TE Vfgh Erkenntnis 1999/3/11 B2516/97

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Veröffentlicht am 11.03.1999
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Index

L0 Verfassungs- und Organisationsrecht
L0350 Gemeindewahl

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art117 Abs2
B-VG Art117 Abs6
Bgld GdWO 1992 §17

Leitsatz

Keine Bedenken gegen die Wohnsitzregelung der Bgld GdWO 1992 als Voraussetzung für die Wahlberechtigung; keine Überschreitung des verfassungsgesetzlich eingeräumten Regelungsspielraums und keine Gleichheitsbedenken; Verletzung des Wahlrechts zum Gemeinderat und auf Teilnahme an der Bürgermeisterwahl durch Nichtaufnahme in das Wählerverzeichnis durch Verkennung der maßgeblichen Rechtslage bei Beurteilung der Wohnsitzfrage

Spruch

I. Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Teilnahme an der Gemeinderatswahl und an der Bürgermeisterwahl verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

II. Das Land Burgenland ist schuldig, der Beschwerdeführerin zu Handen der Beschwerdevertreterin die mit ATS 20.500,-

bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Die Bezirkswahlbehörde Eisenstadt-Umgebung entschied in ihrer Sitzung vom 9.9.1997 gemäß §25 Abs3 Gemeindewahlordnung 1992, Bgld. LGBl. 54 idF 1997/26 (GWO), über die Berufung der nunmehrigen Beschwerdeführerin gegen die Entscheidung der Gemeindewahlbehörde der Gemeinde Z ("Ablehnung des Einspruches wegen (Nicht-)Aufnahme in das Wählerverzeichnis für die Gemeinderats- und Bürgermeisterwahl vom 5.10.1997") wie folgt:

"Der Berufung wird keine Folge gegeben; die Genannte ist in das Wählerverzeichnis der Gemeinde Z nicht aufzunehmen."

Begründend wurde in diesem Bescheid u.a. ausgeführt:

"Aus den von der Betroffenen im Erhebungsblatt gemachten Angaben geht hervor, daß sie verheiratet ist, mit Hauptwohnsitz in Wien gemeldet ist, wo sie ca. 6 1/2 Monate des Jahres verbringe. Als nebenberufliche Tätigkeit wurde der Umstand vorgebracht, daß die Berufungswerberin Eigentümerin bzw. Miteigentümerin von land- und forstwirtschaftlichen Nutzflächen in der KG Z sei. Als gesellschaftliche Betätigung wird der Besuch diverser Veranstaltungen angegeben. Über gesellschaftliche Betätigungen in Wien wurde keine Auskunft erteilt. Aufgrund des Umstandes, daß die Genannte den überwiegenden Teil des Jahres in Wien verbringt und von ihr selbst kein besonderer gesellschaftlicher Anknüpfungspunkt in der Gemeinde Z vorgebracht wurde, ist davon auszugehen, daß der Mittelpunkt der gesellschaftlichen Betätigungen nicht in Z liegt.

Der Umstand, daß die Berufungswerberin mit ihrem Gatten und ihrem Sohn den überwiegenden Teil des Jahres in Wien verbringt, läßt darauf schließen, daß der familiäre Mittelpunkt der Lebensverhältnisse der Betroffenen in Wien liegt.

Aus dem Eigentum bzw. Miteigentum an land- und forstwirtschaftlichen Nutzflächen kann nicht unbedingt der Mittelpunkt der wirtschaftlichen und beruflichen Lebensverhältnisse in der Gemeinde Z abgeleitet werden, hiezu wäre z.B. das Führen eines landwirtschaftlichen Betriebes oder zumindest Nebenbetriebes erforderlich.

Mangels Erfüllung von zwei Kriterien im Sinne des §17 Abs2 leg.cit. liegt somit kein wahlrechtsbegründender Wohnsitz nach der Bgld. Gemeindewahlordnung 1992 in der Gemeinde Z vor, sodaß spruchgemäß zu entscheiden war."

1.2.1. Gegen diesen Berufungsbescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung in Rechten durch Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich des §17 Abs2 GWO, sowie des "verfassungsgesetzlich gewährleisteten Wahlrechtes, nämlich in das Wählerverzeichnis zur Wahl des Gemeinderates und des Bürgermeisters der Gemeinde Z eingetragen zu werden und am 5. Oktober 1997 bei der Wahl des Gemeinderates und des Bürgermeisters ... der Gemeinde Z zu wählen", behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

1.2.2. Die Bezirkswahlbehörde Eisenstadt-Umgebung legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie für die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde eintrat.

