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32 SteuerrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / InstanzenzugserschöpfungLeitsatz
Zurückweisung einer Beschwerde wegen zwingender Auflösung von Jubiläumsgeldrückstellungen mangels Instanzenzugserschöpfung infolge Änderung des EStG 1988 durch das AbgÄG 1998; Verpflichtung der Behörde zur Wiederaufnahme des Verfahrens auf Antrag des SteuerpflichtigenSpruch
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
I. 1. Die Beschwerdeführerin rechnete in ihrer Körperschaftsteuererklärung für 1995 S 494.000,- als Zuweisung zur Jubiläumsgeldrückstellung und S 196.133,- als Auflösung der bereits gebildeten Jubiläumsgeldrückstellung gemäß ArtI Z64 litb des SteuerreformG 1993 BGBl. 818 idF BGBl. 201/1996 hinzu. Die Veranlagung 1995 erfolgte erklärungsgemäß.
Gegen den Körperschaftsteuerbescheid 1995 brachte sie wegen der steuerlichen Nichtanerkennung der Rückstellung und wegen der Auflösung der seinerzeitigen Rückstellung eine Berufung ein.
Mit Bescheid vom 31. Oktober 1997 wies die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland die Berufung unter Hinweis auf das Legalitätsprinzip als unbegründet ab.
2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unverletzlichkeit des Eigentums durch Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides beantragt wird.
3. Die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, verzichtete aber darauf, eine Gegenschrift zu erstatten.
II. Die Beschwerde ist nicht zulässig.
1. Die maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen lauten:
1.1.1. §9 Einkommensteuergesetz 1988 BGBl. 400 (EStG 1988) idF vor dem Abgabenänderungsgesetz 1998 (AbgÄG 1998), BGBl. I 28/1999, lautete:
"Rückstellungen
§9. (1) Rückstellungen können nur gebildet werden für
1.
Anwartschaften auf Abfertigungen,
2.
laufende Pensionen und Anwartschaften auf Pensionen,
3.
sonstige ungewisse Verbindlichkeiten,
4.
drohende Verluste aus schwebenden Geschäften.
(2) Rückstellungen im Sinne des Abs1 Z1 und 2 sind nach §14 zu bilden.
(3) Rückstellungen im Sinne des Abs1 Z3 und 4 dürfen nicht pauschal gebildet werden. Die Bildung von Rückstellungen ist nur dann zulässig, wenn konkrete Umstände nachgewiesen werden können, nach denen im jeweiligen Einzelfall mit dem Vorliegen oder dem Entstehen einer Verbindlichkeit (eines Verlustes) ernsthaft zu rechnen ist.
(4) Rückstellungen für die Verpflichtung zu einer Zuwendung anläßlich eines Dienst- oder eines Firmenjubiläums dürfen nicht gebildet werden."
Diese Fassung hatte §9 EStG 1988 durch ArtI Z6 SteuerreformG 1993 erhalten.
1.1.2. Mit Erkenntnis vom 9. Dezember 1997, G403/97, hob der Verfassungsgerichtshof in §9 Abs4 EStG 1988 die Wortfolge "eines Dienst- oder" als verfassungswidrig auf. Diese Aufhebung trat mit Ablauf des 31. Dezember 1998 in Kraft.
1.1.3. Mit ArtI Z1 AbgÄG 1998 wurde §9 Abs2 EStG 1988 geändert und lautet nun wie folgt:
"Rückstellungen im Sinne des Abs1 Z1 und 2 sowie Rückstellungen für Jubiläumsgelder sind nach §14 zu bilden."
1.1.4. Mit ArtI Z2 AbgÄG 1998 wurde §14 EStG 1988 wie folgt geändert: Die Überschrift zu diesem Paragraphen (bisher: "Vorsorge für Abfertigungen und Pensionen") lautet nunmehr:
"Vorsorge für Abfertigungen, Pensionen und Jubiläumsgelder". Weiters wurde dem §14 ein Abs12 mit folgendem Wortlaut angefügt:
"Für die Bildung von Rückstellungen für die Verpflichtung zu einer Zuwendung anläßlich eines Dienstjubiläums gilt folgendes:
Die Bildung einer Rückstellung ist nur bei kollektivvertraglicher Vereinbarung, bei Betriebsvereinbarung oder bei anderen schriftlichen, rechtsverbindlichen und unwiderruflichen Zusagen zulässig. Die Rückstellung ist unter sinngemäßer Anwendung des Abs7 Z1 bis 3 und Abs7 Z6 zu bilden; eine Bildung nach den Regeln der Finanzmathematik ist zulässig."
