TE Vfgh Erkenntnis 2007/12/5 B654/05

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Veröffentlicht am 05.12.2007
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
DSG 1978 §3 Z3
DSG 2000 §1 Abs3, §4 Z4, §26, §27, §58, §61 Abs7
Datenschutz-Richtlinie 95/46/EG
SicherheitspolizeiG §9, §10 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Abweisung eines Löschungs- undAuskunftsbegehrens hinsichtlich bei einem Gendarmerieposten in einerKartei geführter personenbezogener Daten; Verkennung der Rechtslageim entscheidungswesentlichen Punkt der Frage der inneren Organisationder Behörde; Bezirkshauptmannschaft und nichtLandesgendarmeriekommando als Auftraggeberin der Datenanwendung imSinne des Datenschutzgesetzes anzusehen und daher zutreffenderAdressat des Löschungs- und Auskunftsbegehrens

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid, soweit damit seine Administrativbeschwerde gegen die Bezirkshauptmannschaft Mödling wegen Verletzung im Recht auf Löschung personenbezogener Daten durch Verarbeitung auf das Ermittlungsverfahren P 737/01 bezogener Daten im Protokollbuch des Gendarmeriepostens Brunn am Gebirge abgewiesen wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird insoweit aufgehoben.

II. Im Übrigen ist der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt worden.

Die Beschwerde wird insoweit abgewiesen.

III. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit EUR 1.260,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Die datenschutzrechtliche Beschwerde hat sich wegen Verletzung im Recht auf Löschung personenbezogener Daten durch Aufbewahrung des Kopienaktes Zl. P 737/01 und durch Verarbeitung von auf dieses Verfahren bezogenen Daten im Protokollbuch beim Gendarmerieposten Brunn am Gebirge sowohl gegen die Bezirkshauptmannschaft Mödling als auch gegen die Bundespolizeidirektion Wien gewendet.

1.1.2. Die Datenschutzkommission (DSK) hat mit dem nunmehr vor dem Verfassungsgerichtshof bekämpften Bescheid hinsichtlich beider Beschwerdegegnerinnen sämtliche Anträge abgewiesen, dies unabhängig von der Frage, wem die Aktenführung zuzurechnen wäre.

1.1.3. Die DSK führt in ihrem Bescheid ua. aus:

"Kopienakt P 737/01 des Gendarmeriepostens Brunn am Gebirge:

Die DSK geht in ständiger Entscheidungspraxis davon aus, dass kein Recht auf Löschung und Richtigstellung von Daten in Verwaltungsakten, die nicht auf Grund besonderer Gestaltung (Strukturierung) die Qualität einer Datei gemäß §4 Z6 DSG 2000 haben, besteht.

Mit Erk. vom 21. Oktober 2004, Zl. 2004/06/0086, hat der VwGH diese Rechtsauffassung bestätigt und dazu folgenden Rechtssatz veröffentlicht:

'Zur Bestimmung der Begriffe 'strukturierte Datei' und 'Datei' tritt der VwGH den Erwägungen des OGH in der Entscheidung vom 28. Juni 2000, 6 Ob 148100h, bei: Die Struktur einer manuellen Datei als einer strukturierten Sammlung personenbezogener Daten im Sinne des §1 Abs3 DSG 2000 iVm Art3 Abs1 der Richtlinie 95/46/EG ist dann zu bejahen, wenn sie - im Gegensatz zu einem Fließtext - eine äußere Ordnung aufweist, nach der die verschiedenen Arten von Daten in einer bestimmten räumlichen Verteilung auf dem oder den manuellen Datenträgern oder in einer bestimmten physikalischen oder logischen Struktur dargestellt sind. Darüber hinaus müssen die Daten nach bestimmten Kriterien zugänglich sein, d.h. es bestehen vereinfachte Möglichkeiten der inhaltlichen Erschließung, beispielsweise durch alphabetische oder chronologische Sortierung oder durch automatisierte Erschließungssysteme. Unter Datei sind daher Karteien und Listen, nicht aber Akten und Aktenkonvolute zu verstehen, wie dies auch Erwägungsgrund 27 der genannten Richtlinie zum Ausdruck bringt. Das Vorliegen einer manuellen Datei im Sinne des §1 Abs3 DSG 2000 setzt daher voraus, dass sie sich durch den in der zitierten Entscheidung des OGH erwähnten bestimmten 'Organisationsgrad' der 'Akten' auszeichnen muss, um von einer Strukturierung im Sinne des DSG 2000 sprechen zu können, der aber beim vorliegenden 'Papierakt' nicht gegeben ist.'

