Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AlVG 1977 §12 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des W in S, vertreten durch Schreiner-Lackner, Rechtsanwälte OEG, 7000 Eisenstadt, Hauptstraße 1, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Burgenland vom 20. Jänner 1999, Zl. LGS-Bgld./IV/1241-2/1999, betreffend Widerruf der Zuerkennung und Rückforderung von Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer war ab dem Jahre 1976 bis 31. Oktober 1995 bei der U. AG angestellt und beantragte nach Auflösung dieses Beschäftigungsverhältnisses am 15. November 1995 bei der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Eisenstadt die Zuerkennung von Arbeitslosengeld. Dieses wurde ihm - dem Karteiblatt im Leistungsakt zufolge - vom 1. November 1995 bis 30. Juli 1996 zuerkannt. In seinem schriftlichen Antrag verneinte der Beschwerdeführer unter anderem die Fragen nach einer von ihm ausgeübten Beschäftigung und nach einem eigenen Einkommen.
Mit Bescheid vom 15. Juni 1998 widerrief die genannte regionale Geschäftsstelle den Bezug des Arbeitslosengeldes für den Zeitraum vom 1. November 1995 bis zum 31. Jänner 1996 und verpflichtete den Beschwerdeführer gleichzeitig zur Rückzahlung des für diese Zeit unberechtigt empfangenen Betrages von S 44.253,-
-. Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer Leistungen im genannten Zeitraum deshalb zu Unrecht bezogen habe, weil er bei der C. GmbH als Angestellter in Beschäftigung bzw. bis 31. Jänner 1996 pflichtversichert gewesen sei.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, er sei im November 1995 insgesamt acht Tage und im Dezember 1995 insgesamt sieben Tage für die C. GmbH tätig gewesen; für diese Tätigkeit habe er von der C. GmbH keine Zahlungen erhalten. Ab Jänner 1996 sei er nicht mehr für die C. GmbH tätig gewesen.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens keine Folge. Ihrer Entscheidung legte sie folgenden - auszugsweise wiedergegebenen - Sachverhalt zu Grunde:
"Gemäß der am 27.10.1995 erstellten Arbeitsbescheinigung haben Sie in der Zeit vom 1.2.1994 bis 31.10.1995 bei der 'U. AG' als techn. Angestellter gearbeitet. Das Dienstverhältnis wurde durch Dienstgeberkündigung beendet.
Am 2.11.1995 meldeten Sie sich bei der regionalen Geschäftsstelle Eisenstadt arbeitslos und beantragten die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes, welches Ihnen ab dem 1.11.1995 zur Anweisung gebracht wurde. Am 8.7.1996 haben Sie neuerlich eine Beschäftigung aufgenommen.
Anläßlich der Bestandsmeldung des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger vom 24.7.1996 wurde bei der regionalen Geschäftsstelle Eisenstadt der Umstand bekannt, dass Sie in der Zeit von 1.1.1995 bis 31.1.1996 der Vollversicherung unterlagen und während des Zeitraumes vom 1.11.1995 bis 7.7.1996 Leistungen nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz bezogen haben. Dies ergibt eine Überschneidung eines Dienstverhältnisses und des Leistungsbezuges nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz für die Zeit vom 1.11.1995 bis 31.1.1996.
Die Bestandsmeldung des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger vom 19.6.1997 bestätigte den zuvor angeführten Sachverhalt abermals.
Anläßlich der Abfrage beim Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger vom 13.2.1997 wurde nunmehr bekannt, dass Sie in der Zeit vom 1.2.1994 bis 31.10.1995 bei der 'U. AG' beschäftigt waren. Gleichzeitig haben Sie jedoch auch bei der Firma 'C. GmbH' während der Zeit vom 9.8.1993 bis 31.1.1996 gearbeitet und wurden von diesem Dienstgeber während des gesamten Zeitraumes zur Vollversicherung angemeldet. Der am 1.11.1995 beginnende Arbeitslosengeldbezug endete mit 7.7.1996 wegen der Aufnahme einer Beschäftigung.