1.2.1. ArtI Z64 SteuerreformG 1993 lautet:
"Die Z5 und 6 sind erstmals auf Wirtschaftsjahre anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 1993 enden. Pauschale Wertberichtigungen, die für Wirtschaftsjahre gebildet worden sind, die vor dem 1. Jänner 1994 geendet haben, sind mit dem im Jahresabschluß des letzten dieser Wirtschaftsjahre angesetzten Betrag im folgenden Wirtschaftsjahr gewinnerhöhend aufzulösen. Soweit für Wirtschaftsjahre, die vor dem 1. Jänner 1994 geendet haben, für Zwecke der steuerlichen Gewinnermittlung Rückstellungen gebildet worden sind, die nicht der Z6 dieses Bundesgesetzes entsprechen, gilt folgendes:
a) Die Rückstellungen sind mit jenem Betrag gewinnerhöhend aufzulösen, mit dem die Rückstellungen im Jahresabschluß für das letzte vor dem 1. Jänner 1994 endende Wirtschaftsjahr angesetzt werden.
b) Die gewinnerhöhende Auflösung ist innerhalb jener fünf Wirtschaftsjahre vorzunehmen, die auf das letzte vor dem 1. Jänner 1994 endende Wirtschaftsjahr folgen."
1.2.2. Mit Art43 StrukturanpassungsG 1996 BGBl. 201 erhielt ArtI Z64 litb SteuerreformG 1993 folgenden Wortlaut:
"b) Die gewinnerhöhende Auflösung ist innerhalb jener vier Wirtschaftsjahre vorzunehmen, die auf das letzte vor dem 1. Jänner 1994 endende Wirtschaftsjahr folgen. In dem nach dem 31. Dezember 1995 endenden Wirtschaftsjahr sind mindestens 50 % jenes Betrages, der im Jahresabschluß für das letzte vor dem 1. Jänner 1996 endende Wirtschaftsjahr angesetzt wurde, aufzulösen."
1.3. Durch ArtI Z12 b und 13 AbgÄG 1998 wurde §124 b EStG 1988 geändert; diese Bestimmungen lauten wie folgt:
"12 b. In Z13 lautet §124 b Z33 a:
'33. a) §14 Abs12 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 28/1999 ist erstmals bei der Veranlagung für das Kalenderjahr 1999 anzuwenden. Es darf dabei nur jener Betrag der Rückstellung zugeführt werden, der bei der Verteilung des Gesamtaufwandes auf das einzelne Wirtschaftsjahr entfällt.'
13. In §124 b werden als Z33 bis 36 angefügt:
'33. a) §14 Abs12 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 28/1999 ist erstmals bei der Veranlagung für das Kalenderjahr 1999 anzuwenden. Es darf dabei nur jener Betrag der Rückstellung zugeführt werden, der bei der Verteilung des Gesamtaufwandes auf das einzelne Wirtschaftsjahr entfällt. Die Wertpapierdeckung muß erstmalig am Schluß des im Kalenderjahr 2000 endenden Wirtschaftsjahres gegeben sein. Abweichend von §14 Abs12 in Verbindung mit §14 Abs7 Z7 ist das prozentuelle Ausmaß von 50 % auf 20 Wirtschaftsjahre gleichmäßig verteilt zu erreichen.
b) ArtI Z64 des Steuerreformgesetzes 1993, BGBl. Nr. 818/1993, in der Fassung des Strukturanpassungsgesetzes 1996, BGBl. Nr. 201/1996, gilt nicht für Rückstellungen im Sinne des §14 Abs12 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 28/1999. Wurde in endgültig rechtskräftig veranlagten Fällen eine Auflösung derartiger Rückstellungen vorgenommen, so sind diese auf Antrag des Steuerpflichtigen wiederaufzunehmen. Der Antrag kann bis 30. Juni 1999 gestellt werden.'
34. - 36."
2. Mit der Ergänzung des §124 b EStG 1988 um die vorstehend zitierte Z33 wurde einerseits eine gesetzliche Grundlage für die Dotierung von Jubiläumsgeldrückstellungen ab dem Kalenderjahr 1999 geschaffen (lita), andererseits die in ArtI Z64 des SteuerreformG 1993 (idF des StrukturanpassungsG 1996 BGBl. 201) normierte Forderung nach Auflösung von bereits gebildeten Jubiläumsgeldrückstellungen zurückgenommen (litb). Die Zurücknahme der Auflösungsverpflichtung dürfte nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes ihren Grund darin haben, daß der Gesetzgeber nach dem erwähnten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 9. Dezember 1997, G403/97, in dem die die Neubildung von Jubiläumsgeldrückstellungen verhindernde Wortfolge des §9 Abs4 EStG 1988 als verfassungswidrig aufgehoben worden war, davon ausgegangen ist, daß auch die die Auflösung derartiger Rückstellungen anordnende Vorschrift mit Verfassungswidrigkeit behaftet sein könnte.
Der Verfassungsgerichtshof interpretiert Z33 litb des §124 b EStG 1988 so, daß die Zurücknahme der Auflösungsverpflichtung alle Rückstellungen betrifft, die ihrer Art nach in §14 Abs12 EStG 1988 idF des AbgÄG 1998 genannt sind (somit "Rückstellungen für die Verpflichtung zu einer Zuwendung anläßlich eines Dienstjubiläums"), weil es diese Rückstellungen waren, die das Erkenntnis des Gerichtshofes vom 9. Dezember 1997, G403/97, zum Gegenstand hatte. Er geht ferner davon aus, daß die Wiederaufnahme unabhängig davon zu erfolgen hat, ob die Auflösung im Einzelfall nach ArtI Z64 litb SteuerreformG 1993 in der Stammfassung oder in der Fassung des StrukturanpassungsG 1996 vorgenommen wurde.