Im Sinne der zitierten Rechtsmeinung des VwGH wurden Feststellungen zur Struktur des Kopienaktes getroffen. Diese lassen nur den Schluss zu, dass kein Akt vorliegt, der die Eigenschaften einer Datei im Sinne der zitierten Gesetzesbestimmung aufweist.

Unabhängig von der Frage, wem die Aktenführung bei einem Akt einer Exekutivdienststelle, die im Dienste der Strafjustiz Vorerhebungen durchgeführt hat, datenschutzrechtlich zuzurechnen wäre - dies kann dahingestellt bleiben -, liegt somit keine Datei vor, die dem datenschutzrechtlichen Löschungsrecht unterliegen würde. Schon aus diesem Grund allein war die Beschwerde hinsichtlich beider Sicherheitsbehörden als unbegründet abzuweisen.

Protokollbucheintragung Grundzahl (0)737 des Gendarmeriepostens Brunn am Gebirge: Hinsichtlich der Protokollbucheintragung liegen zwar, wie schon im Bescheid vom 12. Dezember 2003, GZ: K120.857/015-DSK/2003, hinsichtlich der Indexkartei dargelegt, Daten in einer manuellen Datei vor, diese ist aber gemäß §10 Abs2 Sicherheitspolizeigesetz (SPG), BGBl Nr 566/1991, kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung als Datei für Zwecke des inneren Dienstes der Bundesgendarmerie keiner Sicherheitsbehörde zuzurechnen.

Die Beschwerde war daher hinsichtlich beider Beschwerdegegnerinnen, bei denen es sich um Sicherheitsbehörden handelt, als unbegründet abzuweisen, da diese nicht für eventuelle Eingriffe in das datenschutzrechtliche Löschungsrecht des Beschwerdeführers durch diese Datei verantwortlich sind."

1.2. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seiner auf Art144 Abs1 B-VG gestützten Beschwerde gegen den Bescheid der DSK in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten nach §1 DSG 2000 (Auskunft, Richtigstellung, Löschung), Art8 EMRK, 83 Abs2 B-VG und 13 EMRK verletzt.

1.3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der beantragt wird, die Behandlung der Beschwerde abzulehnen, sie in eventu als unbegründet abzuweisen. Sie spricht schließlich einen "Kostenersatz für Barauslagen" in der Höhe von EUR 5,- an.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

2.1. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Bedenken gegen die von der belangten Behörde angewendete Bestimmung des §10 Abs2 SicherheitspolizeiG teilt der Verfassungsgerichtshof nicht; es wird dazu auf die Ausführungen in seinem Erkenntnis VfSlg. 17.716/2005 verwiesen.

2.2. Die Abweisung seiner (Administrativ)Beschwerde betreffend Anträge an die Bundespolizeidirektion Wien auf Löschung von Daten im Protokollbuch und im Kopienakt kann den Beschwerdeführer nicht in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt haben, weil die datenschutzrechtliche Auftraggeberschaft hinsichtlich Eintragungen in Protokollbuch und Kopienakt der (ehemaligen) Gendarmeriedienststelle im Fall von Vorerhebungen der Bezirkshauptmannschaft Mödling zuzurechnen ist (VfSlg. 17.716/2005, 17.747/2006).

Die Beschwerde war insoweit abzuweisen.

2.3.1. Hinsichtlich der (Beschwerde)Abweisung betreffend den Antrag gegen die Bezirkshauptmannschaft Mödling auf Löschung der personenbezogenen Daten des Beschwerdeführers im Protokollbuch ist Folgendes auszuführen:

Der Verfassungsgerichtshof hat - beginnend mit seiner Entscheidung VfSlg. 17.716/2005 - in seither ständiger Judikatur (VfSlg. 17.747/2006, 17.748/2006; VfGH 13.10.2007 B198/05) die Auftraggeberschaft der Bezirkshauptmannschaft für personenbezogene Daten bejaht, die nach Anzeigen bei der zugeordneten Gendarmeriedienststelle verblieben sind. Er hat dazu in seiner Entscheidung VfSlg. 17.716/2005 ausgeführt.

