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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §5 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schimetits, über die Beschwerde des B R in K, geboren am 18. Jänner 1974, vertreten durch Dr. Peter Eigenthaler, Rechtsanwalt in 3180 Lilienfeld, Babenbergerstraße 30/2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 1. September 1999, Zl. 212.048/0-V/14/99, betreffend § 5 Abs. 1 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, seinen Angaben zufolge ein der albanischen Volksgruppe zugehöriger jugoslawischer Staatsangehöriger aus dem Kosovo, reiste am 26. Oktober 1998 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag die Gewährung von Asyl. Bei seiner Vernehmung am 5. Jänner 1999 gab er an, er stamme aus Batusha und habe sich drei Monate vor seiner Abreise nach Beleg begeben. Von dort sei er zunächst nach Plave in Montenegro und dann nach Ulquin gegangen, wo er bis 23. Oktober 1998 geblieben sei. An diesem Tag habe er seine Heimat in einem Kombi Richtung Österreich verlassen. In dem Fahrzeug sei er eingeschlossen gewesen und habe nichts gesehen.
Mit Bescheid vom 28. Juli 1999 wies das Bundesasylamt den Asylantrag zurück, erklärte Italien zu dessen Prüfung für zuständig und wies den Beschwerdeführer aus dem Bundesgebiet aus. Nach der Begründung sei bei der Überprüfung der Brieftasche des Beschwerdeführers anlässlich seiner Einvernahme am 5. Jänner 1999 ein Zugticket der italienischen Staatsbahnen vom 18. Oktober 1998 für die Fahrt von Lecce nach Mailand und ein weiteres vom 19. Oktober 1998 für die Fahrt von Mailand nach Wien-Südbahnhof gefunden worden. Daraus folge, dass der Beschwerdeführer auf dem Landweg von Italien kommend illegal nach Österreich eingereist sei. Die Erklärung des Beschwerdeführers, er habe die Zugtickets von seinem Cousin bekommen, habe die belangte Behörde nicht zu überzeugen vermocht.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, schon im Kosovo sei beschlossen worden, dass sein Cousin über Italien mit dem Zug nach Deutschland reisen werde. Die beim Beschwerdeführer gefundenen Zugtickets habe er von seinem Cousin erhalten, den er bei seinem Onkel in Wien, dessen Namen und Anschrift der Beschwerdeführer in der Berufung angab, vereinbarungsgemäß getroffen habe. Sein Cousin habe für den Beschwerdeführer auf die Zugtickets seine Reisekosten in D-Mark und eine deutsche Telefonnummer geschrieben. Der Beschwerdeführer habe seinem Cousin die voraussichtlichen Reisekosten im Kosovo vorgestreckt und habe diese bei Gelegenheit zurückfordern wollen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde die Berufung des Beschwerdeführers "als unzulässig zurückgewiesen". In der Begründung hob die belangte Behörde hervor, das in der Berufung vorgebrachte Argument, wonach die Tickets dem Cousin des Beschwerdeführers gehört hätten, sei durch den Umstand entkräftet worden, dass sich in der Brieftasche des Beschwerdeführers auch eine Rechnung des "Weitnauer Free Shop SPA, Statione Centrale FF.SS., P.IVA 09163900154, datiert mit 18. Oktober 1998", befunden habe. Dieser Coupon lasse eindeutig den Schluss zu, dass sich der Beschwerdeführer - im Zusammenhang mit den gefundenen Tickets - in Italien aufgehalten habe und entkräfte die Behauptung, die Tickets wären die seines Cousins, welche somit augenscheinlich als Schutzbehauptung zu werten sei. Da der Sachverhalt geklärt sei, und ein "formaler Abspruchgegenstand" vorliege, könne eine mündliche Verhandlung entfallen. Auf Grund des Sachverhaltes läge die Zuständigkeit Italiens zur Prüfung des Asylantrages vor.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Vorweg ist festzuhalten, dass die Entscheidung der belangten Behörde auf einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit der "Sache" des erstinstanzlichen Bescheides und der dagegen gerichteten Berufung beruht, es sich bei der Formulierung, die Berufung (und nicht der Asylantrag) werde "zurückgewiesen", nur um ein offenkundiges Vergreifen im Ausdruck handelt und eine Abweisung der Berufung in Bezug auf den gesamten (über die Zurückweisung des Asylantrages hinaus gehenden) Inhalt des erstinstanzlichen Bescheides gemeint ist.
