Index
41/02 Melderecht;Norm
MeldeG 1991 §1 Abs7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Giendl und Dr. Kail als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Wien gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 29. September 2001, Zl. 604.399/6-II/13/01, betreffend ein Reklamationsverfahren nach dem Meldegesetz (mitbeteiligte Parteien: 1. Bürgermeister der Stadtgemeinde Wolfsberg in 9400 Wolfsberg, 2. Iris Vallant in Wien und St. Stefan im Lavanttal, vertreten durch Mag. Helmut Scheuch, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Franzensbrückenstrasse 20) zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Die am 12. September 1972 in Wolfsberg geborene, ledige Zweitmitbeteiligte ist seit 20. Juli 1999 mit Hauptwohnsitz in ihrer Geburtsstadt gemeldet (die KG St. Stefan gehört zur Stadtgemeinde Wolfsberg); ein weiterer aktueller Wohnsitz besteht seit demselben Tag in 1050 Wien, Bräuhausgasse 17.
In der Wohnsitzerklärung (§ 15a Abs. 1 MeldeG) gab die Zweitmitbeteiligte an, sie verbringe in Wien etwa 160 und in St. Stefan 205 Tage im Jahr. Weiters gab sie ihren 1969 geborenen Lebensgefährten an der Wiener Adresse als Mitbewohner an, der in Wien gleichfalls mit Nebenwohnsitz gemeldet sei. In der Heimatgemeinde wohne sie mit den Eltern zusammen. Ihr Wiener Wohnsitz sei Ausgangspunkt des Weges zu der in Wien befindlichen Arbeitsstätte.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des beschwerdeführenden Bürgermeisters auf Aufhebung des Hauptwohnsitzes der Zweitmitbeteiligten an der gemeldeten Adresse in St. Stefan ab. Das Ermittlungsverfahren habe gezeigt, dass der Schwerpunkt der beruflichen Lebensbeziehungen der Zweitmitbeteiligten in Wien, der familiäre und gesellschaftliche Schwerpunkt der Lebensbeziehungen hingegen in St Stefan liege. Auf Grund des Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens und einer Gesamtbetrachtung der Lebensbeziehungen der Zweitmitbeteiligten reiche der Arbeitsplatz und der zeitweilige Aufenthalt in Wien - somit lediglich der "Schwerpunkt" der Berufstätigkeit - allein nicht aus, um ihren Hauptwohnsitz in St. Stefan, der den Mittelpunkt der familiären und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen darstelle, aufzuheben.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens ohne Gegenschrift vor. Die mitbeteiligten Parteien erstatteten jeweils eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0935, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass im zulässigerweise eingeleiteten Reklamationsverfahren die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt (wird), ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG 1991) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 2001, G 139/00-10, u.a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher - wie auch den Erläuterungen der Regierungsvorlage zur Meldegesetznovelle, BGBl. Nr. 505/1994 (GP XVIII RV 1334), zu entnehmen ist - vor allem folgende Bestimmungskriterien maßgeblich sind: Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes und der Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule oder den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften. Diese Regelung hat auch durch die Anfügung des Abs. 8 im § 1 MeldeG mit der Novelle vom 30. März 2001, BGBl. I Nr. 28/2001, keine inhaltliche Änderung erfahren, weil damit nur die in der vorzitierten Regierungsvorlage angeführten Kriterien in Gesetzesform gegossen worden sind.
Ausgehend von der Wohnsitzerklärung steht im Beschwerdefall fest, dass die 30-jährige, ledige Zweitmitbeteiligte in Wien einer Berufstätigkeit nachgeht. Sie macht familiäre Beziehungen zu St Stefan geltend. Die erforderliche Gesamtbetrachtung verleiht jedoch im Beschwerdefall der beruflichen Lebensbeziehung ein deutliches Übergewicht. Demgegenüber tritt bei der im Reklamationsverfahren gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise die familiäre Bindung einer ledigen Person umso mehr in den Hintergrund, je mehr sich ihr Alter vom Erreichen der Volljährigkeit entfernt hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 2002, Zl. 2001/05/0985).
Insbesondere in Anbetracht des Umstandes, dass die Beschwerdeführerin in Wien eine Lebensgemeinschaft eingegangen ist, kann eine derartige Reduktion der gesellschaftlichen Beziehungen zum Heimatort angenommen werden, dass eine Mittelpunktqualität des dortigen Wohnsitzes nicht mehr vorliegt; die beruflichen und eheähnlichen Lebensbeziehung bilden ein deutliches Übergewicht, die familiäre Bindung an die Eltern und die gesellschaftlichen Beziehungen am Geburtsort treten in den Hintergrund (hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 2002, Zl. 2001/05/1096). Dass weiterhin besondere soziale und gesellschaftliche Kontakte der Zweitmitbeteiligten in St. Stefan bestünden, die auf die Annahme von Umständen schließen ließen, wie sie für Wochenpendler (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 13. November 2001, Zl. 2001/05/0945) vorausgesetzt werden, sind im Beschwerdefall nicht hervorgekommen.
Ausgehend davon hat im vorliegenden Fall die Zweitmitbeteiligte ohne Rechtsgrundlage eine Wahl nach § 1 Abs. 7 letzter Satz MeldeG getroffen, sodass die Reklamation durch den Beschwerdeführer zu Recht erfolgte. Da die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Dieser Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat - aufzuheben.
Wien, am 27. Februar 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:2001051115.X00Im RIS seit
21.05.2002