Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
ArbIG 1993 §23 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Gruber und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Weiss , über die Beschwerde der J in B, vertreten durch Dr. Peter Kunz, Dr. Georg Schima, Dr. Eberhard Wallentin und Dr. Thomas Wallentin, Rechtsanwälte in 1090 Wien, Porzellangasse 4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich, Außenstelle Wiener Neustadt, vom 8. November 2000, Zl. Senat-MD-98-752, betreffend Übertretungen nach dem ArbeitnehmerInnenschutzgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wurde die beschwerdeführende Partei schuldig erkannt, sie sei als handelsrechtliche Geschäftsführerin und damit als zur Vertretung nach außen berufenes Organ der Fa. B GmbH mit Sitz in W dafür verantwortlich, am 14. Jänner 1998 in der B-Filiale an einem näher bezeichneten Ort folgende Arbeitnehmerschutzvorschriften nicht eingehalten zu haben:
1. Punkt 3 des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf vom 2. Juni 1995, 12-B-957/2, sei insofern nicht eingehalten worden, als die Betriebsanlage nicht mit einer Fluchtwegorientierungsbeleuchtung gemäß TRVB 102 (welche beigelegt war) ausgestattet gewesen sei.
2. Punkt 19 des o.a. Bescheides sei insoferne nicht eingehalten worden, als mit diversen Waren gefüllte Einkaufswägen unmittelbar vor dem Notausstieg aus dem Lagerraum abgestellt gewesen seien, obwohl die Vornahme von Lagerungen jeglicher Art im Umkreis von 0,8 m um Notausstiege unzulässig sei.
Sie habe dadurch "die oben angeführten Rechtsvorschriften verletzt". Es wurden Geldstrafen in der Höhe 1. von S 20.000,-- und 2. von S 10.000,-- (im Nichteinbringungsfall Ersatzfreiheitsstrafen 1. von 11 Tagen und 2. von sechs Tagen) gemäß § 130 Abs. 2 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz - ASchG - verhängt.
In der Begründung des angefochtenen Bescheides führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die - unbestritten gebliebene - objektive Tatseite der Nichterfüllung der genannten Punkte 3 und 19 des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf vom 2. Juni 1995 stehe fest. Seitens des Unternehmens sei für die gegenständliche Filiale dem zuständigen Arbeitsinspektorat die Filialleiterin FR als verantwortliche Beauftragte gemeldet worden, dies mit einer von ihr eigenhändig unterfertigten und mit 23. September 1996 datierten Bestellungsurkunde, welche beim zuständigen Arbeitsinspektorat am 3. Oktober 1996, somit vor gegenständlichem Tatzeitpunkt, eingelangt sei. Der Filialgeschäftsführer AM sei nicht zum verantwortlichen Beauftragten im sachlichen Umfang der Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften bestellt worden, es sei auch keine Mitteilung an das Arbeitsinspektorat erfolgt. Die Filialleiterin FR habe sich in ihrer Funktion als Filialleiterin der gegenständlichen Filiale auf der vierten innerbetrieblichen Führungsebene des Unternehmens befunden.
Rechtlich würdigte die belangte Behörde den festgestellten Sachverhalt dergestalt, dass der gewerberechtliche Filialgeschäftsführer AM nicht als verantwortlicher Beauftragter gemäß § 9 Abs. 2 und 3 VStG bestellt worden sei.
Die Filialleiterin FR, angesiedelt auf der vierten innerbetrieblichen Führungsebene der B GmbH, erfülle nicht die Anforderungen an eine leitende Angestellte nach § 23 ArbIG. Die Ausstattung einer Betriebsanlage mit einer Fluchtwegorientierungsbeleuchtung gemäß dem Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf und die unzulässige Lagerung entsprechend Punkt 2. der Tatanlastung seien geradezu typische Angelegenheiten, die sinnvollerweise in den Verantwortungsbereich eines auf der dritten Führungsebene stehenden Rayonsleiters übertragen werden könnten, der im Zuge seiner ihm obliegenden Kontrolltätigkeit und der regelmäßigen Besuche von den ihm übertragenen Filialen für die Einhaltung bescheidmäßig vorgeschriebener Auflagen zu sorgen habe. Es sei "amtsbekannt", dass ausschließlich Mitarbeiter der dritten Führungsebene über die faktische Anordnungsbefugnis verfügten, durch Beauftragung von Professionisten technische Änderungen in einer Arbeitsstätte aus eigenem zu veranlassen. Es sei sohin auch die Rechtsfrage hinsichtlich einer wirksamen Bestellung der Filialleiterin zur verantwortlichen Beauftragten gemäß § 9 Abs. 2 und 4 VStG iVm § 23 ArbIG zu verneinen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführerin rügt zunächst, Frau FR sei im Tatzeitpunkt als "Rayonsleiterin" der B GmbH und nicht als Filialleiterin eingesetzt gewesen. Die belangte Behörde habe dies auf Grund der Unterlassung weiterer Ermittlungen nicht erforscht.
