TE Vwgh Erkenntnis 2002/2/26 2000/20/0570

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Veröffentlicht am 26.02.2002
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §15;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §39 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des PS in Wien, geboren am 1. Juni 1971, vertreten durch Dr. Gerd Höllerl, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Mariahilferstraße 76, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 26. September 2000, Zl. 216.086/0-II/39/00, betreffend §§ 7, 8 und 15 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, reiste am 31. Mai 1999 in das Bundesgebiet ein und ersuchte um Asyl. Diesen Antrag begründete er vor dem Bundesasylamt am 26. Jänner 2000 damit, dass ihn in seinem Heimatland ein Mann namens Z.H. mit dem Umbringen bedroht und seine Schwester entführt und vergewaltigt habe. Grund dafür sei gewesen, dass er sich als Besitzer einer Apotheke wiederholt geweigert habe, dem Genannten Drogen bzw. rezeptpflichtige Medikamente auszuhändigen. Als der Beschwerdeführer nach seiner entführten Schwester gesucht habe, sei auch er von Freunden des Z.H. entführt, mit einer Faustfeuerwaffe bedroht und geschlagen worden, wobei er einen Nasenbeinbruch erlitten hätte. Er habe deshalb bei der Polizei Anzeige erstattet und sei auch wegen der Entführung seiner Schwester bei der Polizei gewesen, wo seine Angaben aufgenommen worden seien. Z.H. sei jedoch ein Moslem und dessen Vater ein Beamter und Gewerkschafter der Awami League, wohingegen der Beschwerdeführer der hinduistischen Religion angehöre. Wegen der genannten Streitigkeiten habe er sein Geschäft schließen müssen. Mit staatlichen Behörden habe er keine Probleme gehabt, doch befürchte er, bei seiner Rückkehr in sein Heimatland von Z.H. getötet zu werden.

Mit Bescheid vom 27. Jänner 2000 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und erklärte dessen Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 8 AsylG für zulässig. Die Behörde stellte als erwiesen fest, dass der Beschwerdeführer sein Heimatland wegen der Bedrohung durch Z.H. und dessen Freunde verlassen, mit den Behörden jedoch keine Probleme gehabt habe. Da der Beschwerdeführer somit nur Übergriffe durch Private geltend gemacht, jedoch nicht vorgebracht habe, dass staatliche Behörden seines Heimatlandes nicht in der Lage oder nicht gewillt gewesen wären, ihm Schutz vor Verfolgung zu gewähren, seien dem Beschwerdeführer weder Asyl noch Abschiebeschutz zu gewähren.

In seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung verwies der Beschwerdeführer (neuerlich) auf die religiösen Gründe der Drohungen und Angriffe des Z.H. und führte diese auch darauf zurück, dass er in seiner Studienzeit "die BNP unterstützt habe". Der Beschwerdeführer sei Hindu, wohingegen Z.H. im Bezirk der Anführer der Awami League, ein Moslem und überdies sehr mächtig sei. Die Polizei, unter deren Schutz Z.H. kriminelle Geschäfte ausübe, könne diesem auf Grund der genannten hohen Position innerhalb der Awami League nichts anhaben. So habe die Polizei abgesehen von der Entgegennahme der Anzeigen auch nichts gegen Z.H. wegen der Vergewaltigung der Schwester des Beschwerdeführers unternommen und Z.H. weder verhört noch festgenommen. Es sei daher entgegen den Ausführungen des Bundesasylamtes sehr wohl davon auszugehen, dass die staatlichen Behörden in Bangladesch nicht in der Lage oder nicht gewillt seien, ihm Schutz zu gewähren. Auf Grund der "Sonderermächtigungsgesetze (Special Powers Act - SPA)" seien, wie Amnesty International mehrfach berichtet habe, Regierungsgegner unter vorgetäuschten Begründungen ohne Gerichtsverfahren in Haft genommen worden und verschwunden, welches Schicksal auch dem Beschwerdeführer drohe. Es sei ihm daher nicht möglich, sich unter den Schutz der Gerichtsbarkeit seines Heimatlandes zu begeben, da diese weder willens noch in der Lage sei, ihn vor der Verfolgung "durch meine politischen Gegner" zu schützen. Der Beschwerdeführer beantragte, ihm nach Ergänzung des Ermittlungsverfahrens Asyl und Abschiebeschutz zu gewähren sowie (in eventu) eine befristete Aufenthaltsberechtigung zu erteilen.

Nach Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung, welcher der Beschwerdeführer trotz ordnungsgemäßer Ladung ferngeblieben war, wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers mit dem angefochtenen Bescheid gemäß den §§ 7 und 8 AsylG und seinen Antrag auf eine befristete Aufenthaltsberechtigung nach § 15 AsylG ab. Gleichzeitig wies sie (unter einem nicht in Beschwerde gezogenen Spruchpunkt) einen Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsverhandlung ab.

Die Abweisung der Berufung begründete sie nach Wiedergabe des Verfahrenslaufs und nach Darstellung der Rechtslage wie folgt:

"Im gegenständlichen Fall ist der Berufungswerber unentschuldigt der Berufungsverhandlung ferngeblieben. So konnten die erstmals in der Berufung aufgestellten Behauptungen, dem Berufungswerber drohe auf Grund des Sonderermächtigungsgesetzes das Schicksal, unter vorgetäuschten Begründungen ohne Gerichtsverfahren in Haft genommen zu werden und zu verschwinden, beziehungsweise drohe ihm im Falle einer Rückkehr auf Grund des dargelegten Sachverhaltes, sofort verhaftet zu werden und liefe er jedenfalls Gefahr, unmenschlicher Behandlung, Strafe oder gar der Todesstrafe unterworfen zu werden, nicht näher untersucht und einer Klärung zugeführt werden.