... haben Sie am 20.8.1998 bei der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Burgenland telefonisch bekannt gegeben, dass Sie bei der Firma 'C. GmbH' als gewerberechtlicher Geschäftsführer beschäftigt waren. Für die Tätigkeit als gewerberechtlicher Geschäftsführer haben Sie monatlich S 9.000,-- erhalten und Sie waren mit 20 Wochenstunden zur Sozialversicherung angemeldet. Des weiteren führten Sie aus, dass Sie für die Zeit von November 1995 bis Jänner 1996 keine Entlohnung erhalten haben. Außerdem hätten Sie im November 1995 nur acht Tage und im Dezember 1995 nur sieben Tage für die Firma gearbeitet. Im Jänner 1996 haben Sie keine Tätigkeiten für die Firma verrichtet. Auf die Frage nach der Vollversicherung für 20 Wochenstunden für die Zeit vom November 1995 bis Jänner 1996 haben Sie geantwortet, dass Sie natürlich während dieses Zeitraumes mit 20 Wochenstunden bei der zuständigen Gebietskrankenkasse angemeldet waren. Zum Gewerbeschein führten Sie weiters aus, dass Sie diesen im Jänner 1996 zurückgelegt haben. ..."
Ihrer Beweiswürdigung stellte die belangte Behörde die Überlegung voran, Arbeitslosigkeit könne nicht angenommen werden, wenn der Nachweis über die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses nicht erbracht worden sei. Auf Grund der Bestandsmeldungen und der Abfragen beim Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger - so die belangte Behörde - könne eindeutig festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer auch nach Beendigung seines Dienstverhältnisses bei der U. AG mit 31. Oktober 1995 weiterhin bei seinem zweiten Dienstgeber, der C. GmbH, bis einschließlich 31. Jänner 1996 beschäftigt und zur Vollversicherung angemeldet gewesen sei. Bei der C. GmbH sei der Beschwerdeführer als gewerberechtlicher Geschäftsführer tätig gewesen. Der Behauptung des Beschwerdeführers, er habe ab Jänner 1996 für die C. GmbH keine Tätigkeiten mehr durchgeführt, seien die Versicherungszeiten entgegenzuhalten. In diesem Zusammenhang sei auch auf die telefonischen Auskünfte des Beschwerdeführers am 20. August 1998 zu verweisen. Für den Zeitraum 1. November 1995 bis 31. Jänner 1996 sei daher von einem vollversicherten Dienstverhältnis auszugehen, während dem der gleichzeitige Bezug von Arbeitslosengeld unzulässig und zu widerrufen gewesen sei. Der Rückersatz des für diesen Zeitraum empfangenen Arbeitslosengeldes beruhe auf dem Umstand, dass rückwirkend für den genannten Zeitraum das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses festgestellt worden sei.
Über die gegen diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Voraussetzung eines Anspruches auf Arbeitslosengeld ist unter anderem das Vorliegen von Arbeitslosigkeit (§ 7 AlVG). Diese ist gegeben, wenn jemand nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat (§ 12 Abs. 1 AlVG).
Wäre der Beschwerdeführer demnach (auch) im Jänner 1996 bei der C. GmbH beschäftigt gewesen, läge mangels Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses zur C. GmbH keine Arbeitslosigkeit vor. Mit der in der Beschwerde mehrfach wiederholten Behauptung, der Beschwerdeführer sei im Jänner 1996 nicht mehr bei der C. GmbH beschäftigt gewesen, welcher Umstand von der belangten Behörde gänzlich negiert worden sei, wendet sich der Beschwerdeführer erschließbar gegen die Feststellung, der Beschwerdeführer sei auch noch im Jänner 1996 bei der C. GmbH beschäftigt gewesen, und gegen die diese Feststellung tragende Beweiswürdigung.
Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 45 Abs 2 AVG) bedeutet nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht, dass der in der Begründung des Bescheides niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, dass - sofern in den besondern Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist - die Würdigung der Beweise keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt aber eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind. Schlüssig sind solche Erwägungen nur dann, wenn sie unter anderem den Denkgesetzen, somit auch dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut entsprechen. Unter Beachtung der nämlichen Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob die Behörde im Rahmen ihrer Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 1993, 92/08/0133, mit Hinweis auf Vorjudikatur). Hingegen ist der Verwaltungsgerichtshof nicht berechtigt, einer Beweiswürdigung der belangten Behörde, die einer Überprüfung unter den genannten Gesichtspunkten standhält, mit der Begründung entgegenzutreten, dass auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre. Die belangte Behörde ist zwar gehalten, in der Begründung ihres Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen (§ 60 AVG), sie ist aber nicht verpflichtet, allen sonst noch denkbaren schlüssig begründbaren Sachverhaltsvarianten im Einzelnen nachzugehen, wenn sie sich nur mit allen Umständen schlüssig und nachvollziehbar auseinander gesetzt hat, die für und wider die von ihr tatsächlich getroffenen Sachverhaltsfeststellungen sprechen (vgl. das Erkenntnis vom 30. Jänner 2002, Zl. 97/08/0150).