Damit übersieht die Beschwerdeführerin, dass sie bzw. ihr ausgewiesener Vertreter im Zuge des gesamten Verwaltungsstrafverfahrens immer damit argumentiert hat, dass Frau FR zum Tatzeitpunkt als Filialleiterin tätig gewesen sei (siehe die Rechtfertigung vom 2. Juni 1998, die Stellungnahme vom 15. Juli 1998, die Berufung vom 28. Juli 1998 und das Vorbringen in der mündlichen Berufungsverhandlung vom 27. September 2000). Es bestand für die belangte Behörde kein Grund, an der durchgehend gleichbleibenden Verantwortung zur Einstufung von Frau FR zu zweifeln. Die belangte Behörde war deshalb auch nicht zu weiteren Ermittlungen verpflichtet, weshalb sich das Beschwerdevorbringen, Frau FR sei Rayonsleiterin gewesen, als im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtliche Neuerung darstellt. Die belangte Behörde durfte daher zu Recht von der Funktion von Frau FR als Filialleiterin der gegenständlichen Filiale ausgehen.
Dennoch ist die Beschwerde im Ergebnis begründet:
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 7. April 1995, Zl. 94/02/0470, zur Bestimmung des § 23 ArbIG, insbesondere zur Frage, ob auch Filialleiter als "leitende Angestellte" im Sinne dieser Gesetzesbestimmung in Betracht kommen, ausgeführt:
"Bezogen auf den vorliegenden Fall liegt es im Wesen der Funktion eines Filialleiters, am Ort des Geschehens für die Einhaltung bestimmter rechtlicher Gebote und Verbote durch entsprechende Anweisungen zu sorgen; das Freihalten von Notausgängen, um das es hier geht, ist eine geradezu typische Angelegenheit, die sinnvollerweise in den Verantwortungsbereich eines Filialleiters übertragen werden kann. Die grundsätzlich gegebene Anwesenheit in den Räumlichkeiten der Filiale ermöglicht ihm die Wahrnehmung von Verstößen dieser Art, seine Eigenschaft als Vorgesetzter der übrigen Arbeitnehmer in der Filiale wird ihm regelmäßig auch die Befugnisse zur Verhinderung bzw. Abstellung dieser Verstöße vermitteln. Das bedeutet freilich nicht, dass der Filialleiter für alle Verstöße im Zusammenhang mit der betreffenden Filiale verantwortlich gemacht werden kann; darauf braucht aber im vorliegenden Fall wegen der Art des festgestellten Verstoßes nicht eingegangen zu werden.
Vergleichbares gilt auch für einen Arbeitnehmer mit der Funktion eines 'Bezirksleiters', zu dessen Befugnissen nach den Feststellungen der belangten Behörde u.a. die wöchentliche Kontrolle von Filialen und das Treffen von Anordnungen gegenüber den Filialleitern zählt.
Die Bestellung von verantwortlichen Beauftragten für die gegenständliche Filiale ist daher nicht aus dem Grunde rechtsunwirksam, weil es sich bei den Bestellten nicht um leitende Angestellte im Sinne des ArbIG handelt."
Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Rechtsansicht in späteren Erkenntnissen mehrfach bekräftigt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. November 1995, Zl. 95/02/0248, u.a.).
Wie aus der der gegenständlichen Bestrafung zu Grunde liegenden Anzeige des Arbeitsinspektorates für den
6. Aufsichtsbezirk vom 7. April 1998 zu entnehmen ist, war Punkt 3 des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf vom 2. Juli 1995 insofern nicht eingehalten, "als über dem Ausgang vom Verkaufsraum in den Hof kein Beleuchtungskörper montiert war". Es handelte sich demnach nicht um die Anordnungsbefugnis zur "Ausstattung einer Betriebsanlage mit einer Fluchtwegorientierungsbeleuchtung" in ihrer Gesamtheit, wie dies offenbar die belangte Behörde annimmt, sondern lediglich um deren Ergänzung - um einen fehlenden Beleuchtungskörper.