Die Erstbehörde hat bereits ausführlich auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen, wonach einer von Privatpersonen beziehungsweise privaten Gruppierungen ausgehenden Verfolgung nur dann Asylrelevanz zukommt, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden. Mangels konkreter Angaben haben sich für die erkennende Behörde keine Anhaltspunkte hiefür ergeben, dass im verfahrensgegenständlichen Fall der Staat nicht in der Lage war, dem Berufungswerber Schutz zu gewähren.

Im Übrigen bezieht sich die erkennende Behörde, um Wiederholungen zu vermeiden, zustimmend auf die Begründung des angefochtenen Bescheides zu beiden Spruchpunkten und erhebt diese zur Begründung im vorliegenden Fall.

Anhand der Ermittlungsergebnisse war somit nicht festzustellen, dass der Berufungswerber im gesamten Herkunftsland einer aktuellen Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt ist und bei seiner Rückkehr nach Bangladesh einer unmenschlichen Behandlung, Strafe oder der Todesstrafe unterworfen wäre, und war daher spruchgemäß zu entscheiden."

Da somit die nach § 15 Abs. 1 AsylG vorausgesetzte Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat nicht festgestellt worden sei, sei auch sein Antrag auf Erteilung einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung abzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die Beschwerde führt zusammengefasst ins Treffen, die belangte Behörde hätte ungeachtet des Fernbleibens des Beschwerdeführers von der Berufungsverhandlung von Amts wegen Ermittlungen darüber anstellen müssen, ob ihm in seinem Heimatstaat auf Grund des dort geltenden Sonderermächtigungsgesetzes staatlicher Schutz zukomme. Nur wegen des Fernbleibens des Beschwerdeführers von der Verhandlung sei die belangte Behörde nicht von ihrer Verpflichtung zur amtswegigen Sachverhaltsermittlung befreit gewesen. Auch im Falle seiner mündlichen Einvernahme hätte der Beschwerdeführer nämlich keine anderen Aussagen treffen können, als er bereits schriftlich in seiner Berufung dargetan habe. Ob ihm die Behörden seines Heimatstaates aber im Falle seiner Rückkehr effizienten Schutz gegen die ihm dort drohende Verfolgung, die er auf Grund seines religiösen Glaubens zu befürchten habe, bieten könnten, unterliege der amtswegigen Ermittlungspflicht und dürfe nicht auf die Mitwirkungspflicht der Partei übergewälzt werden.

Die belangte Behörde vertritt demgegenüber im angefochtenen Bescheid den Standpunkt, die vom Beschwerdeführer erstmals in der Berufung aufgestellte Behauptung, er sei auf Grund des Sonderermächtigungsgesetzes auch von staatlicher Seite bedroht, könne wegen des Fernbleibens des Beschwerdeführers von der Berufungsverhandlung "nicht näher untersucht und einer Klärung zugeführt werden". Auch seien "mangels konkreter Angaben ... keine Anhaltspunkte" für ein Unvermögen des Heimatstaates des Beschwerdeführers, diesem Schutz zu gewähren, gegeben. Dabei scheint die belangte Behörde - obgleich sie in der Begründung ihres Bescheides entgegen § 60 AVG nicht klar erkennen lässt, welchen festgestellten Sachverhalt (oder gegebenenfalls welche Negativ-Feststellungen) sie ihrer Entscheidung zu Grunde legt - mit der Behörde erster Instanz (auf deren Entscheidung sie verweist) von den erstinstanzlichen Angaben des Beschwerdeführers über seine hinduistische Religion und darüber hinaus auch vom Berufungsvorbringen über seine ehemalige Unterstützung der (oppositionellen) Bangladesh National Party (BNP) auszugehen.

Ob der Beschwerdeführer aber als Angehöriger einer religiösen und politischen Minderheit von staatlicher Seite, wie er behauptet, keinen staatlichen Schutz vor privater Verfolgung in Anspruch nehmen könne, sondern auf Grund des erwähnten Sonderermächtigungsgesetzes Verfolgung sogar von staatlicher Seite befürchten müsse, erforderte im vorliegenden Fall in erster Linie Ermittlungen über den Inhalt und die behördliche Praxis im Vollzug des erwähnten Sonderermächtigungsgesetzes. Solche Ermittlungen über die tatsächlichen Verhältnisse im Polizei- und Justizbereich des Heimatstaates des Beschwerdeführers hätte die belangte Behörde jedoch zufolge § 39 Abs. 2 AVG von Amts wegen vornehmen müssen (vgl. aus vielen das ähnliche Ermittlungen der belangten Behörde betreffende hg. Erkenntnis vom 22. April 1999, Zl. 97/20/0539), waren diese Ermittlungen doch vor dem Hintergrund der der belangten Behörde zugänglichen Länderberichte über Bangladesch und der ihr möglichen Kontakte mit österreichischen Vertretungsbehörden im Heimatstaat des Beschwerdeführers nicht von der Mitwirkung des Beschwerdeführers abhängig (vgl. dazu auch die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, unter E. 221ff. zu § 39 AVG referierte hg. Judikatur).

Da dem angefochtenen Bescheid somit Feststellungs- und Begründungsmängel, bei deren Vermeidung die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können, anhaften, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verwaltungsgerichtshof-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 26. Februar 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2000200570.X00

Im RIS seit

23.05.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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