TE Vwgh Erkenntnis 2002/2/27 2001/05/1049

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Veröffentlicht am 27.02.2002
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Index

41/02 Melderecht;

Norm

MeldeG 1991 §1 Abs6;
MeldeG 1991 §1 Abs7;
MeldeG 1991 §17 Abs1;
MeldeG 1991 §17 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl und Dr. Pallitsch als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Wien gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 1. März 2001, Zl. 601.306/5-II/13/00, betreffend Reklamationsverfahren nach § 17 Abs. 2 Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Parteien: 1. Bürgermeister der Stadt Innsbruck, 2. Claudia Manhartsberger in 1070 Wien, Seidengasse 23/20), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Kostenersatzbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die am 17. März 1963 in Bludenz geborene, ledige Zweitmitbeteiligte ist seit 1985 mit Hauptwohnsitz (siehe § 23 Abs. 1 des im Beschwerdefall anzuwendenden Meldegesetzes 1991, BGBl. Nr. 9/1992, in der Fassung des Hauptwohnsitzgesetzes BGBl. Nr. 505/1994; in der Folge kurz: MeldeG) in Innsbruck gemeldet. Von 1973 bis 1985 war sie in Wien mit Hauptwohnsitz gemeldet. Seit 11. Jänner 1999 ist Wien ein weiterer aktueller Wohnsitz der Zweitmitbeteiligten.

Im Zuge des vom beschwerdeführenden Bürgermeister eingeleiteten Reklamationsverfahrens gab die Zweitmitbeteiligte über Aufforderung der belangten Behörde im Erhebungsblatt zur Feststellung des Hauptwohnsitzes vom 8. Mai 2000 an, in Wien berufstätig zu sein und dort allein in Untermiete (nähere Angaben über Größe und Ausstattung der Wohnung fehlen) zu wohnen. In der Mietwohnung in Innsbruck (nähere Angaben zur Wohnung am Hauptwohnsitz fehlen) lebe sie ebenfalls allein. In Innsbruck lebten ihre Familienmitglieder, insbes. die Mutter und ein Bruder, in Wien wohne ein Bruder. Den Weg zu ihrer Arbeitsstätte im

7. Wiener Gemeindebezirk trete sie von ihrer Wohnung in Wien aus an. Sie sei nicht einmal noch vier Jahre in Wien; ihr Freundeskreis befinde sich in Innsbruck; ein Wechsel des Hauptwohnsitzes wäre für sie ein großer finanzieller Aufwand, der "zum jetzigen Stand meiner Selbständigkeit kaum zu verkraften wäre". Ihre Mutter lebe in Innsbruck; zu dieser habe sie einen sehr guten Kontakt. Aktive gesellschaftliche Betätigungen wurden von der Zweitmitbeteiligten nicht angeführt.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des beschwerdeführenden Bürgermeisters auf Aufhebung des Hauptwohnsitzes der Zweitmitbeteiligten an der gemeldeten Adresse in Innsbruck ab. Das Ermittlungsverfahren habe gezeigt, dass der Schwerpunkt der beruflichen Lebensbeziehungen der Zweitmitbeteiligten in Wien, der familiäre und gesellschaftliche Schwerpunkt der Lebensbeziehungen hingegen in Innsbruck liege. Auf Grund des Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens und einer Gesamtbetrachtung der Lebensbeziehungen der Zweitmitbeteiligten reiche der Arbeitsplatz (mit frei gestaltbarer Arbeitszeiteinteilung) und der zeitweilige Aufenthalt in Wien - somit lediglich der "Schwerpunkt" der Berufstätigkeit - allein nicht aus, um ihren Hauptwohnsitz in Innsbruck, der den Mittelpunkt der familiären, gesellschaftlichen und kulturellen Lebensbeziehungen darstelle, aufzuheben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens ohne Gegenschrift vor. Die mitbeteiligten Parteien erstatteten keine Gegenschriften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass im zulässigerweise eingeleiteten Reklamationsverfahren die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt (wird), ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG 1991) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u.a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher - wie auch den Erläuterungen der Regierungsvorlage zur Meldegesetznovelle, BGBl. Nr. 505/1994 (GP XVIII RV 1334), zu entnehmen ist - vor allem folgende Bestimmungskriterien maßgeblich sind: Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes und der Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften. Durchaus möglich ist, dass am Hauptwohnsitz - und damit beim Mittelpunkt der Lebensbeziehungen - wenige oder gar keine beruflichen Lebensbeziehungen bestehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. August 1999, Zl. 99/05/0076). Diese Regelung hat auch durch die Anfügung des Abs. 8 im § 1 MeldeG mit der Novelle vom 30. März 2001, BGBl. I Nr. 28/2001, keine inhaltliche Änderung erfahren, weil damit nur die in der vorzitierten Regierungsvorlage angeführten Kriterien in Gesetzesform gegossen worden sind.

Ausgehend von der Wohnsitzerklärung steht im Beschwerdefall fest, dass die 38-jährige, ledige Zweitmitbeteiligte in Wien einer Berufstätigkeit nachgeht. Sie macht soziale und familiäre Beziehungen zu Innsbruck geltend. Die erforderliche Gesamtbetrachtung verleiht jedoch im Beschwerdefall der beruflichen Lebensbeziehung ein deutliches Übergewicht. Demgegenüber tritt bei der im Reklamationsverfahren gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise die familiäre Bindung einer ledigen Person umso mehr in den Hintergrund, je mehr sich ihr Alter vom Erreichen der Volljährigkeit entfernt hat.

In Anbetracht des Alters der Beschwerdeführerin und des Umstandes, dass Innsbruck von Wien weit entfernt ist, kann eine derartige Reduktion der gesellschaftlichen Beziehungen zum Heimatort angenommen werden, dass eine Mittelpunktqualität des dortigen Wohnsitzes nicht mehr vorliegt (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 2002, Zl. 2001/05/0991). Dass weiterhin soziale und gesellschaftliche Kontakte der Zweitmitbeteiligten - von den üblichen in diesem Alter gepflogenen familiären Kontakten abgesehen - in Innsbruck bestünden, die auf die Annahme von Umständen schließen ließen, wie sie für Wochenpendler (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0945) vorausgesetzt werden, sind im Beschwerdefall nicht hervorgekommen.

Ausgehend davon hat im vorliegenden Fall die Zweitmitbeteiligte ohne Rechtsgrundlage eine Wahl nach § 1 Abs. 7 letzter Satz MeldeG getroffen, sodass die Reklamation durch den Beschwerdeführer zu Recht erfolgte. Da die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Dieser Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat - aufzuheben.

Wien, am 27. Februar 2002

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2002:2001051049.X00

Im RIS seit

08.05.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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