Im Sinne der genannten hg. Rechtsprechung kann aber von vornherein ohne nähere Ermittlungen nicht davon ausgegangen werden, dass einer Filialleiterin der vierten Führungsebene der B GmbH entgegen den Behauptungen dieser Gesellschaft nicht die nötige Anordnungsbefugnis zur Ergänzung der Fluchtwegorientierungsbeleuchtung um einen Beleuchtungskörper zukomme. Zu Punkt 2 des Schuldspruches genügt es, auf die oben wiedergegebene Aussage aus dem hg. Erkenntnis vom 7. April 1995, Zl. 94/02/0470, hinzuweisen, weil es sich bei diesem Punkt genau um den im genannten Erkenntnis behandelten Fall des Freihaltens von Notausgängen geht.
Der angefochtene Bescheid leidet aber auch noch aus einem anderen Grund an einer Rechtswidrigkeit seines Inhaltes:
Gemäß § 190 Abs. 2 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz begeht eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe von S 2.000,-- bis S 100.000,--, im Wiederholungsfall mit Geldstrafe von S 4.000,-- bis S 200.000,-- zu bestrafen ist, wer als Arbeitgeber bescheidmäßige Vorschreibungen nach diesem Bundesgesetz nicht einhält.
Nach § 44a Z. 2 VStG hat der Spruch eines Straferkenntnisses, wenn er nicht auf Einstellung lautet, die als erwiesen angenommene Tat zu enthalten. Um den Erfordernissen der zuletzt genannten Gesetzesstelle zu entsprechen, hat der Spruch eines Straferkenntnisses die Tat hinsichtlich des Täters und der Tatumstände so genau zu umschreiben, dass die Zuordnung des Tatverhaltens zur Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist, in Ansehung aller Tatbestandsmerkmale möglich ist und die Identität der Tat (z.B. nach Ort und Zeit) unverwechselbar feststeht (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 13. Juni 1984, Slg. NF Nr. 11.466/A). Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach dargetan hat (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 29. März 1994, Zl. 93/04/0255), wird dadurch, dass § 367 Z. 25 GewO 1994 auf die in den Betriebsanlagengenehmigungsbescheiden vorgeschriebenen Auflagen und Aufträge verweist, das jeweilige, in einem solchen Bescheid enthaltene Gebot oder Verbot Teil des Straftatbestandes. Im Hinblick auf die durch § 367 Z. 25 GewO 1994 gegebene Verzahnung zwischen dieser Bestimmung und den in Bescheiden enthaltenen Geboten und Verboten bedarf es im Spruch eines auf diese Strafnormen gestützten Straferkenntnisses einer wörtlichen Anführung der einen Teil des Straftatbestandes bildenden, als solche bescheidmäßig bezeichneten Auflagen, um die Zuordnung des Tatverhaltens zu der Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist, in Ansehung aller Tatbestandsmerkmale zu ermöglichen (vgl. dazu u.a. das hg. Erkenntnis vom 29. März 1994, Zl. 93/04/0255).
Das zu § 367 Z. 25 GewO 1994 Gesagte hat wegen der Gleichartigkeit des normativen Gehaltes auch in Ansehung des § 190 Abs. 2 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz zu gelten.
Die belangte Behörde verkannte damit auch insoweit die Rechtslage, als - wie oben dargestellt - der im Verwaltungsrechtszug ergangene Schuldspruch eine wörtliche Anführung der einen Teil des Straftatbestandes bildenden Auflage nicht aufweist. Im Übrigen ist im Hinblick auf § 44a Z. 2 VStG darauf zu verweisen, dass nach § 190 Abs. 2 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz die Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist, aus der Strafbestimmung des § 190 Abs. 2 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz besteht in Verbindung mit der konkret bezeichneten Untergliederung jenes Bescheides, in dem die betreffende Auflage vorgeschrieben wurde (vgl. sinngemäß u.a. das hg. Erkenntnis vom 26. April 1994, Zl. 93/04/0244, und die dort zitierte hg. Vorjudikatur).
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am 25. Februar 2002
Schlagworte
"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung) "Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Umfang der Konkretisierung (siehe auch Tatbild) Mängel im Spruch unvollständige Angabe der verletzten VerwaltungsvorschriftEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2001040253.X00Im RIS seit
21.05.2002