"Generelle Regelungen zur Ordnung des Aktenbestandes und damit auch solche über das Anlegen von Karteien nach bestimmten Ordnungskriterien zur Auffindung von Akten sind - wie andere Regelungen über den Geschäftsgang innerhalb einer Behörde auch - dem Bereich der inneren Organisation zuzuordnen (vgl. zB auch Pernthaler, Raumordnung und Verfassung, 2. Bd., 1978, S 182 ff.). Wird jedoch ein konkreter Name mit entsprechenden weiteren Angaben in das Protokoll(buch) oder in die Indexkartei aufgenommen, so kann keinesfalls mehr von einer Angelegenheit des inneren Dienstes gesprochen werden. Hier hat der Gesetzgeber subjektive Rechtspositionen der Betroffenen geschaffen (vgl. Adamovich-Funk-Holzinger, Österreichisches Staatsrecht, 2. Bd., 1998, S 116). Damit erweist sich aber die Bezirkshauptmannschaft [...] als zutreffender Adressat der Löschungs- und Auskunftsbegehren des Beschwerdeführers."

Der Gerichtshof kam in diesen Fällen mit folgender Begründung wegen Verletzung des Gleichheitssatzes zu einer aufhebenden Entscheidung:

"Die Behörde hat in der Frage der Abgrenzung des Bereichs der inneren Organisation - also in einem wesentlichen Punkt - die Rechtslage grundlegend verkannt. Sie hat die in diesem Zusammenhang entscheidenden datenschutzrechtlichen Ansprüche von außerhalb der Organisation stehenden Personen nicht entsprechend berücksichtigt und in ihre Erledigung die kriminalpolizeilichen Aspekte der Datenverarbeitung nicht aufgenommen."

Der Gerichtshof sieht sich nicht veranlasst, von seiner Auffassung, was unter innerem Dienst zu verstehen ist, abzugehen. Auch im vorliegenden Fall hat die Behörde die Rechtslage in demselben wesentlichen Punkt verkannt.

2.3.2. Der Beschwerdeführer wurde damit durch den angefochtenen Bescheid - soweit seine (Administrativ)Beschwerde wegen Verletzung im Recht auf Löschung gegen die Bezirkshauptmannschaft Mödling betreffend die Daten im Protokollbuch abgewiesen wurde - im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt, weshalb der Bescheid in dem Umfang aufzuheben war.

2.4. Bei diesem Ergebnis verletzt die Abweisung der (Administrativ)Beschwerde betreffend den Antrag auf Löschung von Daten des Kopienakts den Beschwerdeführer nicht in den geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, weil der Kopienakt - wie die DSK zutreffend ausführt und begründet - nicht als manuelle Datei anzusehen ist und damit solche Löschungsanträge im DSG 2000 keine Grundlage finden. Auch eine Verletzung des Beschwerdeführers in den durch Art8 und 13 EMRK garantierten Rechten liegt nicht vor (sh. VfGH 7.3.2007 B1708/06).

Die Beschwerde war daher insoweit abzuweisen.

3.1. Die Kostenentscheidung gründet auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten sind Umsatzsteuer in der Höhe von EUR 180,-

sowie eine Eingabengebühr in der Höhe von ebenfalls EUR 180,-

enthalten.

Dabei ist das nur teilweise Obsiegen des Beschwerdeführers berücksichtigt: der Grundbetrag wurde nur zur Hälfte zugesprochen.

3.2. Kosten an die belangte Behörde als teilweiser Ersatz des Schriftsatzaufwands waren nicht zuzusprechen, weil dies im VfGG nicht vorgesehen ist und eine sinngemäße Anwendung des §48 Abs2 Z2 VwGG im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof nicht in Betracht kommt (sh. etwa VfGH 27.6.2006 B482/05).

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Datenschutz, EU-Recht Richtlinie, Polizeibehörden, Polizei,Sicherheitspolizei, Verwaltungsorganisation, Auskunftspflicht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2007:B654.2005

Zuletzt aktualisiert am

30.01.2009
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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