Der Gerichtshof geht überdies davon aus, daß der Gesetzgeber mit der in Rede stehenden Regelung der litb die Auflösungsverpflichtung sowohl in den noch "offenen" als auch in den bereits rechtskräftig entschiedenen Fällen der Auflösung von Jubiläumsgeldrückstellungen rückgängig machen will. Er versteht daher den vom Gesetzgeber verwendeten Ausdruck "endgültig rechtskräftig" im Sinne der formellen Rechtskraft, würde doch ein weiteres Verständnis dieser Wortfolge - etwa in dem Sinn, daß eine meritorische Änderung des Bescheides gänzlich ausgeschlossen ist - dem Zweck der offenbar rechtsschutzfreundlich gemeinten Bestimmung offenbar zuwiderlaufen. Bei einem solchen Verständnis wären nämlich Zweifel hinsichtlich der "Endgültigkeit" der Rechtskraft geradezu unausweichlich.
3. Beschwerde nach Art144 B-VG kann nach dem letzten Satz des Abs1 dieser Bestimmung erst nach Erschöpfung des Instanzenzuges erhoben werden. Die Vorschrift bringt den Gedanken zum Ausdruck, daß die Anrufung des Verfassungsgerichtshofes so lange unzulässig ist, als noch gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde eine (andere) Verwaltungsbehörde angerufen werden kann (VfSlg. 4671/1964). Der Verfassungsgerichtshof geht - in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - davon aus, daß ein administrativer Instanzenzug dann nicht erschöpft ist, wenn dem Beschwerdeführer die Möglichkeit offensteht, eine Abänderung des Bescheides im Administrativverfahren zu erwirken (vgl. VfSlg. 4671/1964, 4972/1965; VwSlg. 342 F/1951). Dabei kommt es auf die Bezeichnung oder die rechtliche Konstruktion eines Rechtsbehelfes nicht an. Entscheidend ist, daß eine Behörde verpflichtet ist, auf Verlangen der Partei ohne weitere Voraussetzungen (erneut) in der Sache selbst zu entscheiden (vgl. etwa VfSlg. 4671/1964 zum Devolutionsantrag nach Art12 Abs3 B-VG; VfSlg. 5431/1966, 11269/1987, 11270/1987, 14351/1995 u.a. zur Vorstellung nach Art119 a Abs5 B-VG).
4. Da die Beschwerdeführerin sich (unter anderem) gegen die Verpflichtung zur Auflösung von Rückstellungen wendet, die sie im Hinblick auf Dienstnehmerjubiläen gebildet hat, ist die belangte Behörde, da es sich um einen formell rechtskräftig veranlagten Fall handelt, verpflichtet, auf Antrag des Steuerpflichtigen das Verfahren wieder aufzunehmen. Bei der nachfolgenden Sachentscheidung hat sie offenbar im Sinne des ersten Satzes der litb des §124 b Z33 EStG 1988 dem Begehren nach Nichtauflösung der Rückstellung Rechnung zu tragen. Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, daß diesem Wiederaufnahmeantrag (sofern er bis 30. Juni 1999 gestellt wird) jedenfalls, das heißt ohne Prüfung der in §303 Abs1 BAO geforderten (sonstigen) Wiederaufnahmegründe stattzugeben ist und daher Entscheidungspflicht über das Parteibegehren auf neuerliche Überprüfung der Sache gegeben ist. Da der Partei durch diese spezielle Ausgestaltung der Wiederaufnahme der Anspruch eingeräumt ist, daß auf ihr Verlangen ohne weitere Voraussetzungen über die Rechtmäßigkeit des Bescheides neuerlich im Administrativverfahren entschieden wird, ist der Instanzenzug nicht erschöpft.
Soweit sich die Beschwerdeführerin gegen die Versagung der Dotierung der Jubiläumsgeldrückstellung wendet, kann sie die Bedenken ebenfalls im Administrativverfahren geltend machen, doch ist darauf hinzuweisen, daß der Verfassungsgerichtshof in dem mehrfach zitierten Erkenntnis vom 9. Dezember 1997, G403/97, die die Dotierung von Dienstnehmerjubiläumsgeldrückstellungen betreffende Wortfolge in §9 Abs4 EStG 1988 aufgehoben hat. Diese Aufhebung trat mit Ablauf des 31. Dezember 1998 in Kraft. Der Beschwerdefall war in diesem Verfahren kein Anlaßfall und ist - da die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof erst am 22. Dezember 1997 eingelangt ist - auch nicht einem solchen gleichzuhalten.
5. Die Beschwerde war daher wegen der in der Nichterschöpfung des Instanzenzuges gelegenen Nichtzuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zurückzuweisen. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z1 lita VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
VfGH / Instanzenzugserschöpfung, Einkommensteuer, Rückstellungen, Finanzverfahren, WiederaufnahmeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1999:B3097.1997Dokumentnummer
JFT_10009689_97B03097_00