Vor diesem rechtlichen Hintergrund hält die Begründung des angefochtenen Bescheides einer näheren Überprüfung schon aus folgenden Überlegungen nicht stand:
Die belangte Behörde ging mit der oben wiedergegebenen Begründung davon aus, dass das Beschäftigungsverhältnis des Beschwerdeführers zur C. GmbH auch im Jänner 1996 bestanden habe. Mit ihrer Begründung, dieser Sachverhalt ergebe sich aus den Bekanntgaben des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger, überging die belangte Behörde einerseits die im Verwaltungsakt einliegende Mitteilung der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 14. September 1998, aus der sich die Beendigung der Tätigkeit des Beschwerdeführers als gewerberechtlicher Geschäftsführer der C. GmbH mit 1. Jänner 1996 ergibt, wobei als Grund für die Beendigung "Ausscheiden aus der Firma" angeführt ist; andererseits hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren mehrfach vorgebracht, er sei lediglich bis 31. Dezember 1995 bei der C. GmbH beschäftigt bzw. für diese tätig gewesen. Während sich die belangte Behörde mit dem in der Mitteilung der Bezirkshauptmannschaft genannten Grund für das Ende der Beschäftigung des Beschwerdeführers bei der C. GmbH überhaupt nicht auseinander setzt, hält sie den Angaben des Beschwerdeführers "Versicherungszeiten, welche beim Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger gespeichert sind", entgegen. Zwar kann der belangten Behörde darin gefolgt werden, dass Versicherungszeiten mit Zeiten einer Beschäftigung grundsätzlich zusammenfallen; allerdings sind auch Fälle denkbar, in denen jemand bei einem Dienstgeber wegen Unterlassung der ordnungsgemäßen Abmeldung weiterhin als versichert gemeldet ist, obwohl er dort nicht mehr beschäftigt ist. Die belangte Behörde geht aber - ohne auf das Vorbringen des Beschwerdeführers einzugehen - offensichtlich davon aus, dass Versicherungszeiten zwingend Zeiten einer Beschäftigung sind, obwohl eine Bindung an die beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger geführten Versicherten-Daten dem Gesetz nicht entnommen werden kann (vgl. das Erkenntnis vom 20. Dezember 2000, Zl. 98/08/0269). Auf Grund dieser - unzutreffenden - Annahme ist die belangte Behörde auf die Angaben des Beschwerdeführers und den erwähnten Urkundenbeweis nicht näher eingegangen, weshalb sie im Rahmen ihrer Beweiswürdigung nicht alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat. Die mangelnde Schlüssigkeit der Beweiswürdigung aber bewirkt die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, der somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben war.
Hinsichtlich des Zeitraumes vom 1. November bis 31. Dezember 1995 ist der belangten Behörde insofern zuzustimmen, als sie bei der Frage, ob ein Entgelt die Geringfügigkeitsgrenze übersteigt und somit die Arbeitslosigkeit ausschließt, auf jenen Lohn abgestellt hat, auf den der Dienstnehmer Anspruch hat (vgl. das Erkenntnis vom 27. März 1990, Zl. 89/08/0250), während der Beschwerdeführer bei seinen Überlegungen nicht vom Anspruchslohn, sondern fälschlich vom tatsächlich erhaltenen Entgelt ausgegangen ist.
Im Übrigen wird sich die belangte Behörde im weiteren Verfahren auch mit der in der Beschwerde aufgestellten Behauptung, die Angaben des Beschwerdeführers beim Telefongespräch vom 20. August 1998 seien von ihr unrichtig wiedergegeben bzw. festgestellt worden, auseinander zu setzen haben, weil der Inhalt dieses Telefonates die Grundlage für wesentliche Feststellungen (im Hinblick auf die Geringfügigkeitsgrenze etwa über die Höhe des mit der 'C. GmbH' vereinbarten Entgelts) bildete.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001; die Umrechnung der Stempelgebühr gründet auf § 3 Abs. 2 Z 2 Eurogesetz BGBl. I Nr. 72/2000.
Wien, am 20. Februar 2002
Schlagworte
Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Allgemein Entgelt Begriff AnspruchslohnEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:1999080028.X00Im RIS seit
24.06.2002