelmäßigen Erfüllung der Meldepflichten wird in der Begründung des angefochtenen Bescheides lediglich ausgeführt, die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse habe "bekannt gegeben, dass auch eine Versicherungsmeldung per 03.07.1996 verspätet erstattet wurde, so dass bereits hiefür ein Beitragszuschlag in der Höhe von 500 S vorgeschrieben wurde". Die belangte Behörde habe aber "in Anbetracht der besonderen Sachlage und der Tatsache, dass die von der Gebietskrankenkasse vorgeworfenen Meldeverletzungen großteils aus dem Jahre 1993 stammen bzw. noch nicht rechtskräftig darüber entschieden wurde, eine Herabsetzung der verhängten Ordnungsbeiträge um 20.000 S vorgenommen". Die "vorgeworfenen Meldeverletzungen" hatte die mitbeteiligten Gebietskrankenkasse zuvor in ihrer oben zitierten Stellungnahme vom 4. September 1996 lediglich dahin konkretisiert, dass "eine Versicherungsanmeldung per 01.12.1990 wesentlich verspätet am 09.05.1996 " (Beitragszuschlag S 28.020,--), "eine Versicherungsanmeldung per 17.06.1993 verspätet am 20.09.1993" (ohne Beitragszuschlag) und "eine Versicherungsanmeldung per 03.07.1996 verspätet am 11.07.1996" (Beitragszuschlag S 500,--) erstattet worden seien. Ferner seien 1993 "2 Dienstnehmer verspätet von der Pflichtversicherung abgemeldet" worden (kein Ordnungsbeitrag). Das Vorbringen der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse würde darauf schließen lassen, dass diese Meldeverstöße aus dem Jahre 1993 keinen schweren Vorwurf begründeten (vgl. wiederum das zitierte Erkenntnis vom 23. Juni 1998). Der von der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse behauptete Meldeverzug vom 3. Juli 1996 bis zum 11. Juli 1996 läge überhaupt erst nach der gegenständlichen Meldepflichtverletzung.
Diese Feststellungen bieten im vorliegenden Fall keine ausreichende Grundlage für eine Prüfung, ob die belangte Behörde von dem ihr eingeräumten Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht hat oder ob dies - in Form einer Ermessensüberschreitung oder eines Ermessensmissbrauches - nicht der Fall gewesen ist. Denn eine solche Prüfung setzt voraus, dass alle für diese Entscheidung wesentlichen tatsächlichen Umstände unter Einhaltung der maßgebenden Verfahrensvorschriften ermittelt und in der Bescheidbegründung festgestellt wurden (vgl. das zur einer Kündigungszustimmung nach dem Behinderteneinstellungsgesetz ergangene Erkenntnis vom 23. April 1996, Zl. 96/08/0002, sowie die Erkenntnisse vom 18. Juni 1991, Zl. 87/08/0098, und vom 23. Juni 1998, Zl. 95/08/0331). Abgesehen davon, das der beschwerdeführende Bund das Vorliegen eines Meldeverstoßes vom "per 01.12.1990" (Dienstnehmer Mario P.) unter Hinweis darauf, dass dem gar keine Versicherungspflicht zu Grunde gelegen sei, bestritten hat, bleibt nach den Feststellungen völlig offen, welche Meldungen in welchem räumlichen und organisatorischen Bereich von wem und für wen verspätet vorgenommen worden sind. Die getroffenen Feststellungen sind für eine der Ermessensübung dienende Einschätzung des Verschuldens der beschwerdeführenden Partei untauglich, weil überhaupt keine aussagekräftige Beziehung zwischen dem Umfang der üblicherweise vom Dienstgeber wahrzunehmenden Meldeverpflichtungen und den dabei unterlaufenen Meldeverstößen herstellbar ist. Insbesondere geht aus ihnen nicht hervor, ob die Meldeverstöße im Wirkungsbereich (Art. 77 Abs. 2 B-VG) ein- und desselben Bundesministeriums (bzw. des Bundeskanzleramtes) oder in mehreren oder gar in allen Ressorts erfasst wurden. Derartige Umstände können aber den zum Nachteil der beschwerdeführenden Partei herangezogenen Gesichtspunkt der nicht regelmäßigen Erfüllung der Meldepflichten in einem Maß relativieren, dass ein anderes Ergebnis der Ermessensübung nicht ausgeschlossen werden kann.
3.5. Schließlich ist für die Ermessensübung unter dem Gesichtspunkt der Art der Meldepflichtverletzung (vgl. § 113 Abs. 1 vorletzter Satz ASVG) auch von Bedeutung, ob und in welcher Größenordnung ein durch den Meldeverstoß verursachter Verwaltungsaufwand allenfalls feststellbar ist.
4. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
5. Der Antrag der beschwerdeführenden Partei auf Zuspruch von Kosten war abzuweisen, weil die belangte Behörde funktionell für die beschwerdeführende Partei tätig geworden ist. Es erscheint gedanklich ausgeschlossen, dass ein und derselbe Rechtsträger sich selbst Kosten ersetzen kann. § 47 VwGG setzt zwei verschiedene Rechtsträger der obsiegenden und der unterlegenen Partei voraus, da nur unter dieser Voraussetzung einem solchen Rechtsträger Aufwandersatz "zufließen" kann (§ 47 Abs. 5 letzter Satz VwGG). Ein Kostenersatz, der auf eine bloße Umschichtung innerhalb des Rechenwerks desselben Rechtsträgers (wenn auch zwischen verschiedenen Budgetansätzen) hinausläuft, kann diesem Rechtsträger (hier: dem Bund) nicht "zufließen". Im Falle der Identität des Rechtsträgers, dem der Kostenersatz aufzuerlegen wäre, mit jenem Rechtsträger, dem er zuzusprechen wäre, kommt der Zuspruch von Kostenersatz daher nicht in Betracht (vgl. das Erkenntnis vom 9. März 1993, Zl. 92/06/0226).
Wien, am 20. Februar 2002
Schlagworte
Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Entscheidungsrahmen und Überprüfungsrahmen des VwGH ErmessensentscheidungenErmessenSachverhalt Sachverhaltsfeststellung ErmessenBegründung von ErmessensentscheidungenRechtsträger der belangten Behörde Gebietskörperschaft als Beschwerdeführer Behörde gegen BehördeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:1997080442.X00Im RIS seit
24.06.2002Zuletzt aktualisiert am
27.09.2017