1.3.1. Der mit "Wahlberechtigung" überschriebene §16 GWO lautet folgendermaßen:

"(1) Zur Wahl des Gemeinderates und zur Wahl des Bürgermeisters sind alle Männer und Frauen wahlberechtigt, die die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen oder Angehörige eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union sind (sofern die letzteren nach den Bestimmungen des Burgenländischen Wählerevidenz-Gesetzes, LGBl. Nr. 5/1996, in der jeweils geltenden Fassung, in die Gemeinde-Wählerevidenz der Gemeinde eingetragen sind), am Stichtag oder zwischen Stichtag und dem 1. Jänner des Jahres der Wahl das 18. Lebensjahr vollendet haben, vom Wahlrecht nicht ausgeschlossen sind und in der Gemeinde ihren Wohnsitz (§17) haben.

(2) Ob die Voraussetzungen der österreichischen Staatsbürgerschaft, der Eintragung von Angehörigen eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union in die Gemeinde-Wählerevidenz, des Nichtausschlusses vom Wahlrecht und des Wohnsitzes vorliegen, ist nach dem Stichtag (§3) zu beurteilen."

1.3.2. Die mit "Wohnsitz" übertitelte (Landes)Verfassungsbestimmung des §17 GWO hat folgenden Wortlaut:

"(1) Der Wohnsitz einer Person im Sinne dieses Gesetzes ist jedenfalls an dem Ort begründet, an dem sie ihren Hauptwohnsitz hat.

(2) Ein Wohnsitz im Sinne dieses Gesetzes ist auch an dem Ort begründet, an dem sich die Person in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, diesen zu einem Mittelpunkt ihrer wirtschaftlichen, beruflichen, familiären oder gesellschaftlichen Lebensverhältnisse zu machen, wobei zumindest zwei dieser Kriterien erfüllt sein müssen. Dabei genügt es, daß der Ort nur bis auf weiteres zu diesem Mittelpunkt frei gewählt worden ist.

(3) Ein Wohnsitz gilt jedenfalls dann nicht als begründet, wenn der Aufenthalt

1.

bloß der Erholung oder Wiederherstellung der Gesundheit dient,

2.

lediglich zu Urlaubszwecken gewählt wurde oder

3.

aus anderen Gründen offensichtlich nur vorübergehend ist."

              2.              Über die Beschwerde wurde erwogen:

2.1. Der administrative Instanzenzug ist ausgeschöpft (§25 Abs4 GWO).

Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen zutreffen, ist die Beschwerde zulässig.

2.2.1. Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, dass §17 Abs2 GWO verfassungswidrig sei, und zwar wegen "Verstoßes gegen die Ermächtigung des Art117 Abs2 B-VG und den auch den Landes(verfassungs)gesetzgeber bindenden Gleichheitsgrundsatz".

