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41/02 Melderecht;Norm
MeldeG 1991 §1 Abs6;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl , Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Wien gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 14. März 2001, Zl. 600.859- II/13/99, betreffend Reklamationsverfahren nach § 17 Abs. 2 Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Parteien: 1. Bürgermeister der Gemeinde Windhaag bei Perg, 2. Eduart Pölz in 1190 Wien, Gymnasiumstrasse 58/15), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Kostenersatzbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der am 28. Dezember 1965 geborene, verheiratete Zweitmitbeteiligte ist seit seiner Geburt mit Hauptwohnsitz (siehe § 23 Abs. 1 des im Beschwerdefall anzuwendenden Meldegesetzes 1991, BGBl. Nr. 9/1992, in der Fassung des Hauptwohnsitzgesetzes BGBl. Nr. 505/1994; in der Folge kurz: MeldeG) in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters (Windhaag bei Perg) gemeldet. Seit 1. März 1999 ist er mit einem weiterem Wohnsitz in Wien gemeldet.
Im Zuge des über Antrag des Beschwerdeführers eingeleiteten Ermittlungsverfahrens wurde vom Zweitmitbeteiligten über Aufforderung der belangten Behörde die Stellungnahme abgegeben, in Wien berufstätig zu sein und regelmäßig von seiner Wiener Mietwohnung aus den Arbeitsweg zur Arbeitsstätte anzutreten. Er lebe in seiner Mietwohnung in Wien werktags, insgesamt ca. 184 Tage im Jahr, gemeinsam mit seiner Gattin und den beiden minderjährigen Söhnen (geb. 1994 und 1996), die dort ihren Hauptwohnsitz hätten. Das Wochenende und den Urlaub, insgesamt ca. 181 Tage im Jahr, verbringe er in seinem Elternhaus in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters (Windhaag bei Perg), welches seit einigen Jahren ihm gehöre. Sein Haus in Windhaag bei Perg müsse er instandhalten, im Krankheitsfall müsse er auch seine Mutter betreuen. Mit seinen drei Geschwistern, die im Heimatort bzw. in dessen Nähe wohnten, habe er ein inniges Verhältnis. Sein gesamter Freundeskreis sei hier beheimatet. Seine gesellschaftlichen Betätigungen seien dort sehr intensiv, er nehme an fast allen gesellschaftlichen Ereignissen, wie z. B. Bälle, Sportveranstaltungen und dgl teil, und helfe auch bei deren Vorbereitung mit. In Wien bestünden keine gesellschaftlichen Betätigungen.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag des beschwerdeführenden Bürgermeisters auf Aufhebung des Wohnsitzes des Zweitmitbeteiligten an der gemeldeten Adresse in Windhaag bei Perg abgewiesen. Hiezu führte die belangte Behörde aus, der Zweitmitbeteiligte sei ein sog "Wochenpendler"; er habe seinen Arbeitsplatz in Wien, seine Freizeitaktivitäten übe er jedoch ausschließlich in Windhaag bei Perg aus. Der Schwerpunkt der Berufstätigkeit in der Bundeshauptstadt Wien, die zugleich Familienwohnsitz sei, reiche allein nicht aus, den Hauptwohnsitz des Zweitmitbeteiligten in der Gemeinde Windhaag bei Berg, die den Mittelpunkt seiner gesellschaftlichen und einen Teil seiner familiären Lebensbeziehungen darstelle, aufzuheben.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor; angesprochen wird der Vorlageaufwand.
Der erstmitbeteiligte Bürgermeister erstattete eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im zulässigerweise eingeleiteten Reklamationsverfahren wird die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt, ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u.a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher die nunmehr ausdrücklich im § 1 Abs. 8 MeldeG (in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 28/2001), genannten Kriterien maßgeblich sind:
Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes oder der Ausbildungsstätte, Ausgangspunkt des Weges zum Arbeitsplatz oder zur Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, klargestellt, dass das subjektive Kriterium "überwiegendes Naheverhältnis", das nur in der persönlichen Einstellung des Betroffenen zum Ausdruck kommt, nur in den Fällen den Ausschlag gibt, in denen als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zwei oder mehrere "Mittelpunkte der Lebensbeziehungen" des Betroffenen hervorgekommen sind (also wenn ausnahmsweise zwei oder mehrere Wohnsitze des Betroffenen solche Mittelpunkte darstellen, wobei die vom Betroffenen vorgenommene Bezeichnung eines Hauptwohnsitzes allein nicht jedenfalls maßgeblich ist). Das Reklamationsverfahren wird nur dann für den antragstellenden Bürgermeister erfolgreich sein, wenn der Betroffene ein "überwiegendes Naheverhältnis" an einem Ort behauptet, an dem er keinen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen (§ 1 Abs. 7 MeldeG) hat, mag er dort auch einen Wohnsitz im Sinne des § 1 Abs. 6 MeldeG haben. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang auch klargelegt, dass eine "absolute Sicherheit" über die Lebenssituation des Meldepflichtigen für die Evaluierung des zu beurteilenden Sachverhaltes nicht notwendig ist; der Gesetzgeber hat durch die Regelung des § 17 Abs. 3 MeldeG bewusst die in Rede stehenden Unschärfen aus rechtspolitischen Gründen in Kauf genommen (siehe dazu näher das genannte Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, oder auch das weitere Erkenntnis vom selben Tag, Zl. 2001/05/0930).
Es mag wohl sein, dass in Windhaag unter Berücksichtigung der vom Zweitmitbeteiligten für seine Mutter zu erbringenden Betreuungsleistungen nicht mehr von einem Ferienwohnsitz im Sinne des hg. Erkenntnisses vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0941, die Rede sein kann. Die Berufstätigkeit in Wien, insbesondere aber die Familie mit zwei schulpflichtigen Kindern schafft aber eine derartige Gebundenheit an Wien, dass dem Wohnsitz in Windhaag ein Mittelpunktcharakter nicht zugebilligt werden kann. Der Gesetzgeber hat ja durch die Worte "insbesondere der minderjährigen Familienmitglieder" in § 1 Abs. 8 MeldeG eine deutliche Gewichtung vorgenommen.
Ausgehend davon hat im vorliegenden Fall die Zweitmitbeteiligte ohne Rechtsgrundlage eine Wahl nach § 1 Abs. 7 letzter Satz MeldeG getroffen, sodass die Reklamation durch den Beschwerdeführer zu Recht erfolgte. Da die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Dieser Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Das Kostenersatzbegehren des Beschwerdeführers (angesprochen wurde ein Schriftsatzaufwand) war abzuweisen, weil er nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten war (§ 49 Abs. 1 VwGG idF der Novelle BGBl. I Nr. 88/1997).
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am 27. Februar 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2001051053.X00Im RIS seit
08.05.2002