Begründet die belangte Behörde das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren mit dem "formalen Abspruchgegenstand (Vorliegen einer allgemeinen negativen Prozessvoraussetzung)", so misst sie dem erstinstanzlichen Bescheid allerdings rein verfahrensrechtlichen Charakter zu und hat dabei offenbar die Bestimmung des § 67d Abs. 3 AVG (in der hier anzuwendenden Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 137/2001) im Auge, nach der der unabhängige Verwaltungssenat von einer Berufungsverhandlung absehen kann, wenn sich die Berufung gegen einen verfahrensrechtlichen Bescheid richtet und keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt. Allerdings ist ein den Asylantrag gemäß § 5 AsylG zurückweisender Bescheid, in dem auch der zur Prüfung des Asylantrages zuständige Staat festzustellen ist, mit einer Ausweisung zu verbinden (Abs. 1), die stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den bezeichneten Staat gilt (Abs. 3). Dem gemäß hat das Bundesasylamt im Spruch des erstinstanzlichen Bescheides im vorliegenden Fall auch über die Ausweisung und damit auch über die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers entschieden, womit die (materiellen) Voraussetzungen geschaffen wurden, auf deren Grundlage Maßnahmen zur Außerlandesschaffung gesetzt werden könnten. Wegen dieser - materiellen - Entscheidung kommt dem Bescheid des Bundesasylamtes nicht nur verfahrensrechtliche Wirkung zu, weshalb die sich auf den rein verfahrensrechtlichen Bescheid beziehende Ausnahme von der Verhandlungspflicht nicht zum Tragen kommt (vgl. das Erkenntnis vom 25. November 1999, Zl. 99/20/0162, in dem der Verwaltungsgerichtshof die genannte Ausnahme von der grundsätzlichen Verhandlungspflicht wegen der (verfahrens- und materiellrechtlichen) "Doppelgesichtigkeit" eines Bescheides, mit dem ein Asylantrag gemäß § 4 AsylG zurückgewiesen worden ist - somit wegen eines in dieser Hinsicht vergleichbaren Bescheides - mit ausführlicher Begründung verneint hat).
Zudem meint die belangte Behörde, eine mündliche Verhandlung habe schon gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG wegen des aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärten Sachverhaltes entfallen können. Dem ist zu entgegnen, dass der Sachverhalt im Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat nur dann als aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt anzusehen ist, wenn er nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehens eines Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet wird (vgl. das Erkenntnis vom 11. November 1998, 98/01/0308). Die Berufung im vorliegenden Fall streicht hervor, auf welche Weise der Beschwerdeführer in den Besitz der Zugkarten gekommen sein soll und welchen Zweck sie für ihn haben sollten. Schon diese Behauptungen lösten die Verhandlungspflicht für die belangte Behörde aus. Wird nämlich im Berufungsverfahren ein konkreter neuer Sachverhalt behauptet, so ist es dem unabhängigen Bundesasylsenat verwehrt, durch Würdigung dieser Angaben als unglaubwürdig den Sachverhalt ohne Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung und, insbesondere ohne den Asylwerber selbst persönlich einzuvernehmen, als geklärt anzusehen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 8. Juni 2000, Zl. 98/20/0490).
Weiters rügt der Beschwerdeführer als Verfahrensmangel, dass ihm zur - in seiner Brieftasche vorgefundenen - Rechnung vom 18. Oktober 1998, auf welche die belangte Behörde ihre Beweiswürdigung vorrangig stütze, kein Gehör gewährt worden sei. Dieses Vorbringen findet in den vorgelegten Verwaltungsakten seine Bestätigung. So wurde die Rechnung vom 18. Oktober 1998 durch die belangte Behörde erstmals im Rahmen ihrer Beweiswürdigung beurteilt, ohne dass dem Beschwerdeführer Gelegenheit gegeben worden wäre, sich dazu zu äußern.
Insgesamt sind somit Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen worden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Verfahrensergebnis hätte kommen können, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 12. März 2002
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2002:1999010439.X00Im RIS seit
13.06.2002