Auf das Wesentliche zusammengefasst wird dazu Folgendes ausgeführt:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungerichtshofes bis zur B-VG-Novelle BGBl. 1994/504 sei der - im B-VG nicht definierte - Begriff des "ordentlichen Wohnsitzes" iSd §66 JN zu verstehen gewesen. Zufolge dieser Bestimmung sei "der Wohnsitz einer Person ... an dem Orte begründet, an welchem sie sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, daselbst ihren bleibenden Aufenthalt zu nehmen", und sei für eine Person, die in mehreren Gerichtssprengeln einen Wohnsitz hat, "bei jedem dieser Gerichte ein allgemeiner Gerichtsstand begründet." Damit habe die rechtliche Möglichkeit bestanden, dass jemand auch zwei oder mehrere Wohnsitze haben konnte und ihm daher uU in zwei oder mehreren Gemeinden das Wahlrecht zustand. Die B-VG-Novelle BGBl. 1994/504 habe den Begriff des "ordentlichen Wohnsitzes" durch den Begriff des "Hauptwohnsitzes" ersetzt und "diesen in ihrem Art6 Abs3 erster Halbsatz B-VG (authentisch) iS der bisherigen Rechtsprechung zum ordentlichen Wohnsitz" definiert. Da kein Anhaltspunkt dafür vorliege und dem Bundesverfassungsgesetzgeber auch nicht unterstellt werden könne, dass er mit dieser B-VG-Novelle das Wahlrecht auf Gemeindeebene beschränken wollte, sei "unter dem Begriff 'Wohnsitz' iS des Art117 Abs2 erster Satz zweiter Halbsatz B-VG sowohl der bisherige Begriff 'ordentlicher Wohnsitz', der iS des Art6 Abs3 B-VG nicht Hauptwohnsitz ist, als auch ein - sonstiger - Wohnsitz zu verstehen". Hätte der Bundesverfassungsgesetzgeber unter dem Begriff des "Wohnsitzes" iS des Art117 Abs2 erster Satz zweiter Halbsatz B-VG nur den bisherigen Begriff "ordentlicher Wohnsitz" verstanden, dann hätte er dies durch einen entsprechenden Hinweis auf Art6 Abs3 B-VG zum Ausdruck gebracht. Mache der Landes(verfassungs)gesetzgeber nun von der Ermächtigung iSd Art117 Abs2 bzw. Abs6 B-VG Gebrauch, so müsse er "sowohl all jenen Personen, die in der Gemeinde einen 'ordentlichen Wohnsitz' iS der bisherigen Rechtsprechung, der iS des Art6 Abs3 B-VG jetzt nicht Hauptwohnsitz ist, als auch all jenen Personen, die einen 'sonstigen Wohnsitz' iS des Art117 Abs2 erster Satz zweiter Halbsatz B-VG haben, das Wahlrecht (einräumen)". Da nach §17 Abs2 GWO ein Wohnsitz iS dieses Gesetzes (abgesehen vom Hauptwohnsitz) nur an dem Ort begründet sei, "an dem sich die Person in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, diesen zu einem Mittelpunkt ihrer wirtschaftlichen, beruflichen, familiären oder gesellschaftlichen Lebensverhältnisse zu machen, wobei zumindest zwei dieser Kriterien erfüllt sein müssen", nicht aber auch im Fall des bisherigen "ordentlichen Wohnsitzes", erscheine §17 Abs2 GWO wegen Verstoßes gegen die Ermächtigung des Art117 Abs2 B-VG verfassungswidrig. Da "darüberhinaus die Kriterien nach §17 Abs2 GWO willkürlich gewählt" worden seien und "sogar strenger sein könn(t)en als jene für den Begriff 'Hauptwohnsitz', den bisherigen Begriff 'ordentlicher Wohnsitz' und den 'Wohnsitzbegriff' iS des B-VG", verstoße die in Rede stehende Bestimmung auch gegen den den Gesetzgeber bindenden Gleichheitssatz.

2.2.2. Zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der den bekämpften Bescheid tragenden Rechtsgrundlagen - so auch des §17 Abs2 GWO - genügt es, auf die Gründe des beiliegenden - über eine zu Z B2515/97 protokollierte Beschwerde des Ehemannes der Beschwerdeführerin ergangenen - Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 1. März 1999 zu verweisen.

2.3. Die Beschwerde ist aber im Ergebnis begründet. Der angefochtene Bescheid ist aus folgenden Gründen verfassungswidrig:

2.3.1. Das durch Art117 Abs2 iVm. Art26 Abs1 und Art95 Abs1 B-VG verfassungsgesetzlich gewährleistete Wahlrecht zum Gemeinderat wird durch jede rechtswidrige Verweigerung der Eintragung in das Wählerverzeichnis verletzt (vgl. VfSlg. 5148/1965 und 7017/1973; sa. VwSlg. 1222 (A.)/1950 und 1628 (A.)/1950). Das ist im Besonderen dann der Fall, wenn die Behörde die für den bekämpften Bescheid maßgebliche Rechtslage verkennt.

2.3.2. Dies ist hier angesichts der dem bekämpften Bescheid zu Grunde liegenden - verfehlten (s. auch dazu das Erkenntnis VfGH 1.3.1999 B2515/97) - Rechtsauffassung, es käme gemäß §17 Abs2 GWO auf das "überwiegende" oder "ausschließliche" Vorliegen der dort festgelegten Kriterien für den Wohnsitz in einer Gemeinde an, der Fall.

Sinngemäß das Gleiche gilt für die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten (s. dazu VfGH 12.12.1997, B 3113, 3760/96, Pkt. II.3.3.1 zweiter Absatz, zu der insoweit mit Art117 Abs6 B-VG vergleichbaren Regelung des Abs2 vierter Satz leg. cit.) Recht auf Teilnahme an der Bürgermeisterwahl.

2.3.3. Damit wurde die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen, die Nichtaufnahme in das Wählerverzeichnis verfügenden Bescheid in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten an der Gemeinderats- sowie an der Bürgermeisterwahl teilzunehmen verletzt.

Demgemäß war spruchgemäß zu entscheiden.

2.4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG 1953. Im zugesprochenen Kostenbetrag ist Umsatzsteuer in der Höhe von ATS 3.000,- enthalten.

2.5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nicht öffentlicher Sitzung ergehen.

Schlagworte

Wahlen, Wahlrecht aktives, Wohnsitz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:B2516.1997

Dokumentnummer

JFT_10009689_97B02516_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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