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41/02 Melderecht;Norm
MeldeG 1991 §1 Abs6;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Wien gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 25. September 2001, Zl. 603.958/6- II/13/01, betreffend Reklamationsverfahren gemäß § 17 Abs. 2 Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Parteien:
1.
Bürgermeister der Gemeinde Lendorf in Lendorf,
2.
Alexander Hubmann in Wien XVII, Dornerplatz 12/16, bzw. in Lendorf, St. Peter in Holz 20), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Der am 19. April 1973 geborene, ledige Zweitmitbeteiligte ist mit Hauptwohnsitz in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters, Lendorf (kurz: L), Bezirk Spittal an der Drau, gemeldet. Seit 1. Oktober 1999 ist er mit weiterem Wohnsitz in Wien gemeldet.
In seiner Stellungnahme an die belangte Behörde vom 15. Mai 2001 (es handelt sich um ein formularmäßiges Erhebungsblatt zur Feststellung des Hauptwohnsitzes) gab er an, er sei in Wien berufstätig und trete den Weg zur Arbeitsstätte in der Regel von Wien aus an. Er halte sich in L an etwa 170 Tagen im Jahr auf (zum Wochenende, fallweise, "Urlaub + ZA" (gemeint wohl: Zeitausgleich)), in Wien "noch" etwa 180 Tage im Jahr (werktags). In L wohne er mit seiner Mutter, die dort mit Hauptwohnsitz gemeldet sei, in L wohne weiters eine Großmutter. In Wien wohnten keine Familienmitglieder. Seine "aktiven gesellschaftlichen Betätigungen" in L seien sehr intensiv (Sportverein, "KJ"), in Wien werden keine gesellschaftlichen Betätigungen angegeben. Ergänzend brachte er dazu vor, er sei in L Besitzer eines großen Wohnhauses, in welchem seine Mutter jetzt umständehalber alleine lebe. Deshalb verbringe er jedes Wochenende zu Hause, um dort allfällige Tätigkeiten im Zusammenhang mit seinem Haus erledigen zu können und seiner Mutter behilflich zu sein. Weiters sei er ein "aktiver Mitbürger" seiner Heimatgemeinde und wolle die sozialen Kontakte und den dadurch für ihn gegebenen sozialen Rückhalt nicht verlieren. Er sehe seinen Wohnsitz in Wien primär als Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz an. Dazu komme, dass er ab Juni in Niederösterreich einen weiteren Wohnsitz anmelden werde, was seine "Verweilzeit hier in Wien weiters drastisch reduzieren" werde.
Die Wohnsitzerklärung (§ 15a MeldeG) ebenfalls vom 15. Mai 2001 entspricht, soweit sie vom Beschwerdeführer der belangten Behörde vorgelegt wurde (es fehlt eine darin genannten "beiliegende Stellungnahme"), den zuvor wiedergegebenen Angaben bzw. steht damit nicht in Widerspruch.
Der erstmitbeteiligte Bürgermeister gab in einer Stellungnahme vom 29. August 2001 unter anderem an, der Zweitmitbeteiligte habe nach wie vor den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen und zwar in wirtschaftlich und gesellschaftlichfamiliärer Hinsicht in L, wo er mit seiner Mutter ein Einfamilienhaus bewohne, welches sich inzwischen in seinem Eigentum befinde. Er benütze jede sich bietende Gelegenheit, an seinen Heimatort zurückzukehren.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Aufhebung des Hauptwohnsitzes des Zweitmitbeteiligten an der gemeldeten Adresse in L abgewiesen. Sie stellte zusammengefasst fest, dass der Schwerpunkt der beruflichen Lebensbeziehungen des Zweitmitbeteiligten in Wien gelegen sei. Der "Familienwohnsitz" und somit der gesellschaftliche Schwerpunkt der Lebensbeziehungen des Zweitmitbeteiligten liege hingegen in L, wo sein soziales Umfeld konzentriert sei. Das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", welches nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck komme, gebe daher im Beschwerdefall den Ausschlag.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens
vorgelegt; angesprochen wird der Vorlageaufwand.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im zulässigerweise eingeleiteten Reklamationsverfahren wird die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt, ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u.a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher die in § 1 Abs. 8 MeldeG (in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 28/2001) genannten Kriterien maßgeblich sind:
Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes oder der Ausbildungsstätte, Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz oder zur Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, klargestellt, dass das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", das nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck kommt, nur in den Fällen den Ausschlag gibt, in denen als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zwei oder mehrere "Mittelpunkte der Lebensbeziehungen" des Betroffenen hervorgekommen sind (also wenn ausnahmsweise zwei oder mehrere Wohnsitze des Betroffenen solche Mittelpunkte darstellen, wobei die vom Betroffenen vorgenommene Bezeichnung eines Hauptwohnsitzes allein nicht jedenfalls maßgeblich ist). Das Reklamationsverfahren wird nur dann für den antragstellenden Bürgermeister erfolgreich sein, wenn der Betroffene ein "überwiegendes Naheverhältnis" an einem Ort behauptet, an dem er keinen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen (§ 1 Abs. 7 MeldeG) hat, mag er dort auch einen Wohnsitz im Sinne des § 1 Abs. 6 MeldeG haben. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang auch klargelegt, dass eine "absolute Sicherheit" über die Lebenssituation des Meldepflichtigen für die Evaluierung des zu beurteilenden Sachverhaltes nicht notwendig ist; der Gesetzgeber hat durch die Regelung des § 17 Abs. 3 MeldeG bewusst die in Rede stehenden Unschärfen aus rechtspolitischen Gründen in Kauf genommen (siehe dazu näher das genannte Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, oder auch das weitere Erkenntnis vom selben Tag, Zl. 2001/05/0930).
Ausgehend von den Angaben des ledigen 28-jährigen Zweitmitbeteiligten steht im Beschwerdefall fest, dass er in Wien seiner Berufstätigkeit nachgeht. Er macht soziale und familiäre Beziehungen zu L geltend, die in Wien nicht bestünden. Die erforderliche Gesamtbetrachtung verleiht der beruflichen Lebensbeziehung ein deutliches Übergewicht. Demgegenüber tritt bei der im Reklamationsverfahren gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise die familiäre Bindung einer ledigen Person umso mehr in den Hintergrund, je mehr sich ihr Alter vom Erreichen der Volljährigkeit entfernt hat.
In Anbetracht des Alters des Zweitmitbeteiligten und des Umstandes, dass L von Wien relativ weit entfernt ist, sodass ein "Wochenpendeln" unrealistisch ist, kann ungeachtet des Hausbesitzes im Heimatort eine derartige Reduktion der Beziehungen angenommen werden, dass eine Mittelpunktqualität des dortigen Wohnsitzes nicht mehr vorliegt. Die bekundete Absicht, in Niederösterreich einen Wohnsitz zu nehmen, steht im Übrigen mit der behaupteten Nahebeziehung zu L nicht in Einklang.
Ausgehend davon hat im vorliegenden Fall der Zweitmitbeteiligte ohne Rechtsgrundlage eine Wahl nach § 1 Abs. 7 letzter Satz MeldeG getroffen, sodass die Reklamation durch den Beschwerdeführer zu Recht erfolgte. Da die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Dieser Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 27. Februar 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2001051146.X00Im RIS seit
08.05.2002